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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Septuagesimae, 16.02.2014

Beschenkt aus Gnade
Predigt zu Römer 9:14-24, verfasst von Peter Schuchardt

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! Amen

Liebe Schwestern und Brüder!

Da saß er vor mir auf der Bettkante. Eine Pflegerin im Krankenhaus hatte mich angerufen. „Hier ist ein Patientin, der mit Ihnen sprechen möchte. Aber er darf nicht raus. Können sie vorbei kommen - und haben Sie ein Neues Testament für ihn?" Klar konnte ich vorbeikommen und ein Neues Testament hatte ich auch für ihn dabei, sogar mit den Psalmen. Ich schätzte ihn auf Ende 40, großgewachsen, schlank. Er sprach mit leichtem Ruhrpottakzent. „Ja, ich komme aus Wuppertal", sagte er. „Aber das ist lange her, 49 bin ich jetzt. Ich habe viel getrunken, zu viel, immer wieder. Und dann hab ich 15 Jahre lang auf der Straße gelebt, gebettelt, geschnorrt, auch geklaut. Durch ganz Deutschland bin ich gekommen. War nicht immer leicht. `n paar Mal bin ich auch erwischt worden, Diebstahl, Einbrüche, insgesamt sechs Jahre war ich im Gefängnis. Ja, is`so. Aber gläubig bin ich. Ich hatte mal einen Pfarrer, da bin ich immer wieder hingegangen, leider ist dann der Kontakt abgerissen. Und Gott hat mir geholfen, immer wieder. Einmal wär ich fast überfahren worden. Da bin ich betrunken über `ne Straße rüber, hab das Auto nicht gesehen, und nur so `n Stück ist der dann an mir vorbeigerast." Und er zeigte mir mit den Fingern den Abstand. „Nur so `n Stück. Aber da hat er mir geholfen. Der ist echt gnädig zu mir gewesen, immer wieder. Und jetzt bin ich hier. Ich will das andere auch nicht mehr. Ich hoff, ich find hier `ne Wohnung, und arbeiten will ich auch wieder." Ich bedankte mich bei ihm für seine Offenheit. Ein Mann der, viel durchgemacht hat: gelogen, betrogen, geklaut. Ein Mensch, der nun seinem Leben eine neue Richtung geben möchte. Ein Mensch, der auf Gott vertraut. Ein Mensch, der in seinem Leben Gottes Gnade erfahren hat.

Ich erzähle euch von ihm, weil es heute genau darum geht, um die Gnade Gottes. So oft reden wir ja nicht mehr von ihr. Sie ist aus unserer Sprache im Alltag verschwunden. Aber gerade dieser Mann spricht von ihr. Er hat sie erfahren. Er hat nicht mit ihr gerechnet, sie kam unerwartet und unverhofft. Kam sie auch unverdient? Ja. Denn Gnade ist in der Bibel immer der Ausdruck für die Geschenke Gottes. Und Geschenke kommen immer unverdient. Sonst wären es keine Geschenke. Sonst wären es Leistungen, auf die wir Anspruch hätten. Gnade aber ist immer unverdient. Gnade widerspricht oftmals dem, was wir vor Augen sehen. Das erlebt schon Zachäus, der von Jesus gefunden wird. Die Leute murren und meckern. „Was, bei so einem ist er eingekehrt?" Unser Herr Jesus zeigt uns immer wieder, wie sehr er gerade die sucht, die in unseren Augen nichts Gutes verdient haben. Und wir erfahren, wie sehr die dann mit Freude erfüllt sind, weil Gott ihnen gnädig ist.

Der Apostel Paulus nimmt das auf. Er schreibt einen langen Brief an die Gemeinde in Rom. Dort kennt man ihn noch nicht, und so will er sich vorstellen, will den Christen dort von dem erzählen, wie er Christus erfahren hat und was das nun für ihn bedeutet. Ein wichtiges Thema für ihn ist die Frage nach dem Volk Israel. Das hatte Gott doch erwählt, ausgewählt aus allen anderen Völkern der Erde. Und Gott erwählt, das können wir nachlesen, immer wieder Menschen für seinen Dienst. Andere erwählt er nicht. Jakob und Esau sind Brüder, aber nur Jakob wird erwählt. Gott erwählt immer aus Gnade. Unverdient, unerwartet, unverhofft. In seinem Brief erläutert Paulus seine Gedanken dazu.

14 Was sollen wir nun hierzu sagen? Ist denn Gott ungerecht? Das sei ferne! 15 Denn er spricht zu Mose: »Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.« 16 So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen. 17 Denn die Schrift sagt zum Pharao: »Eben dazu habe ich dich erweckt, damit ich an dir meine Macht erweise und damit mein Name auf der ganzen Erde verkündigt werde.« 18 So erbarmt er sich nun, wessen er will, und verstockt, wen er will. 19 Nun sagst du zu mir: Warum beschuldigt er uns dann noch? Wer kann seinem Willen widerstehen? 20 Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, dass du mit Gott rechten willst? Spricht auch ein Werk zu seinem Meister: Warum machst du mich so? 21 Hat nicht ein Töpfer Macht über den Ton, aus demselben Klumpen ein Gefäß zu ehrenvollem und ein anderes zu nicht ehrenvollem Gebrauch zu machen? 22 Da Gott seinen Zorn erzeigen und seine Macht kundtun wollte, hat er mit großer Geduld ertragen die Gefäße des Zorns, die zum Verderben bestimmt waren, 23 damit er den Reichtum seiner Herrlichkeit kundtue an den Gefäßen der Barmherzigkeit, die er zuvor bereitet hatte zur Herrlichkeit. 24 Dazu hat er uns berufen, nicht allein aus den Juden, sondern auch aus den Heiden.

Zwei Sätze sind es, liebe Schwestern und Brüder, die mich besonders ansprechen: So liegt es nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen. und Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, dass du mit Gott rechten willst? Beides sind Sätze, die unserem heutigen Lebensverständnis völlig entgegenstehen. Wir bilden uns so viel ein auf unser Wollen und Laufen, auf unsere Leistungen, auf unsere Fortschritte. Und wir möchten uns nicht Gott unterordnen, wollen lieber Partner sein, ja am liebsten möchten wir Gott sagen, wo es lang gehen soll. Und darum mag es uns schwer fallen, Paulus hier sofort zuzustimmen. Denn das sagt er uns mit seinen Gedanken: Wir können keine Ansprüche an Gott stellen, können ihn nicht zwingen: „Nun sei mir gefälligst gnädig, Gott!" Aber gerade das fällt uns schwer. Denn wir möchten doch Gott gerne beeindrucken, möchten ihn gerne beeinflussen zu unseren Gunsten mit guten Taten, mit tollen Leistungen, mit einem großen Opfer, das wir bringen. „Guck mal Gott, was ich nicht alles für dich tue." Martin Luther hat in seinem Kampf gegen den Ablasshandel genau darauf immer hingewiesen. Gottes Gnade, seine Vergebung wird dir geschenkt, und darum kannst du dir auch mit keinem Ablassbrief seine Gnade und Liebe erkaufen. Das bedeutet eben auch: Ich habe keinen Anspruch auf Gottes Gnade. Denn wenn ich Anspruch darauf hätte, wäre es ja kein Geschenk mehr, sondern eine Gegenleistung, die Gott gefälligst zu erbringen hat. Wir hören das gar nicht gerne. Denn wir wollen doch Partner Gottes sein. Ja, genau genommen möchten wir doch gern Gott sagen, was er zu tun und zu lassen hat. Wir sagen: Kümmer dich mal um den Weltfrieden, Gott - und sehen nicht, dass wir Menschen es sind, die voller Gewalt und Feindseligkeit anderen gegenüber sind. Wir stellen uns über Gott und möchten gerne Herr über ihn sein. Dabei zeigt uns die Weltgeschichte sehr eindrücklich, wohin es führt, wenn wir Menschen uns als Herren der Geschichte und der Welt aufspielen: das Gedenken an die beiden schrecklichen Weltkriege des letzten Jahrhunderts sollte uns Mahnung genug sein, es nicht wieder zu tun. Und doch spielen wir immer wieder damit, in der Gentechnik etwa und beim Ausbeuten der Naturschätze. Nein, wir sollten nicht anfangen, mit Gott zu rechten, mit ihm vor Gericht zu ziehen. Wir würden doch nur haushoch verlieren. Denn schon unser Denken: „So schlecht bin ich doch eigentlich gar nicht" zeigt doch, dass wir etwas zu verbergen haben, dass unsere guten Leistungen die anderen schlechten Seiten übertreffen sollen. Seien wir froh, dass es nicht an unserm Wollen und Laufen, nicht an unseren Leistungen und guten Taten hängt, ob Gott uns gnädig ist. Seien wir froh, dass es allein an Gottes Gnade hängt und an seiner Barmherzigkeit.

Paulus weiß, wie schnell wir Menschen nun anfangen, wieder mit dieser Gnade zu spielen. Wir möchten gerne, dass sie automatisch wirkt, und denken: Gott liebt uns doch, also muss er doch gnädig sein. Dagegen sagt Paulus: Gott muss gar nichts. Aber er hat uns doch in Christus gezeigt, dass er gnädig sein will. Er hat uns doch gezeigt und zeigt es uns immer in seinem Wort: Wenn du dich auf dich selbst verlässt, auf deine eigenen Gerechtigkeit, wie es uns der Wochenspruch sagt, dann bist du verloren. Aber wenn du allein und wirklich ganz allein auf Gottes Barmherzigkeit hoffst, dann bist du gerettet. Gott will uns doch den Reichtum seiner Herrlichkeit zeigen. Darum redet Paulus von den Gefäßen des Zorns und den Gefäßen der Barmherzigkeit, die Gott als Töpfer gemacht hat. Wenn er nur gute Gefäße gemacht hätte, wäre das Gerede von der Gnade sinnlos. Er sagt nicht, wer zu den Zornesgefäßen gehört. Das bleibt offen. Das ist auch gut so. Aber er sagt deutlich, dass seine Herrlichkeit zeigt an den vielen, die aus Juden und Heiden gerettet sind, weil sie allein auf Christus und seine Gnade vertrauen. Im Glauben an diesen Christus wird Gottes Herrlichkeit sichtbar. Denn darin wird seine Gnade sichtbar. Seine Herrlichkeit ist seine grundlose Gnade. Sie ist grundlos, weil sie nicht in uns den Grund findet, uns zu lieben. Nicht weil wir so toll sind, sind wir gerettet, sondern weil Gott uns liebt. Und Gott hat so viel Geduld mit uns. Er hat auch Geduld mit den Menschen, die sich verweigern, die nichts von ihm wissen wollen. Er hat Geduld und hofft, dass auch sie sein Wort hören und ihm folgen, so wie wir.

Wir haben uns das nicht verdient. Es liegt nicht an uns. Wir sind Beschenkte. Es ist gut daran denken, nun, wo wir uns der Passionszeit nähern. Septuagesimä heißt dieser Sonntag, noch 70 Tage bis Ostern. Da wird das Licht des Lebens hell aufleuchten in alle Todesnächte hinein. Vorher gehen wir durch die Leidenszeit, durch die Passion Christi. Und die zeigt uns nun zutiefst: Es ist allein Gottes Gnade auf, die wir vertrauen können in unserem Leben und in unserem Sterben. So gehen wir unseren Weg. Vorweisen müssen wir Gott nichts, so wie der Patient im Krankenhaus. Ist sein Leben ein kaputtes, ein verlorenes Leben? Ja, in unseren Augen und nach unseren Maßstäben vielleicht. Ein Mensch, der Gottes Gnade nicht verdient hat. Aber es ist ein Leben, in das auf Gott vertraut. Ein Leben, in dem Gott immer wieder seine Gnade gezeigt hat. „Ich bin gläubig, Herr Pfarrer", sagte er mir. Und darum kann er nun seinem Leben eine neue Richtung geben, mit Gottes Hilfe. Gott war ihm gnädig, und er hofft, er wird es weiter sein. Er darf fröhlich darauf hoffen. Und wir auch. Amen

 

 



Pastor Peter Schuchardt
25821 Bredstedt
E-Mail: pw-schuchardt@versanet.de

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