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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

15. Sonntag nach Trinitatis, 16.09.2007

Predigt zu Matthäus 6:24-34, verfasst von Bent Arendt

Die Vögel unter dem Himmel

Stell dir vor, dass du sehr traurig oder besorgt bist... So in der Sitution gefangen, dass schwer zu sehen ist, wie sie sich ändern könnte. Je mehr du unternimmst, damit es dir besser geht, desto mehr wächst das Gefühl in dir, dass es dir schlecht geht. Du kannst dir selbst vorwerfen, dass du niedergeschlagen bist, und du kannst mit Hilfe deiner Vernunft dafür argumentieren, was du tun müsstest. Aber es hilft nichts.

             Ich glaube, Kinder und Erwachsene kennen diese Situation. Da kommt dann eine wohlmeinende Person und hört, wie es einem geht. "Du brauchst nicht traurig zu sein!" sagt die Person. "Denk daran, wieviel Grund du hast, froh zu sein. - Du brauchst dich nicht zu sorgen. Es wird schon alles gut gehen." Manchmal hilft das ein wenig, besonders wenn man sich irgendeiner andern Sache annimmt als der Besorgnis und Trauer. Aber in der Regel sind derlei Bemerkungen genauso verstörend wie unbrauchbar, wie sie wohlgemeint sind. Denn wie kann man anders sein, wenn genau das das Problem ist, dass man nicht anders sein kann als so, wie man offenbar nicht sein darf. Der gute Rat ändert selten etwas, weil er ja nicht anerkennt, wie es einem geht.

             Es gehört zum Menschenleben dazu, es anders zu wollen, und anders zu sein, und zwar auch dann, wenn es uns gut geht. Das Kind braucht noch nicht sehr alt zu sein, bis es darum geht, groß und größer zu sein, als es tatsächlich ist. Der Teenager will so schnell wie möglich erwachsen sein. Der Erwachsene will alles mögliche andere sein als das, was er ist: er will reicher sein, obwohl wir die reichsten Menschen auf der Welt sind. Er will positiver sein, obwohl viele Menschen allzu viel leisten müssen. Er will mehr für seine Arbeit sein, mehr für seine Familie, lebhafter, fleißiger und was weiß ich nicht alles. Jedenfalls will er anders sein.

             Die Probleme der Einwanderer, der sozial Ausgestoßenen, der Umwelt, der Einsamkeit - weitestgehend werden auch sie zu einer Frage danach gemacht, dass sie anders sein sollen. Wir sollen bereit sein, uns umzustellen, wie man sagt, die ununterbrochene Veränderung - sie soll die Zukunft sein. Vor 30 Jahren, als der Marxismus so beliebt war, sollte die Gesellschaft anders sein, was den Marxisten erlaubte, unglaublich steif und dogmatisch zu sein. Heutzutage, wo der Liberalismus so populär ist, sollen die Menschen anders sein, was die Gesellschaftsideologie genauso steif und festgefahren macht, ein Ruhekissen für Veränderungen in der Gesellschaft. Vielleicht gibt es im Grunde nichts Neues unter der Sonne, wie man so sagt, trotz allem Wandel auf dem Gebiet der Technologie und des Reichtums. Denn alle unsere Forderungen und Wünsche nach Veränderung bauen ja auf etwas, das früher oder später vergeht. Vielleicht ist es ja gerade die Tatsache, dass das Leben vergeht, die uns dahin bringt, es immer anders zu wollen. Wir verschieben die Klötze und ordnen sie von Neuem, aber auf andere Weise, aber es sind fortgesetzt dieselben Klötze, wie auch der Wissenschaftler Einstein sagte. -

             Was ist nun, wenn Jesus kommt und sagt: "Seid nicht um euer Leben besorgt, darum, wie ihr euch Essen und Trinken beschafft, oder wie ihr euch Kleidung für euren Leib verschafft. Ist das Leben nicht mehr als Essen und Trinken? Und der Leib nicht mehr als die Kleidung?" - ist das dann auch nur das gewohnte "Sei anders"? Nein, denn das sagte Jesus gar nicht. Er sagte: "Seht die Vögel unter dem Himmel an," sagte er, "schaut, wie die Lilien auf dem Felde wachsen." "Seht, schaut!" Fang mit dem an, was dein Leben ist, anstelle all dessen, was nicht ist.

             Es kann schwer sein, wenn du in einer harten und festgefahrenen Situation bist, aber du bist nun einmal dort, wo du bist, du musst dich von da bewegen, anstatt von da zu fliehen mit Hilfe des "sei anders!". Es ist die grundlegende Annahme des Menschen und des Lebens der Menschen, wie sie sind, der wir in der Verkündigung Jesu begegnen. "Sieh auf dein Leben, betrachte es" - da ist immer etwas, was du nicht siehst und nicht beachtest, ungeachtet der Situation, in der du dich gerade jetzt befindest. Der Verkündigung Jesu begegnen wollen, also wirklich ihm begegnen wollen und nicht bloß mit halbem Ohr hinhören - das bedeutet, dass man in dem gesehen wird, worin man steht, so dass man selbst beginnen kann, zu sehen, und zwar nicht alles Mögliche, sondern das Bisschen mehr, das nötig ist. Es ist der christliche Glaube - das Vertrauen darauf, gesehen zu werden und empfangen zu werden mit mehr als jetzt, so dass es gleichsam Platz gibt oder eine weite Sicht oder einen Himmel über der Enge, in der  Nöte und Sorgen und das "Sei anders" der Ablehnung uns festhalten. Das hat seinen Grund nicht darin, dass Jesus etwa ein besonders guter Psychologe oder Menschenkenner wäre, sondern, dass er von dem Unveränderlichen ausgeht, von der Wirklichkeit oder dem Fundament, dass Gottes Voraussetzung in unserem Leben ist - "Ja, ja", magst du einwenden: "Jesus ist eine Sache, ich und mein Leben, das ist gleichsam etwas anderes." Und das ist nur zu wahr. Es sei denn, dass genau das, was Jesus sagte: "Seht die Vögel unter dem Himmel; sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie? Schaut die Lilien auf dem Felde an, wie sie wachsen; sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen?" - es sei denn, Jesus ist gekommen, um genau dies im Leben von Menschen zu betonen.

             Wenn Jesus sagen kann: "Seid nicht besorgt" - indem er sagt: "Sieh, schau" - dann hat das seinen Grund darin, dass er derjenige ist, der es anders macht - so wie Gott allein es machen kann. Er ist anders, indem er Leben einsetzt, wo Tod ist ("kannst du das?"), Hoffnung, wo du in Verzweiflung gebannt bist ("kannst du das selbst?), Freude, wo du von Besorgnis übermannt bist, Friede, wo Zwist herrscht. So ist Jesus Gott in unserem Leben. Wenn wir auf Wandel hoffen, setzen wir Gott voraus, der die Veränderung ausmacht, zu der kein Mensch imstande ist, weil Gott unveränderlich ist und also mit Jesus etwas in die Welt gesetzt hat. - "Na!" wirst du vielleicht einwenden. "Ich merke nichts von einem Wandel, während ich hier sitze und vor mich hindöse!" Aber, so möchte ich dagegenhalten, du setzt dennoch das voraus, was Gott hier in die Welt gesetzt hat. Wie sonst könntest du Vertrauen in die Liebe haben, wenn du daran denkst, wie oft sie verraten wird. Und doch entseht sie von neuem, im Vertrauen auf sie, wenn das kleine Kind, das wir taufen, an unsere Liebe und Fürsorge appelliert, weil es glaubt, an uns glaubt. Oder die Freude - wie können wir sie bewahren, wenn doch alles vergeht? Weil sie eben da ist, aus dem Leben selbst entsprungen, wo wir es sehen wollen: "Sieh die Vögel unter dem Himmel und die Lilien auf dem Felde" - dass da etwas ist, worüber man sich freuen kann, was wir voraussetzen dürfen oder woran wir jeden Morgen glauben dürfen, um überhaupt aufstehen zu können. Oder der Friede im Leben, der immer durch Spaltung und Streit bedroht ist, wie kann er uns erfüllen und unser Leben lebenswert machen, trotz allem, wie der Soldat im Zweiten Weltkrieg, der mitten im Donner der Kanonen und dem Hagel der Granaten die Lerche am Himmel singen hörte, als wäre es die Stimme Gottes. So erfährst du also auch die Möglichkeit des Lebens. Weil Gott derjenige ist, der alles anders macht, ist es uns möglich, an Wandel zu glauben und auf ihn zu hoffen.



Pfarrer Bent Arendt
Århus, Dänemark
E-Mail: brar@os.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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