Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Septuagesimae, 16.02.2014

Predigt zu Römer 9:14-24, verfasst von Jochen Riepe

 

I

Wer bin ich ? Wie bin ich in die Welt hinein gekommen; warum hat man mich nicht vorher gefragt..., sondern mich hineingestukt einfach in Reih und Glied als wäre ich gekauft von einem Menschenhändler? Wie bin ich Teilhaber geworden in dem großen Unternehmen , das man die Wirklichkeit nennt? Warum soll ich Teilhaber sein ? Ist das nicht Sache freien Entschlusses?‘ *

II

Gern werde ich daran nicht erinnert : Am Anfang meines -und vielleicht auch Ihres Lebens - war es laut , und zwar aus Leibeskräften. ‚Meine Zeit , was hat der Junge ( oder auch das Mädchen) geschrien!‘. Das sei um der Lungen Willen wichtig, sagte man früher . Andere meinen , es sei ein Schrei der Entrüstung. Ungefragt wurden wir in die Welt ‚gesetzt‘ ... Die Eltern durftest du dir nicht aussuchen ... ob wir wohlhabende oder arme Verhältnisse vorfanden , ob wir gefördert oder vernachlässigt wurden oder einfach so mitlaufen mußten , wir hatten nicht die Wahl.

III

Ein Schrei der Entrüstung. Unwohlsein. Gar etwas Gewaltsames. ‚Gefäß des Zorns‘. ‚Gefäß der Barmherzigkeit‘. Natürlich , liebe Gemeinde, Sie können sich daran nicht erinnern und ich mich auch nicht. Das haben wir vergessen und sollten es . Im besten Fall haben die beiden Menschen (oder der eine Mensch) , bei denen wir aufgenommen wurden, alles getan , damit wir es auch vergessen konnten. Sie haben unsere Empörung mit ihrer Liebe gut gemacht. Sie haben unseren Willen gestärkt - ‚Lebens- Willen‘ - und eines Tages konnten wir mehr als schreien. Wir konnten uns bewegen und aufstehen, wir konnten sprechen und lachen . Unser Anfang war längst entschwunden. ‚Ach damals , was hat der Junge geschrien‘. Gern werde ich daran nicht erinnert.

IV

Und nun , liebe Gemeinde, soll das Vergessene, längst ‚Untergegangene‘ wieder emporkommen. Der Abschnitt aus dem Römerbrief führt uns zurück. Zurück hinter das Lachen, Sprechen, Selbst-bestimmen und Entscheiden. Zurück hinter Aufstehen und Selber-Gehen ... eben in jene Zeit oder jenen Augenblick ‚davor‘ - da wir nur schreien oder wimmern konnten. Vor dem Gott des Paulus werden wir wieder ganz klein . Stolz und Würde, Selbstbehauptung und Selbständigkeit schmelzen dahin angesichts des Einspruchs : ‚Ja, lieber Mensch , wer bist du denn, daß du mit Gott rechten willst?‘ Der Vergleich stellt sich ja von selbst ein : Wie einst als Un-mündiger einer fremden Macht unterworfen , wie einst diesen beiden ausgeliefert ,ihrer Liebe, ihren Wünschen und Erwartungen, aber auch ihren Illusionen, Launen und Enttäuschungen , so nun ihm ? Gott? Schärfer kann man unseren Protest nicht zurückweisen : ‚Spricht auch ein Werk zu seinem Meister : Warum machst du mich so?‘ Den Gott der Liebe stelle ich mir anders vor.

V

Was treibt den Apostel in jene Zeit der Entrüstung zurück ? Was treibt ihn zu solcher Gotteslehre? Zu solcher Willkür in der Rede von Gottes Handeln ? ‚Er erbarmt sich nun , wessen er will. Und verstockt , wen er will‘. Beim ersten Hören , oder besser : in der ersten Konfrontation mit diesem Text ist es ja , als wolle er uns den Mund stopfen; als wolle er unseren Stolz , unser Ringen um Würde, unser Rechten und Streiten , unser selbstquälerisches Warum ? - Warum hat man mich nicht gefragt? Warum hatte ich diese Eltern und keine anderen? Warum habe ich diese Krankheit und der andere nicht ? - , als wolle er all diese Fragen mit einem Streich hinwegfegen ... und uns zurückführen auf unser nacktes Dasein und Geschaffensein : ein Werk , Material des freien Meisters , ein Leib, Kreatur , ohne Recht gegenüber dem Schöpfer. Der Spruch der Feministinnen hat das spöttisch aufgespießt : ‚Als Gott den Mann schuf, übte sie noch.‘ Schrei , wenn du kannst!

VI

Sie werden jetzt vielleicht denken oder fragen : Wohin willst du eigentlich , Prediger ? Wozu spekulieren über einen Anfang, den wir längst vergaßen ? Wozu dieser dunkle ‚Willkür-Gott‘ des Paulus ? Wir kennen doch Gott ganz anders und der Apostel weiß doch ganz anderes noch zu sagen und zu lehren! Mein erster Antwortversuch darauf ist : Weil es Erfahrungen in uns gibt, ein Ahnen und Ängstigen, ein Weinen und Klagen , das sich mit der Entrüstung unseres Anfangs berührt. Es gibt Augenblicke, da ist die Welt zum Heulen und alle Frohnaturen , Positiv-Denkenden oder Optimisten müssen weichen : Die blinde Rotation , Tod und Leben , Leben und Tod und wir stammeln : Warum ? Warum hast du es zugelassen ? Warum hast du es so gemacht ? Was haben die Menschen in Syrien getan, daß ihr Land , ihre Häuser , ihre Leiber mit Krieg und Terror überzogen werden ? Was haben die Arbeiter im Kaukasus getan , die Arbeits- Sklaven gleich die olympischen Prachtbauten von Sotschi bauten und dann von den Menschenhändlern mit einem Hungerlohn weggeschickt wurden ? Menschliche Manövriermasse - und der Rest der Welt schaut im Fernsehen zu . Unter und hinter dem Vertrauten und ‚Heimlichen‘ erleben wir immer das Unheimliche . Hinter Kultur, Sprache und Recht die Barbarei und die Gewalt - und das hätte etwas mit Gott zu tun ?

VII

Bleibt mir ein zweiter Versuch oder Anlauf zu einer Antwort : Dieser dunkle , empörte Anfang , dieser Augenblick ‚davor‘ ist gleichsam die Eintrittsbedingung zu unserer Existenz . Ohne die freie Schöpfermacht des ‚dunklen Gottes‘ , gegen den wir kein Recht haben , ja : gäbe es uns und die Welt nicht. Unser Schrei zu Beginn gleicht einem Tor , durch das wir hindurch müssen , um dann von liebenden Händen aufgenommen und getragen zu werden , um unseren Lebensweg - über Kriechen und Krabbeln, Aufstehen und Fallen - selber zu gehen. Ich sagte es schon : Die Eltern hatten die Aufgabe , unsere Empörung zu besänftigen und gutzumachen und nachher hat es immer wieder Menschen gegeben , die uns halfen , das fremde Geschenk des Lebens anzunehmen und zu bejahen : Ja, ich will leben! Und sehen Sie , darüber ist auch Gott ein anderer geworden oder vielleicht besser gesagt : Darüber lernen wir Gott noch einmal ganz anders kennen, wir sagen sogar: so wie er in seinem innersten Wesen ist : Ein Partner , ein Freund , der ‚liebe Gott‘ , wie wir oft so leicht dahin plappern ; der ‚sich erbarmende Gott‘ , dessen Freiheit gerade seine Gnade ist ; der aus dem dunklen Anfang ‚das Beste macht‘ - dich und mich zu einem ‚Gefäß der Barmherzigkeit‘, dich und mich zu seinem Mitarbeiter.

VIII

Wie bin ich ‘ -gerade ich ! -‚Teilhaber geworden in dem großen Unternehmen , das man die Wirklichkeit nennt? Warum soll ich Teilhaber sein? Ist das nicht Sache freiwilligen Entschlusses?‘* Nicht wahr , liebe Gemeinde : Zufrieden sind Sie es noch nicht. Ich auch nicht. Da rumort noch etwas und es muß noch rumoren ... Warum die Erinnerung an Fragen , die wir vergessen haben und , ja : auch wieder vergessen werden ? Darf ich sagen : Damit das Leben nicht selbstverständlich wird und flach - daß wir wissen vom Schmerz der Kreatur und von ihrem Leiden und ihrer Verletzbarkeit. Damit Gott nicht selbstverständlich wird und - banal , der Wellness -Gott der kirchlichen Werbung. Damit wir Gott im Leben und im Sterben ehren , Ihn ‚fürchten und lieben‘ und darin lernen , Ihn zu loben und Ihm zu singen.

 



Pfarrer Jochen Riepe
44137 Dortmund
E-Mail: Jochen.Riepe@gmx.net

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