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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag im Advent, 15.12.2013

„Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!“
Predigt zu Offenbarung 3:1-6, verfasst von Dieter Splinter

 

1 Und dem Engel der Gemeinde in Sardes schreibe: Das sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne: Ich kenne deine Werke: Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot. 2 Werde wach und stärke das andre, das sterben will, denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen befunden vor meinem Gott. 3 So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast, und halte es fest und tue Buße! Wenn du aber nicht wachen wirst, werde ich kommen wie ein Dieb und du wirst nicht wissen, zu welcher Stunde ich über dich kommen werde. 4 Aber du hast einige in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben; die werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind's wert. 5 Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens, und ich will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln. 6 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!

 

I.

Liebe Gemeinde!

Ein Schreiben ist hier angekommen. Als Absender zeichnet verantwortlich: Johannes, wohnhaft auf der Insel Patmos vor Kleinasien. Er wohnt dort zwar, ist aber in Haft. Patmos ist nämlich eine Gefängnisinsel. Dorthin werden im römischen Reich jene verbannt, die den Behörden ein Dorn im Auge sind: Kriminelle, ferner Leute, die religiös auffällig geworden sind. Besonders häufig werden die Christen im römischen Reich religiös auffällig. Etliche von ihnen weigern sich, den Kaiser als Gott zu verehren. So offenbar auch jener Johannes. Der sitzt deshalb auf Patmos, dem Alcatraz der Antike fest.

Auf einer Gefängnisinsel ist der Blick beschränkt. Doch Johannes kann seinen Blick in die Weite lenken. Ein anderer spricht durch ihn. Der trägt ihm auf, das niederzuschreiben, was der Geist des auferstandenen Christus den Gemeinden zu sagen hat. So entstehen sieben Sendschreiben an christliche Gemeinden in Kleinasien. Eines dieser Schreiben ist heute bei uns angekommen. „Und dem Engel der Gemeinde in Sardes schreibe...". Von jeder der sieben Gemeinden in Kleinasien ist ein Abgesandter auf die Insel Patmos gelangt. Immerhin kann Johannes Besuch empfangen. Auch der Abgesandte aus Sardes ist gekommen. Das liegt keine 100 km östlich vom heutigen Izmir in der Türkei entfernt. Wie die anderen Boten hat auch jener aus Sardes das für seine Gemeinde bestimmte Schreiben mitgenommen. Wie hat seine Gemeinde das Schreiben aufgenommen?


II.

Nun, sehr anders und sehr ähnlich wie heute. Gewiss ist das Schreiben laut verlesen worden. So wie ich es gerade getan habe. Laut gelesene Worte sind auf das Hören angewiesen. Gehörte Worte können schnell zum einen Ohr hinein und zum anderen Ohr hinaus gehen. Wer hört muss sich stärker konzentrieren als beim Lesen. Überlesenes kann man gleich nachlesen. Überhörtes ist erst einmal weg. (Es sei denn, es wird noch einmal laut wiederholt.) Darum die Aufforderung an die Gemeinde damals wie an die Gemeinde heute: „Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!"

Was die Gemeinde damals zu hören bekommen hat, wird etlichen in ihr vermutlich nicht gefallen haben: „Ich kenne deine Werke: Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot. Werde wach und stärke das andre, das sterben will, denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen befunden vor meinem Gott. So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast und tue Buße!"

Da gab es wohl etliche in der christlichen Gemeinde zu Sardes, die sich angepasst haben. Sie haben den Kaiserkult mitgemacht. Sie sind vor dem Standbild des Kaisers zu Rom niedergefallen. Dabei haben sie buchstäblich ihre Kleider besudelt. Aber da sind in der Gemeinde zu Sardes auch jene, die standhaft geblieben sind. Ihnen wird zugesagt: „Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens und ich will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und seinen Engeln."

Die Gemeinde in Sardes wird also aufgefordert, sich auf das mögliche Martyrium einzustellen. Für den christlichen Glauben das eigene Leben gefährden zu müssen, ist heutzutage immer noch verbreitet. Ich habe einmal einen jungen Iraner getauft. Ursprünglich Muslim wollte er seinem Heimatland Christ werden und sich taufen lassen. Doch für Muslime steht im Iran darauf die Todesstrafe. Auf abenteuerlichen Wegen kam er nach Deutschland. Klar war für ihn, dass er nach der Taufe nie mehr würde in den Iran zurückkehren können. Vater, Mutter, Geschwister, seine ganze Familie hatte er im Iran zurückgelassen. Auch vielen anderen Ländern dieser Erde werden Christen um ihres Glaubens willen bedroht: in Syrien, im Irak, in Ägypten und zahlreichen anderen Ländern.

Bei uns ist das Gott sei Dank anders. Zwar mag hierzulande der christliche Glaube vielen gleichgültig sein, auch mag es so manche Anfeindung geben - doch wegen seines Glaubens muss kein Christ hierzulande um Leib und Leben fürchten. Und doch wird der Satz laut: „Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!" Schließlich wird dieser Satz von einem Boten überbracht. Was einem persönlich gesagt wird, dem schenkt man Gehör.


III.

Wie jener Abgesandte aus Sardes, der seiner Gemeinde das Sendschreiben des Johannes nicht bloß vorgelesen, sondern sich wohl an der Deutung dieses Schreibens beteiligt hat, will auch ich es halten. „Ich kenne deine Werke. Du hast den Namen, dass du lebst und bist tot." Das heißt ja: Der schöne Schein trügt.

Gerade die Nachdenklichen und Kritischen werden sich in Sardes gegen diesen Satz kaum gesträubt haben. Den Nachdenklichen und Kritischen geht es heute ebenso. Viele junge Menschen sind darunter. Etliche von ihnen suchen in der Religion nach einem „Mehr". Das vermissen sie in unseren Gottesdiensten. Sie vermissen das Wirken des Geistes Gottes. Ferne sind da die, die ganz zu Hause sind in ihrem Glauben und sich fragen, ob nicht zu viel Kritik geübt wird an der Heiligen Schrift und ihrem Wortlaut. „Du hast den Namen, dass du lebst und bist doch tot." Das sagen sich auch jene, denen die Sicherheit in ihrem Leben unheimlich geworden ist. Sie sehen, dass es ungerecht zugeht in der Welt. Das Brot für die Welt müsste anders verteilt werden, sagen sie. Und die Kirche müsste sich mehr dafür einsetzen. Schließlich sind da jene, die sich fragen, ob die Kirche sich nicht zu viel mit sich selbst beschäftigt: noch eine Strukturreform, noch ein Reformprojekt, noch ein Ansatz zu mehr Organisation.

Was hilft? Das Sendschreiben an Sardes antwortet darauf so: „Werde wach und stärke das andere, das sterben will...". Offenbar ist es noch nicht zu spät für eine tatsächliche Lebendigkeit der christlichen Gemeinde. Der Weg dazu ist dieser: „So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast, und halte es fest...".

... empfangen und gehört...". In einer christlichen Gemeinde gibt es immer solche, die das Empfangene und Gehörte festhalten. Sie verstehen, dass sie aus Anfängen leben, die sie nicht geschaffen haben: „Aber du hast einige in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben, die werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind es wert."

Ein Ausleger deutet diese Worte - und damit das Gehörte und Empfangene, das es festzuhalten gilt - so:

Jeder Stoff, mit dem wir unseren Körper umhüllen, ordnet uns Gemeinschaften zu. Die Windel und das Totenhemd, der Talar und das Brautkleid, die Schwesterntracht und der Monteuranzug verraten nicht nur, wo wir sind und was wir tun. Sie bestimmen mehr oder weniger auch immer über unsere Person.

Das gilt erst recht von jenem himmlischen Stoff, der uns im heiligen Ritus der Taufe umhüllt und erfüllt. Aus Wasser und Wort wird ein Lichtkleid gewebt. Wir sind für das Leben geheiligt. Wir gehören zur Gemeinde der Heiligen. Das Licht der Erleuchtung, die Kraft der Auferstehung umgeben uns.

Man kann das Taufkleid im Laufe seines Lebens besudeln. Man kann seine Ohren mit gottfernen Stimmen verstopfen. Lebendig sein, lebendig bleiben bedeutet: Aus der Kraft dieses Stoffes den Weg durch das Leben gestalten. Den Ruf Gottes, der uns vor allem Bewußtsein erreicht hat, nie mehr vergessen." (Manfred Josuttis: An die tote Gemeinde, in: Wirklichkeiten der Kirche. Zwanzig Predigten und ein Protest, Gütersloh 2003, S. 14f)


IV.

Auf diese Weise lebendig zu sein, ist gewiss keine leicht Aufgabe. Darum schließt auch das Sendschreiben nach Sardes, das hier angekommen ist, so: „Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt." Das Schreiben nach Sardes rechnet damit, dass die Lebendigkeit einer christlichen Gemeinde aus dem Hören und nicht aus dem Lesen kommt. Und in der Tat - das Wort Gottes kann man sich nur zusprechen, nicht aber „zulesen" lassen. Und so hört das Wort und die Verheißung Jesu Christi: „Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens, und ich will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln!"

Und so bewahre der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, unsere Herzen und Sinne, in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen



Pfarrer Dr. Dieter Splinter
79249 Merzhausen
E-Mail: dieter.splinter@ekiba.de

Bemerkung:
Dr. Dieter Splinter, ist Landeskirchlicher Beauftragter für den Prädikantendienst der Evangelischen Landeskirche in Baden an der Evangelischen Hochschule Freiburg





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