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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

17. Sonntag nach Trinitatis / Erntedankfest, 30.09.2007

Predigt zu Lukas 14:1-14, verfasst von Erik Dybdal Møller

Die eigentliche Anklage, die die Pharisäer gegen Jesus erhoben, war nicht seine moralische Lebensweise; man kann einem Menschen wohl nicht vorwerfen, dass er ein ordentlicher Mensch ist; sondern sein Fehler war - in den Augen der Pharisäer -, dass er in höherem Maße den Geist des Gesetzes betonte statt seines Buchstabens. Stand im alten Gesetz Moses, dass man am Sabbat nicht arbeiten durfte, ja, dann durfte man es also nicht, meinten die Pharisäer und ließen es bleiben, oder sie überließen es anderen weniger Rechtgläubigen. Aber es gibt Gesetze, die sich nicht ausschließlich buchstäblich interpretieren lassen, sie sind eher als eine Richtschnur anzusehen, als eine Richtungsangabe, als ein Aufzeigen im allgemeineren Sinne, was zum Besten dient, und so verhielt es sich auch mit dem Verbot der Arbeit während des Ruhetages. Natürlich ist es das Beste, wenn man sich einen Tag in der Woche ausruht und, wenn nötig, diesen Ruhetag auch heilig hält. Aber es können sich Situationen ergeben, in denen anderes und mehr von einem gefordert ist, und dann muss das Gesetz der Spontaneität weichen.

             Jesus hält sich im Haus eines der führenden Persönlichkeiten der Pharisäer auf. Er ist zum Essen eingeladen, und es sind, soweit der Text uns informiert, auch mehrere andere Leute da. Und sie saßen nun da und beobachteten ihn. Das muss unangenehm gewesen sein. Wer kann auch nur einen Bissen runterkriegen, wenn die anderen am Tisch nur dasitzen und einen belauern? Aber das war vielleicht auch die typische Attitude dieser Pharisäer, dass sie lauerten, einen beaufsichtigten, die ganze Zeit kontrollierten, ob man alle Vorschriften befolgte oder daneben trat. Um dann das Opfer anzugreifen und das Anstößige seines Verhaltens anzuklagen.

             Und all dies war Jesus völlig klar. Selbstverständlich war er nicht zum Essen eingeladen, weil das eine gute Gelegenheit zu einem gemütlichen Gespräch oder Ähnliches versprach. Er war eingeladen, damit seine Gegner ihn fertig machen konnten, wenn sie etwas fänden, dessen sie ihn anklagen konnten. Gesetzesübertretung, Schlamperei mit den heiligen Vorschriften. Für derlei konnten sie sich bei anderen interessieren und es studieren, diese aufrichtigen und gut frisierten Gesetzeskundigen. Die Dinge müssen in Ordnung sein, und alles hat auf seinem Platz zu sein, ganz besonders soweit es Menschen betrifft, denn sonst würde ja alles auf die abschüssige Bahn geraten und die Grundfesten erschüttert.

             Und Jesus saß dort und aß, mit Eifer beobachtet. Bis er das Messer zur Seite legen musste, weil ein kranker Mann vor ihm stand. Wir wissen nicht, ob der Kranke um Hilfe bat, davon steht nichts im Text. Jedenfalls will Jesus helfen. Und er sieht sich um bei all den Anderen, die augenscheinlich gespannt sind, was jetzt geschehen wird. Für sie ist Jesus in einem Dilemma. Das kann einem leicht passieren, wenn jede Gesetzesvorschrift dieselbe Gültigkeit hat. Es sei denn, es gibt etwas, das wichtiger ist als etwas Anderes, nur weil es im Gesetz steht. Aber für Jesus gab es hier überhaupt kein Dilemma. Es war doch so einfach, wenn es darum geht zu helfen, dann muss alles andere hintangesetzt werden. Und deshalb fragt er, sicherlich um die Pharisäer zu provozieren: "Ist es erlaubt, am Sabbat zu heilen oder nicht?" Nach dem einen Paragrafen ist es nicht erlaubt. Es ist eine Art Arbeit, und davon soll man sich fernhalten. Nach einem anderen Paragrafen, der von der Nächstenliebe handelt, ist es eine Pflicht. Und so ist es mit dem Gesetz.

             In der Straßenverkehrsordnung gibt es einen bestimmten Paragrafen, der über allen andern steht, der wichtiger ist als Vorfahrtsrecht und Beleuchtung und Bremsspurlängen und der im Grunde den Geist des Gesetzes zum Ausdruck bringt. Es ist der Paragraf, der sagt: "Nimm Rücksicht!" Und so gibt es auch im alten Gesetz Moses mit all seinen Pflichten und Verboten einen Paragrafen, der über allem andern steht, sogar über den Zehn Geboten, und der den Geist und den tiefsten Sinn des Gesetzes ausdrückt: "Du sollst den Herrn deinen Gott und deinen Nächsten lieben wie dich selbst." Und das wussten die Pharisäer mit all ihrer rechtsanwältlichen Schläue auch, deshalb meinten sie wohl, es sei am besten, die Frage, die Jesus stellte, gar nicht erst zu beantworten. - Und der kranke Mann ging nach Hause, geheilt.

             Selbstverständlich haben Regeln ihre Vorteile. Alle würde unsicher sein, wenn wir sie nicht hätten. Man würde nichts wissen können, und es wäre die reine Anarchie. Aber gäbe man der Spontaneität keinen Raum, dann wäre das Regelmäßige, wie gut und notwendig es auch gemeint war, tödlich und reine Sklaverei.

             Selbstverständlich macht es einen Unterschied, wie man gebaut ist. Manche Menschen sind sicherlich mehr spontan als andere und können einem mit all ihren plötzlichen Einfällen auf die Nerven gehen; aber es muss Platz für Spontaneität geben, sonst wäre das Leben so voller Befürchtungen wie das Kind, das wegen seiner Eltern nichts darf. Und das deshalb nur schwer entspannt sein kann. So hat der Herr anscheinend auch für seine Kinder Platz für Spontaneität geschaffen.

             Die Liebe hat etwas Spontanes an sich. Wie ja auch ein Mensch ohne Spontaneität nicht frei atmen kann. Wer kann irgendetwas geben, oder wer kann mit Freuden irgendetwas empfangen, wenn das Leben wie eine Zwangsjacke ist, in der man selbst sitzt oder in die man gern andre gezwungen sähe. Und es liegt auch etwas Krankhaftes darin, nur ein Zwangsjackendasein akzeptieren zu können, weil man auf diese Art und Weise die Dinge unter Kontrolle hätte.

             Lieben, anerkennen heißt, die Zwangsjacke öffnen und dem Geliebten Freiheit gewähren und sich selbst auch mit aller Gefahr, die damit verbunden sein mag. Aber so ist es nun einmal. Man kann nicht Gott oder seinen Nächsten lieben, nur weil es geschrieben steht. Man muss erst wissen, was das Leben ist und geben kann, so dass man es mit Verwunderung und vielleicht auch mit Dankbarkeit betrachten kann, erst dann kann man anfangen zu verstehen, warum wir einerseits Richtlinien und andererseits Spontaneität nötig haben.

             Der kranke Mann konnte also nach Hause gehen, geheilt durch Spontaneität und göttliche Eingebung.

             Aber die Anderen saßen da ja immer noch am Tisch und beobachteten ihn. Die Vornehmen obenan, und dann abwärts in einer Art Rangordnung. Und Jesus provozierte sie noch einmal und sprach jetzt von Demut und dem anscheinenden Mangel an Demut, der die Gäste kennzeichnete.

             Nun ist wohl kaum etwas so schwer zu handhaben wie Demut, sie wird so leicht vorgetäuscht, und dann ist sie keine Demut mehr. Man kann nicht mit lauter Stimme sagen, sieh her, wie demütig ich bin, ohne sich selbst zum Mittelpunkt des Festes zu machen. Und Mittelpunkt eines Festes möchten die meisten von uns, wenn es darauf ankommt, sicherlich gern hin und wieder sein. Und man kann auch untenan mit den Stühlen am Tisch so viel Lärm machen, dass die im Übrigen gut gemeinte Demut nicht umhin kann, Aufmerksamkeit zu erregen. Und überhaupt würde sich sich leicht etwas Unechtes in all die Rede von der Demut einschleichen, wenn es dabei ausschließlich um etwas ginge, in das man sich verwandeln könnte. Wir sind doch von Natur aus selbstbewusst. Wir können doch kaum etwas sagen, ohne uns gleichzeitig zu entfalten. Wie kann man da ehrlich demütig sein? Man ist es nur, wenn man überrascht wird. Man ist es nur, wenn man auf etwas trifft, das größer ist als man selbst. Man ist es nur, wenn man sich wundert. Die Demut kommt von innen und ist eng mit Hingabe verbunden, wie es geschehen kann, wenn man getröstet wird, wie ein erwachsener Mensch es tun kann, wenn er wie ein kleines Kind wird, oder wie wir am aller liebevollsten sind, wenn wir selbst Liebe empfangen. Es kneift gewaltig, sich selbst zu Demut zu kommandieren, ohne dabei heuchlerisch zu sein; aber es gibt glücklicherweise Augenblicke, in denen die Demut die einzige Haltung ist, die wir einnehmen können, in denen wir uns einer größeren Macht als unserer eigenen übergeben müssen. Und das wird immer den zu jeder Zeit in einem jeden Menschen lebenden Pharisäer herausfordern. Vielleicht ist man am ehesten demütig, wenn man allein ist, ungesehen und still, schweigend. Es gibt Umstände, unter denen man spontan Demut an den Tag legt. Aber hat man begriffen, was Jesus eigentlich sagen und tun wollte, muss selbst das größte Selbstbewusstsein sein Haupt demütig beugen, denn hier kann man nur empfangen.

             Auf diese Weise lernten die Menschen um den Tisch an jenem Tage mindestens zweierlei: Ohne Spontaneität ist das Leben Sklaverei, wie ein Leben ohne die Überraschung der Liebe auch danach ist. Und ohne Demut nimmt die Selbstbezogenheit allzu viel Platz ein, und das führt zu nicht viel anderem als Jammer und Betrug.

             Das wissen wir doch sehr wohl. Aber wenn Jesus daran erinnerte, bedeutet es noch mehr. Denn dann können wir auch darauf hoffen, dass Er uns ansehen wird, uns, die wir selten zögern, uns selbst auf allen möglichen Gebieten zu behaupten, und die wir in Wirklichkeit Hilfe nötig haben, wie der kranke Mann am Tisch Hilfe nötig hatte, dann können wir hoffen, dass er uns mit der Kraft der spontanen Liebe ansehen wird, die die Sklaverei des Gesetzes und damit die eingebaute Heuchelei vom Tisch fegt. Das ist unsere einzige Hoffnung im Verhältnis zu Gott, dass er Liebe hat, wie Jesus es gezeigt hat. Da werden wir nie anders können, als demütig staunend dastehen.

Amen

 



Pastor Erik Dybdal Møller
Århus C, Dänemark
E-Mail: edm(at)km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

(Text der dänischen Perikopenordnung)


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