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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

16. Sonntag nach Trinitatis, 23.09.2007

Predigt zu Lukas 7:11-16, verfasst von Christoph Dinkel

Predigttext ist die Erzählung von der Auferweckung des Jünglings zu Nain. Er steht in Lukas 7 die Verse 11-16.

Und es begab sich danach, dass er in eine Stadt mit Namen Nain ging; und seine Jünger gingen mit ihm und eine große Menge. Als er aber nahe an das Stadttor kam, siehe, da trug man einen Toten heraus, der der einzige Sohn seiner Mutter war, und sie war eine Witwe; und eine große Menge aus der Stadt ging mit ihr.
Und als sie der Herr sah, jammerte sie ihn und er sprach zu ihr: Weine nicht! Und trat hinzu und berührte den Sarg, und die Träger blieben stehen. Und er sprach: Jüngling, ich sage dir, steh auf! Und der Tote richtete sich auf und fing an zu reden, und Jesus gab ihn seiner Mutter. Und Furcht ergriff sie alle, und sie priesen Gott und sprachen: Es ist ein großer Prophet unter uns aufgestanden, und: Gott hat sein Volk besucht. Und diese Kunde von ihm erscholl in ganz Judäa und im ganzen umliegenden Land.

Liebe Gemeinde!
„Gott hat sein Volk besucht!", so staunen die Zeugen der Auferweckung des jungen Mannes. Einer Mutter wird ihr totgeglaubter Sohn zurückgegeben - das ist für alle, die es erleben, eine Tat Gottes. Der Gott des Lebens erweist sich als stärker als der Tod. Der Tod wird bezwungen, wenigstens dieses eine Mal in diesem besonderen Fall, dass einer Frau, die ihren Mann verloren hat, nun auch noch der Sohn durch den Tod genommen werden soll. Jesus weckt nicht jeden Toten auf, aber das Schicksal dieser Frau hat Jesus berührt. „Sie jammerte ihn", heißt es in der Erzählung. Und deshalb ruft Jesus den jungen Mann ins Leben zurück und gibt ihn seiner Mutter wieder. Mitten im ärgsten Schmerz setzt Jesus ein Zeichen des Lebens. Gott besucht sein Volk.

Die Angst um das Leben eines Kindes ist eine der schlimmsten Ängste, die Menschen erleben können. Nichts ist bedrohlicher, nichts ist entsetzlicher als die Vorstellung, dem eigenen Kind könnte etwas zustoßen. Und immer wieder lesen oder hören wir davon, dass ein Kind tatsächlich zu Tode kommt. Am 21. August wurde N.N., ein Schüler des N.N.-Gymnasiums, erschlagen. Vor zwei Wochen fand die Beisetzung statt. Die Eltern, die Geschwister des Ermordeten mussten durch die Hölle gehen. Wie sehr würden wir uns hier Jesus zur Stelle wünschen, der den gemarterten Jungen wieder ins Leben zurückruft. Andere Eltern haben ihr Kind durch einen Unfall oder eine Krankheit verloren. Manchmal setzen junge Menschen ihrem Leben auch selbst ein Ende. Auch das ist kaum auszuhalten für jene, die zurückbleiben. Auch hier würde man sich Jesus herbeiwünschen, der den Eltern das Kind, den Geschwistern die Schwester oder den Bruder zurückgibt. Aber der Besuch Gottes bleibt aus. Es kommt kein Retter. Die volle Wucht des Schmerzes muss ausgehalten werden.

Unsere Geschichte von der Auferweckung des Jünglings zu Nain erzählt eine Ausnahme. Sie erzählt einen Fall, in dem es noch einmal gut ging, obwohl wirklich nichts danach aussah. Diese Ausnahme ändert nichts daran, dass die Menschen sterblich sind. Auch der auferweckte junge Mann ist irgendwann einmal gestorben. Aber eben nicht jetzt. Unsere Erzählung stellt das Todesschicksal des Menschen nicht in Frage. Aber unsere Erzählung markiert einen deutlichen Protest gegen den zu frühen Tod, gegen den Tod der Kinder und der jungen Leute. Dieser Tod soll nach Gottes Willen nicht sein. Gegen diesen zu frühen Tod gilt es anzukämpfen mit allen Mitteln, die zur Verfügung stehen. Christoph Blumhardt hat diesen Kampf auf eine Formel gebracht, die mache von Ihnen kennen. Christen, so sagt Blumhardt, Christen sind Protestleute gegen den Tod. Christen finden sich nicht damit ab, dass Menschen einen vermeidbaren Tod sterben. Christen setzen ihre Phantasie und ihre Begabung dafür ein, dass möglichst viele Menschen gesund leben können.

Vor einer Woche hat Unicef, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, veröffentlicht, dass im Jahr 2006 weltweit 9,7 Millionen Kinder im Alter von unter fünf Jahren an behandelbaren und vermeidbaren Krankheiten gestorben sind. Die Zahl ist schockierend und markiert dennoch einen großen Erfolg. Im Jahr 1990 lag die Zahl noch bei fast 13 Millionen. Heute überleben mehr Kinder als jemals zuvor. Das ist sehr gut. Aber die Zahl von 9,7 Millionen vermeidbarer Todesfälle bei Kindern bleibt ein Skandal erster Ordnung. Schon einfache Hygienemaßnahmen, die Schulung der Mütter, Impfungen oder der Einsatz von Moskitonetzen können die Kindersterblichkeit ganz dramatisch senken. Christen sind Protestleute gegen den Tod. Dieser Protest kann sehr konkrete Formen annehmen, zum Beispiel indem man jene unterstützt, die in Afrika oder Asien den Kampf gegen die hohe Kindersterblichkeit führen. Brot für die Welt und andere Hilfsorganisationen warten auf unsere Spende.

Auch dort, wo wirksam gegen den zu frühen Tod gekämpft wird, besucht Gott sein Volk. Es ist ja nicht so, dass Gott nur zurzeit Jesu zu den Menschen kam. Die Geschichte der Gottesbesuche bei den Menschen ist sehr viel umfangreicher und länger. Vielleicht haben Sie selbst schon so einen Besuch Gottes erlebt. Wir trauen uns ja kaum, solch vollmundige Worte zu verwenden, aber so mancher von uns wird erlebt haben, wie ein Kind, ein Ehepartner, ein lieber Mensch oder er selbst aus Todesgefahr gerettet wurde. Und was tun wir dann für gewöhnlich? - Wir sind kurz erleichtert und gehen dann zur Tagesordnung über. Unser Gedächtnis für Rettungserfahrungen ist kurz. Wir haben keine Sprache, keine Form, um sie präsent zu halten. Wir wollen uns durch die Erinnerung an eine frühere Rettung auch nicht dauernd an die Gefährdung unseres Lebens oder des Lebens lieber Menschen erinnern lassen. Man ist froh, dass es nochmals gut gegangen ist, aber weiter wird kein Aufhebens davon gemacht. Dank guter medizinischer Versorgung, ist für die meisten von uns das Überleben und die Rettung der Normalfall. Der Vergleich mit vergangenen Zeiten, der Vergleich mit anderen Ländern der Erde lehrt uns jedoch, dass ein Leben in Gesundheit für so viele etwas ganz und gar Unwahrscheinliches ist.

Die Menschen in unserer Erzählung preisen Gott für das Wunder der Auferweckung des jungen Mannes. Sie feiern dieses Glück. Sie feiern ganz spontan und finden auch Worte, dieses Glück zu beschreiben: Gott hat sein Volk besucht. In Deutschland hingegen muss das Glücklichsein inzwischen in der Schule gelehrt werden. In Heidelberg wird - Sie haben es vielleicht gelesen - das Fach „Glück" als Unterrichtsfach an der Oberstufe eingeführt. So schwer fällt uns das Glücklich- und Zufriedensein, dass man dazu eine Schulung ansetzen muss, bei der es am Ende Noten gibt. Abitursfähig ist das Fach „Glück" auch. Man fragt sich: Ist dann die Schülerin mit 15 Punkten im Fach Glück auch wirklich besonders glücklich. Und was macht der Schüler, der in „Glück" gerade noch zwei Punkte bekommt?

Gott hat sein Volk besucht - so einfach können die Menschen in unserer Erzählung vom großen Glück erzählen, das der Mutter widerfahren ist, die ihren Sohn lebend zurückbekam. Die Sprache des Glaubens ist voll von Worten und Bildern für das Glück im Leben. Ihr Konfirmandinnen und Konfirmanden lernt sie im Unterricht: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln" ist eines diese Glücksworte. Ein anderes haben wir vor der Predigt gesungen: „Von guten Mächten wunderbar geborgen". Ein drittes ist das Psalmwort, das N.N.s Eltern für ihn als Taufspruch gewählt haben: „Du stellst meine Füße auf weiten Raum."

Lernen wir von unserem Glück zu erzählen, davon dass wir leben, dass uns Kinder geschenkt sind und Freunde, davon, dass wir von einer schweren Krankheit genesen sind, dass wir gesund aufstehen konnten, dass wir nicht allein sind. Lernen wir davon zu erzählen, dass wir zu essen und zu trinken haben, dass wir feiern und uns am Leben freuen können. Erzählen wir davon, wie Gott uns besucht. - Amen.



Prof. Dr. Christoph Dinkel
Stuttgart
E-Mail: dinkel@email.uni-kiel.de

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