Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Tag der Kreuzigung des Herrn: Karfreitag, 18.04.2014

„Gottes Friedensschluss“
Predigt zu Jesaja 52:13-15; 53,1-12, verfasst von Michael Bünker

 

Siehe, meinem Knecht wird's gelingen, er wird erhöht und sehr hoch erhaben sein. Wie sich viele über ihn entsetzten, weil seine Gestalt hässlicher war als die anderer Leute und sein Aussehen als das der Menschenkinder, so wird er viele Heiden besprengen, dass auch Könige werden ihren Mund vor ihm zuhalten. Denn denen nichts davon verkündet ist, die werden es nun sehen, und die nichts davon gehört haben, die werden es merken. Aber wer glaubt dem, was uns verkündet wurde, und wem ist der Arm des HERRN offenbart? Er schoss auf vor ihm wie ein Reis und wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte. Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet. Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt. Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. Aber der HERR warf unser aller Sünde auf ihn. Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf. Er ist aus Angst und Gericht hinweggenommen. Wer aber kann sein Geschick ermessen? Denn er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen, da er für die Missetat meines Volks geplagt war. Und man gab ihm sein Grab bei Gottlosen und bei Übeltätern, als er gestorben war, wiewohl er niemand Unrecht getan hat und kein Betrug in seinem Munde gewesen ist.

So wollte ihn der HERR zerschlagen mit Krankheit. Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, wird er Nachkommen haben und in die Länge leben, und des HERRN Plan wird durch seine Hand gelingen. Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben. Und durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte, den Vielen Gerechtigkeit schaffen; denn er trägt ihre Sünden. Darum will ich ihm die Vielen zur Beute geben und er soll die Starken zum Raube haben, dafür dass er sein Leben in den Tod gegeben hat und den Übeltätern gleichgerechnet ist und er die Sünde der Vielen getragen hat und für die Übeltäter gebeten.

 

Liebe Gemeinde,

Gott hat mit uns seinen Frieden gemacht. Durch den Tod Jesu am Kreuz ist es besiegelt. Jesus ist unser Friede. Diese Botschaft lässt aufatmen. Ja, sie ist der Grund, dass wir Evangelische auch den Karfreitag gottesdienstlich feiern. Der Karfreitag ist deswegen nicht der höchste Feiertag der Evangelischen, weil wir ihn wie alle Christinnen und Christen nur von Ostern her verstehen können. Erst die Auferstehung gibt dem Kreuz seinen Sinn. Aber er ist ein Feiertag. Denn: Gott hat mit uns seinen Frieden gemacht.

In Wien gibt es derzeit zum Gedenken an den Beginn des Ersten Weltkriegs vor hundert Jahren eine bemerkenswerte Ausstellung zu sehen. Eine österreichische Künstlerin, Deborah Sengl hat Szenen aus Karl Kraus‘ Werk "Die letzten Tage der Menschheit" nachgestellt. Aber nicht mit Menschenfiguren, sondern mit ausgestopften Ratten. Und da sehen wir sie also alle, die Kriegsbegeisterten, die Armeeführer, die Potentaten und ihre Botschafter und Minister, die Soldaten in ihrem Elend, die Frauen und Kinder, die Journalisten und Künstler. Natürlich sehen wir auch die Kriegsprediger, katholisch wie evangelisch, die alle verkündeten, Gott habe es so gewollt, dieser Krieg sei gerecht, ja sogar heilig, wer tötet erfüllt eine heilige Pflicht, wer stirbt gilt als Held und Märtyrer.

Die Ratten der Deborah Sengl sind ekelerregend, kaum erträgt man es, sie anzusehen. Die Menschen haben ihr Menschliches verloren, sie sind ohne Unterschied zu Tieren geworden. Zu erniedrigten, verachteten, ekelerregenden Tieren. „Wir schauen auf die Ratten und schauen auf uns selbst", heißt es im Katalog zur Ausstellung, und: „Der Mensch betrachtet sie als Schädling. Der Rest der Welt betrachtet den Menschen als solchen."

Das monumentale Werk, Karl Kraus nannte es selbst ein „Marstheater", endet wie der reale Krieg nach vier Jahren mit dem Untergang. Stimmen von unten und Stimmen von oben sind zu hören und dann kehrt ganz am Schluss endlich Ruhe ein. Eine Stimme von oben sagt: „Der Sturm gelang. Die Nacht war wild. Zerstört ist Gottes Ebenbild." Darauf ein großes Schweigen und danach - erstmals in dem ganzen irrwitzigen Geschehen - die Stimme Gottes: „Ich habe es nicht gewollt."

Immerhin. Ein Trost, wenn auch nur ein schwacher.

Am Karfreitag sprechen und hören wir vom Leiden. Ohne große Schwierigkeiten könnte jeder und jede von uns die schrecklichen Erfahrungen des Krieges vor hundert Jahren zurückdenken in die Geschichte und fortsetzen bis in die Gegenwart, von der großen Bühne der Politik bis hin zum eigenen, persönlichen Geschick. Aber der Karfreitag spricht nicht zuerst von unseren Einsichten und Erfahrungen, nicht von der Natur des Menschen und von den Gesetzen der Geschichte, sondern von dem, was Gott tut. Nicht die Verewigung des Leidens, seine Verfestigung und Dauer ist das Thema. Sondern seine Überwindung. Nicht die Verherrlichung des Leidens und die Versuche, ihm einen Sinn abzuringen, sind uns aufgegeben, sondern die Botschaft, dass Gott Licht, Leben und Fülle verheißt. Karfreitag spricht vom überwundenen Leid.

Gott hat mit uns seinen Frieden gemacht.

Wir haben heute aus dem Buch des Propheten Jesaja das vierte Lied vom Gottesknecht gehört. In vier Durchgängen besingt der Prophet eine geheimnisvolle, namenlose Gestalt, zuerst als den Boten der göttlichen Gerechtigkeit (Jesaja 42,1-9), dann als den Friedensbringer für die Völker (Jesaja 49,1-9), der aufgrund seiner Botschaft drittens verfolgt wird (Jesaja 50,4-9) und letztlich den Weg des Leidens zu gehen hat (Jesaja 52,13 - 53,12). Wer damit gemeint ist? Verschiedene Antworten sind möglich. Ist es Israel, das Volk Gottes, sein Augapfel, selbst? Ist es der Prophet, der sich hier ohne Namen selbst ein Lied singt? Ist es ein messianischer Prophet, der erwartet wird? Für Christinnen und Christen ist von niemand anderem als von Jesus die Rede. Vieles von dem, was vom Gottesknecht ausgesagt wird, liest sich wie eine Deutung des Lebens und Leidens Jesu. In den Evangelien nimmt er selbst darauf Bezug und in manchen Schriften des Neuen Testaments wird eine ausdrückliche Beziehung zwischen beiden hergestellt (1. Petrus 2,22). Dem Gottesknecht wird es gelingen, er wird erhöht und sehr hoch erhaben sein.

Im Gottesknecht ist Gott selbst am Werk. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Doch Gott ist nicht der Verursacher dieser Leiden, erschreckend blitzt die Einsicht auf: Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Unseretwegen wird er zum Ausgestoßenen, zum Verachteten, zum Verworfenen. Unseretwegen ist er weggerissen aus dem Land der Lebendigen. Dieses Leiden trägt Gott selbst. In Jesus Christus lässt er sich herausdrängen aus der Welt, so hat es Dietrich Bonhoeffer formuliert. Er stellt sich so auf die Seite der Leidenden, dass er den Weg mit ihnen geht bis in den Tod. Das ist das Opfer, von dem auch der Prophet Jesaja spricht. Die Hingabe Gottes, die den Weg ins Leben eröffnet. Licht und Fülle. Zukunft und Leben. Gott hat mit uns seinen Frieden gemacht.

Martin Luther formuliert wie so oft unnachahmlich treffend: Gott bringt sich für uns dar, gibt sich für uns hin um uns nichts anderes zu sein als der Schenker, der Erbarmer, der Heiland, denn hier ist nichts als lauter geschenkte und schenkende Barmherzigkeit.

Atmen Sie auf. Das ewige Opfern hat ein Ende gefunden. Der Frieden ist gemacht.



Bischof der Evangelischen Kirche A. B. in Österreich, Michael Bünker
A-1180 Wien
E-Mail: bischof@evang.at

(zurück zum Seitenanfang)