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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

23. Sonntag nach Trinitatis, 03.11.2013

Immer von neuem das „Ja“ üben
Predigt zu Matthäus 5:33-37, verfasst von Ulrich Kappes



33 Wiederum habt ihr gehört, dass den Alten gesagt ist: „Du sollst keine falschen Eide schwören, einen Gott aber erstatteten Eid sollst du halten."
34 Ich aber sage euch, dass ihr überhaupt nicht schwören sollt, weder bei dem Himmel, der der Thron Gottes ist
35 noch bei der Erde, weil sie der Schemel seiner Füße ist noch bei Jerusalem, denn sie ist die Stadt des großen Königs.
36 Du sollst auch nicht bei deinem Haupt schwören, denn du kannst nicht aus einem einzigen Haar ein weißes oder schwarzes machen.
37 Euer Wort soll Ja ja und Nein nein sein. Das darüber Hinausgehende, ist vom Übel. (Übersetzung: U.K.)

 

Was ist das Problem des Schwures?

Menschen werden darauf festgelegt, etwas Bestimmtes zu tun. Ob sie für eine gute oder fragwürdige Sache, für Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit, für Wahrheit oder Lüge streiten ... und ihr Leben lassen, haben sie nicht zu entscheiden. Sie haben zu tun, was der Befehl sagt. Befehl ist Befehl, weil ein Eid das so will.
Vielleicht ist das auch der Grund der Ablehnung des Eides durch Jesus. Hat man ihn gesprochen, hat man schnell und ungeprüft zu handeln. Eine Prüfung oder Abwägung des Auftrages liegt außerhalb des Schwursystems. Wer geschworen hat, hat zu handeln, ohne zu fragen.
Es ist die schmerzliche Erfahrung der Leute um Oberst Graf Stauffenberg gewesen, die sich bemühten, gegen den Wahnsinn eines zu Ende gehenden Krieges, der sichtbar in eine Katastrophe münden würde, Mitstreiter und Verbündete zu finden. Gegen eine offenkundig menschenverachtende Kriegsführung durch Hitler stellten große Teile der Generalität für sich fest, dass sie ja auf Hitler einen Eid geschworen hätten, der sie bis an ihr Lebensende binde, geschehe durch Hitler, was eben geschehe.

Am 6. März 1956 wurde im Deutschen Bundestag das Gesetz der Eidesleistung beschlossen. Es gab 221 Ja -Stimmen und 193-Nein Stimmen für diesen Paragraphen im deutschen Soldatengesetz. I1I Man muss das in aller Form würdigen, ist doch die Frage, ob und wann ein Staat tatsächlich auf eine Eidesleistung bestehen muss oder darauf verzichtet, nicht schnell zu beantworten. Das haben die Alte Kirche und vor allem die Reformatoren ihrerseits klar gegenüber der apodiktischen Ablehnung des Eides erklärt. I2I

Die Herausforderung der eben gehörten Worte liegt aus meiner Sicht auf dem Schlussvers: „Euer Wort soll Ja ja und Nein nein sein. Das darüber Hinausgehende ist vom Übel."

Im Jacobusbrief wird der Grundgedanke dieser Worte unterstrichen: „Es sei aber euer Ja ein Ja und euer Nein ein Nein, auf dass ihr nicht unter das Gericht fallt."
Das sagte Jesus und das lebte Jesus.

„Euer Wort soll „Ja ja und Nein nein sein. Das darüber Hinausgehende, ist vom Übel."

Jesus legte die Hand an den Pflug und sah nicht zurück.
Er sorgte sich nicht um den morgigen Tag, weil er hier und heute lebte.
Als der Hohepriester ihn fragte, ob der der Sohn Gottes sei, antwortete er: „Du sagst es."

Kein weiterer Kommentar.
Das eindeutige „Ja, ja" ist seine Lebensart. Eine große Klarheit und Erkennbarkeit durchzieht sein Wesen.

Ein erster Gedankenkreis.
Wie viele Freundschaften haben wir begonnen und wie viele von ihnen hörten inzwischen auf. Das „Ja" zueinander hielt nicht mehr.
Wie viele Ehen wurden mit einem klaren „Ja" geschlossen und dann verlief das Leben, in der Regel mit Schmerzen, anders und aus dem „Ja" wurde ein „Nein".

Der Historiker Jacob Burckhardt warnte vor den „horribles simplificateurs", vor den entsetzlichen Vereinfachungen. Menschen sprechen ein schnelles „Ja" oder „Nein", propagieren es lautstark und enden mit allen, die sich von ihnen beeinflussen lassen, in einer Sackgasse. Bei vielen Lebensfragen gibt es kein einfaches und schnelles „Ja" oder „Nein".
So ist festzustellen und festzuhalten, dass wir zuallererst gerufen sind, abzuwägen und zu prüfen, wann wir „Ja" und wann wir „Nein" sagen.

Indem Jesus den Schwur ablehnt, öffnet er den Raum für ein wohlüberlegtes und begründetes Ja oder Nein. Ich meine, er eröffnet auch die Möglichkeit zu einem Nein gegenüber einem vorausgehenden Ja.

Ein zweiter Gedankenkreis zu dem Jesuswort zeichnet sich wie folgt ab.
Das Gegenteil zu einem Leben mit einem „Ja ja und Nein nein" ist ein zögerliches Leben. Es wird vermieden, sich einen Standort zu erarbeiten und das bedeutet zu schlingern, mal hier, mal dort zu stehen, sich anzupassen, wie der Wind weht.

Die zweite Aussage des Jesuswortes stellt unser Leben in einen festen Rahmen. Leben im Glauben ist Leben in der Entscheidung. Diese Entscheidung ist eine Entscheidung zwischen Ja oder Nein, zwischen Licht oder Finsternis, Leben oder Tod. Grautöne und Mischfarben gibt es hier nicht. Der bekannte und dem intellektuellen Menschen so naheliegende dritte Weg ist für den inneren Menschen ausgeschlossen. Seine Entscheidung im Leben vor Christus ist „Ja ja" oder „Nein nein". Nur so kann er leben. Grautöne, vage Festlegungen, unausgetragene Widersprüche bringen nichts.
Er weiß: Ein Wort der Schrift, das den inneren Menschen stützt und trägt, ist nicht „vielleicht oder vielleicht auch nicht", „kann sein, kann aber auch nicht sein", „möglich oder nicht möglich". Es ist entweder das Wort der Schrift, zu dem ein klares Ja gesprochen wird oder es ist ohne Bedeutung für den inneren Menschen.

Wer krank ist und es schwer hat im Leben, soll sagen: Ja, ich hoffe. Ich will nur hoffen. Ich will hoffen, dass Gott, der Herr, meine Gebete erhört und meine Not abwendet. Ja, so will ich leben, ja sagen zur Hoffnung.
Wer sich Sorgen macht um seine und seiner Anvertrauten Zukunft, soll sagen: Ja, ich höre es, was der Herr sagt. „Sorget nicht um den anderen Morgen." Ja, ich will nur hier und jetzt leben, nicht an Morgen denken. Ich gehe hier und jetzt diesen Schritt, ich lebe in diesem Augenblick. Der Morgen ist „außen vor".

Wer sich nicht zutraut, einer Aufgabe gerecht zu werden, erinnere sich, dass der Mensch geschaffen ist, sich die Erde untertan zu machen. Er spreche sein Ja dazu, stärker zu sein als die „Erde". Ja, Gott will, dass ich siege und nicht untergehe.
Wir sind Pilger. Station um Station gilt es, das klare Ja zu jenen Schriftworten zu sprechen, die uns auf unserem Weg aufgegangen sind. Immer und immer von neuen und immer und immer von vorn.

Ein dritter Gedankenkreis schließt sich an.
Vom „Wort" spricht Jesus. Er spricht nicht vom Gesagten und Geredeten, vom Mitgeteilten und Ausgesprochenen. Nein, er spricht vom „Wort".
„Euer Wort soll Ja ja und Nein nein sein. Das darüber Hinausgehende ist vom Übel."
Das Wort, wir wissen es, ist in der Schrift eine eigene Kategorie. Sie stellt eine Verwandtschaft zu Gott her, der durch sein Wort alles schuf, durch sein Wort beim „Namen rief und erlöste". Es stellt eine Verwandtschaft zu dem „Wort" her, das Jesus selbst ist, indem Jesus als das „Wort" am Anfang war und ist und bleiben wird.
„Euer Wort soll ein Ja ja und ein Nein nein sein."

Wir können dieses Leben mit einer klaren Entscheidung für ein Wort der Schrift nur dann auch nur annähernd führen, wenn wir es in eine ungebrochene Beziehung zu Gott und Jesus stellen.
„Binde deinen Karren an einen Stern", heißt eines der bekanntesten Worte Leonardo da Vincis. Auf unseren Zusammenhang bezogen bedeutet es: Binde das Wort deines „Ja" oder deines „Nein" gegenüber einem Schriftwort an Jesus, den Gottessohn.
Von ihm erbitte die Dauerhaftigkeit deines „Ja" ebenso wie deines „Nein".
Von ihm erhoffe dir die Fähigkeit, nicht abzuweichen von Worten des Lebens, die du gefunden hast.
Bindung an den Gottessohn ist keine Magie, wohl aber die Chance, dass der Karren weiter fährt und Kurs hält, um einmal ein Ziel zu erreichen, wo Gott ist, in dessen „Ja" kein „Nein", sondern nur „Ja" ist.

Gott schenkt uns bisweilen Menschen, die in dem Karrengetümmel unseres Lebens in erstaunlicher Weise einen von Gott gewollten Weg gegangen sind. Ich gebe in gekürzter Form ein Einzelschicksal wieder, über das am 28.10. 2013 unter dem Titel „Wegmarken" vom Inforadio Berlin - Brandenburg berichtet wurde. I3I
Eugen Herman Friede war der Deportation nach Auschwitz entgangen, indem er bei seiner Tante in Luckenwalde Unterschlupf erhielt. Eines Tages klingelte es. Ein junger Mann stand vor der Tür. Es war Werner Scharff, dem es gelungen war, aus Theresienstadt zu fliehen. Er konnte bei einem Luckenwalder Bürger namens Hans Winkler untertauchen. Hans Winkler war Justizangestellter beim Amtsgericht in Luckenwalde. Als Angestellter hatte er keinen Beamteneid auf Hitler geschworen. So hatte und so nutzte er seinen Freiraum, einen unverstellten Blick auf das, was als Völkermord an den Juden geplant war, zu erwerben. Hans Winkler, so heißt es in der Radiodokumentation, wurde zu einem „flammenden Gegner" des Nationalsozialismus. Er baute ein Netzwerk auf und dank seiner Arbeit und Initiativen konnten bis zu zehn Juden versteckt werden.
1944 wird die Gruppe entdeckt. Werner Scharff kommt nach Sachsenhausen und wird dort am 16. März erschossen. Eugen Herman Friede überlebte. Von den anderen Juden, die Hans Winkler versteckte, berichtet die Dokumentation nichts.
Ein schlichter Luckenwalder Justizangestellter stand mit seinem „Ja" zur Rettung gefährdeter Juden gegen den Rest der Welt.
Woran er seinen „Karren" band und was ihn diesen mutigen Weg gehen ließ, wissen wir nicht. Wir wollen ihn ungeachtet dessen in Ehren halten.
Hat er uns doch gezeigt, dass ein Mensch ein Ja zu Nächstenliebe und Barmherzigkeit durchgehalten hat, obwohl um ihn herum alle ein Nein sagten.

„Euer Wort soll ein Ja ja und ein Nein nein sein."
Wir wollen auf den Gottessohn, den die Offenbarung den Morgenstern nennt, sehen, immer erneut sehen und so Kraft und Mut erbitten, ein einmal gefundenes und gegebenes Ja bis zum Ende unserer Tage durchzuhalten.

 



Pfarrer em. Ulrich Kappes
14943 Luckenwalde
E-Mail: ulrich.kappes@gmx.de

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