„Jesus sagte ihnen aber ein Gleichnis darüber, daß sie allezeit beten und nicht nachlassen sollten, und sprach: Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen. Es war aber eine Witwe in derselben Stadt, die kam zu ihm und sprach: Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher! Und er wollte lange nicht. Danach aber dachte er bei sich selbst: Wenn ich mich schon vor Gott nicht fürchte noch vor keinem Menschen scheue, will ich doch dieser Witwe, weil sie mir soviel Mühe macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage. Da sprach der Herr: Hört, was der ungerechte Richter sagt! Sollte Gott nicht Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er's bei ihnen lange hinziehen? Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze. Doch wenn der Menschensohn kommen wird, meinst du, er werde Glauben finden auf Erden?"
Liebe Gemeinde, die Predigttexte dieser letzten Sonntage im zu Ende gehenden Kirchenjahr weisen hinüber auf das Ende der Welt und die Hoffnung auf die Wiederkunft unseres Herrn. Sie greifen damit einen wichtigen, aber immer wieder vergessenen Bestandteil der christlichen Botschaft auf, erinnern an ihn, prägen ihn wieder ein und können doch nicht verhindern, dass die Endzeitthematik in unserem persönlich-praktischen Glaubensleben nur wenig Platz und Wichtigkeit besitzt. Offensichtlich ist das in früheren Zeiten schon ähnlich gewesen. Denn in unserem Predigtabschnitt ist ausdrücklich festgehalten, dass Jesus sich selbst und denen, die mit ihm waren, die nachdenkliche Frage stellt. “…wenn der Menschensohn kommen wird, meinst du, er werde Glauben finden auf Erden?"
Ich denke, dass es Menschen geben wird und bereits jetzt gibt, die hoffen und darum beten, dass Gott hervortreten und hier bei uns durchgreifen und sein Reich aufrichten möchte. Das sind Menschen, die mit unverstellten offenen Augen sehen, .dass die Welt durchaus nicht das ist und darstellt, was sie sein könnte und nach Gottes Schöpfer-Willen sein sollte. Da ist so viel Betrug, Gemeinheit, Ungerechtigkeit, was da jeden Tag allein schon in den gefilterten öffentlichen Blättern zu lesen ist, dass man bereits darüber verzagen könnte.
Dabei ist für jedermann klar, dass wir kaum anders können. Wir leben richt mehr im Paradies und das Böse ist nun einmal da. Es schleicht sich in unheimlicher Unberechenbarkeit und versteckter Lautlosigkeit in unser Leben ein. Es nistet sich ein und breitet sich aus. Es ist sehr verständlich, dass dann die auf die Verheißung gestützte Hoffnung auflebt, Gott möge die Dinge selbst in die Hand nehmen, seine Herrschaft durchsetzen und seine Gerechtigkeit in unsere Welt einziehen lassen. Alles in allem ist es aber nur ein Teil der Menschheit, der so denkt. Es ist auch in der Christenheit eine Minderheit.
Daneben gibt es die bei weitem größere Gruppe der Pragmatiker, der Macher und Gestalter. Diese Menschen bezeichnen sich gern als Realisten. Sie sagen, es ist ja wahr - der Zustand der Welt ist nicht optimal, aber Klagen helfen da auch nicht weiter. Wir richten uns so ein, besser: wir versuchen uns so einzurichten, dass das Leben einigermaßen störungsfrei abläuft. Wir schaffen Recht, Sitten, Ordnungen und Institutionen, die die Einhaltung überwachen und garantieren, damit das Leben gegen das Böse abgeschirmt wird und so weit geschützt ist, dass es sich mit der Zustimmung und aktiven Beteiligung möglichst vieler Menschen entfalten und entwickeln kann. Die Menschen dieser Denkungsart sind in aller Regel einatzfreudig, tatkräftig, an vielen Stellen, auch in der Kirche zu finden.
Der russische Dichter und Romanschriftsteller Fjodor Dostojewski hat diese Denkungsart einmal in einer Legende, in der Legende vom Großinquisitor beschrieben. Sie spielt im mittelalterlichen Sevilla. Dort, mitten in der Gegenreformation, kommt Jesus Christus in die Stadt. Er ist plötzlich da, unerwartet, unangemeldet. Still geht er durch die Straßen. Obwohl ihn jeder erkennt und weiß, wer er ist, begrüßt ihn niemand. Um ihn ist Schweigen. Der Großinquisitor der Stadt greift schließlich ein, lässt ihn verhaften und sperrt ihn erst einmal weg, ins Gefängnis. Dort besucht er ihn. In der Zelle kommt es zu einem Gespräch. Hier stellt der Großinquisitor die entscheidende Frage: „Warum bist du wiedergekommen? Wir brauchen dich nicht. Wir haben die Dinge unter Kontrolle. Was willst du? Du störst..“
Das Gespräch endet damit, dass der Kirchenmann darauf verzichtet, Christus öffentlich zu demütigen, zu foltern und zur Schau zu stellen.. Er öffnet ihm die Tore des Gefängnisses, lässt ihn frei, aber gibt ihm den ernst gemeinten Rat mit auf den Weg: „Geh, geh, und komme nie nie nie wieder“. Und Christus geht.
Die Haltung des Großinquisitors ist für uns nur auf den ersten Blick befremdlich, .In Wahrheit ist sie bezeichnend für eine Menschheit, die sich außerhalb des Paradieses vorfindet und zusehen muss, wie sie sich unter den Bedingungen des verlorenen Paradieses so einrichtet, dass sie überleben kann. Personen wie der Großinquisitor und Institutionen wie die von ihm vertretene Kirche sind da hochwillkommen.
Die Botschaft von der noch bevorstehenden Wiederkunft ist in diesem Zusammenhang fremd und scheinbar unbrauchbar. Wir sollten uns dennoch an dieser Verheißung orientieren, sie verinnerlichen und nach unseren Möglichkeiten verbreiten, aus drei Gründen:
1. Die Ordnung, für die der Großínquisitor steht, ist nur ein Notbehelf, eine Notordnung für das Leben außerhalb des Paradieses. .Das Paradies selbst stellt diese Ordnung nicht wieder her. Von den vielen Versuchen, die im Laufe der
Geschichte gemacht worden sind, hier schon das Paradies einzurichten, ist keiner auch nur einigermaßen erfolgreich gewesen. Die meisten sind im Terror geendet.
2. Auf diesen Unterschied müssen die, die die Botschaft vom Reich Gottes kennen, immer wieder hinweisen; um der Botschaft willen, aber auch, um die Welt vor Gottesvergessenheit, Selbstüberschätzung und Lüge zu bewahren.
3. Gleichzeitig sollten wir als Christen uns aufgerufen wissen, uns bei Gott für das Kommen seiner Herrschaft einzusetzen, ihn zu bestürmen und ununterbrochen zu bitten „Dein Reich komme“. Darum geht es Jesus hier in diesem Gleichnis vom ungerechten Richter. Es ist schon ungewöhnlich, dass Jesus Gott mit einem ungerechten, nicht mit einem gerechten Richter vergleicht, wie es zum Beispiel in den Psalmen geschieht. Diese Besonderheit wird verständlich, wenn wir uns klar machen, dass dieser menschliche Richter .zwar Richter ist und bleibt, aber nicht tut, was er soll. Er hört auch die Klage dieser Witwe nicht an, sondern stellt sich so als hörte er schlecht oder gar nicht. Die Witwe aber lässt nicht locker. Immer wieder wird sie vorstellig., appelliert an seine Berufsehre, an seine Menschlichkeit, an seine Verantwortung - bis der Richter endlich nachgibt und den Fall aufgreift. So auch sollen die Christen Gott in den Ohren liegen, schreien und nicht nachlassen, wenn es scheint, als hörte uns Gott nicht, als wollte Gott uns nicht helfen. Dann sollen wire Gott fragen: Wann kommt dein Reich? Wann kommt Christus, der Herr? Warum zögerst du? Ausdrücklich ermuntert und ermutigt Jesus zu Ausdauer und zum nicht Aufgeben –„ Sollte Gott nicht Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er's bei ihnen lange hinziehen? Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze“. Durch die Platzierung dieser Geschichte im Lukasevangelium wird diese Tendenz noch unterstrichen und nachdrücklich beleuchtet:„Jesus sagte ihnen aber ein Gleichnis darüber, dass sie allezeit beten und nicht nachlassen sollten, und sprach: Es war ein Richter in einer Stadt……“
Lassen Sie mich von hier aus aber noch einmal zurückkommen auf die Legende vom Großinquisitor. Dostojewski hat sich damit begnügt, dass Jesus aus der Haft, entlassen und frei ist. Was Jesus nun getan hat, wohin er gegangen ist, was weiter geschehen ist, interessiert den Dichter nicht, jedenfalls hat er der Öffentlichkeit darüber nichts mitgeteilt. Das schließt nicht aus, dass wir uns diese Fragen stellen. Ich denke, die Antwort müsste heißen: Dieser Rauswurf damals in Sevilla war nur eine kleine Episode. Dabei hoffen wir, dass es auch für Jesus nur eine kleine Episode war und er nur darum so still und ohne Protest weggegangen ist, weil er wusste, dass er wiederkommen wird. .Nun aber nicht, um wieder rausgeworfen zu werden, sondern weil er hofft, dass er dann – unter uns, bei uns - mehr Glauben findet als damals im mittelalterlichen Sevilla.. Amen.