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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Septuagesimae, 16.02.2014

Predigt zu Römer 9:14-24, verfasst von Dietz Lange

 

Liebe Gemeinde!

Vor ungefähr 14 Tagen stand im Göttinger Tageblatt ein Leserbrief. Sinngemäß heißt es darin: "Was soll das bitte schön für ein Gott sein, der ungerührt den einen Menschen zur Verdammnis bestimmt und den anderen annimmt, ohne dass einer von denen irgendetwas dazu tun kann? Das ist doch ein reiner Willkürherrscher." und dann wörtlich: "Einen solchen Gott statuiere ich nicht", soll heißen: Einen solchen Gott erkenne ich nicht an. Der Schreiber dieses Leserbriefes ist ein hoch gebildeter Mann, und er lässt seine Bildung auch deutlich heraushängen. Aber von dieser etwas peinlichen Seite einmal abgesehen: Seine Empörung ist verständlich. Wenn man über die Worte des Paulus nachdenkt, die wir gerade gehört haben, dann sieht es ja wirklich so aus, als seien wir Menschen bloß Gottes Marionetten. Wir zappeln an den Fäden, die von oben hin und hergezogen werden, wir sind gezwungen, den Bewegungen der Hände über der Bühne zu folgen und können gar nichts dagegen machen.

Ist das wirklich der Gott, an den wir glauben? Was hat uns Paulus da eingebrockt? Ist Gott nicht der gute Gott, der unseren Fuß niemals auch nur an einen Stein stoßen lässt? Ist er nicht ein Gott, der uns wie ein gütiger Vater ohne mit der Wimper zu zucken alles verzeiht und uns anstandslos alles durchgehen lässt? Sie merken natürlich, dass ich dabei bin, eine Gotteskarikatur zu zeichnen.

Aber wie sollen wir uns denn dann die Sache denken? Vielleicht so, dass wir brav unsere Verantwortung als Väter und Mütter, als gute Nachbarn und Kollegen wahrnehmen sollen, und wenn wir es nicht ganz schaffen, dann wird Gott großzügig den Rest dazu tun? Dann wäre Gott eine Art moralischer großer Bruder, der ein bisschen nachhilft, aber nicht der allmächtige Gott, von dem unser Glaubensbekenntnis spricht. So ein Gott wäre ohne weiteres durch einen etwas besser ausgerüsteten Menschen zu ersetzen.

Wer aber ist denn Gott? Der atheistische Leserbriefschreiber, von dem ich anfangs gesprochen habe, ist mit seinem Ärger nicht allein. Er macht es sich nur bei all seiner Klugheit allzu leicht: Der christliche Gott passt nicht in mein Konzept, also ist er nicht zu gebrauchen. Aber die Probleme, die er mit Gott hat, sind nicht so einfach und auch gar nicht so modern, wie er anscheinend denkt. Schon Paulus kennt solche Fragen: "Warum beschuldigt er uns dann überhaupt? Wer kann seinem Willen widerstehen?" Aber es gibt da einen wichtigen Unterschied. Der Mensch, der bei Paulus so fragt, der ist kein Schreibtischmensch, der rein theoretisch darüber nachdenkt, ob es so etwas wie einen Gott wohl geben könnte oder eher nicht. Nein, der fühlt sich von Gott angegangen, und er begehrt gegen ihn auf, weil er sich ungerecht behandelt fühlt. Der diskutiert nicht über Gott, sondern der klagt ihn an.

Besonders tiefgründig hat Martin Luther diese Fragen durchdacht. Er geht wie Paulus von der Behauptung aus, Gott habe den Pharao verstockt, um auf diese Weise Israel zu retten. Schon das ist ja ein harter Gedanke. Aber Luther bleibt dabei nicht stehen, sondern gleitet hinüber in die erste Person: Bin am Ende auch ich selber von Gott verstockt, so dass es für mich keine Rettung mehr gibt? Wörtlich heißt es dann: "Ich selbst wurde mehr als einmal bis in die abgründigste Tiefe der Verzweiflung angefochten, so dass ich wünschte, niemals als Mensch geschaffen worden zu sein, bis ich erkannte, wie heilsam und wie nahe der Gnade jene Verzweiflung ist."

Wie das? Ich glaube, man kann es nur so verstehen. Gott hat für uns Menschen zwei Seiten. Die eine ist erschreckend. Das ist die Seite Gottes, die uns diese unglaublich harten Forderungen stellt: Liebet eure Feinde, tut wohl denen, die euch fluchen, wenn einer dich auf die linke Backe schlägt, dann halte ihm die andere auch hin. Und das alles auf der Basis eines grenzenlosen Vertrauens zu Gottes Liebe, von der wir so oft in unserem Leben nichts spüren. Es leuchtet ja ein, dass es eigentlich so sein sollte, dass auf so eine Weise eine friedliche, liebevolle Welt entstehen könnte. Deswegen ist es auch keine Frage, dass Gott es ernst meint. Aber an dieser Härte scheitern wir unweigerlich. Dann kann schon der Gedanke aufblitzen, dass Gott mich verworfen hat. Aber warum muss das so sein? Es ist ja wirklich nicht zu begreifen, warum Gott, an dessen Güte wir doch glauben, so viel Böses in der Welt geschehen lässt, und das nicht nur durch die anderen, sondern auch durch mich selbst.

Das ist die Nachtseite Gottes, die uns verschlossen bleibt. Paulus weist hier alle weiter gehenden Fragen zurück: "Wie kann denn der Ton den Töpfer fragen, warum machst du mich so und nicht ganz anders?" Das leuchtet ein, auch wenn es uns zur Verzweiflung treiben kann.

Aber unmittelbar daneben, ganz ohne Übergang, steht Gottes Lichtseite. So behauptet Luther, gerade am Abgrund der Verzweiflung sei die Gnade Gottes ganz nahe. Genauso Paulus. Gleich nach der schroffen Zurückweisung vorwitziger Fragen spricht er davon, dass Gott die Gefäße des Zorns, die Verdammten, langmütig erhält, damit an den anderen - an uns - der Reichtum seiner Barmherzigkeit deutlich werden soll. Einfacher ausgedrückt: Gott sorgt dafür, dass uns seine Güte im Herzen aufleuchtet. Ganz unvermittelt, trotz seiner Strenge! Wir bringen das logisch nicht zusammen. Trotzdem ist das eine Erfahrung, die Paulus und Luther gemacht haben, und die auch wir machen: Das Licht der Güte Gottes bricht durch seine Dunkelheit hindurch. Sie bricht durch all die Verwirrung in unserem Leben und durch all die berechtigte Angst wegen unserer Schuld hindurch und gewinnt unser Vertrauen.

Wie passiert das? Ganz einfach, indem Gott uns beruft, durch Menschen, die an ihn glauben, durch die Verkündigung der Kirche ebenso wie durch persönlichen Zuspruch. Die Nachtseite Gottes ist dadurch nicht einfach weg. Sie bleibt die dunkle Folie, vor der wir erst begreifen können, wie wenig selbstverständlich und wie großartig seine Gnade uns gegenüber wirklich ist. Wir können sie uns nicht verdienen. Gnade ist immer unverdient. Das ist mit der Vorherbestimmung zum Heil, zur Erlösung eigentlich gemeint.

Es bleibt ein Rest. Was ist mit den Menschen, die diesen Ruf nicht vernehmen? Ganz egal, ob

sie nun niemals mit dem christlichen Glauben in Berührung gekommen sind oder ob sie sich ihm bewusst verschließen. Das ist für uns keine müßige Schreibtischfrage. Wir kennen ja alle solche Menschen in unserer Nähe, vielleicht sogar in unserer eigenen Familie oder im Freundeskreis, die eher so denken wir der Schreiber des Leserbriefs, von dem ich am Anfang erzählt habe. Sollen wir denn wirklich annehmen, dass die alle von Gott verworfen sind? Das passt doch nicht zu seiner übergroßen Güte. Es passt schon gar nicht dazu, dass unter ihnen doch Menschen sind, die wir von Herzen lieben. Da müsste man doch eher annehmen, dass solches Unheil nur vorübergehend gemeint ist, und dass am Ende dann doch alle Menschen im Frieden zu Gott eingehen. Es gibt viele ernsthafte Christen, die so denken, vielleicht auch unter uns heute Morgen. Die Gründe, die sie haben, verdienen allen Respekt. Nur kann man dann nur allzu leicht zu dem Schluss kommen, dass es mit der den radikalen Forderungen, die Gott an uns stellt, letzten Endes doch nicht so weit her ist. Es wird nicht so heiß gegessen wie gekocht. Aber was wäre das für ein Gott, bei dem es am Ende nur heißt: Alles nicht so ernst gemeint. April, April?

Trotzdem gibt es einen Weg, den wir einschlagen können und auch sollen. Zuerst: Wir sollen uns auf Gottes Zusage, dass er uns trotz allem in Gnaden annehmen will, fest verlassen. Schuldbewusstsein und auch schwere Schicksale werden uns zwar immer wieder mal in Zweifel stürzen. Aber christlicher Glaube zeigt seine Stärke darin, dass er zu Gott spricht: Dennoch bleibe ich stets an dir. Und das Zweite: So wie wir Gott für uns selbst bitten: "Herr ich glaube, hilf meinem Unglauben!", so bitten wir auch für die Menschen, die mit Gott nichts anfangen können, dass er auch sie erlösen möge. Vorschriften machen können wir Gott nicht, und irgendein Recht von ihm einfordern auch nicht. Aber ihn bitten, dass er sich aller Menschen erbarmt, das dürfen wir nicht nur, sondern das gebietet uns die Liebe. Erst damit wird endgültig klar, dass Gottes Freundlichkeit uns gegenüber nicht ein Vorrecht ist, auf das wir uns etwas einbilden könnten. So allein ist auch Paulus damit fertig geworden, dass das jüdische Volk, dem er doch selbst angehörte, den Glauben an Christus ablehnte.

Amen.



Prof. Dr. Dietz Lange
Göttingen
E-Mail: dietzclange@online.de

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