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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Sonntag nach dem Christfest, 05.01.2014

Was stärkt den Glauben? Was behindert ihn?
Predigt zu Römer 16:25-27, verfasst von Sven Keppler

I. Liebe Gemeinde, was erwarten wir eigentlich von den Menschen, die Christinnen und Christen sein wollen? Die sich neu für unseren Glauben entscheiden. Oder die ihre Verbundenheit mit der Kirche verstärken wollen. Was müssen sie leisten?
Diese Frage ist so alt wie das Christentum selbst. Und ganz am Anfang ist eine Entscheidung getroffen worden. Sie hat das Christentum wahrscheinlich mehr geprägt als jede andere. Wäre diese Weichenstellung nicht gewählt worden, sähe die Kirche heute völlig anders aus. Sie wäre vermutlich eine kleine jüdische Sekte. Vielleicht wäre sie sogar längst untergegangen.
Im Grunde war es eine doppelte Entscheidung. Ihre beiden Teile waren revolutionär: Zum einen sollten alle Menschen Christen werden können. Und zum anderen sollten die neuen Christen, die keine jüdischen Wurzeln hatten, befreit sein vom Gesetz des Mose.
Wer nicht in der Tradition des Gesetzes aufgewachsen war – wer zum Beispiel nicht beschnitten war und nicht die jüdischen Speisevorschriften beachtete –, der sollte auch als Christin oder Christ nicht nach diesen Regeln leben müssen. Dafür hat Paulus sein Leben lang gekämpft. Mit dieser Voraussetzung hat er den Glauben an Christus rund um das östliche Mittelmeer verbreitet.
Denn Paulus hatte den tiefen Grund für diese Entscheidung begriffen: Wer an Christus glaubt, braucht das Gesetz nicht mehr. Um unser Leben im Einklang mit Gottes Willen zu führen, sollen wir an ihn und seine Liebe glauben. Wir müssen aber nicht die 613 Gebote und Verbote des mosaischen Gesetzes befolgen.
Wer in dessen Tradition groß geworden war, der durfte sie auch als Christ weiterhin befolgen. Durfte die erprobten Regeln beibehalten. Sie waren ihm vertraut, vielleicht hatte er sie auch lieb gewonnen. Sie bildeten einen verlässlichen Bestandteil des Lebens. Aber sie waren nicht mehr notwendig. Dadurch verloren diese Regeln mit der Zeit ihre Verbindlichkeit und konnten sich verändern.

II. In seinem Brief an die römische Gemeinde hat Paulus all dies ausführlich begründet. Der Brief ist eine Art Testament, in dem der Apostel seine Einsichten in einem großen Zusammenhang erklärt. Unser Predigttext ist der formelhafte Abschluss dieses Briefes. Er ist nach antikem Brauch etwas kompliziert formuliert. Ich lese ihn deshalb in einer sprachlich leicht vereinfachten Form:

Gott hat die Macht, euch in eurem Glauben zu festigen durch das Evangelium, das mir anvertraut ist: die Botschaft von Jesus Christus.
Durch diese Botschaft ist das Geheimnis offenbart, das seit ewigen Zeiten verborgen war. Jetzt ist es enthüllt: durch die Schriften der Propheten, nach dem Befehl des ewigen Gottes. Es ist allen Völkern bekannt gemacht worden, damit sie zum Gehorsam des Glaubens kommen.
Dieser Gott ist allein weise. Ihm sei Ehre durch Jesus Christus in Ewigkeit. Amen.

Auf das Evangelium kommt alles an: auf die frohe Botschaft von Jesus Christus. Diese frohe Botschaft festigt den Glauben. Sie vermittelt eine Erkenntnis, die lange verborgen war. Jetzt ist diese Erkenntnis zugänglich. Welche Erkenntnis meint Paulus? Das hat er im gesamten vorangehenden Brief erklärt:
Der Riss, der zwischen Gott und uns Menschen entstanden ist – dieser Riss kann nur durch Gott selbst geheilt werden. Durch Jesus Christus hat Gott ihn geheilt. Das Einzige, was wir dabei tun können, ist: darauf zu vertrauen. Wir müssen dafür keine Gesetze befolgen, keine Rituale einhalten. Sondern allein darauf vertrauen, dass Gott alles Nötige getan hat.
Das ist die alte Antwort auf die Eingangsfrage der Predigt: Was erwarten wir eigentlich von den Menschen, die Christinnen und Christen sein wollen? Die sich neu für unseren Glauben entscheiden. Oder die ihre Verbundenheit mit der Kirche verstärken wollen.
Paulus sagte: Wir dürfen nicht erwarten, dass sie Gesetze und Rituale befolgen, die ihnen fremd sind. Weil es auf Gesetze dabei nicht ankommt, sondern allein auf das Vertrauen gegenüber Gott.
Und heute? Wie sieht es bei uns aus? Ich habe den Eindruck, wir haben die Hürden und Hindernisse wieder aufgebaut. Natürlich erwarten wir nicht, dass Menschen das jüdische Gesetz befolgen. Aber haben unsere kirchlichen Gesetze und Rituale nicht zum Teil ganz ähnliche Folgen?

III. Zum Beispiel der Gottesdienst. Wie erlebt ihn ein Mensch, der zum ersten Mal in unsere Kirche kommt? Sei es, weil er nicht als Christ aufgewachsen ist. Oder weil er lange nicht hier gewesen ist. Vielleicht ist dieser Mensch beeindruckt. Weil er spürt: Im Gottesdienst hat vieles einen tieferen Sinn. Die Gesänge drücken uralte Gewissheiten aus. Und sie tun das in einer fremden, schönen Form. Seit vielen Generationen überliefert. Achtsam weitergegeben. Und immer wieder neu mit Leben gefüllt.
Eine ganz ähnliche Aura umgibt auch das Gesetz des Mose: beeindruckend, tief, voller uralter Gewissheiten. Oft in schöner Form. Achtsam seit Generationen überliefert. Manchmal zutiefst fremd. Aber täglich neu mit Leben zu füllen.
Ich frage mich nur: Was ist, wenn der Gottesdienst diesem neuen Besucher fremd bleibt? Wenn er sich auch trotz mehrmaliger Versuche nicht hineinleben kann? Wenn das Herz in dieser Form keine Heimat findet? Und seien wir ehrlich: Sehr vielen Menschen geht es so. Wir merken das doch bei allen Gottesdiensten, wo überwiegend nicht ganz so geübte Besucher teilnehmen: Schulgottesdienste, Taufen, Hochzeiten, Gedenkgottesdienste am Volkstrauertag oder Totensonntag. Der Gesang ist leise, die Beteiligung an den liturgischen Stücken auch. Und das, obwohl die Texte in den Bänken liegen.
Verstehen Sie mich nicht falsch, liebe Gemeinde. Ich möchte unsere schönen Gottesdienste nicht abschaffen. Aber ich möchte verhindern, dass sie dieselbe Wirkung haben wie das Gesetz. Dass sie zu einer Hürde werden, die den Zugang zum Glauben eher erschwert als eröffnet.
Bei der Mehrzahl der Trauergespräche höre ich: Der oder die Verstorbene war ja kein Kirchgänger. Oft folgt dann die Beteuerung: Aber er hat an Gott geglaubt. Oder: Sie hat regelmäßig gebetet. Liebe Gemeinde, letztlich kommt es auf diesen Glauben an. Nicht auf die Teilnahme an fremden oder fremd gewordenen Ritualen.
Und im übrigen lassen Sie uns alles tun, dass unsere Gottesdienste so einladend wie möglich werden! Mit Formen und Liedern, in denen man zu Hause sein kann. Einladend, voller Glaubens- und Lebensfreude. Und vielfältig, damit wir der Buntheit unserer Gemeinde gerecht werden.

IV. Liebe Gemeinde, in dieser Hinsicht bin ich sehr zuversichtlich. Bei den Gottesdiensten ist viel in Bewegung gekommen. Ein zweites Thema empfinde ich als deutlich heikler. Lassen Sie uns über Geld reden. Ich meine die Kirchensteuer.
Die Frage bricht immer dann auf, wenn ein Mensch bestattet werden soll, der nicht mehr in der Kirche war. Darf das sein? Dieser Mensch hat sich doch öffentlich und eindeutig von der Kirche distanziert. Hat erklärt, dass er nicht mehr dazu gehören will. Soll man ihn kirchlich bestatten, wenn die Angehörigen das wünschen?
Und ist das nicht unfair denen gegenüber, die weiterhin ihren finanziellen Beitrag leisten? Denn das gemeindliche Leben kostet nun einmal Geld. Die Gehälter von Pfarrern, Küsterinnen, Kantoren, Jugendmitarbeiterinnen, Sekretärinnen, Putz- und Gartenkräften. Der Unterhalt von Gebäuden. Der Beitrag zur Diakonie und zur Arbeit der übergeordneten Ebenen. Und manches mehr.
Die kirchlichen Strukturen, wie wir sie in Deutschland kennen und schätzen, können ohne finanziellen Aufwand nicht bestehen. Und deshalb ist die Kirchensteuer eine überaus hilfreiche Einrichtung. Keine Frage.
Aber kann es wirklich sein, dass der Zuspruch des Segens an Geldzahlungen geknüpft wird? Der Segen am Grab. Der Segen am Traualtar. Der Segen für die Getauften. Abhängig von Geldzahlungen! Ist das nicht genau so ein Skandal wie der Ablass, gegen den Luther seinerzeit revoltiert hat?
Drückt sich im Kirchenaustritt wirklich immer Unglaube aus? Eine gewisse Gleichgültigkeit spielt oft herein. Die Motive sind vielfältig. Aber wir müssen uns der Frage stellen: Haben wir mit der Kirchenmitgliedschaft und der damit verbundenen Steuerpflicht nicht ein neues Gesetz aufgebaut? Eine Leistung zur Voraussetzung gemacht, um zu der Gemeinschaft der Glaubenden dazuzugehören?
Das würde der Erkenntnis von Paulus widersprechen! Es zählt dann nicht nur der Glaube, sondern auch eine Leistung! Es ist ja nicht so, dass der Glaube diese Leistungen automatisch mit sich bringt. Ich kann hier nur Fragen stellen. Die Antwort weiß ich selbst nicht. Aber die Frage bewegt mich.

V. Es sind ganz praktische und zugleich sehr grundsätzliche Anstöße zum Nachdenken, die Paulus mit seinem Römerbrief gibt. Nicht zufällig war es dieser Brief, der Luther entscheidend zur Reformation der Kirche angestoßen hat. Gleichzeitig gibt Paulus im Schluss des Briefes auch den Hinweis, worauf es ankommt:
Das Evangelium von Jesus Christus muss weitergesagt werden. Denn es stärkt den Glauben, auf den alles ankommt. Der Gottesdienst ist ein großartiger Ort, um die frohe Botschaft weiterzugeben. Und jeder Euro Kirchensteuer, der die Kommunikation des Evangeliums unterstützt, ist gut eingesetzt. Auch so wird Gott die Ehre gegeben. Amen.



Pfarrer Dr. Sven Keppler
Versmold
E-Mail: seven.keppler@kk-ekvw.de

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