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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Gründonnerstag, 17.04.2014

Jesu Weg, unser Weg
Predigt zu Hebräer 2:10-18, verfasst von Roger Mielke

 

Liebe Schwestern und Brüder,

mit diesem Abend treten wir ein in das Zentrum des Glaubens, in die innerste Mitte des Evangeliums, der guten Nachricht von Sterben und Auferstehen Jesu: die drei Tage des österlichen Geheimnisses liegen vor uns. Sind wir heute bereit, aufzubrechen und mit Jesus zu gehen? Jesus ruft uns, seinen Weg mitzugehen, bei ihm zu sein. So sind wir heute Abend mit ihm an seinem Tisch und feiern das letzte Mahl mit ihm, wir lassen uns, das Evangelium aus Johannes 13 haben wir gehört, von ihm die Füße waschen. Wir gehen dann in dieser Nacht mit ihm hinaus in die Finsternis nach Gethsemane. Morgen, am Karfreitag stehen wir an seinem Kreuz, haben Teil an seinem Leiden und Sterben. Wir sind dabei, wie er ins Grab gelegt wird. Wir teilen das Schweigen des Karsamstag. Wir hören an Ostern die Botschaft seiner Auferweckung und gehen dann mit den beiden Freunden den Weg nach Emmaus, wo der auferstandene Herr unerkannt begleitet und unser Herz mit seinen Worten des Trostes entzündet.

1. Eine „Proklamation"

Liebe Schwestern und Brüder, dies ist ja der Grund, warum wir wieder und wieder, in jedem Jahr neu, das Wort der Bibel laut vorlesen: Die gottesdienstlichen Lesungen sind eine Proklamation, ein Machtwort. Dieses Machtwort sagt: Jesu Weg und unser Weg wird verknüpft - sein Weg wird unser Weg, unser Weg wird sein Weg. Und damit verändern sich die Wege unseres Lebens grundlegend. Egal wo wir heute Abend herkommen, was wir mitbringen, mit unserer Angst, mit unserem Stress, mit unserer Freude und Hoffnung, alles das ist aufgenommen, mit hineingenommen in den Weg, den Jesus geht. Er kommt in unseren Tod hinein, damit wir mit ihm in das Leben hineingehen. Liebe Schwestern und Brüder, ich ermutige euch, die Worte der Bibel heute Abend so zu hören: als eine Proklamation, als ein Machtwort Gottes, das hier und jetzt uns, dir und mir, gilt, um uns mitzunehmen auf den Weg Jesu. Und noch eines möchte ich dazu erklären: es ist nicht so, dass dieses Wort uns fern ist und wir große Mühen und viele Anstrengungen unternehmen müssten, damit das, was fern ist, durch unsere Leistung schließlich verstanden und vergegenwärtigt würde. „Gott ist gegenwärtig" - und er sucht unsere Gegenwart. Lasst uns das Wort so hören, unser Herz so bereit machen, und uns so öffnen, dass wir mitgenommen werden, dass wir eintreten in den Machtbereich des Wortes Gottes, wo Gott selbst an uns handelt und verändernd in unser Leben eingreift.

2. In allem uns gleich

Geht das eigentlich, so wie ich es gerade beschrieben habe? Oder ist nicht gerade diese „Geistesgegenwart" das eigentlich schwierige? Mit dieser Frage möchte ich in unseren Abschnitt aus dem Hebräerbrief hineingehen. Ich denke, dass uns hier in diesen Worten erklärt wird, warum es möglich ist, dass wir Gottes Gegenwart empfinden, erfahren und schmecken können. In V. 11 hören wir, dass „alle von einem kommen, beide, der da heiligt und die da geheiligt werden". „Heiligen" heißt hier: Ganz Gott gehören. „Der da heiligt": das ist Jesus; „die da geheiligt werden": das sind wir. Beide kommen von Gott, dem Vater, dem Schöpfer: Jesus und wir schon von vornherein verbunden. In V. 17 heißt es „Er musste in allen Dingen seinen Brüdern und Schwestern gleich werden." Das heißt, und wir können viele ähnlich Wendungen im Hebräerbrief finden, Er, Jesus ist zu uns gekommen, hat unser Leben geteilt bis in jede denkbare Tiefe hinein. Er teilt unseren Tod, er teilt unsere Verlassenheit, er teilt auch unsere Zweifel, Unklarheiten, Schmerzen, unsere Angst, unser Leiden unter Widerständen, unsere Verlassenheit. Lasst uns an Gethesemane denken, wie etwa der Evangelist Lukas davon erzählt, auch eine der biblischen Geschichten, die in diese Nacht hineingehören. Jesus teilt dies alles mit uns, mit jedem einzelnen Menschen. Er ist mitten darin. Das heißt auch und gerade jetzt: Er ist hier, wie gesagt, in allem Einzelnen, was jeder und jede heute Abend mitbringt. Und nur wenn das wirklich gilt: Dass er als Gottes Sohn und, (so sagt es Hebräer 1,3) als „Abglanz der Herrlichkeit Gottes und Ebenbild seines Wesens", unser Leben vollkommen kennt und teilt, nur dann können wir sagen: Er ist hier, gegenwärtig und er hat die Macht unser vom Tod und der Angst bedrohtes und entstelltes Leben wirklich zu aufzubrechen und zu verändern. Nur dann gilt: Er teilt mit uns sein Leben - weil er unseren Tod mit uns geteilt hat.

Nur so können wir auch das andere sagen: Er führt uns aus der Welt des Todes zurück zur Quelle des Lebens, zurück zu dem lebendigen Gott. „Er versöhnt uns", so heißt es in V. 17, „als treuer Hoherpriester vor Gott". Der Verfasser des Hebräerbriefes nimmt hier ein Bild des Alten Testaments auf, das seinen Hörern und Lesern vermutlich vollkommen vertraut war: Der Hohepriester hatte das Amt, einmal jährlich, am großen Versöhnungstag, das Allerheiligste des Tempels in Jerusalem zu betreten, um dort, an der Bundeslade, am Zentrum der Gegenwart Gottes bei seinem Volk, Vergebung für alle Verfehlungen eines ganze Jahres zu erwirken: Tod und Lebenserneuerung für das ganze Volk Israel, aus Gottes Liebe geschenktes neues Leben. In diesen grundlegenden Lebenszusammenhang seines Volkes wird Jesus und wird sein Tod am Kreuz hineingestellt: Gott schenkt durch den Tod hindurch neues Leben für sein Volk.

3. Der „Herzog der Seligkeit"

Der Verfasser des Hebräerbriefes drückt diesen Zusammenhang in einer wunderbaren Wendung aus. In unserer gegenwärtigen Lutherbibel heißt es in V. 10 so: Jesus ist der „Anfänger unseres Heils". Das ist ziemlich blass ausgedrückt. In einer älteren Fassung der Luther-Übersetzung heißt es so: „Denn es ziemte dem, um deswillen alle Dinge sind und durch den alle Dinge sind, der da viel Kinder hat zur Herrlichkeit geführt, dass er den Herzog ihrer Seligkeit durch Leiden vollkommen machte." Lasst uns dieses Bild näher betrachten: Gott hat „viel Kinder zur Herrlichkeit geführt" und Jesus ist der „Herzog ihrer Seligkeit". Das ist doch viel farbiger als der „Anfänger des Heils". Der „Herzog" ist derjenige, der an der Spitze eines Heeres steht, diesem Heer voranzieht. Und so steht Jesus, ganz unkriegerisch gedacht, an der Spitze der Schar der Erlösten: Viele, viele Kinder, die aus dem Land des Todes und der Traurigkeit herkommen, noch mit den Narben und Verwundungen ihres Lebens gezeichnet sind, mit den Schatten in ihren Herzen. Aber sie gehen einen neuen Weg, hinter ihm her in die „Seligkeit", in Rettung hinein. Der Weg steht offen, sie dürfen ihm folgen, er geht ihnen voran. Sie gehen voller Freude, in vollkommenem Vertrauen, ohne Angst, Zorn und Tränen, sie gehen als befreite Menschen.

Und an dieser Stelle müssen wir, diese gewaltigen Verse 14 und 15 - und nun wirklich: „proklamieren": „Er hat durch den Tod die Macht genommen, dem, der des Todes Gewalt hatte, das ist dem Teufel, und die erlöst, die durch Furcht des Todes im ganzen Leben Knechte sein mussten."

Liebe Schwestern und Brüder, hören wir und spüren wir, welche Revolution in diesen Worten steckt? Wir sind keine Knechte mehr, wir dürfen Leben im Vertrauen, ohne Angst, in Geborgenheit. Die „Gewalt" des Todes ist zerbrochen und an die Stelle der Gewalt als Grundgesetz dieser vergehenden Welt ist der Friede, ist die Versöhnung getreten. Wie sähe die Welt aus, wenn die Christen damit ernst gemacht hätten, wie kann die Welt heute aussehen, wenn wir dem „Herzog der Seligkeit" heute folgen im Zug der Befreiten und Versöhnten, als „Friedensstifter" - und, wie sähe unser eigenes Leben aus, wenn wir im Vertrauen auf die Wege Gottes, geborgen in seinem Frieden unseren Alltag lebten. In Kol 3,17 ist das „Lebensprogramm" der Christen ganz kurz so umrissen: „Alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn." - So sieht versöhntes Leben aus!

4. Heute, wenn ihr seine Stimme hört

Noch einmal wie eingangs gefragt: Wie kann das „lebbar" werden? Den entscheidenden Hinweis gibt ein Vers außerhalb unseres Predigtabschnittes: Hebr 3,7f: „Darum, wie der Heilige Geist spricht: Heute, wenn ihr seine Stimme hören werdet, so verstockt eure Herzen nicht." Ich sage es noch einmal: Nicht durch unsere Anstrengungen und Mühen des Verstehens, Übersetzens, Anwendens, so wichtig und unverzichtbar sie sind, gehen wir den entscheidenden Schritt. Zunächst muss unser Herz weich werden, empfänglich für die Gegenwart Gottes, für seine väterliche und mütterliche Liebe, bereit für seinen Trost, hörfähig für seine Weisung, bereit zu reifen auf dem Weg der Versöhnung mit uns selbst und mit dem und der anderen. Das beginnt „heute", an diesem Gründonnerstag und es beginnt als Gabe Gottes und es bleibt Gabe Gottes: Der Heilige Geist, Gottes tröstende und vergewissernde, ermutigende und kritische Gegenwart im Zentrum unseres Lebens wird uns führen.

Wenn wir dies vom Geist Gottes her aussprechen, wollen wir noch etwas sehr Wesentliches hinzufügen: Wie gut, dass wir heute und auf diesem ganzen Weg nicht alleine sind, dass wir in der Schar der Erlösten unseren Platz haben. Wie gut, mit einem Wort, dass wir Kirche Jesu Christi und Gemeinde sind, als Schwestern und Brüder auf dem Weg sein dürfen, um uns gegenseitig zu ermutigen und zu fördern auf diesem Weg. Unsere Bestimmung ist es, freie und reife Menschen zu werden, Friedensstifterinnen und Friedensstifter, Zeuginnen und Zeugen des gekreuzigten Herrn Jesus Christus, der da ist der „Herzog unserer Seligkeit".

 



OKR Dr. Roger Mielke
Kirchenamt der EKD
30419 Hannover
E-Mail: roger.mielke@ekd.de

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