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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

16. Sonntag nach Trinitatis, 23.09.2007

Predigt zu Lukas 7:11-17, verfasst von Ulla Morre Bidstrup

In ihrem feinen Erinnerungsbuch "Ein Leben - vieler Leben" schreibt Hanne Reintoft u.a. über ihre Zeit als leitende Sozialarbeiterin am Krankenhaus in Glostrup (Kopenhagen): Trotz allen neuen Denkens war die Arbeit im Krankenhaus dennoch von einer Geschichte geprägt, die vermutlich für immer zu den Menschen gehört. Es ist "die Geschichte von einer Mutter" von Hans Christian Andersen. Man kann sie im Zusammenhang mit Krankheit und Tod immer wieder erleben. Jedesmal ist sie gleich schön und gleich tragisch.... Später in meinem Leben habe ich draußen in den Armutsquartieren der großen Welt die Geschichte von einer Mutter immer wieder erlebt. Und ich weiß, ungeachtet des Ausmaßes der Armut und der Größe der Kinderzahl, ungeachtet des Zeitalters, der Lebensumstände und Religiosität ist es das Traurigste im Leben, wenn man sein Kind verliert.

             Einmal saß eine sehr alte Frau im Garten des Krankenhauses und weinte herzzerreißend. Gewohnheitsmäßig sprach ich sie an und bot ihr meinen Trost an. "Mein kleiner Junge ist tot," sagte sie nur ununterbrochen. Der Sohn war 72 Jahre alt!"

             Auch im Jüngling zu Nain begegnen wir der Geschichte von einer Mutter und damit der größten Trauer im Leben. Und die gewöhnlichen zeitgeschichtlichen Tatsachenkommentare, dass sie als Witwe unverorgt war und es jetzt - kinderlos - auch weiterhin sein würde, sind im Grunde gleichgültig. Denn die größte Trauer des Lebens kann ja nicht noch größer werden.

             Es ist ihre Trauer, die Jesus sieht, als die beiden Gruppen - die jubelnde Schar um ihn und die trauernde Schar um sie - einander außerhalb des Stadttores begegnen. Und sie jammerte ihn, steht da. Er handelt aus Mitgefühl. Nicht weil es so geplant gewesen wäre oder weil hinreichend Publikum zur Stelle war, jetzt wo die beiden großen Gruppen zu einer Schar verschmelzen - und wohl kaum, weil es überhaupt Gottes Wille wäre, dass Menschen, die gestorben sind, wieder lebendig würden und das Menschenleben dort fortsetzen sollten, wo sie es verlassen haben. Nur so ab und zu. Denn wenn das der Sinn wäre, müsste man sich unweigerlich selbst fragen, warum es nicht etwas öfter geschähe?...

             Ich kann jedenfalls ohne weiteres ein paar Todesfälle oder zehn Todesfälle nennen, die die größte Trauer im Leben auslösten und in jeder Hinsicht danach verlangten, annulliert und ausgesetzt zu werden. Aber nein, der Tod ist gekommen, um zu bleiben! Und stell dir nur vor, wenn es nicht so wäre. Stell dir vor, wenn der Tod nicht als eine definitive Grenze in unserem gemeinsamen Leben exisitierte. Stell dir vor, wenn wir nicht darüber nachzudenken brauchten, womit wir eigentlich unsere Zeit verbringen, weil sie sowieso endlos wäre. Stell dir vor, wenn wir ununterbrochen in unserem Sessel hängen bleiben könnten mit einem ewigen "mañana" auf den Lippen. Stell dir vor, wenn wir uns nie darum kümmern müssten, das Leben anderer Menschen zu wahren, zu beschützen und zu fördern, weil es ihnen ja wohl bloß ein andermal oder beim nächsten Mal heiterer zu Mute sein könnte. Nein der Tod als die endgültige Grenze wirkt selbstverständlich daran mit, jeden einzelnen Tag im Leben eines Menschen so wertvoll zu machen, wie er es ist. Deshalb kann es nicht sinnvoll sein, dass der Tod sich wiederholen können sollte.

             In der "Afrikanischen Farm", im Kapitel "Gäste auf der Farm", erzählt Karen Blixen, wie ihr afrikanischer Diener aufgeregt zu ihr kam und ihr von zwei Löwen erzählte, die die Umzäunung der Farm durchbrochen und zwei Rinder mit sich in die Kaffeplantage geschleppt hätten. Das eine Rind hätten sie halb aufgezehrt liegen gelassen. Der Diener wollte jetzt Gift kaufen und in den Kadaver legen in der Überzeugung, die Löwen würden in der kommenden Nacht zurückkehren und die Reste fressen. Aber "Msabu Blixen" antwortete natürlich, dass Löwen es verdienten, dass man ihnen offen entgegentrete (und sie erschieße) und sie nicht auf hinterhältige Art und Weise vergifte. Als dann der Diener sich weigerte, sein Leben für dieses Vorhaben aufs Spiel zu setzen, holte Karen Blixen selbst ihr Gewehr und ihren Denys mit den Worten Frei lebt, wer sterben kann (wohl aus einem alten schweizerischen Nationallied) und begab sich hinaus in die dunkle afrikanische Nacht!

             Das kann man natürlich auch etwas weniger pathetisch machen. Aber man muss es tun. Das Leben verdient gelebt und gewagt zu werden in der Erkenntnis, dass das Risiko und der Tod existieren und für immer gekommen sind.

             Und das bezweifelt denn auch niemand in der großen Schar, obgleich sie jetzt Jesus sagen hören: "Steh auf!", und sehen, wie der junge Mann es tut. Sie laufen nicht verwirrt in alle Richtungen, um ihre ganz oder halb toten Freunde und Verwandten zu holen, damit Jesus sie auferwecken oder von ihren Leiden heilen kann. Vielmehr bleiben sie eng beieinander stehen - die Jubelnden und die Trauernden - und bringen zum Ausdruck, dass sie auf Grund dieses Geschehens verstanden haben, wen sie vor sich haben: Gott selbst: "Ein großer Prophet ist unter uns aufgestanden, und Gott hat sein Volk besucht."

             In diesem Bekenntnis sind die Trauer und der Jubel vereint. Die Totenauferweckung des Witwensohnes von Nain zeigt der Schar, dass Jesus Gottes Sohn ist. Sie zeigt ihnen nicht, was er kann, sondern wer er ist! Und diese Kunde von ihm erscholl in der ganzen Welt. Ganz bis zu uns, denen die Totenauferweckung dasselbe zeigt. Dass der junge Mann und seine Mutter das Glück hatten, dass er wieder lebendig wurde und damit Aufschub erhielt, ist in diesem Zusammenhang Nebensache. Er starb also wieder - wenige oder viele Jahre danach - wer weiß?

             Nein, im Verhältnis zum Tod hatte es weitaus größere Folgen, dass Jesus Gottes Sohn war. Denn als das Grab am Ostermorgen leer war, erfuhren wir, dass Gott seinen Sohn nicht geschickt hatte, um den einzelnen, konkreten Tod zu überwinden, sondern den Tod in alle Ewigkeit. Die Begegnung mit dem Sohn Gottes ist kein Glücksfall. Sie ist eine Hoffnung! Es macht daher keinen Sinn, Gott darum zu bitten, dass er unsere Toten hier wieder lebendig macht, sondern dass er bei ihnen ist im ewigen Leben. Das Grab ist unumgänglich, aber es ist nicht unser bleibender Ort. (Bei einem Erntedankgottesdienst liegt es nahe, Jesus und unsere Geschichte mit Hilfe der Geschichte des Korns zu veranschaulichen, in der das Korn stirbt und in die Erde gelegt wird, dann aber das Wunder geschieht: das Korn findet wieder hinauf zum Licht.)

             Die Auferweckung des Sohnes der Witwe von Nain verweist nämlich auf die endliche Auferstehung und den ewigen Sieg über den Tod am Ostermorgen. Der 16. Sonntag nach Trinitatis ist auf diese Weise eine Art "Halbzeit-Ostern". Mitten zwischen den Osterfestlichkeiten zweier Kirchenjahre.

             Das wird uns Kraft geben, hinauszugehen und den Löwen unseres Lebens zu begegnen, die vielleicht darin bestehen, dass wir uns so sehr dem Leben und anderen Menschen hingeben, dass wir schmerzhaftes Versagen, Verlust und Tod riskieren. Ja, vielleicht sogar die größte Trauer im Leben. Und in unserer Anrufung an ihn bekennen wir zugleich, wer er ist und was am Ostermorgen mit ihm geschah. Obwohl wir also unter alles verzehrendem Schmerz leiden, von dem Toten getrennt zu sein, so ist der Tote dennoch nicht von Gott getrennt.Das ist ein Trost und eine Hoffnung. Für eine jede Mutter in der ewigen Geschichte und für alle anden.

Amen



Lektor Ulla Morre Bidstrup
Rønde, Dänemark
E-Mail: umb@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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