Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Judika, 06.04.2014

Predigt zu Lukas 1:46-55 (dän. Perikopenreihe), verfasst von Anne-Marie Nybo Mehlsen

 

Es beginnt und endet mit Furcht, Gefahr und Wehen: Geburt und Tod bringen große Veränderung, große Verwandlung, und Geburt und Tod erfüllen uns mit Schmerz und Furcht, weil nicht sicher ist und schon gegeben. In der Verwandlung ist Schmerz. Furcht verbindet sich mit der Hoffnung auf das Neue. Die Geburtsstation ist voll von Schreien des Schmerzes, Tränen und Siegesgesängen, oder zumindest Jubelrufen, wenn neues Leben zur Welt kommt.

Geburt und Tod sind so enge Nachbarn, dass sie fast verschmelzen. Am einen Ende der Geburtsstation erleidet eine Frau eine Fehlgeburt, und sie und das Personal erleben vielleicht, dass ein Embryo, eigentlich eine Fehlgeburt ohne Leben, trotz allem eine Zeit lang lebt, obwohl man es nicht als eine Geburt bezeichnet.

Nur wenig entfernt kommt ein totgeborenes Kind zur Welt - bekommt einen Namen, wird gesegnet und beerdigt, während die untröstlichen Eltern von all dem erzählen, was in diesem Barn lag - und nicht realisiert wurde.

An einer dritten Stelle in derselben Station kommt ein Kind viel zu früh zur Welt, und man setzt alles daran, das Kind zu retten und lebenstüchtig zu machen. Fehlgeburt, Totgeburt, Frühgeburt - so große und entscheidende Unterschiede, obwohl sie vielleicht zeitlich, altermäßig eng beieinander liegen. Es ist schwer, Mensch zu sein mitten in einem Grenzland, schwer, Stellevertreter zu sein für Engel, die ein Menschenkind entweder zum Leben oder zum Tod tragen sollen. Die die Mütter können gleich untröstlich sein, gleich tief unglückloch und schockiert, und niemand kann ernsthaft eine Antwort geben auf die drängende Frage nach dem Warum, dem Wann und dem Wie. Geburt und Tod liegen allzu eng beieinander, manchmal nur einen Atemzug voneinander, und die unendlich kleinen Hand- und Fußabdrücke schweißen sich ein in die Netzhaut eines jeden, der sie sieht. Weinen, Trauer, Furcht und Jubel vermischen sich in einem untrennbaren und undurchsichtigen Muster - und wie bewahrt ein Mensch seinen Glauben an dieser Stelle, mitten in diesem Grenzland?

Das Grenzland findet sich später wieder - ein Mensch nimmt sich sein Leben, wählt den Tod. Gleich daneben kämpfen alle guten Kräfte, um ein Menschenleben zu retten trotz allen Widrigkeiten, und an einer dritten Stelle macht ein lebenssatter und müder gealterter Mensch seinen letzten Atemzug in tiefem Frieden und tiefer Erlösung. Auch hier kann es für Menschen schwierig sein zu unterscheiden - wann man kämpfen muss und wann man loslassen muss.

Denkt Gott an seine Barmherzigkeit? Ist es sicher, dass die Liebe Bestand hat? Und wie sieht es aus mit der Liebe dort im Grenzland des Lebens?

Nun dämmert es uns vielleicht, warum das zarte junge Mädchen mit dem reinen Herzen ein so militaristisches Kampflied singt von der Veränderung aller Dinge, wenn Gott alles umkehrt, und alle menschlichen Maßstäbe infrage stellt. Die Mächtigen werden vom Thron gerissen, die Sinne und Herzen der Hochmütigen werden vernichtet und Reiche mit leeren Händen fortgeschickt. Paulus singt dasselbe Lied weiter mit dem Lied von der Torheit und Schwachheit, die erwählt wird und erhöht wird, während Weisheit und Stärke zuschanden werden. Und das, was nichts ist, wird erwählt, während das, was in den Augen der Welt etwas bedeutet, zum reinen Nichts wird.

Das ist ein Kampflied mitten im Grenzland des Lebens, auf dem Schlachtfeld zwischen Leben und Tod. Zugleich eine Feststellung dessen, was geschieht.. Und auch eine trotzige Auseinandersetzung mit der Macht des Todes, ein Bestehen darauf, dass Gott auf der Seite des Lebens steht und allen Bedingungen zum Trotz das Leben erretten will, auch wo es unmöglich ist.

Alles, mit dem wir Menschen angeblich wissen und beherrschen, verblasst und wird zu nichts, wenn der Tod nach einem greift, den wir lieben. Ansehen, Reichtum, Erfolg und alles andere, nach dem wir streben, verliert völlig seine Bedeutung. Was nützt es, mit einem Lottoschein mit großem Gewinn zu sitzen, wenn der, mit dem man alles zusammen tun sollte, im Sterben liegt, und das Geld keinen Unterschied macht?

In den Grenzbereichen des Lebens werden wir demütig im Herzen, und unsere Gebete werden immer kürzer, aber dafür leidenschaftlicher in ihrer Hingabe an die Macht Gottes. Je mehr unmöglich, desto mehr trotzig und innerlich beten wir; aber auch desto mehr davon erfüllt, dass die Liebe bestimmen muss, und zuweilen bedeutet das Verzicht, Loslassen.

Der Tod ist der Mächtige, Leiden der Starke, und das Kampflied ist ein Ruf an Gott, seine Liebe und Barmherzigkeit geltend zu machen. Deshalb ist der Jubel, wenn Gott eingreift, auch unwiderstehlich wie ein Schmelzwasser im Frühjahr.

Der Lobgesang der Maria ist ein menschliches Kampflied und ein Jubel mitten im Grenzland, wo nichts sicher ist. Ein Gesang von unten zum Höchsten, wie die „Himmelsleiter" der Lärche klingt. Oder wie der Schrei des Kiebitz auf dem Felde: Das Leben!

Das ist ein Lied von der Veränderung und Umkehr aller Dinge, ein Lied von neuen Status aller Dinge, ein Lied vom Sehen dessen, was Gott sieht.

Es gibt eine Unmenge von Marienbildern und Marienstatuen, aber, soweit ich weiß, keines, das sie in ekstatischem Jubel darstellt. Da ist Maria als die schöne, milde Frau, Maria als die Mutter mit dem Kind auf dem Arm, Maria als die zerbrochene mit ihrem erwachsenen toten Sohn: Stabat Mater. Die Gefühle, die in den Bildern enthalten sind, sind ein Strom von gewaltigen, unbezwingbaren Lebenskräften. Liebe, Hingabe, Mitgefühl, Mutterglück, Trauer sind nicht kleine bescheidene Gefühle. Dennoch wird Maria in der Kunst meist so beherrscht, fast kühl dargestellt.

Die Pointe all dieser kühlen Beherrschung in den künstlerischen Darstellungen Marias könnte sein, dass nicht Maria selbst im Mittelpunkt steht. Da ist eine bewusste Bescheidenheit im Ausdruck, eine Demut, die davon handelt, zu Seite zu treten, eine Durchsichtigkeit, die an Unsichtbarkeit grenzt - im guten Sinne. Die echte Demut ist schön und stark - und sie ist selten.

Sie erfahren wir und sie eignen wir uns an in den Grenzgebieten, dort, wo nichts sicher ist und wo wir uns mehr und mehr Gott anvertrauen müssen. Wir werden kleiner und kleiner, die Liebe wird immer größer und stärker beim jedem Schritt in diesem Land. Alles verkehrt sich, und wir sehen ein, was wirklich wertvoll ist und unverlierbar.

Maria sieht in ihrem Lied, dass die ganze Welt, die Geschichte und alle Zeit vorher, jetzt und später sich ändert auf Grund dessen, was Gott tut. Maria ist eins mit ihrer Hingabe, sie ist in der Freude vollkommen eins mit ihrem Gottesverhältnis - daher die Leidenschaft, die Flutwelle. Das ist nicht nur Maria allein vorbehalten - die Freude, der Jubel, die Freude sind auch unsere, wenn wir sehen, wie Maria sieht.

Das Frühjahr kann uns das lehren. Eine Hecke springt aus in ungeduldigem hellgrün. Die Lärchen und Kiebitze hört man an stillen Tagen, das Licht erhält den warmen goldenen Ton - und selbst an den kühlen, eisigen grauen Tagen im März ist nicht mehr wie vorher. Frühjahr und Sommer stürmen voran und entfalten sich, unwiderstehlich und unaufhaltsam wie das Wasser des Bergbaches, das schwillt und zum Meer eilt. Das kann uns nur mit Dankbarkeit erfüllen für die Möglichkeiten, die auf einmal neu vor uns liegen. So ganz anders als wir uns das vorgestellt hatten, und ohne dass wir uns irgendwie sicher sein könnten. Aber es macht nichts, dass wir nichts wissen, denn ganz gleich, was kommt, so sind wir voller Hoffnung. Wir erwarten das Gute, das Beste von allen unbekannten Möglichkeiten.

In der Hoffnung werden wir Menschen, menschliche Diener und Dienerinnen des Lebens, der Liebe. Wir werden demütig und klein in der schönen, echten und starken Weise, die uns Kräfte des ungeahnten verleiht. Wir weinen und lachen gleichzeitig, und das Herz kann in uns zerspringen, während wir darüber lachen, dass die Liebe so stark sein kann n, dass der Tod keine Macht über sie hat.

Maria singt davon, Gott in allen Dingen zu sehen. Diese Welt, diesen Alltag als gottbegnadet, von Gott berührt. Nicht nur geschaffen, sondern noch immer erhalten und geliebt, teilhaftig bei dem Gott, der nahe ist. So nah, dass er verwundbar ist, sich rühren lässt und weinen kann mit uns und über uns in Schwachheit, in Verzicht, in Hingabe, in Liebe.

Es geht uns langsam auf, wie verwundbar wir sind, ausgeliefert. Wenn wir nicht am Leben gehalten werden, gehen wir zugrunde, wenn wir nicht in liebenden Händen sind, werden wir zu Staub und verschwinden.

Aber wir sind in den Händen der Liebe, Gott ist uns nahe in allen Dingen, und der Lobgesang ist die Übung, darin zu leben. Übung in Existenz, darin in der Grenze zu leben - ohne flüchten zu müssen, ohne an der Zweideutigkeit und Furcht zu zerbrechen. So singe mutig das Kampf- und Siegeslied zusammen mit den Geliebten die du verloren hast, deren Verlust du nicht ertragen kannst, zusammen mit Maria, mit der Lärche, dem Kiebitz und all den anderen armen Geschöpfen, die mit derselben Zerbrechlichkeit, Verwundbarkeit, Schwachheit und Torheit in die Welt gekommen sind. Geboren von einer Jungfrau, auferstanden aus dem Grabe regiert er nun in der strahlenden, siegessicheren Ohnmacht der Liebe. Amen.

 



Sognepræst (kirkebogsfører) Anne-Marie Nybo Mehlsen
4100 Ringsted
E-Mail: AMNM(at)km.dk

Bemerkung:
dieser Sonntag wird in DK als Mariae Verkündigung gefeuert


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