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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres, 10.11.2013

Predigt zu Lukas 18:1-8, verfasst von Christian-Erdmann Schott

„Jesus sagte ihnen aber ein Gleichnis darüber, daß sie allezeit beten und nicht nachlassen sollten, und sprach: Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen. Es war aber eine Witwe in derselben Stadt, die kam zu ihm und sprach: Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher! Und er wollte lange nicht. Danach aber dachte er bei sich selbst: Wenn ich mich schon vor Gott nicht fürchte noch vor keinem Menschen scheue, will ich doch dieser Witwe, weil sie mir soviel Mühe macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage. Da sprach der Herr: Hört, was der ungerechte Richter sagt! Sollte Gott nicht Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er's bei ihnen lange hinziehen? Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze. Doch wenn der Menschensohn kommen wird, meinst du, er werde Glauben finden auf Erden?"

Liebe Gemeinde,  die Predigttexte dieser letzten Sonntage im zu Ende gehenden Kirchenjahr  weisen hinüber auf das Ende der  Welt und die  Hoffnung auf die Wiederkunft unseres Herrn. Sie greifen damit einen  wichtigen, aber immer wieder vergessenen Bestandteil der christlichen  Botschaft auf, erinnern an ihn, prägen ihn wieder ein und können doch nicht verhindern, dass die Endzeitthematik in unserem persönlich-praktischen Glaubensleben  nur wenig Platz und Wichtigkeit besitzt.  Offensichtlich ist das in früheren  Zeiten  schon ähnlich  gewesen. Denn in unserem Predigtabschnitt ist ausdrücklich festgehalten,  dass  Jesus sich selbst  und denen, die  mit ihm waren, die nachdenkliche Frage stellt. “…wenn der Menschensohn kommen wird, meinst du, er werde Glauben finden auf Erden?"

Ich denke, dass es Menschen  geben wird und bereits jetzt gibt, die hoffen und  darum beten, dass Gott hervortreten und hier bei uns durchgreifen und sein Reich aufrichten möchte. Das sind Menschen, die mit unverstellten offenen Augen sehen, .dass die Welt durchaus nicht das ist und darstellt, was sie sein könnte und  nach Gottes Schöpfer-Willen sein sollte. Da ist so viel Betrug,  Gemeinheit, Ungerechtigkeit, was da jeden Tag allein  schon  in den gefilterten öffentlichen Blättern zu lesen ist, dass  man bereits darüber verzagen  könnte.

Dabei ist für jedermann klar, dass wir kaum  anders können.  Wir leben  richt mehr im Paradies  und das Böse ist nun einmal da.  Es schleicht sich in unheimlicher Unberechenbarkeit und versteckter Lautlosigkeit   in unser Leben ein. Es nistet sich ein und breitet sich aus. Es ist sehr verständlich, dass  dann die auf die Verheißung gestützte Hoffnung auflebt, Gott möge die  Dinge selbst  in die Hand nehmen, seine Herrschaft durchsetzen  und seine Gerechtigkeit in unsere Welt einziehen lassen. Alles in allem  ist es aber nur ein Teil der  Menschheit, der so denkt. Es ist auch in der Christenheit  eine Minderheit.

Daneben gibt es die  bei weitem größere Gruppe der Pragmatiker, der Macher und Gestalter. Diese Menschen bezeichnen sich  gern als  Realisten. Sie sagen,  es ist ja wahr - der Zustand  der Welt ist nicht  optimal, aber Klagen helfen da auch nicht weiter. Wir richten uns so  ein, besser: wir versuchen uns so einzurichten,  dass das Leben einigermaßen störungsfrei  abläuft. Wir schaffen Recht, Sitten, Ordnungen und Institutionen, die die Einhaltung überwachen und garantieren, damit das Leben gegen das Böse abgeschirmt wird und so weit  geschützt ist, dass es sich mit der Zustimmung und aktiven Beteiligung möglichst vieler Menschen  entfalten und entwickeln kann. Die Menschen dieser Denkungsart  sind in aller Regel  einatzfreudig,  tatkräftig, an vielen Stellen, auch in der  Kirche zu finden.

Der russische Dichter und Romanschriftsteller Fjodor Dostojewski hat diese Denkungsart einmal in einer Legende, in der Legende  vom Großinquisitor  beschrieben. Sie spielt im mittelalterlichen Sevilla. Dort, mitten in der Gegenreformation, kommt Jesus  Christus in die Stadt. Er ist plötzlich da, unerwartet,  unangemeldet. Still geht er  durch die  Straßen. Obwohl ihn jeder  erkennt und weiß, wer er ist, begrüßt ihn niemand. Um ihn ist Schweigen. Der Großinquisitor der Stadt greift schließlich ein, lässt ihn verhaften  und sperrt ihn erst einmal weg, ins  Gefängnis. Dort besucht er ihn. In der Zelle kommt es zu einem Gespräch. Hier stellt der  Großinquisitor die entscheidende Frage: „Warum bist  du wiedergekommen?  Wir brauchen dich nicht. Wir haben die Dinge unter Kontrolle.  Was willst  du? Du störst..“

Das Gespräch endet damit, dass der Kirchenmann darauf verzichtet, Christus öffentlich zu demütigen, zu foltern und zur Schau zu stellen.. Er öffnet ihm die Tore des Gefängnisses, lässt ihn frei, aber gibt ihm den ernst gemeinten Rat mit auf den Weg: „Geh, geh, und komme nie nie  nie wieder“. Und  Christus geht.

Die Haltung des  Großinquisitors  ist  für uns nur auf den ersten Blick  befremdlich, .In Wahrheit ist sie bezeichnend für eine Menschheit, die sich außerhalb des Paradieses vorfindet und  zusehen muss, wie sie sich  unter den Bedingungen des verlorenen Paradieses so einrichtet,  dass sie  überleben kann. Personen wie der Großinquisitor und Institutionen wie die von  ihm vertretene Kirche sind  da hochwillkommen.

Die Botschaft von der noch bevorstehenden Wiederkunft ist in diesem Zusammenhang fremd und scheinbar unbrauchbar. Wir sollten uns dennoch  an  dieser Verheißung orientieren, sie verinnerlichen  und nach unseren  Möglichkeiten verbreiten,  aus drei  Gründen:

1. Die Ordnung, für die der Großínquisitor steht,  ist nur ein Notbehelf, eine Notordnung für das Leben außerhalb des Paradieses. .Das Paradies selbst  stellt  diese Ordnung  nicht wieder her. Von den vielen Versuchen, die im Laufe der

Geschichte gemacht worden sind, hier schon das Paradies einzurichten, ist keiner auch nur einigermaßen erfolgreich gewesen. Die meisten sind im Terror geendet.     

2.  Auf diesen Unterschied müssen die, die die Botschaft vom Reich Gottes  kennen, immer wieder hinweisen; um der  Botschaft willen, aber  auch, um die Welt vor  Gottesvergessenheit, Selbstüberschätzung  und Lüge zu bewahren.  

3. Gleichzeitig sollten wir als  Christen uns aufgerufen wissen, uns bei Gott für das Kommen seiner Herrschaft einzusetzen, ihn zu bestürmen und ununterbrochen zu  bitten  „Dein Reich komme“.  Darum  geht es Jesus hier in diesem Gleichnis vom ungerechten Richter. Es ist schon ungewöhnlich,  dass Jesus Gott mit einem ungerechten, nicht mit einem gerechten Richter vergleicht, wie  es zum Beispiel  in den  Psalmen  geschieht. Diese Besonderheit  wird verständlich, wenn wir uns klar machen, dass dieser menschliche Richter .zwar Richter ist und bleibt, aber nicht  tut, was er  soll.  Er hört auch die Klage  dieser  Witwe nicht an, sondern stellt  sich so  als hörte er schlecht oder gar nicht.  Die Witwe aber lässt nicht locker. Immer wieder wird sie  vorstellig., appelliert an seine Berufsehre, an seine Menschlichkeit, an seine Verantwortung  - bis der Richter endlich nachgibt und den Fall aufgreift. So auch sollen die Christen Gott in den Ohren liegen,  schreien und nicht nachlassen, wenn es scheint, als  hörte uns Gott nicht, als wollte Gott uns  nicht helfen. Dann sollen wire Gott fragen: Wann kommt dein Reich?  Wann kommt Christus, der Herr? Warum zögerst du? Ausdrücklich ermuntert und ermutigt Jesus  zu  Ausdauer und zum nicht Aufgeben –„ Sollte Gott nicht Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er's bei ihnen lange hinziehen? Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze“. Durch die Platzierung dieser Geschichte im Lukasevangelium wird diese  Tendenz noch unterstrichen und nachdrücklich beleuchtet:„Jesus sagte ihnen aber ein Gleichnis darüber, dass sie allezeit beten und nicht nachlassen sollten, und sprach: Es war ein Richter in einer Stadt……“

Lassen Sie mich von hier aus aber noch einmal zurückkommen auf die  Legende vom Großinquisitor. Dostojewski hat  sich damit begnügt, dass  Jesus aus der Haft, entlassen und frei ist. Was Jesus nun getan hat, wohin er gegangen ist, was  weiter geschehen ist, interessiert den Dichter  nicht, jedenfalls hat er der Öffentlichkeit darüber nichts mitgeteilt. Das schließt nicht aus, dass wir uns diese Fragen stellen. Ich denke,  die Antwort müsste heißen: Dieser Rauswurf damals in Sevilla war nur eine kleine Episode. Dabei hoffen  wir, dass es auch für Jesus nur eine kleine Episode  war und er nur darum  so still und ohne Protest weggegangen ist,  weil er wusste, dass er wiederkommen wird. .Nun aber nicht, um wieder rausgeworfen zu werden,  sondern  weil  er hofft, dass er  dann – unter uns, bei uns - mehr Glauben  findet als damals im mittelalterlichen Sevilla.. Amen.  

 



Pfarrer em.Dr. Christian-Erdmann Schott
Mainz-Gonsenheim
E-Mail: ce.schott@arcor.de

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