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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

16. Sonntag nach Trinitatis, 23.09.2007

Predigt zu Lukas 7:11-16, verfasst von Günter Goldbach

Liebe Christinnen und liebe Christen,

wir kennen die Szene, die Lukas vor unsere Augen stellt. Wir alle haben sie so oder so schon einmal erlebt: Da ist ein Mensch durch den Tod aus unserer Mitte gerissen worden. Diejenigen, die ihm nahe gestanden und ihn gekannt haben, tragen ihn zu Grabe. Leichenzüge sind sich irgendwie immer gleich: Da tragen selbst vom Tod gezeichnete Menschen den hinaus, den es getroffen hat: Die Träger stumm, die Begleiter feierlich, die nächsten Angehörigen mit ihrem Schmerz die Mitte bildend. Wie gesagt: Irgendwie ist es immer dasselbe. Ein paar andere Namen, andere Orte, andere Zeiten, ein wenig andere Umstände. Und doch irgendwie immer gleich: Trauer, Schmerz, Alleingelassensein. Vor allem, wenn der Verstorbene noch jung war. Das Leben noch kaum gelebt war. So vieles noch möglich zu sein schien. Also: Wir können uns gut hineinversetzen in diese Szene, an der Lukas uns teilnehmen lässt. Als jener junge Mann aus der Stadt Nain in Palästina zu Grabe getragen wird: ein Leichenzug wie viele andere; hier die Mutter mit ihrem Schmerz die Mitte bildend. Denn Lukas erklärt: Er war ihr einziger Sohn; und sie war eine Witwe (v 12).

Übrigens: Heute wie damals spielt sich dieses Ereignis am Rande der Stadt ab. Denn heute wie damals steht der Tod am Rande des Lebens. Das wollen wir alle nicht, dass so etwas allzu öffentlich vor unseren Augen passiert. Dann würden wir ja allzu oft an die Vergänglichkeit des eigenen Lebens erinnert. Wie könnte man dann noch an den Sinn des Lebens glauben, wenn dieses Ereignis in der Mitte stünde! Darum verbannen wir den Tod aus unserer Mitte: in Krankenhäuser und Pflegeheime vor allem. Eben damit verbannen wir auch den Tod als eine für uns selber nicht denkbare Möglichkeit an den Rand unseres Lebens. Und eben darum verbannen wir auch die Begräbnisse und Leichenzüge an den Rand unserer Städte.

Nur für die nächsten Angehörigen gibt es am Ende kein Entrinnen. In deren Leben ist der Tod oft mitten eingebrochen. Sie stehen oft fassungslos vor dem, was geschehen ist. Sie können es oft nicht verstehen und begreifen. Sie wissen oft nicht, wie sie damit fertig werden sollen. Und dann meint man oft, in den Augen verzweifelter Menschen den Gedanken, den Wunsch, die Hoffnung ablesen zu können: Das alles möchte gar nicht wahr sein. Es möchte einer an den Sarg treten und uns den Toten lebendig wiedergeben. Gewiss: ein sinnloser Gedanke, ein unerfüllbarer Wunsch, eine hoffnungslose Hoffnung. Denn das tut keiner, weil das keiner tun kann.

Lukas aber berichtet hier: Jesus hat das getan. Als er diesem Leichenzug vor dem Stadttor von Nain begegnete, da tat ihm diese Mutter, deren einziger Sohn gestorben war, unendlich leid. Er trat hinzu, rührte den Sarg an und sprach zu dem Toten: „Jüngling, ich sage dir, stehe auf!" (v 13.14).

 

Liebe Christen, wenn dieser Bericht nun nicht im Neuen Testament stünde, sondern in irgendeinem anderen Buch, in irgendeiner Zeitung: Wer wäre wohl unter uns, der daran nicht zweifelte?! Aber: Ist das, was Lukas hier erzählt, nun deshalb schon so geschehen, wie es berichtet wird, weil es in der Bibel steht?! Müssen wir jetzt das Undenkbare für denkbar halten?! Ist es nun nicht mehr erlaubt, zu zweifeln, mindestens zu fragen und darüber nachzudenken? Lassen Sie uns also wenigstens der Frage einmal nachdenken: Hat Jesus das Unmögliche wirklich möglich machen und einen Toten ins Leben zurückholen können? Oder sollte das Ganze vielleicht nur die in Form einer Legende gekleidete Proklamation Jesu zum Herrn auch über den Tod sein? Wollte Lukas, der sein Evangelium ja nach Tod und Auferstehung Jesu schreibt, vielleicht nur bildhaft, an Hand eines Beispiels deutlich machen: Jesus, der Christus, hat als der Auferstandene jetzt alle Macht, auch die über den Tod?

Darüber hinaus: Wenn wir genauer hinsehen, gibt es durchaus einige Gründe, die dagegen sprechen, dass sich alles genau so zugetragen hat. Einige will ich nennen:

Zunächst: Es gibt eine ganze Reihe ganz ähnlicher Geschichten, die alle in dem gleichen Schema berichtet werden. Schon im Alten Testament: Auch die Erweckung des Sohnes der Witwe zu Zarpath durch den Propheten Elia (1. Kön. 17, 17ff) und die Erweckung des Sohnes der Sunamitin durch den Propheten Elisa (2. Kön. 4, 32ff) werden ganz ähnlich berichtet. Immer ist es das Motiv der Witwe und ihres schweren Verlustes durch den Tod des einzigen Sohnes, das im Vordergrund steht.  -  Sollte da also vielleicht ein ganz bestimmtes Schema eine Rolle spielen, das für solcher Art Erzählungen festlag?

Weiter  -  vielleicht vor allem anderen: Wenn Jesus diese Tat in aller Öffentlichkeit vollbracht hat: vor dem Stadttor eines Ortes namens Nain, 2 Meilen südöstlich von Tabor, eine Tagereise von Kapernaum entfernt  -  wie ist es erklärbar, dass eine Tat von solcher Großartigkeit nicht weiter bekannt geworden ist? Wieso berichtet eine Tat von solchem Gewicht: eine Totenauferweckung, nur Lukas? Nicht Markus, nicht Matthäus, nicht Johannes. Hätte nicht auch ihnen, die doch auch das irdische Leben unseres Herrn genau nachzeichnen wollten, eine solche Tat bekannt geworden und berichtenswert sein müssen?

Und schließlich: Ist das zu verstehen, dass derjenige, an dem diese Tat geschehen ist, dann im Lukas-Evangelium gar nicht mehr erwähnt wird? Weder von ihm noch von seinen Angehörigen ist jemals wieder die Rede. Aber hätte nicht jemand, der so etwas erlebt hat, nun Jesus nachfolgen, einer seiner Jünger werden müssen?

Nichts von alledem beantwortet Lukas. Wir sind allein mit diesen Fragen. Und  - zugegeben -  mit unseren Zweifeln. Also: Es ist nicht nur unser Verstand, der sich sträubt, Unmögliches für möglich zu halten. In der Geschichte selbst sind auch einige Unverständlichkeiten, die es zumindest denkbar erscheinen lassen: Das alles hier ist nicht zwingend so geschehen, wie es da steht.

 

Ich vermute einmal: Unter den Hörern der Geschichte, auch in unserem heutigen Gottesdienst, gibt es nun zwei Parteien. Die einen sagen: Gewiss ist das genauso passiert, wie es da steht. Zwar mag einiges an dieser Geschichte nicht ganz eindeutig sein und ein paar Fragen aufwerfen. Aber an der Tatsächlichkeit des Geschehenen kann es doch keinen Zweifel geben. Es steht so in der Heiligen Schrift. Also müssen wir es auch so für wahr halten.  -  Zu beneiden sind diese Menschen um ihr grenzenloses Vertrauen zu denjenigen Menschen, die diese Heilige Schrift verfasst haben. Und das meine ich durchaus ehrlich.

Aber sicher gibt es auch andere Hörer dieses Predigttextes, die sagen: Unmöglich hat das so geschehen können. Bestimmt hat Lukas nur ein Beispiel, ein Zeichen geben wollen wie das Zeichen des Jona (vgl. Matth. 12, 39f).  -  Ich werde mich hüten zu sagen: Diese Predigthörer sind deshalb keine Christen. Sie sind Ungläubige, wenn sie denken, das sei nicht so passiert, wie es hier geschrieben steht.

Wenn Sie mich persönlich fragen, so muss ich antworten: Ich weiß es nicht, ob das so passiert ist. Ich halte es für möglich, dass es sich so zugetragen hat, wie Lukas es aufgeschrieben hat. Aber ich halte es genauso gut für möglich, dass Lukas mit seiner Geschichte zeichenhaft hat deutlich machen wollen: Wo Jesus hinkommt, da muss auch der Tod weichen. Beweisen lässt sich weder das eine noch das andere. Also: Ich weiß wirklich nicht, was damals geschehen ist.

 

Aber etwas anderes weiß ich ganz genau: Dass diese Frage: passiert oder nicht passiert, gar nicht wichtig ist! Jedenfalls ist sie nicht von so entscheidender Bedeutung, wie es uns auf den ersten Blick, bei unserem bisherigen Nachdenken, erschienen sein mag. Könnte es sein, dass wir an falscher Stelle „nachgefragt" haben?! Und so vielleicht in eine Falle getappt sind?! Denn: Ob Jesus diesen jungen Mann aus Nain ins Leben zurückgerufen hat  -  ist das wichtig? Für uns wichtig? Ja, wenn wir einmal ein wenig weiter denken, in der Tiefe über all dies nachdenken  -  sollte uns dann nicht die Erkenntnis dämmern: Wir sollen ja doch überhaupt nicht an den auferweckten Jüngling aus Nain glauben. Sondern an den auferstandenen Jesus aus Nazareth! Das ist doch für uns alle von lebensentscheidender Bedeutung! Ob da, vor vielen Jahrhunderten, ein früh verstorbener junger Mann noch einige Jahre länger gelebt hat  -  was sollte das für uns für eine Bedeutung haben?! Was hätten wir davon?! Für uns ist doch allein wichtig, von alles entscheidender Bedeutung, dass wir glauben: Wo Jesus ist, da ist der Tod wahrhaft überwunden.  -  Lukas berichtet: Dadurch, dass Jesus damals einen früh verstorbenen jungen Mann ins Leben zurückgeholt hat, haben damals einige Menschen zu Gott gefunden (v 16). Aber wir heute können ohne allen Zweifel nur dadurch zu Gott finden, dass wir heute glauben und bekennen: Gott, der Herr, hat Jesus von den Toten auferweckt! Liegt nicht allein darin unsere Hoffnung und unsere Sehnsucht begründet, von der wir nicht lassen können und wollen?! Jedenfalls: Das allein ist für unser Schicksal von alles entscheidender Bedeutung. Da ist jemand, der hat wirklich den Tod  - auch unseren Tod -  schon überwunden.

Und dann liegt in einem solchen Bekenntnis auch die Antwort auf die Frage, die heute so viele Menschen bewegt und umtreibt: Was wird eigentlich aus uns, wenn wir sterben? Was wird aus uns nach dem Tode? Die einzige Antwort, die wir Christen darauf geben können, ist die gleiche, die Lukas auf seine Art und Weise auf die gleiche Frage auch gegeben hat: Wo Jesus Christus ist, da ist mit dem Tode nicht alles aus. Da, wo anscheinend jede menschliche Hoffnung ihr Ende erreicht hat, im Tode, gerade da handelt Gott in Jesus Christus. Er selbst, Jesus, hat das einmal so klar und deutlich für alle, die  - noch -  leben, ausgesprochen: „Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der ist vom Tode zum Leben hindurch gedrungen" (Joh. 5, 24). Und nun: Kann nicht nur dieses und sonst kein anderes Wort: dass Jesus lebt und dass alle, die daran glauben, auch leben sollen  -  kann nicht allein dieser Glaube verzweifelte Menschen trösten, die um einen Gestorbenen trauern?! Und diejenigen stärken und ihnen Kraft geben, die sich  - wie wir alle -  vor dem Sterben fürchten?!

Und auf diese Weise entdecken wir dann übrigens auch: Es geht gar nicht mehr darum, ob wir das für wahr halten können, was Lukas uns heute in seinem Evangelium berichtet. Wir müssen gar nichts Unglaubliches glauben, nichts Unmögliches für möglich halten. Nur noch darum geht es: Das, was alleine das Leben bewirkt  - auch unser Leben, in dieser Welt und in jener Welt -  das ist schon längst geschehen! Gott hat es getan! An und in Christus  -  für uns! Das ist das Evangelium. Und es gibt kein anderes Evangelium.

So bleibt mir am Ende nur die Frage zu stellen: Wollen Sie nicht diese Einladung zum Leben auf sich beziehen, sie annehmen und ihr Folge leisten?! Sie hätten verstanden, besser: mit dem Herzen aufgenommen, was der Apostel Paulus in einem seiner Briefe an die Christen in Korinth so formuliert: „Per Christum abundat consolatio nostra"  -  allein durch Christus wird uns überschwenglicher Trost (2. Kor. 1, 5). Und unvergesslich sind mir die Worte eines Freundes, der angesichts des nahenden Todes betete: „Herr, wir leben davon, dass du lebst und unsere Zukunft hell machst. Wir preisen dich, weil deine Geschichte unsere Geschichte geworden ist". Amen.



Dr. Dr. Günter Goldbach

E-Mail: Guenter.Goldbach@uni-osnabrueck.de

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