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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Karsonnabend, 19.04.2014

Was kommt danach?
Predigt zu Hesekiel 37:1-4, verfasst von Karl Wilhelm Rennstich

 

1 Des HERRN Hand kam über mich und er führte mich hinaus im Geist des HERRN und stellte mich mitten auf ein weites Feld; das lag voller Totengebeine. 2 Und er führte mich überall hindurch. Und siehe, es lagen sehr viele Gebeine über das Feld hin, und siehe, sie waren ganz verdorrt. 3 Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, meinst du wohl, dass diese Gebeine wieder lebendig werden? Und ich sprach: HERR, mein Gott, du weißt es. 4 Und er sprach zu mir: Weissage über diese Gebeine und sprich zu ihnen: Ihr verdorrten Gebeine, höret des HERRN Wort! 5 So spricht Gott der HERR zu diesen Gebeinen: Siehe, ich will Odem in euch bringen, dass ihr wieder lebendig werdet. Ich will euch Sehnen geben und lasse Fleisch über euch wachsen und überziehe euch mit Haut und will euch Odem geben, dass ihr wieder lebendig werdet; und ihr sollt erfahren, dass ich der HERR bin. 7 Und ich weissagte, wie mir befohlen war. Und siehe, da rauschte es, als ich weissagte, und siehe, es regte sich und die Gebeine rückten zusammen, Gebein zu Gebein. 8 Und ich sah, und siehe, es wuchsen Sehnen und Fleisch darauf und sie wurden mit Haut überzogen; es war aber noch kein Odem in ihnen. 9 Und er sprach zu mir: Weissage zum Odem; weissage, du Menschenkind, und sprich zum Odem: So spricht Gott der HERR: Odem, komm herzu von den vier Winden und blase diese Getöteten an, dass sie wieder lebendig werden! 10 Und ich weissagte, wie er mir befohlen hatte. Da kam der Odem in sie und sie wurden wieder lebendig und stellten sich auf ihre Füße, ein überaus großes Heer. 11 Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, diese Gebeine sind das ganze Haus Israel. Siehe, jetzt sprechen sie: Unsere Gebeine sind verdorrt und unsere Hoffnung ist verloren und es ist aus mit uns. 12 Darum weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott der HERR: Siehe, ich will eure Gräber auftun und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern herauf und bringe euch ins Land Israels. 13 Und ihr sollt erfahren, dass ich der HERR bin, wenn ich eure Gräber öffne und euch, mein Volk, aus euren Gräbern heraufhole. 14 Und ich will meinen Odem in euch geben, dass ihr wieder leben sollt, und will euch in euer Land setzen, und ihr sollt erfahren, dass ich der HERR bin. Ich rede es und tue es auch, spricht der HERR.


Liebe Gemeinde,

Bischof Otto von Freising (1112-1158) verweist darauf, daß Jesus seine Jünger nach der Auferstehung aufgefordert habe, ihn anzufassen und zu begreifen: „Kein Geist hat Fleisch und Knochen, wie ihr es bei mir seht" (Lk 24,39). Christen glauben deshalb, „daß wahre Körper im wahren Stoff des Fleisches auferstehen werden".(Chronik VIII 27; S. 652). Der Bischof stellt diesem Bekenntnis eine Reihe von Worten aus dem Alten Testament über die Auferstehung der Toten voran. Er verweist auf den Propheten Ezechiel (37,6ff): „Ich spanne Sehnen über euch und umgebe euch mit Fleisch; ich überziehe euch mit Haut und bringe Geist in euch, dann werdet ihr lebendig." Außerdem sagte Ezechiel (37,12.14): „So spricht der Herr: Ich öffne eure Gräber und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern herauf ... Ich hauche euch meinen Geist ein, dann werdet ihr lebendig." Männer und Frauen werden auferstehen. Otto von Freising zitiert Offenbarung 20,13: „Und das Meer gab die Toten heraus, die in ihm waren; und der Tod und die Urwelt gaben ihre Toten heraus, die in ihnen waren." Viele Künstler zeigen die verschiedenen "Etappen" der Auferstehung wie von Ezechiel geschaut. Tote entsteigen den Gräbern und nehmen mehr und mehr menschliche Züge an wie man im Tympanon über dem Hauptportal des Freiburger Münsters sehen kann (Siehe Google Tympanon Freiburger Münster Hauptportal).

Otto von Freising, der Onkel Friedrich Barbarosas schreibt in seiner Chronica sive Historia de duabus civitatibus die Geschichte der zwei Staaten. Es ist eine Art Weltgeschichte (in sieben Büchern). Im achten Buch behandelt er das Thema des Jüngsten Gerichts. Er gehörte dem Zisterzienser Orten an. Der kluge Historiker und Theologe Otto von Freising erkennt in Ezechiel 37, 1-4 einen wichtigen Hinweis auf die Auferstehung. Ostern umfasste in der Alten Kirche die drei heiligen Tage: Sie beginnen am Gründonnerstagabend. Der Freitag wurde als Tag begangen, an dem Jesus gelitten hat und gestorben ist. Zwischen Karfreitag und Ostern liegt der Ostersamstag. Er galt als Tag der Grabesruhe Jesu. »Am Karsamstag verweilt die Kirche am Grab des Herrn und betrachtet sein Leiden und seinen Tod. Das Messopfer wird nicht gefeiert, der Altar bleibt unbedeckt«.

Die Vision vom Tal voller Gebeine

An diesem Ostersamstag wollen wir die Vision des Propheten Hesekiel, (Ezechiel) bedenken. Ezechiel bedeutet »Gott stärkt«. Der Sohn eines Priesters (wie Jesaja und Jeremia) lebte während des Exils in der babylonischen Gefangenschaft. Damals herrschte Nebukadnezar. Dieser führte die Führungsschicht der Juden 597 und 587 v. Christus in die Verbannung. Der Prophet erlebte Perioden in denen er weder sprechen noch sich bewegen konnte. Er schwebte in der Luft. Sein Buch enthält seltsame Bilder. Er muß das Wort Gottes essen. Das Wort Gottes geht in den Bauch. So wie wir manchmal sagen: das ist gegessen und meinen damit, das habe ich verstanden und will es auch in die Tat umsetzen.

Ezechiel sieht ein Tal voller Gebeine von Toten. Plötzlich kommt ein Wind aus allen vier Richtungen und die Totengebeine werden mit Fleisch überzogen. Sie stehen auf und wandeln als Lebendige wieder herum. Das amerikanische Negro Spiritual Dem Bones besingt in faszinierender Weise wie die Toten plötzlich wieder zum Leben kommen. Es ist fast ein wenig wie auf dem großen Friedhof in Manila, den sich Slumbewohner als neue Behausung in ihrer Verzweiflung aussuchten. Sie leben nun in den Grüften und auf den Gräbern. Da sie keine Angst haben vor den Toten schließen sie ihr neue Behausung des Nachts, denn sie haben mehr Angst vor den lebenden als den toten Menschen.( Sonntag, 13. April 2014 » Panorama » Zwischen Knochen und Kakerlaken: Leben auf Manilas Friedhof).

Blick in die Ewigkeit

Was kommt danach? Sterben. Tod. Alles aus? Sehr schön formuliert Stefan Andres das Wissen, dass wir alle sterben müssen:»Wenn du mich triffst, sprich leise Als wär ich dir bekannt; Und von der langen Reise Sag nichts, gib mir die Hand... (Stefan Andres, Der Granatapfel, München 1950.

Was ist der Tod? Die Antwort auf diese Frage ist gleichzeitig, wie S. Freud uns lehrt, eine Antwort auf die Frage - was ist das Leben? Ich erinnere mich an einen alten chinesischen Freund in Malaysia. Jahrelang musste ich an seinem Sarg vorbei, wenn ich ihn besuchte. So üben sich Chinesen ein auf die Kunst des Sterbens. Der Tod ist ein Stück von uns wie S. Freud sagt: „Willst du das Leben, rüste dich für den Tod". (Zwei seiner Söhne fielen im Ersten Weltkrieg).

Sheikh Muhammad ibn al- Habib rät: »Bereite dich vor auf dem Tod, du mein Bruder; denn er wird auf dich herabkommen. Bedenke immer wieder die Zustände der Letzten Stunde, die Auferstehung der Leiber, die Versammlung der Menschheit und die Waage, welche errichtet werden wird... Und segne den Führer, der Fürsprache einlegt für die Menschheit.

In unserer westlichen Gesellschaft wird der Tod tabuisiert. »ausgebürgert. Seine Rituale sind beseitigt: »Von Beileidsbekundigungen am Grab bitten wir abzusehen«! Elisabeth Kübler-Ross hat den Blick über die Grenzen des Todes hinaus wieder neu in die Diskussion gebracht. Mit ihren Vorstellungen betrat sie das Gebiet der Religion, des Glaubens und der Weltanschauung: „Die Arbeit mit Sterbenden hat mir auch dazu verholfen, meine eigene religiöse Identität zu finden, zu wissen, daß es ein Leben nach dem Tode gibt. Das ist auch die Ansicht des Dr. med. Eben Alexander in seinem Buch, BLICK IN DIE EWIGKEIT- Die faszinierende Nahtoderfahrung eines Neurochirurgen, 2013. Auf ihn wollen wir später noch einmal zurückkommen.

Die älteste, bis heute fassbare religiöse Äußerung des frühen Menschen, ist der Glaube an die dem Menschen innewohnende ewig lebende Seelengestalt. Funde aus altsteinzeitlichen Siedlungen lassen unübersehbar einen Brauch erkennen, schreibt Jakob Ozols, (Die Jenseitsvorstellungen des vorgeschichtlichen Menschen, in: Tod und Jenseits im Glauben der Völker, Hrsg. Hans-Joachim Klimkeit, Wiesbaden 1978, S. 14 - 39.) Die älteste uns noch erhaltene Form dieser Seelengestalt finden wir im Schamanismus, der seit der letzten Eiszeit in Nordasien bis zum heutigen Tag in einer nahezu unveränderten Form weiterbesteht. »Dieses kleine Ich von schattenhafter Beschaffenheit« ist weder greifbar, noch kann es mit gewöhnlichen Waffen verwundet werden. Es ist das eigentliche "Leben" des Betreffenden. Sie kann krank werden. Wird sie geheilt, so wird auch ihr leiblicher Träger gesund.

Die Seelengestalt unterliegt nicht den gewohnten Gesetzmäßigkeiten. Ohne Mühe kann sie große Entfernungen überwinden und an bekannten und unbekannten Welten sich niederlassen. Sie ist auch an keine Zeit gebunden, und sie kann wie das Vergangene so auch das Zukünftige erleben. Sie kann ferner die Seelengestalten längst verstorbener Menschen treffen, Geistern begegnen und ungewöhnliche Abenteuer bestehen. Die Seelen haben ihren eigenen Lebensbereich. Der eiszeitliche Mensch hat seine mit dem Jenseits verbundenen Vorstellungen in den Felsenbildern zum Ausdruck gebracht. Die Höhle wird zum Sinnbild des Jenseits und führte zur Errichtung der Gräber. Das wichtigste Zeichen einer sich ständig vollziehenden Erneuerung war die Sonne.

Zusammenfassend können wir sagen, daß die Jenseitsvorstellung des vorgeschichtlichen Menschen von der Überzeugung einer unsterblichen Seelengestalt ausgeht, die bis in die neueste Zeit wichtigster Bestandteil der Religionen geblieben ist. Nach Otto Plöger (Tod und Jenseits im Alten Testamemt, in:Tod und Jenseits im Glauben der Völker, Hrsg. Hans-Joachim Klimkeit, Wiesbaden 1978, S. 77- 85) hat sich der Mensch niemals mit der Endgültigkeit des Todes abfinden können. In der hebräischen Bibel ist der Tod das Ende des Lebens, eine unüberschreitbare Grenze.

Das Hiobbuch gibt auf die Frage:Wird je ein toter Mensch wieder lebendig? (14,14) keine Antwort. Der Mensch stirbt alt und lebenssatt (1.Mos. 25,8). Er wird zu seinen Vätern versammelt (5. Mos. 31,16): "Im Schlaf des Todes vereinigt werden mit den Vätern" erinnert an das hebräische Scheol - "Unterwelt" oder "Schattenreich". Die Reaktion des Menschen auf den Tod ist Furcht: »Bitterkeit fällt auf das Leben angesichts des Todes". Die Furcht vor dem Tod ist die schlimmste Form der Furcht (Ps. 55,5). Die Psalmen nennen das "in die Grube hinabfahren" (Ps. 28,1; 40,3 u.ö.) Verschwinden und Vergessenwerden.

Der Weisheitslehrer Jesus Sirach dagegen schreibt: "Es kommt alles von Gott, Leben und Tod" (11,14). Gott ist Leben. Es gibt eine Wandlung im Verständnis des Todes und der Jenseitsvorstellung. Eine Beschreibung dieser Wandlung finden wir in unserem Text Hesekiel 37-1-14:

1 Des HERRN Hand kam über mich und er führte mich hinaus im Geist des HERRN und stellte mich mitten auf ein weites Feld. Siehe, ich will Odem in euch bringen, dass ihr wieder lebendig werdet und ihr sollt erfahren, dass ich der HERR bin.

Nach Hosea. 13,13 wird Gott zum» Gift des Todes«. Und in Jesaja 25,8 lesen wir: "Er (Gott) wird den Tod verschlingen für immer. Psalm 22 und Jesaja 53 zeigen in die Richtung Jesus; ER hat dem Tod die Macht genommen.

Der Auferstandene hat nach den Osterberichten des Neuen Testaments einen Leib, erinnert uns Bischof Otto von Freising. Dieser Leibe jedoch ist von äußeren Erscheinungsbildern her als ein gewandelter Leib zu bezeichnen. Nach Johannes 20, 11-18 erkennt Maria Magdalena den Auferstandenen erst, als dieser sagt: "Maria." Der Name («Maria!») und das Bekenntnis («Rabbuni, mein Herr!») bringen die neue Wirklichkeit zum Ausdruck. Die Jünger erkennen den Auferstandenen als Jesus als er »das Brot bricht« (Lukas 24, 13-35). Das Ereignis der gemeinsamen Geschichte macht deutlich, daß es sich um denselben gekreuzigten und auferstandenen Herrn handelt.

Der Auferstandene trägt an seinem Leib die Kreuzeswunden. Die neue hat mit der alten Leiblichkeit etwas zu tun ohne mit ihr identisch zu sein. Der Apostel Paulus beschreibt es so: «Dieses Verwesliche muß (wird) anziehen Unverweslichkeit, und dieses Sterbliche muß (wird) anziehen Unsterblichkeit» (1. Kor. 15,42b). Auferstehung heißt nicht einfach Fortsetzung der irdischen Leiblichkeit, an der Liebe, Lust und Leiden hängen. Die neue Schöpfung vollzieht Gott an dem alten Geschöpf. Neuschöpfung gilt dem alten Menschen in seiner Personalität, mit seiner unverwechselbaren Geschichte und geschieht in der Kraft des Geistes (Gal. 3,3). Bewusstsein ist ein anderes Wort for Seele. Den Glauben an die Auferstehung der Toten umschreibt Paulus in Röm. 8,11 so: »Der, der Christus auferweckt hat von den Toten, wird auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist«. Paulus erinnert daran, daß unser Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist. Vom Sterben mit Christus in der Taufe spricht der Apostel in der Vergangenheitsform,vom Leben und Auferstehen redet er in der Zukunftsform: "Wenn wir zusammengepflanzt wurden mit dem Bilde seines Todes, werden wir es auch mit seiner Auferstehung sein" (Röm. 6,5). "Wenn wir aber mit Christus gestorben sind, so glauben wir, daß wir auch mit ihm leben werden" (6,8).

Die Vollendung der Erlösung wird erst dann erreicht sein wird, wenn wir das "ewige Haus" von Gott empfangen. Das Bild vom Haus wechselt mit dem Bild vom Kleid. Beides sind Symbolworte. Christus symbolisiert nach 2. Kor. 5, 1-5 die Hoffnung auf den himmlischen Leib. Der Glaube des Apostels unterscheidet sich vom jüdischen Glauben dadurch, dass er die Verwandlung des irdischen Leibes in den himmlischen Leib als eine Neuschöpfung Gottes ansieht. Sein Denken wird ganz von der Sehnsucht nach der Vollendung bestimmt, von der 2. Kor. 5, 1-1o spricht.

Deshalb kann der Apostel sagen: "Ich bin überzeugt, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Höhe noch Tiefe, noch irgend ein anderes Geschöpf uns trennen kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus, unserem Herrn ist" (Röm 8,38 f). Diese Gemeinschaft mit Christus kann auch durch den Tod nicht zerschnitten werden.

Das Ziel ist das ewige Leben

In den USA setzte im Jahr 2012 ein Buch vor allem der Ärzte in große Aufregungen. Dr. med. Eben Alexander brachte mit seinem Buch, (BLICK IN DIE EWIGKEIT. Die faszinierende Nahtoderfahrung eines Neurochirurgen) in den USA viele Mediziner in große Verwirrung- sie waren überzeugt, dass mit Tod des Gehirns alles aus sei. Dr. Alexander bewies nun nach seiner »Rückkehr ins Leben« aus dem Komma das Gegenteil. Das Buch, in dem er seine Nahtod Erfahrungen niederschrieb heißt:»Proof of Heaven«. Sein wissenschaftlich begründeter Beweis, dass es den »Himmel« tatsächlich gibt und der Mensch auch hinter der Mauer des Todes weiterlebt, führt zu heftigen Diskussionen -auch hier in Deutschland.

Dr. Eben Alexander berichtet das folgende Erlebnis (S. 133f.)

»Etwa zwei Jahre nach meiner Rückkehr aus dem Koma besuchte ich einen guten Freund und Kollegen, der eine der weltweit führenden Forschungsabteilungen für Neurowissenschaften leitet. Ich kenne John (das ist nicht sein richtiger Name) seit Jahrzehnten und halte ihn für einen wunderbaren Menschen und erstklassigen Wissenschaftler.

Ich erzählte John einen Teil der Geschichte meiner spirituellen Reise im tiefen Koma und er wirkte ziemlich erstaunt. Nicht erstaunt darüber, wie verrückt ich neuerdings war, sondern darüber, dass etwas, was ihm lange ein Rätsel gewesen war, endlich einen Sinn für ihn ergab. Es stellte sich heraus, dass Johns Vater vor etwa einem Jahr nach fünfjähriger Krankheit seinem Ende entgegengesehen hatte. Er war entmündigt, dement, hatte Schmerzen und wollte sterben. »Bitte«, hatte sein Vater John auf dem Totenbett angefleht. »Gib mir ein paar Pillen oder irgendwas. Ich kann so nicht weitermachen.«

Dann plötzlich wurde sein Vater klarer, als er es in den letzten beiden Jahren gewesen war, und teilte John einige tiefe Beobachtungen über sein Leben und ihre Familie mit. Dann änderte er seine Blickrichtung und begann mit der Luft am Fußende seines Bettes zu reden. Während er zuhörte, merkte John, dass sein Vater mit seiner Mutter sprach, die 65 Jahre zuvor gestorben war, als Johns Vater noch ein Teenager war.

Sein Vater hatte sie John gegenüber kaum je erwähnt, aber nun führte er ein fröhliches und lebhaftes Gespräch mit ihr. John konnte sie nicht sehen, aber er war fast davon überzeugt, dass ihr Geist anwesend war und den Geist seines Vaters zu Hause willkommen hieß. Nach ein paar Minuten wandte sich Johns Vater wieder ihm zu und hatte jetzt einen völlig anderen Ausdruck im Gesicht. Er hatte ein Lächeln auf den Lippen und war deutlich sichtbar voller Frieden, mehr, als John es je zuvor an ihm erlebt hatte.

»Schlaf jetzt, Papa«, hörte sich John sagen. »Lass einfach los. Es ist alles in Ordnung.«

Sein Vater tat genau das. Er schloss die Augen und dämmerte mit einem vollkommen friedlichen Ausdruck auf dem Gesicht ein. Kurz danach segnete er das Zeitliche.

John spürte, dass die Begegnung zwischen seinem Vater und seiner verstorbenen Großmutter sehr real gewesen war, aber er hatte keine Ahnung, was er damit anfangen sollte, weil er als Arzt wusste, dass solche Dinge »unmöglich« waren. Viele andere Menschen waren Zeugen einer erstaunlichen und plötzlichen geistigen Klarheit, die sich bei dementen älteren Menschen oft unmittelbar vor dem Tod einstellt, ähnlich wie es John bei seinem Vater erlebt hatte (ein Phänomen, das als »Terminal Lucidity« oder »geistige Klarheit kurz vor dem Tod« bekannt ist). Dafür gibt es keine neurophysiologische Erklärung.

Meine Geschichte schien John eine Art Lizenz für etwas zu geben, nach dem er sich gesehnt hatte: die Erlaubnis zu glauben, was er mit seinen eigenen Augen gesehen hatte. Und die tiefe und beruhigende Wahrheit zu wissen, dass unser ewiges spirituelles Selbst realer ist als irgendetwas, was wir in diesem physischen Bereich wahrnehmen, und dass es eine göttliche Verbindung zur grenzenlosen Liebe des Schöpfers hat.«

Amen



Prof. Dr. Karl Wilhelm Rennstich
72762 Reutlingen
E-Mail: kwrennstich@googlemail.com

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