Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Tag der Kreuzigung des Herrn: Karfreitag, 18.04.2014

Predigt zu Jesaja 52:13; 53, 1-12, verfasst von Andreas Pawlas

 

Siehe, meinem Knecht wird's gelingen, er wird erhöht und sehr hoch erhaben sein. Wie sich viele über ihn entsetzten, weil seine Gestalt hässlicher war als die anderer Leute und sein Aussehen als das der Menschenkinder, so wird er viele Heiden besprengen, dass auch Könige werden ihren Mund vor ihm zuhalten. Denn denen nichts davon verkündet ist, die werden es nun sehen, und die nichts davon gehört haben, die werden es merken. Aber wer glaubt dem, was uns verkündet wurde, und wem ist der Arm des HERRN offenbart? Er schoss auf vor ihm wie ein Reis und wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte. Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet. Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt. Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. Aber der HERR warf unser aller Sünde auf ihn. Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf. Er ist aus Angst und Gericht hinweggenommen. Wer aber kann sein Geschick ermessen? Denn er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen, da er für die Missetat meines Volks geplagt war. Und man gab ihm sein Grab bei Gottlosen und bei Übeltätern, als er gestorben war, wiewohl er niemand Unrecht getan hat und kein Betrug in seinem Munde gewesen ist. So wollte ihn der HERR zerschlagen mit Krankheit. Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, wird er Nachkommen haben und in die Länge leben, und des HERRN Plan wird durch seine Hand gelingen. Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben. Und durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte, den Vielen Gerechtigkeit schaffen; denn er trägt ihre Sünden. Darum will ich ihm die Vielen zur Beute geben und er soll die Starken zum Raube haben, dafür dass er sein Leben in den Tod gegeben hat und den Übeltätern gleichgerechnet ist und er die Sünde der Vielen getragen hat und für die Übeltäter gebeten.


Liebe Gemeinde!

Was ist das für ein Lied, dieses Lied vom „Gottesknecht", das uns hier der Prophet Jesaja überliefert! Generationen von frommen Menschen haben es gehört und sich trotz mancher rätselhafter Formulierungen von ihm anrühren lassen. Viele Fragen sind mit diesem Lied aufgetreten und durch die Zeiten hindurch sind sie ganz unterschiedlich beantwortet worden. Aber wenn ich dieses Lied am heutigen Karfreitag höre, so will mir nur das Leben, das Werk und das Geschick Jesu Christi vor Augen kommen. Seine grausame Kreuzigung, wie er von seinen Marterknechten verachtet wurde, wie aller Hohn der über ihn triumphierenden ihm den letzten Rest seiner Würde nahm. Und dazu gehört dann auch, wie sein brutales Sterben am Kreuz als schlagender Gegenbeweis gegen seine Verkündigung verstanden wurde: gegen seine Verkündigung, dass die Liebe und Fürsorge Gottes größer ist als alles andere auf der Welt und ewig ist und ewig hält. Und dann am Ende tatsächlich „sein Grab bei Gottlosen und bei Übeltätern, wiewohl er niemand Unrecht getan hat und kein Betrug in seinem Munde gewesen ist." Beim Lesen dieser Zeilen kann ich in dieses prophetische Wort nur als die Vorwegbeschreibung des Weges Jesu Christi ans Kreuz wiedererkennen.

Aber wie man die Gestalt des Gottesknechtes auch sonst immer deuten will, auf jeden Fall ist eine Botschaft unbestritten: Dieser Gottesknecht, der da leidet und gedemütigt wird, und der Allerverachtetste und Unwerteste ist, der ist eben trotzdem der Auserwählte des lebendigen Gottes. Und trotz aller Schmerzen und aller Krankheit wird ihm sein Auftrag gelingen. Und am Ende wird er „erhöht und sehr hoch erhaben sein". So hören wir es andächtig und staunend aus diesem Lied.

Aber was ich seit Jugendtagen von diesem Lied vom Gottesknecht unverlierbar auch noch im Ohr habe, das ist das großartige Chorstück von Melchior Franck, in dem der Chor einleitend und bedeutungsschwer das „Fürwahr" aus diesem Lied vom Gottesknecht bildhaft und unvergesslich groß werden lässt. Ich habe es darum nie in meinem Leben vergessen. Und es ist darum für mich das Herzstück dieses Liedes vom Gottesknecht. Und vollständig heißt es in diesem Zusammenhang: „Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen." Und was ist das für eine Botschaft, wenn ich da von einem hören darf, der nicht nur bereit ist, unsre Krankheit und unsre Schmerzen zu tragen, sondern es bereits getan hat. Wohl dem, der an diesem Karfreitag diese Botschaft einfach nur hören, glauben und dankbar mitsingen kann!

Jedoch so schön und eindrucksvoll sich das auch singen lässt, so muss ich mir doch als mündiger, moderner Mensch der Frage stellen, wie das gehen kann, dass ein anderer meine persönliche Krankheit, mein Elend und mein Leid tragen kann. Mein schmerzender Fuß bleibt doch mein schmerzender Fuß. Mein drückender Magen bleibt doch mein drückender Magen. Oder ist das alles viel zu eng und beschränkt gedacht? Sind das etwa alles nur Gedanken, die ihre engen Grenzen in den Ausdehnungen und Befindlichkeiten meines eigenen eingeschränkten Körpers haben? Und liegt vielleicht in genau dieser Begrenzung das, was in der Tradition als „Sünde" bezeichnet wird, nämlich als einen unüberbrückbaren „Sund", eine unüberbrückbare Trennung zwischen dem, was nun einmal die Begrenzungen meines Ichs ausmachen und - Gott? Und Gott und seinen Gedanken und Plänen für mich, für meinen Nächsten und für den ganzen Kosmos?

Jedenfalls heißt es auch im Lied vom Gottesknecht dass er um unsrer Sünde willen zerschlagen ist, dass er also genau wegen der unüberbrückbaren Trennung zwischen dem, was die Begrenzungen meines Ichs zu Gott ausmachen, zerschlagen ist. Aber so eindrucksvoll sich das auch anhört, wen wollte das denn heute noch interessieren, dass es da eine Trennung gibt zwischen mir und Gott? Gewiss, in vergangenen Zeiten, da hat man sich gequält mit der Frage, ob man einen gnädigen Gott bekommt, ob Gott einem barmherzig ist, ob Gott einen zum Guten vorherbestimmt hat oder nicht. Aber diese Fragen sind doch gegenwärtig weitgehend aus den öffentlichen Diskussionen verschwunden. -

Aber sind diese Fragen damit auch verschwunden aus meinem ganz intimen inneren Dialog, aus meinem inneren Denken und Fühlen? Wie häufig musste ich im Rahmen der Krankenhausseelsorge erleben, wie Menschen, denen sonst Gott und Religion völlig egal waren, mit einem Male, als sie durch die Krankheit niedergeschmettert waren, herausschrien und herauswimmerten: „Warum tut mir Gott das an?!" Was habe ich Böses getan, dass ich solche Schmerzen habe?! Warum hilft mir Gott nicht?!" Es könnte also selbst heute noch tief in mir selber ein nachdrückliches Interesse an der Frage geben, ob es da eine Trennung gibt zwischen mir und Gott und dass diese Trennung für mich schlimm ist.

Möglicherweise könnte jedoch ein anderer Aspekt noch viel wichtiger sein. Denn wenn mir Gott und Religion wirklich egal wären, was gäbe es dann noch sonst, als nur das, was ich da in den engen Grenzen in den Ausdehnungen und Befindlichkeiten meines eigenen kleinen Körpers habe? Und müsste dann nicht jede kleine Störung des so empfindlich austarierten Gleichgewichts meiner eigenen Person, mein ganzes Weltbild in Wanken oder gar zum Einstürzen bringen? Und müsste ich dann nicht bei jeder kleine Beeinträchtigung meines Wohlbefindens kämpfen und um mich schlagen, weil es ja sonst keine anderen Ziele auf dieser Welt mehr gibt als mein eigenes Wohlbefinden? Jede Funktionsstörung als Demütigung? Jede Krankheit als Weltuntergang? Wie hoffnungslos wäre das! Wie erbärmlich egozentrisch! Wie beziehungsunfähig! Und was sollte am Ende einer solchen Selbstumzingelung stehen als der katastrophale Zusammenbruch, als die banale Vernichtung? Könnte sich nicht hierin gerade die Not und Krankheit unserer Zeit zeigen? Alles kreist hoffnungslos um sich selbst!

Aber was wäre das für eine Erlösung, wenn es da eine ganz andere Lebensperspektive für eine solche eingekapselte Existenz gäbe. Allerdings, wie sollte man als Egomane auf einen Gedanken kommen, der außerhalb von einem liegen und der auf außerhalb liegendes weist? Das muss doch ein anderer sein, der meine Selbstbegrenzung öffnet. Da muss doch einer sein, der mir den Horizont aufreißt. Da muss doch einer sein, der mir den Weg zum erfüllten Leben auftut.

Und das genau ist das Werk des Gottesknechts, das genau ist das Werk Jesu Christi! Er reißt mir Augen und Herz auf, damit ich sehen und hoffen kann. Er bricht meine Selbstverkrümmung auf und gibt mir Lebensfülle, indem er mein Leben in Gottes Fülle einfügt. Er sprengt damit die engen Grenzen in den Ausdehnungen und Befindlichkeiten meines Körpers.

Aber wird damit nun meine persönliche Krankheit, mein Elend und mein Leid von ihm tatsächlich übernommen? Wenn ich dem Gottesknecht und seinem Werk, das er am Karfreitag für mich tut, glauben kann, so wird das tatsächlich geschehen.

Jedoch so schwer uns der Glaube daran auch fallen sollte, vielleicht gibt es sogar Anzeichen dafür, dass da wirklich etwas durch diesen Glauben geschehen kann. Denn wie viele Beispiele kennen wir dafür, dass etwa ein schmerzender Fuß zwar ein schmerzender Fuß bleibt, aber dennoch kilometerlang laufen kann, weil man berechtigt hoffen kann, dass man genau auf dem Weg nach Hause ist. Und wie viele Beispiele kennen wir dafür, dass etwa ein drückender Magen ein drückender Magen bleibt, der aber dann doch völlig vergessen wird, weil die Herrlichkeit eines schönen Festes einfach alles erfüllt.

Wenn ich so etwas erlebt habe, mag es mir leichter fallen, das Erlösungswerk zu begreifen, das der Gottesknecht am Karfreitag unter allen Schmerzen vollbringt. Wenn ich so aus aller alleinigen Konzentration auf mich herausschaue auf den lebendigen Gott und wie er seinen Gottesknecht schickt, um genau mich zu erlösen und die ganze Welt, dann mag es mir leichter fallen zu glauben, dass die Liebe Gottes doch größer ist als alles andere auf der Welt und ewig ist und ewig hält. Dann mag es mir auch leichter fallen zu glauben, dass der elende Tod am Kreuz, dass mein und Dein übles Leiden in dieser Welt nicht das letzte Wort ist, was Gott über mich und Dich und die ganze Welt gesetzt hat.

Weil der Gottesknecht seinen Weg für uns geht und nicht in Schmerz und Tod vernichtet wird, genau deshalb werden auch wir nicht auf unserem Weg durch Schmerz und Tod vernichtet werden, sondern so leben, wie der Gottesknecht lebt. Wenn wir auch, wie es in dem Lied heißt, bisher alle in die Irre gingen wie Schafe, und ein jeder nur auf seinen Weg sah, so dürfen wir nun glauben, dass wir durch seine Wunden geheilt sind, dass wir Frieden hätten, nämlich den Frieden Gottes, der beginnen will in der Dunkelheit des Karfreitags, leuchten in der Helle des Ostermorgens und dann strahlen in Gottes ewigem Reich.

Amen.




Pastor i.R. Dr. Andreas Pawlas
25365 Kl. Offenseth-Sparrieshoop
E-Mail: Andreas.Pawlas@web.de

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