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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres, 10.11.2013

Predigt zu Lukas 18:1-8, verfasst von Sven Keppler

I. Vor kurzem sollte er für 30 Jahre Mitgliedschaft in seiner Partei geehrt werden. Diesen Termin nahm er zum Anlass, um endlich zu tun, was er schon lange vorhatte: Er trat aus der Partei aus. Zu sehr hatten ihn die vergangenen Jahre frustriert. Mehr innerparteiliche Demokratie – darüber konnte er nur noch lachen. Bei den ganz großen Themen wurden die Mitglieder zwar befragt. Aber alles andere handelten die Meinungsführer unter sich aus. Als kleiner Mann an der Basis hatte er nicht viel zu sagen.
Es gab einmal eine Zeit, da wollte er sich stärker einbringen. Im Ortsverband wollte er Schriftführer werden. Er hatte verstanden, dass er seine Vorstellungen nur verwirklichen konnte, wenn er Verantwortung übernahm. Doch mit der Zeit begriff er, dass es anders lief. Was zählte, war nicht die offizielle Funktion. Sondern es kam auf die Kontakte an. Dabei sein, wenn die entscheidenden Fragen besprochen wurden. Aber leider war er meistens nicht dabei. Und es gelang ihm nicht, die richtigen Beziehungen zu knüpfen – die Lokalmatadoren blieben lieber unter sich. Und so zog er schließlich nach 30 Jahren die Konsequenz.
Liebe Gemeinde, das ist eines von vielen Beispielen für die wachsende Politikverdrossenheit. Ich hätte auch andere erzählen können. Von den Erstwählern, die auf eine Partei mit Freibeuterimage gesetzt hatten. Die glaubten, dass hier eine ganz andere Beteiligung der Basis möglich würde. Und die mitansehen mussten, wie dieses Experiment im gut gemeinten Chaos versank.
Oder ich hätte von bekannten Philosophen erzählen können, die sich im letzten Wahlkampf kokett als Nichtwähler darstellten. Oder von den Erfolgen populistischer Parteien in unseren Nachbarländern. Die Führer solcher Parteien reden den Wählern nach dem Mund. Versprechen, dass alles anders wird. Und am Ende entpuppen sich diese Bewegungen als bloße Hilfsmittel für die Interessen ihrer Funktionäre. Die Resignation der enttäuschten Wählerschaft erreicht danach immer noch eine weitere Stufe.

II. Der heutige Predigttext ist eine Gegengeschichte zu solcher Verdrossenheit. Eine unverdrossene Witwe ist ihre Heldin. Sie lässt sich auch durch die entmutigendsten Erfahrungen nicht von ihrem Vorhaben abbringen. Hören Sie selbst: Ich lese den Anfang des 18. Kapitels aus dem Lukasevangelium [lesen: Lk 18,1-8].
Ich stelle mir vor, dass die Witwe ihr ganz eigenes Bild von „denen da oben“ hatte. Von denen, die im Ort das Sagen hatten. Und dieses Bild wird nicht das Beste gewesen sein. Zu lange hatte sie schon erfolglos für Ihr Recht gekämpft.
Ihre Hartnäckigkeit lässt vermuten, dass es in ihrem Rechtsstreit nicht nur um eine Kleinigkeit ging. Vielleicht hatte er mit ihrer Versorgung zutun. Ihr Mann hatte Geld verliehen. Und der Schuldner hoffte, sich nach dem Tod des Mannes vor der Rückzahlung drücken zu können. Aber die Witwe war auf dieses Geld angewiesen, um nicht hungern zu müssen.
Anfangs reagierte der zuständige Richter nicht einmal auf ihre Eingaben. Ließ sie einfach auflaufen. Setzte darauf, dass es auch dieser Witwe an Fürsprechern fehlen würde – wie den meisten anderen auch. Aber die Frau ließ nicht locker. Ließ sich nicht einschüchtern vom gesellschaftlichen Ansehen des Richters. Von seinen guten Kontakten. Sondern wiederholte ihre Forderungen mit großer Beständigkeit.
Erst Monat für Monat. Dann Woche für Woche. Als auch das nichts nützte, mag sie zu wirksameren Methoden gegriffen haben. Sie stellte sich vor das Haus des Richters. Abends, wenn alle Nachbarn zu Hause waren. Sogar schon schlafen wollten. Und dann rief sie: „Richter Dajan. Ich weiß, dass Du mich kennst. Und ich weiß, dass ich im Recht bin. Lass Dich endlich herab und verschaffe mir Gerechtigkeit!“
Woher mag die Frau die Kraft zum Durchhalten genommen haben? Woher ihr Rückgrat und ihre Ausdauer? Bestimmt nicht aus ihrem Glauben, dass der Richter ein guter, gerechter Mann war. Im Gleichnis sagt der sogar selbst von sich, dass er Gott nicht fürchte und sich um die Menschen nicht kümmere. Dementsprechend wird sein Ruf gewesen sein, den auch die Witwe kannte: Nicht besser als der von Berlusconi und Co.
Die Frau war weder naiv noch rechthaberisch. Geholfen haben wird ihr das klare Bewusstsein, im Recht zu sein. Eine nüchterne, sachliche Einschätzung. Die im Übrigen ja auch der Richter teilt. Als er nachgibt, sagt er nicht: „Ich will prüfen, ob sie im Recht ist.“ Sondern: „Ich will ihr zu ihrem Recht verhelfen.“
Aber letztlich wird die Frau durch ihre Not beharrlich geworden sein. Sie war darauf angewiesen, Recht zu bekommen. Es war für sie eine Überlebensfrage. Und diese Not machte sie erfinderisch. Irgendwann fand sie den wunden Punkt des Richters, nämlich dessen Ruhebedürfnis. Es wurde für ihn anstrengender, sie zu ignorieren, als ihr Recht zu verschaffen. Als dieser Punkt erreicht war, ging es dann ganz schnell.

III. Jesus stellt die Frau als Vorbild hin. Aber es geht ihm nicht darum, wie wir uns in Rechtstreitigkeiten verhalten sollen. Jesus erzählt die Geschichte von Richter und Witwe als Gleichnis. Ihm geht es um die Haltung, mit der Menschen beten sollen. Im Beten sollen wir es halten wie die Witwe: immerzu und ohne nachzulassen.
Dabei geht es – wie immer im Gleichnis – nur um den einen, springenden Punkt. Wir brauchen eigentlich nicht darüber nachzudenken, ob Gott denn vielleicht dem Richter ähneln könnte. Dieser Richter tut sich vor allem durch seine Selbstbezüglichkeit hervor. Ihm ist der Glaube genau so egal wie die Menschen. Sein Ruf ist ihm gleichgültig. Schließlich ist er der Richter – was kümmert ihn das Urteil der anderen?
Manchmal schleicht sich jedoch die Frage an, ob Gott nicht doch mehr mit dem Richter gemein hat, als uns lieb sein kann. Und zwar dann, wenn er unsere Not nicht zu bemerken scheint. Wenn wir tatsächlich leiden. Uns selbst nicht helfen können. Wenn wir uns immer wieder im Gebet an ihn wenden. Aber anscheinend kein offenes Ohr bei ihm finden.
Könnte man dann nicht auf den Gedanken kommen, dass Gott ein bisschen wie dieser Richter ist? Fern von uns. Sich selbst genug. Unerreichbar für unsere Bitten. Und gleichgültig gegen unsere Not?
Jesus hat diesen Gedanken in Kauf genommen. Vielleicht hat er sogar heimlich zu ihm eingeladen. Damit wir uns wiederfinden können in diesem Gleichnis. Auch dann, wenn wir zweifeln, ob Gott uns tatsächlich noch im Blick hat.
Aber Jesus tritt diesem Gedanken dann auch deutlich entgegen: Wenn schon dieser nichtswürdige Richter sich schließlich erweichen lässt – sollte dann nicht Gott umsomehr für Euch offen sein? Gott, der doch um soviel liebevoller auf Euch achtet!

IV. Im Gleichnis kommt also alles auf das Vorbild der Witwe an. Wenn wir uns an Gott wenden, dann sollen wir dabei genau so beharrlich für unsere Anliegen eintreten, wie die Witwe gegenüber dem Richter. Auch wenn Gott so ganz anders ist als dieser Richter. Oder: Erst recht, weil Gott so ganz anders ist. Dann stellt sich aber die gleiche Frage wie bei der Frau: Woher sollen wir die Kraft zum Durchhalten nehmen? Woher das Rückgrat und die Ausdauer?
Denn es gibt ja auch eine Glaubensverdrossenheit. Eine Gebetsverdrossenheit. Ebenso wie eine Politikverdrossenheit. Enttäuschte Erwartungen können die Ursache sein. Schlechte Erfahrungen mit dem Bodenpersonal. Zweifel, ob wir gehört werden mit unseren Anliegen. Ob wir durchdringen zu den entscheidenden Stellen.
Woher also die Kraft, am Gebet festzuhalten – auch wenn wir die Erfahrung machen sollten, dass es nichts bewirkt?

Wir können von der Frau lernen, nicht zu viel über den nachzudenken, an den wir uns wenden. Auch wenn Gott gewiss anders ist als der ungerechte Richter: Es hilft uns nicht, über Gottes Wesen nachzugrübeln. Wir können nicht ergründen, warum er schweigt, wenn er schweigt. Jesus ermutigt uns dennoch, uns an ihn zu wenden.

Wie bei der Frau ist es auch hilfreich, die eigene Sache zu prüfen. Sie war sicher, im Recht zu sein. Können wir das auch bei jeder Bitte, mit der wir uns an Gott wenden? Oder wünschen wir uns manchmal auch Exzentrisches von ihm, das keiner Prüfung standhielte?

Entscheidend ist jedoch wie bei der Frau unsere eigene Not. Unser Angewiesensein auf Gott. Wenn wir das Beten genau so gut lassen könnten, dann sollten wir es auch besser unterlassen. Insofern stimmt der alte Spruch: Not lehrt beten. Not schenkt die nötige, die not-wendige Beharrlichkeit im Gebet. Das heißt nicht, eine Notzeit herbeizuwünschen, damit endlich wieder gebetet wird. Aber wenn eine Not da ist, eine ganz persönlich empfundene, dann kommt das Gebet oft ganz allein von den Lippen.

Schließlich halte ich auch eine regelmäßige Übung im Gebet für sehr hilfreich. Beharrlich zu bleiben fällt leichter, wenn man darin geübt ist. Kaum etwas ist förderlicher für das Beten als die Regelmäßigkeit. Eine feste Zeit. Eine erprobte Form. Und eine bewährte Haltung. Sei es das Vaterunser. Ein Tischgebet. Das Gebet des Herzens in der Stille. Oder wie heute Morgen das gemeinschaftliche Gebet im Gottesdienst.

V. Und die Politikverdrossenheit? Ist zu der auch etwas zu sagen von unserem Gleichnis her? Ich denke, auch im öffentlichen Leben können wir die Witwe zum Vorbild nehmen. Nicht allzu lange über die Politiker lamentieren. Sondern prüfen, was rechtlich gefordert ist. Ein offenes Auge dafür haben, wo Not herrscht. Und dann mit langem Atem daran mitarbeiten, die Dinge zu verbessern. Amen.

 



Pfarrer Dr. Sven Keppler
Versmold
E-Mail: Sven.Keppler@kk-ekvw.de

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