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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Sonntag nach dem Christfest, 05.01.2014

Glaubensgehorsam
Predigt zu Römer 16:25-27, verfasst von Güntzel Schmidt

 

Dem, der euch fest machen kann durch mein Evangelium und die Verkündigung Jesu Christi, nachdem das Geheimnis offenbart wurde, das ewigen Zeiten verschwiegen war, jetzt aber enthüllt wurde durch prophetische Schriften, und das auf Befehl des ewigen Gottes allen Völkern bekanntgegeben wurde, um Glaubensgehorsam zu schaffen - dem allein weisen Gott: durch Jesus Christus sei ihm die Ehre in ewige Zeiten. Amen.
(Übersetzung nach Käsemann, Ernst, An die Römer, HAT 8a, Tübingen 1980, S. 405)

 

Gott kann euch fest im Glauben halten durch mein Evangelium und durch die Verkündigung Jesu Christi. Das Geheimnis wurde offenbart, das allen vorigen Generationen verschwiegen worden war. Jetzt wurde es enthüllt durch prophetische Schriften auf Befehl des ewigen Gottes. Allen Völkern wurde es bekannt gegeben, damit sie zum Glaubensgehorsam gelangen.

Dem allein weisen Gott sei die Ehre durch Jesus Christus für ewige Zeiten. Amen.
(freiere Übersetzung, GS)

 

Liebe Gemeinde,

können Sie ein Geheimnis für sich behalten ...?

- Gott offenbar auch.

I

Natürlich, wer, wenn nicht Gott sollte Geheimnisse bewahren können? Gerade in unseren Tagen sind Geheimnisse ein sehr umstrittenes Thema: Bürgerinnen und Bürger sollen keine haben, denn, so die schlichte Logik, wer nichts verbrochen hat, der hat auch nichts zu verbergen. Geheimdienste aber machen ein großes Geheimnis um ihre Tätigkeit, und wer ausplaudert, auf welchen Wegen sie an ihre Informationen kommen, was und wieviel sie über uns wissen und ausspionieren, gilt als Staatsfeind.

Wir aber brauchen das Geheimnis, um Menschen sein zu können. Es macht uns erst zu Menschen, dass wir Rollen spielen, Dinge verschweigen, mal so und mal anders sein können. Dass wir ein Wissen besitzen, das nur uns gehört. Niemand, nicht einmal die Partnerin oder der Partner, kann und darf alles über uns wissen. Das macht ja gerade den Reiz einer Partnerschaft aus: Dass man noch nach etlichen Jahren des Zusammenseins neue Seiten am anderen Menschen entdeckt - auch um den Preis, dass man manchmal traurig feststellt, den anderen nie wirklich gekannt zu haben.

Nicht ohne Grund spricht die Bibel davon, dass nur Gott unsere Gedanken versteht und alle unsere Wege sieht; selbst unsere Worte kennt Gott, bevor wir sie aussprechen (Psalm 139,2-4). Gott aber wendet sein Wissen nicht gegen uns, er ist vielmehr der, der uns sieht (1.Mose 16,13), dem nichts Menschliches fremd ist und dem wir uns deshalb in allen Dingen anvertrauen können. Wenn aber Mitmenschen unsere Geheimnisse kennen oder entschlüsseln wollen, maßen sie sich göttliches Recht an - ohne dass sie es auch nur annähernd so gut meinten, uns so gut tun könnten, wie Gott es tut. Sie wollen unsere Geheimnisse ja auch gar nicht wissen, um uns Gutes zu tun, sondern um einen Verdacht zu bestätigen, den sie längst gegen uns hegen. Den Geheimdiensten wie den neugierigen Nachbarn sind alle verdächtig; alle müssen ihre Unschuld beweisen, indem sie alles über sich preisgeben.

Gott dagegen ist weder neugierig, noch stellt er uns unter Generalverdacht. - Kunststück, könnte man einwenden, Gott weiß ja sowieso alles über uns. Gott benutzt dieses Wissen aber nicht gegen uns. Gott weiß alles über uns, damit wir ihm nicht lange erklären müssen, wie es um uns steht (Matthäus 6,8). Gott weiß alles über uns, um uns die Erniedrigung zu ersparen, ihm in der Ohrenbeichte jedes peinliche Detail berichten zu müssen. Gott weiß alles über uns, weil er sich für uns interessiert, weil wir in seinen Augen wertvoll sind und ihm jeder Augenblick unseres Lebens wichtig ist.

II

Auch im Predigttext geht es um ein Geheimnis - allerdings um eines, das keins mehr ist: "Das Geheimnis wurde offenbart, das allen vorigen Generationen verschwiegen worden war. Jetzt wurde es enthüllt".

Was für ein Geheimnis könnte das sein? Da es enthüllt ist, müssten wir es ja kennen. Aber ich wette, Ihnen ging es beim Hören des Predigttextes ebenso wie mir: Sie verstanden nicht, wovon Paulus da spricht. Es ist auch alles andere als einfach zu verstehen. Darum lassen Sie uns versuchen, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, von dem da die Rede ist.

Man könnte meinen, das Geheimnis sei das Evangelium. Bevor Jesus geboren wurde, gab es das nicht. Erst als er predigend durch Galiläa zog, kam es in die Welt - und blieb den meisten unverständlich. Die Bibel erzählt davon, dass selbst seine Jünger Jesus oft missverstanden, oder ihn gar nicht verstanden. - Aber wenn das Evangelium das Geheimnis wäre, dann wäre es noch immer nicht enthüllt. Denn bis heute stehen wir oft rätselnd vor einem Text wie dem heutigen und wissen nicht, was er uns sagen soll. Und immer wieder muss jemand kommen wie Martin Luther oder zuletzt Papst Franziskus, der uns mit der Nase auf biblische Wahrheiten stößt, die wir wieder und wieder übersehen.

Ob uns der Zeitpunkt der Enthüllung weiterhilft? Wann ist dieses "Jetzt"? Ist es die Zeit, in der Paulus seinen Brief an die Römer schrieb? Ist es die Zeit der Theologen, die den Schluss an den Römerbrief anfügten (denn er stammt nicht von Paulus selbst)? - Die Briefe des Paulus wurden damals wie heute im Gottesdienst vorgelesen. Wenn die Gemeinde damals, so wie wir heute, "jetzt" hörte, dann war damit ihre Zeit gemeint. So ist das "Jetzt" also unsere Zeit, unsere "Jetztzeit". Jetzt wird uns das Geheimnis offenbart. Was für eine Zeit ist es aber, in der wir uns befinden? - Auch wenn in vielen Haushalten die Tannenbäume schon abgeräumt, die Geschenke verstaut oder umgetauscht, die Kekse aufgegessen sind: Noch ist Weihnachtszeit. Noch denken wir an die Geburt des Gottessohnes - und heute an sein Versteckspiel im Tempel, wo ein Geheimnis offenbart wird, das zunächst auch niemand verstand: das Jesus im Tempel, im Haus seines Vaters, zuhause ist.

III

Das Geheimnis ist also nicht ein Text, so geheimnisvoll und unverständlich uns die Texte der Bibel manchmal vorkommen. Das Geheimnis liegt vielmehr darin begründet, dass jetzt etwas möglich ist, das früheren Generationen nicht möglich war. Der Predigttext benutzt dafür den Ausdruck "Glaubensgehorsam".

Gehorsam klingt nicht sehr attraktiv. Das Militär fällt einem da ein, die gebellten Befehle der Vorgesetzten, das Gehorchenmüssen. Ältere erinnern sich vielleicht daran, dass früher weit mehr als heute von den Kindern Gehorsam verlangt wurde. Während Eltern heute an die Einsicht ihrer Kinder appellieren und versuchen, Verbote oder Forderungen so zu erklären, dass das Kind sie möglichst versteht, wurde früher erwartet, dass ein Kind pariert, und zwar ohne Widerworte, und so lange, wie es die Beine unter den Tisch des Hauses steckte.

Der Vergleich mit dem Gehorsam der Kinder gegenüber ihren Eltern zeigt, worum es beim Glaubensgehorsam geht: Als Schwestern und Brüder Jesu sind wir Kinder Gottes, die Gott ihren Vater nennen. Gott aber ist kein Vater, der uns unsinnige Befehle erteilt, gar einen Kadavergehorsam von uns verlangte - einen Gehorsam, der nicht nach Gründen fragt, sondern blind gehorcht. Sondern Gott ist ein Vater, der uns liebt und es gut mit uns meint, und dem wir deshalb vertrauen sollen, wie wir, wenn es gut ging, unseren Eltern vertraut haben und vertrauen konnten.

Der Glaubensgehorsam, zu dem wir gemeinsam mit den anderen Völkern gelangen sollen, hat nichts mit militärischem Drill zu tun. Er ist ein Vertrauen - ein Vertrauen, das langsam wachsen muss. Denn wie unsere Eltern uns nicht nur lieb und nett erschienen, so scheint auch Gott manchmal unverständlich, unnahbar, fern zu sein. Obwohl er es doch angeblich gut mit uns meint, erleben wir Leid und Enttäuschungen, müssen Leiden und Tod anderer Menschen miterleben und finden keine Antwort auf die Frage, warum ihnen, warum uns das widerfährt. Dann fällt es schwer, auf einen Gott zu vertrauen, der doch offenbar an der Welt nichts ändern kann; der weder uns noch unsere Liebsten vor Leid und Schmerz bewahren kann. Es ist schwer, Gott als liebevollen Vater anzusehen, wenn er gerade dann, wenn wir eine Antwort bräuchten, so beharrlich schweigt.

IV

"Das Geheimnis, das allen vorigen Generationen verschwiegen worden war: Jetzt wurde es enthüllt." So, wie das "Jetzt" in dem Moment Gegenwart wird, in dem der Brief vorgelesen wird, so sind auch die "vorigen Generationen" nicht irgendwelche Menschen, die längst ins Grab gesunken sind, sondern wir sind es. Wir, denen es manchmal schwer fällt, an Gottes Liebe und Fürsorge zu glauben. Die in Gott manchmal eine ähnliche Datenkrake sehen wie in den Geheimdiensten, die jeden Winkel unseres Lebens ausspioniert, vor der wir nichts verbergen und vor der wir nicht fliehen können. Denen es manchmal schwer fällt, überhaupt zu glauben. Die mit dem Gedanken spielen, ob das nicht alles eine große Illusion, ein großer Selbstbetrug ist. In solchen Momenten schweigt Gott. - Gerade in solchen Momenten schweigt Gott, wo er sich doch zeigen, sich verteidigen, uns eines besseren belehren müsste. Solche Momente erleben wir immer wieder.

Aber Gott bricht sein Schweigen: Jetzt wurde es enthüllt. Gott bricht sein Schweigen heute, hier und jetzt. Nicht so, dass wir plötzlich Stimmen, seine Stimme, hörten. Aber doch unüberhörbar. In den "prophetischen Schriften", die von Gott und von seinem Sohn erzählen und aus denen wir in jedem Gottesdienst vorlesen, spricht Gott zu uns.

Es fällt aber schwer, sich davon angesprochen zu fühlen. Gerade, wenn man nicht gut auf Gott zu sprechen ist, wenn man meint, Gott habe sich abgewandt, Gott schweige. So, wie das Kind, das böse auf die Eltern ist oder von ihnen enttäuscht wurde, sich schmollend abwendet und von den lockenden, liebevollen Worten der Eltern nichts wissen will. Darum schickt Gott seinen Sohn. Gott wird Mensch, wird ein Kind, wie wir eines waren, und erlebt als Erwachsener die gleiche Angst und Gottesferne, die auch wir erleben. Das Kind in der Krippe war mit seinem ersten Schrei, mit seinem ersten Atemzug ein Kind Gottes, und wir, als Schwestern und Brüder Jesu, wir sind es auch. Gott wird Mensch, damit wir das glauben können. Damit wir glauben können, wie gut er es mit uns meint. Darauf vertrauen lernen, dass wir gemeint sind, wenn aus den "prophetischen Schriften" vorgelesen wird. Damit wir uns von Gott angesprochen fühlen und es wagen, ihm dennoch zu vertrauen. Das bedeutet, "Glaubensgehorsam" zu lernen.

V

Gott bewahrt unsere Geheimnisse. Gott kennt uns besser, als wir selbst uns kennen, aber er plaudert nichts davon aus. Er lässt uns so sein, wie wir sind. Er lässt zu, dass wir uns abwenden, nichts von ihm wissen wollen. Trotzdem wirbt er wieder und wieder um unser Vertrauen. Durchbricht sein Schweigen im Schrei eines neugeborenen Kindes, das auf Stroh in einer einfachen Futterkrippe liegt, wie so viele Kinder in unserer Welt, bis heute. Und ist bei diesem Kind, seinem Sohn, in jedem Augenblick, selbst in seiner größten Verlassenheit am Kreuz. Mit diesem Kind Jesus wirbt Gott um unser Vertrauen, um den "Glaubensgehorsam", weil er uns als seine Kinder genauso lieb hat wie seinen Sohn. In diesen weihnachtlichen Tagen sehen wir wieder das Kind in der Krippe liegen, nackt und bloß, und so zerreißt es die Hülle, mit der die prophetischen Schriften verhüllt sind, und zeigt uns das liebevolle Antlitz Gottes, das uns voller Stolz und voller Freude ansieht, heute, jetzt und hier. Amen.

 



Pfarrer Güntzel Schmidt
98617 Meiningen
E-Mail: guentzel.schmidt@gmx.de

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