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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Sonntag nach Ostern: Kantate, 18.05.2014

am Ende ist das Leben
Predigt zu Offenbarung 15:2-4, verfasst von Reiner Kalmbach

 

Die Gnade Gottes unseres Vaters, die Liebe Jesu unseres Herrn und die lebensspendende Kraft des Heiligen Geistes seien mit uns allen. Amen.

Vom Konfirmandenunterricht wissen wir, dass die Bibel nicht einfach ein Buch ist, sondern eine Sammlung vieler Bücher, kleine und grosse. Manche nennen wir Briefe, weil sie ursprünglich auch als solche geschrieben wurden. Es gibt Bücher, oder Abschnitte, die für uns schwer zu verstehen sind, manche bleiben uns sogar ganz verschlossen. Dabei denken wir meist an das Alte Testament, an Gesetzestexte die sich von der islamischen Scharia kaum unterscheiden lassen. Aber auch im Neuen Testament haben wir ein Buch mit dem sich viele Prediger schwer tun. Ich muss zugeben, dass mir das früher ebenso erging. Es handelt sich um die „Offenbarung des Johannes", das letzte Buch im Neuen Testament, das letzte Buch in der Bibel.

Hier bei uns in Argentinien, wo die neo-pfingstlerischen und fundamentalistischen Kirchen und Sekten wie die Pilze aus dem Boden wachsen, fällt die Botschaft dieses Buches auf fruchtbaren Boden. Um der Wahrheit treu zu bleiben, muss ich einschränken: es ist eine ganz bestimmte Art der Auslegung die bei den Leuten ankommt, eine Vorstellung vom baldigen Ende der Welt, von gut und böse, von der herannahenden Endkatastrophe, der niemand entrinnen kann, aus der aber einige Wenige errettet werden, während die Welt und alles was auf ihr kreucht und fleucht, vor die Hunde geht.

In diesen Kreisen wird das Buch „Apokalypse" genannt. Ja, da geht es schon richtig „apokalyptisch" zu und so mancher Filmemacher dürfte sich aus diesem Buch sicherlich die eine oder andere Anregung geholt haben.

Mittlerweile sind meine „Berührungsängste" von mir abgefallen und ich kann die wundervolle Poesie, ihre traumhaften Bilder und ihren tiefen Trost auf mich wirken lassen.

Der Schlüssel: Wenn wir die Botschaft der Offenbarung verstehen wollen, müssen wir einen Blick in die Geschichte werfen. Die Experten sind sich zwar nicht einig über den historischen Zeitpunkt der Abfassung, ob sie während der Regentschaft des römischen Kaisers Nero, oder des Domitians einzuordnen ist. Fest steht, dass es eine Zeit der extremen Christenverfolgung war, dass der Autor einer der Überlebenden dieses Genozits war. Die Offenbarung will also vor diesem Hintergrund gelesen und verstanden sein. Verfolgt werden um des Glaubens willen, um sein Leben und das seiner Familie bangen müssen, eingesperrt, gefoltert..., vertrieben, umgebracht. Das hat so gar nichts mit unserer Kirchenwirklichkeit zu tun, uns plagen ganz andere Sorgen. Aber es werden auch heute noch und wieder Christen verfolgt. Die Nachrichten die uns aus Nigeria erreichen, oder aus Ägypten und aus Syrien sollten uns wachrütteln, uns ins Gedächtnis rufen, dass die meisten Kriege und Konflikte religiös gerechtfertigt werden.

Zurück zum Buch der Offenbarung: warum wurden die Christen verfolgt?, warum wurden sie in Massen umgebracht...? Darüber gibt der Autor tatsächlich einen ausführlichen Bericht. Die (ersten) Christen waren nicht bereit sich dem Cäsarenkult zu unterwerfen, sie hatten sich der „Sache Christi" verschrieben. Das römische Imperium ist bis heute ein Symbol für Unterdrückung, militärische Stärke, imperialistisches Weltbild. Das Zentrum der Welt ist Rom, ihm hat sich alles unterzuordnen, ihm ist die ganze Welt Tribut schuldig. In Rom herrscht der Kaiser, nicht nur politisch und militärisch, sondern ihm ist jeder Untertan auch religiösen Respekt, Anbetung und Gehorsam schuldig. Und gerade das war wohl der wunde Punkt: entweder Christus oder Cäsar. Der Gott der Christen hatte so gar nichts mit den Wertvorstellungen der römischen Staats-und Religionsgewalt gemeinsam. Ganz im Gegenteil: Jesus lebte und predigte die „andere" Gesellschaft, fast schon eine Gegengesellschaft, alles umgekehrt: anstatt physische Stärke, bedingungslose Liebe und Vergebung; anstatt Ausbeutung und Versklavung, Befreiung; anstatt Anhäufung materiellen Besitzes, gemeinsames Leben und Teilen. Sie glaubten an einen Gott der für die Taten der Menschen ans Kreuz genagelt wurde, ein Gott der den ganz unteren Weg gegangen ist, der sich dem Zorn, dem Hass und er Verachtung der Menschen bis zur letzten Konsequenz ausgesetzt hat. Sie haben das erste Gebot ernst genommen, sie haben es zu einem Teil ihrer Lebens-und Glaubenswirklichkeit gemacht.

Mal eine ganz einfache Frage: was würde geschehen, wenn die Christen in den Wohlstands-und Konsumgesellschaften, oder wenigstens diejenigen, die ihren Glauben ganz bewusst leben wollen, sich auf die Botschaft und die Werte des Mannes aus Nazareth besinnen würden?, wenn die Kirchen plötzlich die Option für die Armen auf der Welt ernst, sie ganz beim Wort nehmen würden...?, wenn sie die zum himmelschreienden Unterschiede zwischen Arm und Reich, Nord und Süd einfach nicht mehr hinnehmen würden...?, ich meine ganz konkret..., aber gut, lassen wir das..., wir wollen die Welt ja nicht aus den Angeln heben...

Trotzdem...

Widerstand ist angesagt: Ja, darum geht es nämlich, dem Götzen zu widerstehen, das goldene Kalb einschmelzen. Christ sein ist keine kulturelle Angelegenheit, sondern die Option für den Mann aus Nazareth.

Aber nun wollen wir das Wort hören, das uns für heute gegeben ist.

Textlesung

...herrlich!, mir ganz aus dem Herzen gesprochen..., wie oft schon habe ich nach Worten gesucht, die auch nur annähernd die Absolutheit der Herrlichkeit Gottes beschreiben können. Manchmal ist es besser gar nichts zu sagen. „Und ich sah...", der Autor beschreibt ein Bild, keine Worte, und wir dürfen dieses Bild sehen..., wir sind mit hineingenommen..., vielleicht erkennen wir uns selbst unter jenen die dort am Meer stehen.

Da wo ich wohne ist es nur ein Steinwurf bis zum Pazifik. D.h. zwischen mir und dem Ozean liegen die Anden, die ich in den Ferien gerne besteige. Und da oben, nichts als Stille, Schnee, noch mehr Berggipfel, ganz in der Nähe der wunderschöne und schneebedeckte Vulkan Lanin..., die Täler weit unten.., unter den Wolken, über mir kreist ein Condor und am Horizont die aufgehende oder untergehende Sonne. Und ganz weit im Westen, bei klarem Wetter, sieht man in der Ferne das „gläserne" Meer, den pazifischen Ozean. Das alles ist Seine Schöpfung!, wie könnte ich das, was ich fühle, mit Worten beschreiben..?

Und die da stehen sagen ja auch nichts, sie singen, sie singen den Lobgesang derer die standhaft geblieben sind, ja die Versuchung, Angst, Unsicherheit, Zweifel...überwunden haben. Sie singen das Lied, das Mose nach der geglückten Durchquerung des Roten Meeres angestimmt hatte, das Lied der Befreiten. Die Sklaverei liegt hinter uns, vor uns der Weg ins gelobte Land!

Am 11. Mai 1974, also vor 40 Jahren, wurde in Buenos Aires der katholische Priester Carlos Mugica, als er gerade die Messe beendet hatte, von einer Salve aus einer Maschinenpistole ermordet. Mugica, er stammte aus gutbürgerlichen Kreisen, hatte sich schon früh für ein Leben in Armut entschieden. In einer Zeit, in der in Argentinien der „Kalte Krieg" auf dem Rücken der sozial Benachteiligten ausgetragen wurde, ging Mugica in die Armenviertel, um das Evangelium zu predigen. Die Herrschenden hassten ihn, weil er Unterdrückung, Not und Elend offen anprangerte. Die linke Guerilla sagte sich von ihm los, als er sich weigerte die Waffe in die Hand zu nehmen, um gegen das System zu kämpfen. Und die Kirche?, sie hätte ihn beschützen können..., und hat es nicht getan. Wenige Tage vor seinem Tod sagte er seiner Schwester, dass er auf das Ende vorbereitet sei. Er feierte den Gottesdienst, wie an jedem anderen Sonntag, begleitete den Gesang der Gemeinde mit seiner Gitarre, nahm kleine Kinder auf seine Arme und herzte sie, küsste eine alte Frau auf die Stirn..., er ging lächelnd durch den Mittelgang, dem Ausgang zu...., um sich zu jenen zu gesellen, die am gläsernen Meer stehen und den Lobgesang Gottes anstimmen.

Am Ende ist das Leben: Was ist aus den Cäsaren aller Zeiten geworden?, was haben sie der Menschheit hinterlassen? Ein paar Ruinen, militärische Strategien..., Massengräber, Geschichtsbücher, in denen sie zu Helden umgebogen wurden...; ansonsten Zerstörung, Not, Tod und Vertreibung. Haben Kaiser wie Nero oder Domitian den Christen endgültig den Garaus machen können? Wenn dem so wäre, würden wir heute nicht in diesem Gottesdienst sitzen. Weder Hitler, noch die Kirche haben das Zeugnis Bonhoeffers auslöschen können. Die Botschaft des Lebens ist immer stärker, als alle politische, ökonomische oder militärische Macht. Wir wissen es, die Geschichte spricht hier eine deutliche Sprache.

Und dennoch setzen wir immer wieder aufs „falsche Pferd", d.h. die Versuchung den Weg der Anpassung zu gehen, ist oft genug stärker, als den Blick auf das Kreuz zu richten.

Heute feiern wir „Kantate", Ausdruck der Freude die wir empfinden, Freude über die Botschaft die uns die Frauen bringen, die vom leeren Grab zurückkehren. Jesus, der Nazarener, ist zum Christus geworden, zum Befreier von der Gewalt der Herrscher dieser Welt.

Die Dunkelheit dieser Welt ist durchbrochen vom Licht des neuen Lebens. Ja, es stimmt, noch umhüllt uns diese Dunkelheit, noch tragen wir schwer an der Last..., aber wir dürfen uns zu jenen zählen die dort am Meer stehen.

Und noch etwas, ein kleines Detail: der Gesang am See kommt nicht vom Himmel, er stammt nicht etwa von Engeln, es sind die Menschen selbst, die ihre Stimmen erheben zum Lob Gottes. Und da hört man auch keine Trommeln, oder Trompeten..., es sind die sanften und zarten Klänge der Harfen, jenes Instrument das in den Ohren Gottes am schönsten klingt.

Am Ende ist das Leben, das wahre Leben, ein Leben ohne Tränen, ohne Leid, ohne Hass, ohne Angst, ein Leben bei Gott, denn Er wird bei ihnen sein, Er wird bei uns, bei mir sein.


Amen.



Pfarrer Reiner Kalmbach
8370 San Martin de los Andes, Patagonien – Argentinien –
E-Mail: reiner.kalmbach@gmail.com

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