Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

15. Sonntag nach Trinitatis, 16.09.2007

Predigt zu Lukas 17:5-6, verfasst von Michael Rambow

Von der Kraft des Glaubens

Und die Apostel sprachen zu dem Herrn: Stärke uns den Glauben!
Der Herr aber sprach: Wenn ihr Glauben hättet so groß wie ein Senfkorn, dann könntet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Reiß dich aus und versetze dich ins Meer!, und er würde euch gehorchen. Lukas 17, 5. 6

"Das ist ein richtiges Kraftpaket", pries der Händler einen Wagen an. Dann zählte er die Qualitäten einzeln auf: PS-Stärke, Beschleunigungswerte, Sitzheizung, Klimaanlage, Alufelgen, Ledersitze usw. Eine gewaltige Menge geballter Kraft- und Imagewerte, um damit auf vier Rädern ordentlich Eindruck zu machen.
"Und was kann das Kraftpaket im nächsten Stau?", fragte ich. Der Händler sah mich unsicher an.

"Stärke uns den Glauben!" bitten die Jünger. Wir wollen mit unserer kleinen Kraft mehr ausrichten. Weg von dem elenden Gefühl, zu unbedeutend, zu langsam, zu schwach, zu alt, zu krank zu sein, um richtig mithalten zu können.
Die Apostelbitte geht tief in Gefüh­le und Wünsche, allen doch auch mal zu zeigen, was in einem steckt.

Die „Times" in London berichtete von einer Studie an der Universität von Hertfordshire. Seit 1994 wird festgestellt, dass alle Fußgänger immer schneller laufen. Zurück geführt wird das weltweite Phänomen darauf, dass Menschen immer ungeduldiger werden und in ihre verfügbare Zeit immer mehr hinein stopfen.
Die Bitte um Stärke oder Macht ist menschlich. In vielen Herzen sitzt das bohrende Gefühl so wie du bist reicht es nicht. Schöner aussehen. Schlanker auftreten. Sicherer wirken. Gesünder leben. Engagierter handeln. Stärker glauben. Das Herz sehnt sich nach mehr Sicherheit statt Zweifel, mehr Stärke statt Schwäche, mehr Gutes statt Unrecht. Und wer die Kraft dazu nicht aus sich selbst hat kauft sie sich. Im Kreuzungspunkt großer Ost-West und Nord-Süd Autobahnen an der A1 und A7 bei Hamburg mit regelmäßigen kilometerlangen Staus morgens, abends, am Wochenende und zur Reisezeit war meine Frage an den Autohändler ernst gemeint. Was kann das Kraftpaket im nächsten Stau?
Was hält das Leben auf der richtigen Spur und schützt vor dem Gefühl, dauernd überholt zu werden, die eigenen Kräfte nicht effektiv genug einzusetzen? Sind Schnelligkeit, Vorankommen, Gesundheit, Frieden oder vieles, was wir täglich brauchen, wirklich eine Frage der Power?

"Stärke uns den Glauben!" fordern Jesu Jünger. Sie wollen zwar keine Machofiguren sein auch wenn ihre Bitte an Jesus ein bisschen so klingt. Aber „Warmduscher" nützen der Sache Jesu genauso wenig, meinen sie.
Mich wundert, dass Jesus sich darauf überhaupt einlässt. Seine Antwort klingt ein bisschen als fragte er zurück: Was erwartet ihr denn vom Glauben? Wozu soll euch euer Glaube dienen? Die Welt zu retten? Alle Unfrommen zu überzeugen? Den Frieden zu bringen, der alle Vernunft übersteigt?
Wahrscheinlich durchforsten wir in Gedanken nun schon eine ganze Weile persönliche Erfahrungen. Wo hat mein Glaube mir ge­holfen? Wann hat mich mein Glaube stark gemacht, Ungewöhnliches zu tun? Wie oft hat mein Glaube mich weg geholt von entmutigender Vergeblichkeit? Welche dunklen Trauergedanken hat mein Glaube ver­scheucht? Aus welcher lähmenden Untätigkeit hat der Glaube herausgerissen und zu neuen Taten angestachelt? Welchen Streit oder Unfrieden hat der Glaube mir die Kraft ge­geben zu schlichten oder beiseite zu schieben?
Reichen die Kraft meines Herzens und der Glaube vielleicht aus Kindertagen, um alles zu erledigen? Was fängt jemand an mit seinem Schmerz um einen Menschen? Was fangen wir an mit unseren Gebeten um Frieden, Gerechtigkeit, Menschlichkeit in den Gottesdiensten und bei vielen zu Hause? Wir merken, dass Ge­walt stärker ist. Nationale oder wirtschaftliche Interessen drängen die Menschlichkeit oft auf den Randstreifen. Oft ist jemand am Ende. Oft fühlen sich Men­schen schwach, krank, gestresst, frustriert, niedergeschlagen, unfähig für die geringsten Dinge. Schon Kleinigkeiten rauben Hoffnung und Mut. Woher bekomme ich die Kraft Schwierigkeiten zu überwinden, wenn sich Leben und Weiterkommen stauen, weil alle anderen schon vor mir da sind.
Wir wollen auch gerne einen Glauben, den nichts so leicht umhaut, der nicht an Gott verzweifelt bei der erschütternden Diagnose und nicht von Terrorbomben zerfetzt wird. Wir wollen einen widerstandsfähigeren Glau­ben, der das Kranke heilt, das Unrecht beseitigt, die auseinander strebenden Kräfte versöhnt.
Statt dessen wirkt oft ganz klein, was eigene Herzenswärme gegen den Frost des Lebens aufbringt. Unter den Kraftpaketen und Energiespendern fällt das gar nicht auf und schon gar nicht ins Gewicht, wenn es abgewogen wird.
"Wer nur den lieben Gott lässt walten und hoffet auf ihn allezeit, den wird er wunderbar erhalten in aller Not und Traurigkeit..." (EvG 369, 1), dichtete Georg Neumark und bezeugt den kleinen Glauben, der zum Kraftpaket werden kann im Herzen, weil er alles los lässt, die Bäume des eigenen Tuns und der Weltverbesserung ausreisst, um gestärkt und getröstet zu leben.
Was wir mitbringen im Herzen aus Kindertagen wirkt zwar gering und ist doch gar nicht so unbedeutend. Wo ein Mensch darauf vertraut, dass Gott wirkt, und Gott alles zutraut und von ihm erwartet, können unglaub­liche Dinge geschehen. Glaube hält Widersprüche aus, Risse, Unvollkommenheiten. Glaube vertraut darauf, dass auch heute Gottes Verheißung gilt: Ich bin bei dir. Hab keine Angst.
Dieser Glaube macht stark. Er erkennt in jeder Lage, an jedem Ort, zu jeder Zeit die Welt als Gottes Ort. Dieser scheinbar senfkornkleine, verschwindend geringe Glaube kann sich auf nichts als die Erfahrungen der Väter und Mütter und das eigene manchmal flatterige Herz berufen und ahnt, dass Gottes Kraft aus der Wüste in lebensfähige Umgebungen, aus dem Ende zu einem neuen Anfang führt.
Jesus hat gern darüber geredet, welche Wirkungen unfassbar kleiner Glaube hat. Nichts ist für solchen Glauben unmöglich. Berge versetzen kann die Kraft des Glaubens und Kranke heilen und der scheinbaren Macht des Faktischen entgegentreten. Glaube hat Wirkungen, die menschlichen Kräften nicht zugetraut werden. Das ist die Botschaft an die Freundin­nen und Freunde Jesu.
Später hat es Jesus selbst getan. Am Kreuz schrie er mit letzter Kraft: "Vater in deine Hände befehle ich meinen Geist". Die unmittelbar darunter stehenden erlauschten, welche Kraft am Ende da war zu erretten.

Verspricht Jesus zu viel? Um dieses Stück zu viel, das sich allen Erwägungen und Risikoabschätzungen widersetzt geht es wohl. Wie viel PS braucht man? Wie viele Spenden sind nötig? Wie viele Events in der Kirche? Wie viel Aufbruchgeist und -stimmung bringen etwas voran?
Gegen die Vergötterung der Kraft ist das gesagt vom senfkorngroßen Glauben und gegen den Kult des immer schneller, immer mehr, immer weiter. Für die Glaubenskunst wird plädiert, die los lässt, um sich in Gottes Ar­me fallen zu lassen, wie Dietrich Bonhoeffer sinngemäß das einmal genannt hat. Mit allen großen und kleinen Gaben, Stärken und Schwächen, Fröhlich-keit und Verzweiflungen, mit allen Hoffnungen und Enttäuschungen- einfach mit der ganzen persönlichen Existenz.



Pastor Michael Rambow

E-Mail: ev.luth.kirche.ramelsloh@freenet.de

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