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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

23. Sonntag nach Trinitatis, 03.11.2013

Predigt zu Matthäus 22:15-22, verfasst von Ulrich Nembach

15 Da gingen die Pharisäer hin und hielten Rat, wie sie ihn in seinen Worten fangen könnten;
16 und sandten zu ihm ihre Jünger samt den Anhängern des Herodes. Die sprachen: Meister, wir wissen, dass du wahrhaftig bist und lehrst den Weg Gottes recht und fragst nach niemand; denn du achtest nicht das Ansehen der Menschen.
17 Darum sage uns, was meinst du: Ist's recht, dass man dem Kaiser Steuern zahlt oder nicht?
18 Als nun Jesus ihre Bosheit merkte, sprach er: Ihr Heuchler, was versucht ihr mich?
19 Zeigt mir die Steuermünze! Und sie reichten ihm einen Silbergroschen.
20 Und er sprach zu ihnen: Wessen Bild und Aufschrift ist das?
21 Sie sprachen zu ihm: Des Kaisers. Da sprach er zu ihnen: So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!
22 Als sie das hörten, wunderten sie sich, ließen von ihm ab und gingen davon.

 

Liebe Gemeinde,

unser Predigttext heute Morgen lädt ein zum Staunen, und das gleich aus zwei Gründen. Einmal ist erstaunlich, was wir von dem Text zu wissen meinen. Zweitens ist erstaunlich, was der Text selbst sagt.

Wir meinen den Text gut, sehr gut zu kennen. Es geht um Staat und Kirche. Darum geht es auch, aber unter »ferner liefen«. Matthäus fasst am Ende der Erzählung das ganze Geschehen zusammen. Matthäus schreibt, dass Jesu Besucher sich „wunderten“.

Zunächst zu uns!

1.

Jesus soll versucht, überführt und so aus dem Verkehr gezogen werden. Um das zu erreichen, wird ein Plan entworfen, ein raffinierter, teuflischer Plan. Es werden vor Jesus zwei Fallen aufgebaut, und zwar so geschickt, dass, wenn Jesus die eine Falle umgeht, er unweigerlich in die zweite Falle tappt. Wenn er sagt, man soll dem Kaiser Steuern zahlen, verärgert er die Juden. Sie wollen der verhassten Besatzungsmacht keine Steuern zahlen. Wer dafür plädiert, dass dem Kaiser Steuern gezahlt werden sollen, ist ein Römerfreund! Wer das ablehnt, ist ein Judenfreund und Feind des Kaisers!

Raffiniert! Luther in seiner klaren Sprache nennt das: „wie ... bose, bitter, und giftige Würmer das sind, die Christum und sein wort verfolgen, und wie spitzig und schalckhafftig sie in angreiffen …“[1]. Jesus sieht das Dilemma, vor das ihn seine Besucher gestellt haben, und eröffnet einen dritten Weg. Die Besucher sind erledigt. Ihr Plan, der so raffiniert erdachte, ist gescheitert! Was tun sie?

Sie wundern sich und gehen. Sie „wundern“ sich. Keine Spur von Verärgerung. Ganz anders ist es etwa im Fußball. Wenn Trainer und Mannschaft sich einen tollen Plan ausgedacht haben, um den Gegner zu schlagen, dann aber verlieren, sind sie sauer. Beschimpfen den Schiedsrichter, vielleicht auch noch einen Linienrichter. Jesu Gegner gehen und wundern sich. In diesem Wundern liegt wohl ein Erstaunen und ein Stück Anerkennung. Sie sahen, wie Jesus selbst die beiden Fallen umging. Möglicherweise liegt in der Anerkennung ein Stück Be-wunderung.

2.

Wie ist das bei uns? Ich sagte schon: Wir meinen die Geschichte gut, sehr gut zu kennen. Nur von dem Sich-Wundern, eventuell gar Be-wundern ist nichts zu sehen.

Es gibt Europa-Meisterschaften, Welt-Meisterschaften, dann in Kürze Olympische Spiele und obendrein das Guinnessbuch der Rekorde. Das alles erleben wir bequem im Fernsehsessel sitzend. So konnte unsere Begeisterung abstumpfen. Und, im Übrigen, Jesus: Wie viel haben wir schon von ihm gehört?! Darum gehen viele schon gar nicht mehr zur Kirche.

Jesu Besucher hatten auch schon viel von Jesus gehört. Sie haben darum vermutlich seine Reden genau analysiert. Darauf aufbauend haben sie ihren raffinierten Plan entworfen. Nun müssen sie feststellen, dass Jesus einen dritten Weg findet und geht. Die beiden Fallen lässt er rechts und links liegen. Da ist schon eine Verwunderung, ein Erstaunen angesagt. Ja, die Begegnung mit Jesus lässt Menschen erstaunen.

Vor wenigen Jahren ist ein Buch erschienen. Es trägt als Titel nur den Namen „Jesus“. Ein Untertitel ist beigegeben. Er lautet: „Ein Versuch zu begreifen“. Und in der Einleitung, gleich auf der ersten Seite, schreibt der Autor, Joachim Ringleben: „... am Anfang des theologischen Begreifens steht das Staunen“[2].

„Staunen“, „ein Versuch zu begreifen“ – das sind zarte Annäherungen an Jesus. Und selbst, wenn man ihm nahe ist, hat man noch immer Schwierigkeiten, ihn zu verstehen. Welche Schwierigkeiten haben wir Menschen, um unseren Nachbarn, die Kollegen am Arbeitsplatz, ja die oder den Partner oder die Kinder zu verstehen. Aber Jesus meinen wir zu verstehen.

Weihnachten steht vor der Tür. Es dauert keine zwei Monate mehr. Da gehen wir zur Kirche und feiern die Geburt Jesu. Wissen wir aber, wer da geboren wird? Die Maler malen eine schöne, junge Frau mit einem süßen Baby auf dem Arm. Zeigen sie damit Jesus? Dichter werden konkreter. Martin Luther dichtete:

             Den aller Welt Kreis nie beschloss,
             der liegt in Marien Schoß;
             er ist ein Kindlein worden klein,
             der alle Welt erhält allein, Kyrieleis.

3.

Ich denke, von der Verwunderung der Besucher Jesu sollten wir uns anstecken lassen. Wir wissen zwar von Jesus. Nur wir wissen nicht genau. Ja, wir verdrängen unsere Wissenserweiterung durch das Vorurteil, dass wir Bescheid wissen. Auf Weihnachten habe ich schon verwiesen. Zweitens: Letzten Donnerstag feierten wir das Reformationsfest. Das war eine Gelegenheit, unser Wissen zu mehren und das Staunen zu lernen. Die Thesen und die weitere Entwicklung brachten eine Bewegung in Gang. Es ging dabei um den Glauben und seine Grunderkenntnisse. Wie war das damals?

Ein Mönch, ein Bettelmönch, tritt auf, d. h. jemand, der als Mönch kein Eigentum hat und sich, ein Bettelmönch, sein Essen erbetteln muss. Der tritt auf gegen die Mächtigen damals, den Kaiser und den Papst. Der Kaiser herrschte vom Atlantik bis Österreich. Dazwischen lag Frankreich, aber auch das reiche Flandern, das zu ihm gehörte. Der Papst herrschte über Europa.

Der Mönch wohnte am Rande des Reiches in Wittenberg. Er war zugleich Professor an einer neu errichteten Universität, an keiner altehrwürdigen, ruhmreichen. Die Karten des Mönches waren schlecht, schlechtere kann man sich kaum vorstellen.

Unter diesen Vorgaben breitete sich die Reformation aus. Man kann, man muss staunen. Das Ganze ging und geht um Glauben. Damals ging es auch gegen das Geld, das große Geld. Das Kapital war schon damals mächtig, sehr mächtig. Jakob Fugger, der Reiche, so reich, dass er dem Kaiser und Bischöfen Geld lieh, das er natürlich wieder haben wollte. ... und da kam der Bettelmönch aus der abgelegenen Provinz mit dem Glauben!

Ich will noch ein Beispiel aus der Kirchengeschichte erzählen. Philipp Friedrich Hiller dichtete das Lied:

             Jesus Christus herrscht als König,
             alles wird ihm untertänig,
             alles legt ihm Gott zu Fuß.
             Aller Zunge soll bekennen,
             Jesus sei der Herr zu nennen,
             dem man Ehre geben muss.

Hiller griff bei seiner Dichtung auf einen alten Christus-Hymnus zurück – den Hymnus, den Paulus im Philipperbrief zitiert. Da hatte Hiller bereits seine Sprache verloren. Er war an den Stimmbändern erkrankt. Was tat er? Er schrieb, dichtete und veröffentlichte Lieder.

Er, der Behinderte, staunte und lobte Jesus Christus.

4.

Bitte denken Sie, denken Sie in der kommenden Woche an die raffinierten Besucher Jesu, an den Bettelmönch und den sprachlosen Dichter. Sie alle staunten bzw. staunen.

Amen

 


[1] Martin Luther, Predigt vom 8. November 1534, WA 37, 583,26-28.

[2] Joachim Ringleben, Jesus, Tübingen 2008, S. 1.

 

 



Prof.Dr.Dr. Ulrich Nembach
Göttingen
E-Mail: ulrich.nembach@theologie.uni-goettingen.de

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