Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Septuagesimae, 16.02.2014

Hand-signiert
Predigt zu Römer 9:14-24, verfasst von Wolfgang Schillak

 

Es ist ein und dieselbe Familie, in der sie aufwachsen, 2 Brüder aus behütendem Hause, Wunschkinder, umsorgt, liebevoll - und doch entwickeln sie sich sehr unterschiedlich, innerlich wie äußerlich:
Der eine, robust und selbstbewusst, bahnt sich seinen Weg; der andere sehr empfindsam, leicht verletzbar, sucht zeitlebens von Eltern-Abbildern die ersehnte liebevolle Zuneigung.
Ist das gerecht?
Der eine sieht blendend aus, ein Charmeur, erfolgsverwöhnt; der andere mag sich auf keinem Foto, bewegt sich unsicher, ist auf gnädiges Gewähren anderer angewiesen.
Ist das gerecht?
Der eine kerngesund bis ins hohe Alter, als Raucher mit Übergewicht; der andere muss Mitte 50 in die Frührente. Ist das gerecht?
Der eine braucht lediglich ein schöpferisches Prinzip, das in allem waltet; der andere quält sich, in seinem brüchigen Leben einen barmherzigen Gott zu finden.
Ist das gerecht?

Paulus versucht eine Antwort:

„Was sollen wir dazu sagen? Etwa: ‚Ist Gott nicht ungerecht!‘? Auf keinen Fall!
Er sagt ja zu Mose: ‚Ich werde dem mein Erbarmen schenken, mit dem ich Erbarmen habe. Und ich werde dem mein Mitleid zeigen, mit dem ich Mitleid habe.‘
Es kommt also nicht darauf an, ob der Mensch etwas will oder ober sich abmüht. Sondern es kommt allein auf Gottes Erbarmen an.
Entsprechend steht über den Pharao in der Heiligen Schrift: ‚Ich habe Dich nur deshalb zum Herrscher gemacht, um an dir meine Macht zu zeigen. Dadurch soll mein Name auf der ganzen Erde bekannt werden.‘
Gott entscheidet also frei, wem er sein Erbarmen schenkt. Und ebenso, bei wem er dafür sorgt, dass er sich ihm gegenüber verschließt.
Du könntest jetzt einwenden: ‚Wieso zieht Gott uns dann überhaupt zur Rechenschaft? Seinem Willen kann sich doch niemand widersetzen!‘
Du Mensch, wer bist du eigentlich, dass du dir anmaßt, mit Gott zu streiten! ‚Sagt etwa ein Gefäß zu dem, der es geformt hat: ‚Warum hast du mich so gemacht?‘‘
Hat nicht der Töpfer alle Macht über den Ton? Er kann doch aus ein und demselben Tonklumpen verschiedene Gefäße herstellen: eine Schale für die Festtafel genauso wie einen Nachttopf.
Jetzt stellt euch einmal vor: Gott will zwar seinen Zorn zeigen und seine Macht offenbaren. Aber dennoch hat er die Gefäße, die seinen Zorn erregen, mit großer Geduld ertragen - also Gefäße, die eigentlich zum Zerschlagen erschaffen wurden.
Und gleichzeitig will er seine ganze Herrlichkeit an den Gefäßen offenbaren, denen sein Erbarmen gilt. Denn die hat er zuvor für die Herrlichkeit bestimmt. Solche ‚Gefäße‘ sind wir. Uns hat Gott berufen". (Rm.9,14-24; Basis-Bibel, Stuttgart 2012)

Nein, das geht zu weit. Da hat sich Paulus vergaloppiert, ins Abseits argumentiert
Nein, ich will keinen Basta-Schnauze-Gott! Keinen Despoten, der die Grenzen zumacht gegenüber dem Anderssein. Keinen Verstocker, dessen Gnade als Akt der Willkür daherkommt!

Aber: Worauf will Paulus eigentlich hinaus?

Ich meine, er will zuerst Unterschiedenes auf Gemeinsames zurückführen: plurale Deutungen eines Erlebens als rein menschliche bis hin zu einer religiösen Erfahrung haben dieselbe Ausgangsbasis: den barmherzigen Schöpfer-Gott.

Noch einmal die 2 Brüder: Sie werden Augenzeugen eines Vorfalls, bei dem jemand gerade noch mal mit dem Leben davonkommt. ‚Schwein gehabt‘, sagt der eine. ‚Nein, Schutzengel!‘ erwidert der andere. Den Schwein-Bruder allerdings dann als vom zornigen Gott verstockt darzustellen, nur weil er Gott nicht einbezieht in seine Erlebnis-Deutung, ist das Ende des Dialogs, negiert den lebenszyklischen Wechsel von gefühlter oder ersehnter Nähe und gesuchter oder erlittener Distanz und ist nach meiner Glaubensauffassung der Beziehung zum barmherzigen Gott ganz und gar unangemessen.

Ich halte die Rede vom zornigen Gott innerhalb einer seelsorgerlichen Vier-Augen-Situation für eine mögliche - subjektive! - Deutungs-Kategorie auf der Suche nach Sinn im Vergangenen und der Bedeutung der eigenen Person darin; aber als kollektive dogmatische Aussage über Gottes Handeln als Ursprung für menschliches Unrecht und eintretende Katastrophen halte ich die Metapher vom Zorn Gottes für - zumindest christologisch - unhaltbar.

Ich vermag ihr allerdings viel abzugewinnen als Indikator für den Glaubensverlust, für schwindendes Gefühl der Nähe Gottes, als Hinweis auf die Freiheit des Menschen, sich von Gott abwenden zu wollen oder aber gerade hin zu wenden und aufnehmen zu wollen - wie ein Gefäß!

Verwerfungen der Gottesbeziehung im Verlaufe des Lebensweges lassen sein Herunter-Beugen zuweilen auch als Zorn erfahren. Da brauche ich nicht erst die 2 Brüder aus derselben Familie zu bemühen: Da werde ich mir selbst ein Fremder, ein Ent-Fremdeter, verstehe mich selbst als ehemals Gott nahe Spürenden nicht mehr - nach allem, was war...
Die Aufteilung also in hier Glaubende, da Entfernte, ‚Verstockte‘ ist simplifizierend. Innerhalb des Phasenverlaufes einer einzigen Biographie bereits muss gelten: mal glaubend, mal entfremdet. Und zu allermeist lebt wohl beides gleichzeitig in mir - in wechselnden Stärken.

Ja. Wir sind Gefäße - zum Aufnehmen geschaffen; ob wir aber gefüllt werden, liegt nicht an unserem Wollen und Laufen, sondern an Gottes liebevollem Herunterbeugen, Zu-Neigen, Er-Barmen. Und das dies jedem, jeder gilt, ob überzeugt oder zweifelnd, unterschiedslos, ob auf der Höhe des Erfolgs oder tief verstrickt in ausweglose Lage - das ist gerecht!
Das führt alles intellektuell-rechtfertigende Argumentieren ad absurdum. Gott allein rechtfertigt. Das ist nicht Willkür. Aus Gnade tut er das. Christus eröffnet uns das. Erst Kreuz, dann Auferweckung!
So werden wir ‚zu Gefäßen der Barmherzigkeit berufen‘.

Ein wunderschönes Bild: Dein Schöpfer formt Dich aus Ton. Du bist Handarbeit. Ein Unikat. Entstanden aus einer ganz zärtlichen, behutsam formenden Berührung. Die prägt Dich jetzt und für später. Dich und Deinen Wert.

Jeder Künstler signiert sein Werk: Du gehörst zu meinem Schaffen, zu mir. Mit Dir drücke ich aus, was mich erfüllt, was ich sagen, weitergeben will.

Auch Dein Schöpfer gibt Dir eine Signatur. Bei der Taufe. ‚Nimm hin das Zeichen des Kreuzes..‘ Damit bekennen wir uns zur Liebe Gottes und beziehen sie auf uns. Damit bekennen wir uns zur Barmherzigkeit Gottes und lassen sie für uns gelten. Damit bekennen wir uns zur Gnade Gottes und vertrauen uns ihr an. (vgl. Rm.8,38f)

Dies Kreuz ist die Signatur des Christseins, Deines Lebens als Christenmensch.
Diese Signatur deckt sich nicht mit der Welt, wie sie ist, mit allem Unrecht, aller Gewalt, allen Widersprüchlichkeiten. Aus diesem Dissens entsteht ja gerade Entfremdung, Abkehr und der Widerspruch gegen Gott als barmherzigen Schöpfer.
Die Signatur Deines Lebens, das Kreuz Christi, beschreibt vielmehr den Himmel, wie er sich in das Chaos auf Erden hinein spiegelt; wie er sich im Lebensweg eines Menschen oder zweier gemeinsam auffinden lässt - als von sozialen Ungereimtheiten und seelischem Wirrwarr erschütterten Gefäßen, aus denen die Liebe Gottes gebrochen nur erkennbar wird.           (vgl.  2. Kor.4,6f)
Die Signatur Kreuz ist Zeichen der Widersprüchlichkeiten Deiner Lebenshaltung. Zugleich ist es Auftaktsymbol der Auferstehung hier und jetzt. So war es bei Jesus Christus. So steht es uns graviert auf Stirn und Brust.

Dein Schöpfer formt Dich zu einem Gefäß. Du hast eine Bestimmung. Beauftragt, seine Barmherzigkeit aufzunehmen, weiterzugeben, anderen anzubieten zum ‚Erquicken‘ (vgl. Mt.11,28).
Trotz allem. Dennoch.

Selbst wenn Du Dir zerbrichst: Du bleibst ein Gefäß dieser Barmherzigkeit, die durch Unauflösbares hindurch führt in neue Schöpfung, erneuertes Leben hinein - Dich selbst zuerst und durch Dich andere.

Noch einmal die 2 Brüder:
Der eine hält die Tonschale, die er selbst ist, fest mit den zupackenden Händen umschlossen - wie ein Werkzeug, das er jetzt mit Schwung und Kraft einsetzen muss. Er merkt dabei nicht, dass er mit breitgedrückten Fingern die Signatur, das Kreuz, ganz verdeckt...
Der andere empfängt die Tonschale, die er selbst ist, zärtlich wie ein kostbares Geschenk, hält sie behutsam in den offenen Händen, den Blick gerichtet auf die Signatur, das Kreuz, und zugleich auf den anderen neben ihm...

Für beide gilt:
Du lebst - berufen zum Widerspruch gegen alles Widersprüchliche. Zum Aufbruch für alles Kraftlos-Steckengebliebene. Zum Erbarmen gegenüber allem Heillos-Zerbrochenen.
In Christi Namen.
Du bist Hand-signiert.

Amen



Pastor Dr. Wolfgang Schillak
37176 Nören-Hardenberg
E-Mail: schillak@gmx.net

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