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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Gründonnerstag, 17.04.2014

Predigt zu Hebräer 2:10-18, verfasst von Steffen Lahmann

 

Liebe Gemeinde,

wenn es Abend wird in Deutschland, schauen auch Sie möglicherweise in die Röhre. Die meisten Deutschen tun das. Im Durchschnitt dreieinhalb Stunden am Tag läuft bei jedem von uns der Fernseher. Das haben Forscher ermittelt. Etwa ein Viertel aller Zuschauer verbindet das mit einer Mahlzeit; rund 20% aller Zuschauer telefonieren oder lesen während der Fernseher läuft, 4% bügeln und 8% schlafen.

Nach einem anstrengendem Tag schaltet man die „Glotze" an, um selber abzuschalten. Dagegen kann man kaum etwas einwenden, zumal wir uns alle in einer solchen Statistik wiederfinden werden. Der eine mehr, der andere weniger. Sofern Sie Ihre statistisch zuerkannten dreieinhalb Stunden vor dem Fernseher auskosten - und nebenher nicht gerade lesen, telefonieren oder schlafen - ist Ihnen vielleicht die Sendung „Undercover Boss" bekannt. Ein großer Privatsender strahlte bereits mehrere Staffeln dieser Doku-Soap aus.

Führungskräfte großer Unternehmen arbeiten dabei verdeckt - also „undercover" - als Praktikanten in ihrer Firma mit. Ausgestattet mit einem durchschnittlichen Lebenslauf und unauffällig in Auftritt und Aussehen, bleibt ihren Kollegen die wahre Identität verborgen. Nicht von oben herab, sondern als Gleiche unter Gleichen, lassen sie sich ganz hinein nehmen in den Alltag der Menschen für die sie verantwortlich sind. Vollkommen unverstellt werden sie mit Einblicken und Eindrücken konfrontiert und durchleben - zumindest zeitweise - die gleichen Nöte, die ein ganz durchschnittliches und unprivilegiertes Leben mit sich bringt.

Ungeschützt setzt sich der „Undercover Boss" den Härten und Ungerechtigkeiten des von ihm geführten Unternehmens aus. Aus den von ihm selbst gesammelten Erfahrungen wird er am Ende seines Praktikums Maßnahmen ergreifen, die den Menschen, die sich an ihn und sein Unternehmen gebunden haben, die größtmögliche Entlastung schafft.

Am Ende einer Sendung werden die Menschen, die ihm begegnet sind, in die Firmenzentrale beordert. In der Pracht und Herrlichkeit der Chefetage sitzt zu diesem Zeitpunkt nicht mehr die unbeschlagene Führungskraft, die alles vom grünen Tisch her entscheidet; sondern einer, der alles auf sich genommen hat, was auch die Menschen zu tragen haben, für die er sich verantwortlich fühlt. Für den „Undercover Boss" reicht es nicht, wenn er bloß um die Probleme weiß. Das würde wenig ändern, weil er die Tür seines Büros zumachen und die Probleme draußen lassen könnte.

Der „Undercover Boss" muss von den Problemen innerlich bewegt werden. Sie dürfen ihn nicht mehr loslassen, nachdem er das, was quält und hemmt leibhaftig erfahren hat. Er muss die Not der Menschen selbst aushalten, den Druck, die Ängste und Sorgen. Nur aus dem Blickwinkel eines Gleichen unter Gleichen - im Durchleben und Durchleiden aller menschlichen Ängste und Nöte - kann er eine buchstäblich notwendige Abhilfe schaffen. Nur durch die eigene Erfahrung und in Kenntnis aller Widerstände und Klippen im Leben seiner Leute, wird er es schaffen, einen glaubhaften Blickwinkel für sie zu eröffnen, ihnen eine Perspektive zu geben.

Das Format „Undercover Boss" ist nicht neu. Das Format „Undercover Boss" ist viel älter als das Privatfernsehen. Unser Predigttext nämlich stellt uns Jesus als den göttlichen „Undercover Boss" vor. Wir lesen im Hebräerbrief im zweiten Kapitel:

10Denn es ziemte sich für den, um dessentwillen alle Dinge sind und durch den alle Dinge sind, dass er den, der viele Söhne zur Herrlichkeit geführt hat, den Anfänger ihres Heils, durch Leiden vollendete. 11Denn weil sie alle von einem kommen, beide, der heiligt und die geheiligt werden, darum schämt er sich auch nicht, sie Brüder zu nennen, 12und spricht: „Ich will deinen Namen verkündigen meinen Brüdern und mitten in der Gemeinde dir lobsingen." 13Und wiederum: „Ich will mein Vertrauen auf dich setzen"; und wiederum: „Siehe, hier bin ich und die Kinder, die mir Gott gegeben hat." 14Weil nun die Kinder von Fleisch und Blut sind, hat auch er's gleichermaßen angenommen, damit er durch seinen Tod die Macht nähme dem, der Gewalt über den Tod hatte, nämlich dem Teufel, 15und die erlöste, die durch Furcht vor dem Tod im ganzen Leben Knechte sein mussten. 16Denn er nimmt sich nicht der Engel an, sondern der Kinder Abrahams nimmt er sich an. 17Daher musste er in allem seinen Brüdern gleich werden, damit er barmherzig würde und ein treuer Hoherpriester vor Gott, zu sühnen die Sünden des Volkes. 18Denn worin er selber gelitten hat und versucht worden ist, kann er helfen denen, die versucht werden.


Liebe Gemeinde,

die Bewegung, die Chefetage zu verlassen, sich denen gleich zu machen, die keinen Vorsprung haben; sich denen gleich zu machen, die verzweifelt sind; denen, die lechzen nach Entlastung und einer Perspektive für ihr Leben, diese Bewegung vollzieht Gott selbst in Jesus Christus. Denn in Jesus macht Gott selbst sich dem Menschen gleich. Gott sitzt nicht unbeteiligt in der Chefetage eines Wolkenkratzers und lässt sich die Sicht vernebeln. Gott ist auch kein Boss, der den großen Weltbetrieb aus den Augen verloren hat und unliebsame Aufgaben auf irgendwelche Abteilungsleiter abwälzt. Er fährt in der Firmenzentrale nicht einfach ein paar Stockwerke runter; er nimmt sich nicht der Engel an, wie unser Predigttext es formuliert. Denn die Engel ficht nichts an, die kennen ihren Chef und wissen, was er will.

Gott verlässt die Chefetage und packt selbst mit an, nicht in der Firmenzentrale, sondern in der Provinz. Diese Provinz ist überall, an vielen Orten und zu vielen Zeiten, fernab der glitzernden Firmenzentrale. Der Kinder Abrahams nimmt er sich an, zu den Menschen also, denen er seine Gegenwart versprochen hat. Es gibt Orte, an denen hat man ihn schon vergessen; es gibt Tage und Zeiten, in denen die Menschen seine Gegenwart vergessen. Tage und Zeiten, in denen sich die Menschen von Gott abwenden, weil sie meinen, dass Gott das Versprechen seiner Gegenwart nicht einlöst. Die meinen, dass er nicht zu seiner Zusage steht, die Menschen durch alles Dunkle und Öde, alle Sorgen und Ängste, im Letzten sogar ihre Todesängste zu begleiten, sondern dass er sich ins Wolkenkuckucksheim seiner Erhabenheit zurückgezogen hat. Sie sehen in ihm einen Chef, der seine Augen verschließt vor dem, was die Existenz derer gefährdet, die er selbst in seinen Betrieb geholt hat. Ein solcher Chef verliert seine Glaubwürdigkeit.

Ein solcher Chef ist Gott nicht. Seine Zusage, das Leid, die Angst und selbst das Gefühl der Gottverlassenheit der Menschen im wahrsten Sinne (am Kreuz) zu tragen, wäre nämlich nicht glaubhaft, wenn er seine Gegenwart nur immer wieder beteuern würde, wenn er nur aus der Ferne zusehen und kluge Ratschäge geben würde.

Wirklich glaubhaft ist Gottes Zusage, uns in allem begleiten zu können, nur dadurch dass Gott all unsere Wege, auch die in Leid und Tod, bis zum Letzten selbst gegangen ist.Weil nun die Kinder von Fleisch und Blut sind, hat auch er's gleichermaßen angenommen, damit er durch seinen Tod die Macht nähme dem, der Gewalt über den Tod hatte, nämlich dem Teufel, und die erlöste, die durch Furcht vor dem Tod im ganzen Leben Knechte sein mussten, heißt es im Hebräerbrief.

Und Gott musste diesen Weg als Mensch gehen, als Kind von Fleisch und Blut. Denn die Angst vor dem Tod - auch vor den vielen kleinen Toden, die wir sterben, wenn wir Angst haben, traurig sind oder Not leiden - die Angst vor dem Tod gehört dem Menschen, sie gehört nicht Gott. Um den Menschen alle Angst zu nehmen, um uns aus der Knechtschaft der Todesfurcht zu befreien, musste Gott sich allen Ängsten als Mensch aussetzen. Ohne Absicherung und ohne irgendwelche Vorteile konnte er das nur als eine Art „Undercover Boss", er musste in allem seinen Brüdern gleich werden. Hätte er das Ganze einfach aus der himmlischen Chefetage gesteuert, könnte die Überwindung des Todes durch Jesus für uns als Menschen nie zur Wirklichkeit werden. Denn dann hätte der Tod Jesu und seine Auferstehung nur mit Gott zu tun und nicht mit dem Menschen. Gott musste diesen Weg als Mensch gehen, als Kind von Fleisch und Blut.

Wie vollkommen menschlich Gott sich in Jesus gibt, erleben wir ganz sinnlich im Abendmahl. Zu Gründonnerstag erinnern wir uns daran, wie Jesus mit seinen Freunden zusammenkam an seinem letzten Abend. Als Gleicher unter Gleichen teilt Jesus mit seinen Jüngern zwei menschliche Grundbedürfnisse: Die Gemeinschaft untereinander und das gemeinsame Essen und Trinken. Beide Bedürfnisse dienen zum Leben nur, wenn sie erfüllt werden. Und Grundbedürfnisse sind sie, weil der Mensch ohne sie nicht nur trostlos ist, sondern gefährdet, und früher oder später innerlich und äußerlich stirbt.

In die Gemeinschaft dieses letzten Abends bricht aber schon die totale Verlassenheit Jesu am Kreuz ein. Sie ist beinahe mit Händen zu greifen: Die Furcht vor dem Tod. Denn einer von ihnen hat ihn für dreißig Silbermünzen verraten und die anderen, die mit ihm die Mahlzeit halten, werden noch in der selben Nacht das Weite suchen, um ihre eigene Haut zu retten. Inmitten von Verrat und Verleugnung, inmitten dieser Verlassenheit, setzt Jesus das Abendmahl ein; spricht die Worte über Brot und Wein. Der Abwendung der Freunde, die ihn trotz aller Lippenbekenntnisse in den dunkelsten Stunden seines Lebens alleine lassen werden, setzt Jesus die Vergebung entgegen. Uneingeschränkte Vergebung ist der vielleicht vollkommenste Ausdruck dessen, was menschliche Gemeinschaft heißt. Denen, die sich von ihm abgewendet haben, zahlt Jesus es nicht mit gleicher Münze heim, und verlässt nicht die, die ihn verlassen haben. Jesus vergibt ihnen, indem er sich im Abendmahl wortwörtlich selbst vergibt an seine Jünger - in Brot und Wein. Diese Vergebung gipfelt an Karfreitag in seiner Selbsthingabe am Kreuz. Und schon in seinem letzten Mahl ist diese Selbsthingabe bleibend vorweg genommen. Indem Jesus sich hingibt in Brot und Wein, bevor er sich später am Abend ergreifen lässt von den Mächten, die ihn zum Tode befördern werden, ermöglicht er seinen Jüngern ja gerade die Freiheit von Angst und Tod, weil Jesus sich schützend vor seine Jünger stellt. Zu denen, die ihn gefangen nehmen sagt er: „Sucht ihr mich, so lasst diese gehen!" (Joh 18,8b). Indem er sich selbst hingibt, ermöglicht er denen, die seine Vergebung in Brot und Wein verinnerlicht haben, dass sie nach seinem Tod und durch seinen Tod zum Leben kommen in der Gemeinschaft untereinander, letztlich zum ewigen Leben in der Gemeinschaft mit Gott.

Gott spielt nicht auf eigenen Vorteil, er meldet nicht einfach Konkurs an, wenn die Lage brenzlig wird. Er überlässt die, die sich auf ihn verlassen, nicht einfach sich selbst. So ist das Abendmahl auch kein Betriebsfest, zu dem irgendein Frühstücksdirektor nur diejenigen zulässt, die sich um ihn verdient gemacht haben. Im Abendmahl begegnet uns der leibhaftige „Undercover Boss" Gottes, der uns annimmt und uns für wertvoll erachtet, trotz all unserer Schwächen, trotz all unseres Versagens in den Angstzeiten unseres Lebens. Denn worin er selber gelitten hat und versucht worden ist, kann er helfen denen, die versucht werden. So zeigt uns Gott durch den „Undercover Boss" Jesus, dass wir nicht in die Röhre gucken müssen, wenn es Nacht wird in unserem Leben, weil er uns hilft zu dem zu werden, was wir sind: Gottes geliebte Kinder. Amen.

 

 



Vikar Steffen Lahmann
Wunstorf-Kolenfeld
E-Mail: steffen.lahmann@gmx.de

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