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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Tag der Kreuzigung des Herrn: Karfreitag, 18.04.2014

Zugänge zum Kreuz
Predigt zu Jesaja 52:(13-15); 53,1-12, verfasst von Kira Busch-Wagner

 

Wer heute auf ein Kreuz blickt, selbst auf ein Kruzifix, ein Kreuz mit dem angebundenen, angenagelten Christus, wird kaum einen Schock bekommen. Das Kreuz ist vertrauter Teil unserer Kultur geworden. Aber was für ein Teil? Was denken sich Menschen, was denken Jugendliche, was denken wir uns, wenn wir aufs Kreuz sehen.

Beim Projekt „Mahnmal" (zum Gedenken an die nach Gurs deportierten jüdischen Menschen) hat eine der Jugendlichen auf ihrer Kachel, die sie für das Ettlinger Mahnmal entwarf, ein Kreuz einbezogen. Es ist Teil der Welle, die über den Davidsstern, Zeichen der jüdischen Gemeinschaft in der Stadt, hinwegrollt. Die Jugendliche schreibt für das erklärende Faltblatt: „Das Kreuz symbolisiert den Tod." Als Theologin erschrecke ich. Ist im Kreuz nicht Heil? Aber ich muss anerkennen: Die junge Frau hat das Kreuz in seiner ersten, ursprünglichen Funktion genommen. Als Folterinstrument. Als Tod.

Viele Künstler früherer Zeiten, aber auch der Gegenwart, lassen uns bei der Darstellung der Kreuzigung nicht nur unmittelbar auf das Kreuz sehen, sondern auch auf Menschen, die ihrerseits die Kreuzigung erleben und von denen in den Evangelien die Rede ist.

Da gibt es Soldaten: gehässig, hämisch, belustigt. Aber auch fragend. Zuschauer: spöttisch, aggressiv oder auch erschrocken. Maria, die Mutter: voller Schmerz. Johannes, der Jünger, der sie hält und um Fassung ringt. Maria Magdalena. Der Maler, den wir Matthias Grünewald nennen, hat auf dem Isenheimer Altar ihre Verzweiflung gemalt, aufgelöst ist sie, es spiegelt sich in den flatternden Haaren. Sie ringt die Hände, ihr Gesicht liegt offen, ihre Verstörung wendet sich den Betrachtern zu. Sogar Johannes der Täufer steht neben dem Kreuz abgebildet mit großem Zeigefinger. Johannes lebt nicht mehr, als Jesus stirbt. Doch mit Johannes deutet ein Märtyrer auf den anderen.

So zeigt uns Grünewald Zugänge zum Kreuz. Zugänge zu Jesus. Nimmt neutestamentliche Worte auf und fügt sie ein in seine Bilder. Erzählend und deutend. Und er tröstet damit vor allem all die Kranken, die im Antoniterkloster, wo der Altar aufgestellt war, sterbend und elend liegen. Sie sehen: wir sind nicht allein.

Und auch das gibt es ja bis heute und immer wieder. In Krankheit, in Todesnähe nehmen Menschen die Bibel und halten sich fest an dem, was sie dort lesen. Es gab es und gibt es: in extremen Situationen rufen Menschen sich Psalmen, Gesangbuchverse, Bibelworte ins Gedächtnis, sich und andere zu trösten, Halt zu finden und Halt zu geben. Traumatische Momente zu bestehen. Seelisch nicht zu zerbrechen, sondern sich gehalten zu erleben noch an den Grenzen ihrer Existenz.

Den Menschen um Jesus herum ging es nicht anders beim Tod Jesu, am Tag der Kreuzigung und noch lange, lange danach. Man kann sich schon vorstellen, wie die Frauen und Männer, die Jesus eben noch als Mittelpunkt ihres Kreises, ja ihres Lebens gesehen hatten, angesichts des Todes Jesu verzweifelt um ihre Fassung ringen. Der, von dem sie dachten, dass er Israel erlösen würde, er, den die einen für Elia hielten, den Boten des Messias, andere für den wiedergekommenen Johannes. Der, den sie in der Tradition der Propheten Israels erlebten, ein Lehrer und Meister, ein Kind und Sohn Gottes, ein Gesalbter, Erwählter. Einer, der heilte und Wunder tat, eben der stirbt wie ein Verbrecher. Wie soll man verstehen.

In den neutestamentlichen Texten können wir spüren, wie lange diese Erschütterung anhielt.

So erwähnt das ursprüngliche Ende des Markusevangeliums das zwar rätselhaft offene und leere Grab, erzählt von einer seltsamen Jünglingsgestalt, davon, dass Jesus in Galiläa sein werde. Es vermittelt vor allem aber das Entsetzen der Frauen, das auch am Ostertag noch einmal den Schrecken der Kreuzigung fortsetzt.

Wenn Markus so schreibt, dann heißt das doch wohl: 40 Jahre nach der Auferstehung steckt den Jesusleuten vor allem noch das Entsetzen in den Gliedern, sind die Gemeinden immer noch trostbedürftig, ringen sie immer noch mit Erklärung. Suchen sie immer noch Zugänge zu Kreuz und Auferstehung. Gerade angesichts eigenen Leides. Angesichts des Krieges im Land und der Zerstörung des Tempels und der Stadt Jerusalem, wo Jesus doch starb.

Der Evangelist Lukas erzählt, wie dankbar zwei namenlose Jünger sind, als ihnen einer mit biblischen Worten und Zusammenhängen Trost spendet nach der Kreuzigung. An einem der Tage in der Woche danach sind sie unterwegs. Sie treffen einen Fremden, der offenbar keine Ahnung hat. Und es klingt nach einer Mischung von Wut und Verzweiflung, als die Jesusschüler zu ihm sagen: Bist du der einzige, der nicht weiß, was geschehen ist? Das mit Jesus, der ein Prophet war. Wir aber hofften, er ist der, der Israel erlöst und frei macht.

Und der Unbekannte fängt an bei Mose und den Propheten. Er zitiert die Schrift, die Bibel, und es wird ihnen so wichtig, dass sie wollen, dass er am Abend bei ihnen bleibt.

Und in der Apostelgeschichte erzählt ebenfalls Lukas, wie ein Mann von Jerusalem nach Hause fährt, zurück nach Äthiopien, und den Prophetenabschnitt liest über den, der wie ein Schaf zur Schlachtbank geführt wird. Wer ist es, fragt er. Sagt der Prophet das von sich selber oder von einem anderen. Und Philippus, den der Reisende hat in seinen Wagen einsteigen lassen, spricht davon, wie er mit den Worten aus der Jesjajarolle Jesus versteht. Wie er unter dem Eindruck der Prophetenworte auf das Kreuz sehen kann als einem Evangelium. Als einer frohen trostvollen Nachricht, ja, einer Siegesmeldung.

Es ist eben jener Zusammenhang aus dem Buch Jesaja, der auch uns heute aufgetragen ist, um einen Zugang zum Kreuz zu finden. Verse mit den Fragen einer weit weit zurückliegenden Generation. Fragen von Menschen, die schon einmal auf einen Gottesknecht geschaut haben und auf sein Verderben. Die ihre eigenen Erwartungen und das was sie sehen, nicht zusammenbringen konnten.

Hören wir auf ihre Worte aus dem Kapitel 53 bei Jesaja

(bis auf V 2 die deutende Übertragung von Klaus Müller, aus: Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext. 2007)

1 Wer hätte das für möglich gehalten, was wir gehört haben?! An wem hat sich der Arm des EWIGEN da offenbart?! 2 Er schoss auf wie ein dünnes Reis, wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich. keine Gestalt hatte er, keinen Glanz, dass wir ihn angesehen hätten; kein Aussehen, dass wir ihn begehrt hätten.

3 verachtet war er, von den Menschen nicht mehr als Mensch betrachtet, ein Mensch der Schmerzen, vertraut mit der Krankheit, wie jemand vor dem man sein Gesicht verbirgt, so verachtet war er; wir hielten ihn für nichts.

...

7 Bedrängt wurde er und beugte sich hin wie ein Lamm, das zur Schlachtung geführt wird; und wie ein Mutterschaf, das vor seinen Scherern verstummt, tat er seinen Mund nicht auf.

8 Von Haft und Gericht wurde er weggerafft; doch von den Menschen in seiner Generation, wer mochte darüber sprechen, das er abgeschnitten wurde aus dem Lande der Lebendigen; wegen des Verstoßes seines Volkes war er zu Schaden gekommen.

9 Sie gaben ihm sein Grab bei den Gesetzesbrechern, seine Grabstätte bei den Übeltätern, obwohl er keine Gewalttat verübte und kein Betrug in seinem Munde war.

Soweit einige Verse aus dem Jesajabuch. Blicke auf einen Menschen, der nichts gilt, nach nichts aussieht, der es nicht an die Spitze geschafft. Vielmehr ins Grab.

Es sind ja Verse, die wohl immer wieder schon einmal in der Geschichte Israels geholfen hatten, Enttäuschung und Tod, Glanzlosigkeit und erneutes Verderben hinzunehmen, aufzunehmen, weiterzugehen, weiterzuhoffen. Vielleicht etwa, als nach dem Exil ein hoffnungsvoll begrüßter Nachfahre aus dem Königsgeschlecht doch wieder in den Wirren der Geschichte unterging. Obwohl doch einer wie Sacharja (3,8) von ihm gesprochen hat als dem aufgehenden Sproß, dem Reis, dem Keimling. Und immer dann, wenn man's wieder erlebt hatte: der, auf den wir hoffen, auch der ist machtlos, schwach, und ausgeliefert. wie die Schafe beim Schlachten oder Scheren. Muss nehmen, was kommt. Immer dann, wenn man klagte: Sehen denn so unsere Erwartungen aus? Haben wir uns das so vorgestellt.

Dann wurden die Worte aufs neue ganz lebendig.

Und in diesen Worten, die Zorn und Enttäuschung, Verzweiflung und immer noch vorhandene Loyalität ausdrücken, mögen sich auch die Jesusfreunde wieder gefunden haben.

Und wenn sie den Blick hoben, wenn sie am Kreuz hinaufschauten, unmittelbar als sie die Kreuzigung erlebten, damals, kurz vor Pessach in der Ära des Pilatus, oder auch später, in Gedanken, im Gebet: wenn sie da am Kreuz hinaufschauten auf den Gekreuzigten und sich seine Gottesnähe ins Gedächtnis riefen, da mögen sie empfunden haben, dass es noch eine andere Perspektive gehen könnte.

Wie schaut eigentlich Gott auf dies Geschehen? Wie ist sein Urteil? Wie ist Gottes Perspektive? Was sagt der Ewige über den geschlagenen, hinweggerafften, geschlagenen sagen? Was ist sein Gedanke?

Und mit den Schülern Jesu und vielen anderen in den Generationen danach können auch wir den Blick heben über das hinaus, was wir schon an biblischem Wort gehört haben. Im Text weiter voraus und weiter zurück schauen, und wahrnehmen, was Gottes Stimme dazu sagte. Nämlich dies:

52,13 Siehe, zum Gelingen bringen wird es mein Knecht, er wird erhoben, getragen und sehr hoch sein.

14 Wie sich viele über ihn entsetzten, - denn unmenschlich verderbt war sein Anblick und nicht mehr wie ein Mensch sah er aus -,

15 so wird er die vielen Weltvölker in Staunen versetzen, Könige werden ihren Mund vor ihm verschließen; denn was ihnen nie erzählt wurde, das sehen sie, und wovon sie nie hörten, das nehmen sie wahr.

...

11a Es wird der Gerechte, mein Knecht, die vielen gerecht machen, denn ihre Verschuldungen lud er auf sich.

12 Darum will ich ihm Anteil geben unter Großen, und mit den Mächtigen wird er Beute teilen, dafür dass er sein Leben entblößte zum Tode und den Übeltätern zugerechnet wurde; doch er trug die Sünde der vielen und trat ein für die Übeltäter.

Gottes Blick: ein anderer also als der der Menschen. Gottes Blick: Voller Anerkennung über dem Unscheinbaren. Den Knecht erhebend, erhöhend. Anerkennend den, der Opfer zu sein schien. Voller Liebe zu dem, der nach menschlichem Ermessen, dem menschlichen Blick nach unter die Räder gekommen ist. Nicht dass Gott die Erniedrigung gefiele. Gott gefallen nicht Schläge und nicht das Schlachten, nicht das Kreuz und nicht der Tod. Wohl aber hält Gott an dem fest, an dem nach weltlichen Kriterien nichts mehr dran ist. Der verloren hat und verloren ist. Von Gott aber heißt es:

10 Doch der EWIGE hatte Gefallen an seinem von Krankheit Zerschlagenen: der sein Leben als Schuldtilgung einsetzte, wird Nachkommen sehen und lange leben; was dem EWIGEN gefällt wird durch seine Hand gelingen.

11 Aus der Mühe seines Lebens wird er (Licht) sehen und sich sättigen an seiner Erkenntnis.

Es ist ein prophetischer Hinweis darauf, wie Gott auch auf den Gekreuzigten blickt. So, dass das Kreuz vielmehr als Thron zu verstehen sei. Die Rede vom Gottessohn immer noch die Wahrheit verkündigt. Die Rede vom König: wahr ist und bleibt. Und der Gekreuzigte der geliebte Sohn.

Einen österlichen Blick wirf der EWIGE aufs Kreuz, ein auferweckendes und zum Aufstehen und Auferstehen bringendes Wort spricht Gott über dem Gekreuzigten, ein Wort, das zum Aufstand ruft gegen den Tod, zum Aufstand gegen menschliche Einschätzung, gegen menschliches Urteil und Vorurteil. So wirkt Gottes Wort.

Und unter dem auferweckenden und lebensspendenden Blick Gottes, unter seinem Wort muss sich der menschliche Blick senken. Wendet sich die Hand, eben noch feindlich gereckt, klagend gegen die eigene Person.

Dass da einer untergeht, dass da einer unter die Räder kommt, dass da einer ans Kreuz kommt, das hat mit mir zu tun. Da kann ich mich nicht davonstehlen. Dass niemand mehr hinsehen mag, dass man lieber die Augen wendet vom Unglück, daran habe ich selbst Anteil.

Der anerkennende Blick Gottes über dem, den er berufen hat, unabhängig davon, wie er ankommt bei den Menschen, das auferweckende Wort Gottes über dem, dem man eben aufgegeben hat, das führt im biblischen Zusammenhang zum Schuldbekenntnis.

Mitten drin, im Zentrum des alten Gottesknechtliedes steht es. Getragen aber von Erkenntnis und von Gottes Zuwendung. Wenn es eingerahmt - erst von der Beschreibung des Knechtes und dann eben noch von der Zusage Gottes - in den innersten Versen heißt:

4 Jedoch: unsere Krankheit, die hat er getragen, und unserer Schmerzen, die hat er auf sich geladen; und wir, wir hielten ihn für einen Geplagten, einen von Gott Geschlagenen und Gequälten; 5 er aber war durchbohrt wegen unserer Vergehen, zerschlagen wegen unserer Verschuldung; Züchtigung uns zum Frieden war auf ihm, durch seine Striemen wurde uns Heilung.

6 Wir alle gingen in die Irre wie Schafe, jeder war nur auf seinen eigenen Weg bedacht; der EWIGE aber ließ auf ihn treffen die Schuld von uns allen.

Die Entschuldung ging dem Schuldbekenntnis voraus. Das Eingeständnis ist getragen und aufgenommen von Gottes hilfreichem und aufrichtendem Wort. Von seinem auferweckenden, Leben schenkenden, also einem österlichen Handeln. So hat der Prophet es gesehen. An solches Wort und Wirken Gottes hielt sich und hält sich der jüdische Glaube. Daran hielten sich die Jünger, um sich und uns einen Zugang zum Kreuz zu denken. Möglich zu machen.

Gott blickt immer schon von Ostern her aufs Kreuz.

Nicht um drüber hinweg zu sehen. Sondern um eine lebendige Hoffnung sein seinen Mägden und Knechten, die dort stehen, wo der Prophet des Jesajabuches den Gottesknecht gesehen hat: in der Tiefe, stellvertretend für uns, die wir immer wieder versuchen, uns herauszuhalten. Gott urteilt von Ostern her. Um Einspruch zu erheben, wo den Gemarterten, den Leidenden die Stimme versagt. Widerspruch zu erheben gegen den Tod.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 



Pfarrerin Kira Busch-Wagner
76275 Ettlingen
E-Mail: Kira.Busch-Wagner@kbz.ekiba.de

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