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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Gründonnerstag, 17.04.2014

Predigt zu Hebräer 2:10-18, verfasst von Andreas Pawlas

 

Es ziemte sich für Gott, um dessentwillen alle Dinge sind und durch den alle Dinge sind, dass er den, der viele Söhne zur Herrlichkeit geführt hat, den Anfänger ihres Heils, durch Leiden vollendete. Denn weil sie alle von "einem" kommen, beide, der heiligt und die geheiligt werden, darum schämt er sich auch nicht, sie Brüder zu nennen, und spricht (Psalm 22,23): »Ich will deinen Namen verkündigen meinen Brüdern und mitten in der Gemeinde dir lobsingen.« Und wiederum (Jesaja 8,17): »Ich will mein Vertrauen auf ihn setzen«; und wiederum (Jesaja 8,18): »Siehe, hier bin ich und die Kinder, die mir Gott gegeben hat.« Weil nun die Kinder von Fleisch und Blut sind, hat auch er's gleichermaßen angenommen, damit er durch seinen Tod die Macht nähme dem, der Gewalt über den Tod hatte, nämlich dem Teufel, und die erlöste, die durch Furcht vor dem Tod im ganzen Leben Knechte sein mussten. Denn er nimmt sich nicht der Engel an, sondern der Kinder Abrahams nimmt er sich an. Daher musste er in allem seinen Brüdern gleich werden, damit er barmherzig würde und ein treuer Hoherpriester vor Gott, zu sühnen die Sünden des Volkes. Denn worin er selber gelitten hat und versucht worden ist, kann er helfen denen, die versucht werden. (Hebr 2, 10-18)


Liebe Gemeinde!

Das sind alles komplizierte Gedanken, die uns sonst in unserem Alltag einfach nicht begegnen. Sie stammen aus einer alten und vergangenen kultischen Welt, und sind zusätzlich noch verbunden mit solchen altertümlichen Worten wie „sich ziemen", „sich schämen" und „sühnen". Darum müssen wir uns erst einmal besinnen, um wen es da eigentlich gehen soll. Von wem soll da eigentlich in unserem Bibelwort die Rede sein?

Und da ist natürlich am Gründonnerstag von Jesus Christus die Rede, von dem „Anfänger unseres Heils", wie es in dem Bibelwort heißt. Ganz selbstverständlich geht es am Gründonnerstag um den, der an diesem Tag in besinnlicher und zugleich gespannter Ruhe mit dem auserwählten Kreis seiner Jüngern zusammensitzt, nachdem er vorher so stürmisch bei seinem Einzug in Jerusalem von jedermann bejubelt und beklatscht worden war. Natürlich geht es um Jesus Christus, der an diesem Tag das letzte Mahl mit seinen Jüngern feiert und damit das Hl. Abendmahl einsetzt. Aber genauso muss es um den gehen, der dann gefangen genommen werden wird, der dann gefoltert und verurteilt und getötet werden wird.

Aber allein die Gedanken an solche brutalen Ereignisse lassen uns zurückschrecken. Nein, als ordentliche und zivilisierte Menschen wollen wir mit solchen üblen Dingen nichts zu tun haben. Darum wollen wir auch gar nicht so eine Redeweise hören, dass Gott Jesus, „den Anfänger unseres Heils, durch Leiden vollendete." Nein, denn Leiden, weisen wir mit Macht von uns! Nein, Leiden, das soll nicht zu uns gehören. Vielmehr versuchen wir doch auf alle mögliche Weise Leiden für unser Leben zu vermeiden, und auch für das Leben aller, die uns lieb sind. Das mag auch der Grund sein, weshalb wir am liebsten auch nicht von dem reden, unter dem wir persönlich wirklich leiden.

Nein, ich meine jetzt nicht die übliche tägliche Mitteilung, wo es wieder neu ziept und zwickt, und dass man nicht mehr gut sehen kann, weshalb man eine neue Brille braucht. Das sind mögen alles Dinge sein, über die mancher viel und gern reden mag. Und zugegeben sind das auch alles Beschwerlichkeiten. Aber was uns wirklich leiden und bis ins Mark erschüttern lässt, das ist ganz etwas anderes.

Wie viele unter uns wissen da um Leiden, die so schlimm sind, dass unter ihnen die Welt unterzugehen scheint. Denken wir allein daran, was für ein unsagbareres Leid etwa eine junge Witwe in ihrer Trauer um ihren geliebten Mann und Vater ihrer beiden Kinder tragen muss! Oder was für ein Leid lässt z.B. den jungen Mann völlig verstummen, dem durch die Leukämie-Diagnose jegliche Lebensperspektive aus der Hand geschlagen scheint. Vielfach müssen wir sehen, dass es den so Betroffenen auch gar nicht möglich ist, ihr würgendes Leid anderen richtig mitzuteilen, weil die einfach so Schlimmes gar nicht hören mögen. Und was dann am Ende bleibt, ist für viele wirklich nur noch das Verstummen. Am Ende bleibt man in seinem Leid allein. Und so wandert durch unsere kalte Welt eine so große Schar der einsam Leidenden.

Natürlich gibt es da manche, die sagen: da ist Hilfe genug. Du musst dich nur der Selbsthilfegruppe XY anschließen, du musst nur den Kurs 567 in der Soundso-Einrichtung besuchen, dann wird es dir besser gehen. Und sicherlich darf man diese Hilfen nicht gering schätzen. Aber kann es derart einfach gelingen, alle abgrundtiefe Lebensnot wirklich zu heilen? Manche denken das so. Manche versuchen das auch so. Aber wie oft vergeblich. Denn ist das nicht manchmal genau so, als sollte sich hier ein Leidender oder ein in Trauer gelähmter ähnlich wie Münchhausen selbst am eigenen Schopf aus der schwarzen Tiefe seines Leides herausziehen?

Was man dagegen in der Geschichte der Menschheit schon immer wusste, war, wie entsetzlich tief und wie übermächtig schwer Leiden und Not auf dieser Welt sein kann. Und man wusste auch genau, dass diese abgrundtiefe Last Menschenkraft vielfach schlicht überfordert. Und weil das schlimme tödlich vernichtende Leid so unmenschlich ist, suchte man dann auch Vorstellungen, um es aus allem Menschlichen herauszunehmen. Und wenn alles Leiden Menschenmacht übersteigen wollte, so schien vielen der Gedanke einleuchtend, dass dieses Leid dem Teufel zuzurechnen sein müsste. Ja, das unmenschlich tödlich vernichtende Leid, das muss wirklich teuflisch sein. So fremd solche Rede heutigen Ohren auch klingen mag, wer sollte sich wundern, wenn jemand, der sich so von allem Leid tödlich getroffen und völlig vernichtet sieht, es tatsächlich als teuflisch ansieht und sich darum so entsetzlich hilflos und wie gefangen fühlt.

Was man jedoch damals dann tief im Inneren auch wusste - und das war so auch seit Menschengedenken überliefert -, dass man sich in teuflischer Not jener Kraft zuwenden musste, die nicht nur für alles Lenken, Führen, geschehen lassen auf der Welt steht, sondern auch für den Ursprung alles Lebendigen, für alles Heilen und Wiederbringen, für den Ursprung aller Lebenskraft - nämlich Gott! Und so können wir das auf der ganzen Welt sehen, wie riesige Tempelanlagen gebaut wurden, imposante Wohn- und Verehrungsorte für die Gottheit, um deren Ehre und Kraft, Gewalt und Macht ja genügend Rechnung zu tragen. Ströme von Blut von Opfertieren flossen, um ja diese Grundlagen-Macht der Welt gnädig zu stimmen und so durch seine Macht und sein Eingreifen in den Weltenlauf alles Leid aufzuheben, den entsetzlichen Kreislauf von Leben und Vernichtung zu beenden und in Segen umzuwandeln. So gehört es zu Geschichte der Menschheit und wir sind mitten darin - genau an diesem Gründonnerstag.

Aber welchen Rat gibt uns da unser Bibelwort angesichts des vielen Leides in der Welt und angesichts unseres eigenen Leides? Sollten jetzt etwa noch gewaltigere Ströme vom Blut geopferter Tiere fließen? Sollten jetzt noch größere Tempel zur kultischen Verehrung Gottes gebaut werden?

Nein! Unser Bibelwort weist uns hier einfach auf Christus. Warum auf Christus? Ist er denn ein Magier und Zauberer, der mit einem Fingerschnippen oder mit donnernder Musik oder gewaltigem Lodern und Krachen alles Leid beenden kann? Nein, es ist alles ganz anders. Und das, was er tut, ist viel mehr als alles Donnern, Lodern und Krachen. Und es ist ganz still: Er nennt sich Bruder von uns. Und was das dann für uns bedeutet, wird dann noch in unserem Bibelwort erläutert: Denn weil wir Menschen „von Fleisch und Blut sind", hat auch er es in gleicher Weise angenommen, damit er uns erlöst. Er stellt sich uns so an die Seite. Er lädt uns ein zu dem Mahl mit ihm. Er ist barmherzig mit uns. Er leidet für uns. Er schmeckt alle tiefste Traurigkeit und Verzweiflung, er lässt alle Versuchung und Trostlosigkeit wirklich an sich herankommen. Er lässt teuflische Gewalt ihr Spiel mit ihm spielen. Er leidet, um uns in unserem Leiden zu helfen. Dabei ist es kaum zu begreifen, dass er in seiner Sendung in diese Welt nicht für die Engel, die hohen himmlischen Geschöpfe der göttlichen Macht, sein Leben einsetzt, sondern für uns normale und hilflose Menschenkinder. Er isst und trinkt mit uns, er geht mit seinem Leib und Blut in unser Leib und Blut ein, damit wir von seinem Leib und Blut durchdrungen und erfüllt sind und bleiben. Er vergießt sein Blut, damit wir nicht unser Blut vergießen müssen. Er verströmt sich in uns damit wir nicht im Leiden verloren gehen. Er lässt uns erst ahnen und dann erfahren, dass Gottes Herrlichkeit, aus der er kommt, nicht durch teuflische Erniedrigungen, Qualen und Traurigkeiten zu vernichten ist. Die Liebe, mit der er uns im Namen des lebendigen Gottes durchpulsen und ermächtigen will, ist stärker und größer als alles laut beklagte und still erlittene Leiden. Allein vor diesem Hintergrund ist dieser sonst unerträgliche Satz zu begreifen, dass Gott Jesus, den Anfänger unseres Heils, durch Leiden vollendete. Der Plan, den ihm der lebendige Gott für seine Zeit auf dieser Welt vorgegeben hat, ist durch das Leiden nicht zerbrochen, sondern mündet trotzdem in Gottes Herrlichkeit und Ewigkeit.

Aber jetzt kommt die entscheidende Nachricht für uns: Weil wir Brüder Jesu Christ sind, deshalb ist der Plan, den uns der lebendige Gott für unsere Zeit auf dieser Welt vorgegeben hat, auch nicht durch das Leiden zerbrochen, sondern mündet trotz allem in Gottes Herrlichkeit und Ewigkeit. Das dürfen wir glauben. Gott sei Dank!

Und so sehr uns auch Trauer und Hoffnungslosigkeit teuflisch schütteln wollen, so dürfen wir uns fest darauf verlassen, auf diese Weise Vollendung zu erfahren und dürfen damit den Glauben weitergeben, dass die Herrlichkeit und Liebe Gottes mehr und stärker ist als Tod und Teufel. Allein weil die Christenheit das bekennen kann, deshalb kann sie auch die Passionszeit begehen. Und das nicht in Verzagtheit über einen Justizmord am Kreuz und über die Aussichtslosigkeit unseres Leidens, sondern in der getrosten Gewissheit, auch in schlimmsten Leid von der Herrlichkeit und Liebe Gottes gehalten und dann in seiner ganz anderen Wirklichkeit vollendet zu werden. So wie unser Herr und Bruder Jesus Christus. Deshalb dürfen wir in der Passionszeit getrost auf ihn schauen, und dankbar seinem Weg folgen. jetzt und in alle Ewigkeit.

Amen.




Pastor i.R. Dr. Andreas Pawlas
25365 Kl. Offenseth-Sparrieshoop
E-Mail: Andreas.Pawlas@web.de

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