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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Sonntag nach Ostern: Kantate, 18.05.2014

Predigt zu Offenbarung 15:2-4, verfasst von Arend de Vries

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

 

Liebe Gemeinde,

es war dunkel. Und das Dunkel machte Angst und ließ mich nicht einschlafen.

Aber im Dunkel saß sie an meinem Bett. Meine Mutter. Ob sie gesprochen hat? Das weiß ich nicht mehr. Aber dass sie gesungen hat, das erinnere ich. Viel weiter als die Erinnerung an Worte reicht meine Erinnerung an Lieder. Lieder, die ganz tief in meiner Erinnerung aufbewahrt sind und die zu mir und zu meinem Leben dazu gehören:

„Müde bin ich geh zur Ruh, schließe beide Augen zu. Vater lass die Auge dein über meinem Bette sein.“

Ich höre die Stimme meiner Mutter und die Melodie des Liedes klingt in mir.

Und: „Weil ich Jesu Schäflein bin.“ Das Lied vom guten Hirten, „der mich liebt und der mich kennt - und bei meinem Namen nennt.“ Und natürlich „Der Mond ist aufgegangen“.

Glücklich jedes Kind, an dessen Bett Lieder gesungen werden, von der Mutter, vom Vater.

Lieder, die die Angst vertreiben und das Dunkel erträglich machen.

So war es auch, wenn Gewitter aufkam in der Nacht. Blitz und Donner uns schreckten und ängstigten. Dann saßen wir in der der guten Stube bei Kerzenlicht. Auf dem Tisch stand die Blechtruhe mit den wichtigsten Papieren. Und wir haben gesungen. Fröhliche und laute Lieder gegen die Angst vor Blitz und Donner.

Glücklich, wer eigene Lieder hat und nicht auf den CD-Player angewiesen.

Viel später habe ich in einem Lied wiedergefunden, was ich schon als Kind erlebt hatte: „Tobe, Welt, und springe, ich steh hier und singe in gar sichrer Ruh… Ob es jetzt gleich kracht und blitzt…“

Die Lieder, die wir singen, sind ein Spiegel unserer Seele. In diesen Liedern spiegeln sich unsere Ängste, aber auch die Sehnsüchte. Und die Hoffnungen.

Das war schon in allerfrühster Kindheit so. In der Jugendzeit waren es andere Lieder. Die jung gebliebenen Älteren unter uns werden sich erinnern. Paul Mc Cartney und John Lennon: „When I find myself in times of trouble, mother Mary comes to me.  And in my hour of darkness she is standing right in front of me, speaking words of wisdom. Let it be. - And when the night is cloudy there is still a light that shines on me, shine until tomorrow. Let it be”. Die Beatles hatten dieses Kindheitsgefühl der Angst vor der Dunkelheit aufgenommen und daran erinnert, dass die Mutter da war, wenn es ganz dunkel war. Und wir haben  “Let it be” mitgesungen, gegen die eigenen Ängste.

Wenn du alles satt hast, dir klein und hässlich vorkommst, deine Augen voller Tränen sind… wenn die Zeiten rauher werden und alle Freunde verschwunden sind… Und wenn es dann dunkel wird und dich der Schmerz umfängt… dann werde ich da sein, like a bridge over troubled water“. Simon & Garfunkel haben mit ihrem Lied die Gefühlslage einer ganzen Generation beschrieben. Und wir haben mitgesungen.

Die Sehnsucht nach einer anderen Welt, die Hoffnung auf eine andere Zeit prägen die Lieder der Menschen und der Völker. In den Spirituals der Sklaven klingt die Sehnsucht nach Freiheit und Befreiung. Und sie erinnerten sich, dass schon einmal ein Volk Befreiung erfahren hatte, als Mose den Auftrag bekam, zum Pharao zu gehen und ihm im Namen Gottes zu sagen: „Let my people go!“

Swing und Rock’n Roll, Beat, Rockmusik und Punk, Rap und Techno waren immer auch Ausdrucksformen der Emanzipation von der Elterngeneration. Vieles war und ist nicht mehr mitsingbar, aber zum Glück tanzbar.

Volkslieder, die eine viel längere Haltbarkeit haben als fast alle Popularmusik, klingen für Jüngere oft verstaubt. Aber sie sterben deshalb nicht aus, weil Jüngere ja auch älter werden und zum Glück viele dann den Schatz entdecken, den wir in diesen Liedern haben. 

Lieder sind ein Spiegel unserer Seele. In dem, was wir singen, zeigen wir uns. In unseren Liedern gehen wir mit dem, was wir fühlen und denken, aus uns heraus. Seelisches wird leibhaftig. Im Rhythmus, in der Melodie, im vielstimmigen Klang und in der Dynamik werden Leib und Seele eins. So sagen unsere Lieder auch etwas aus über unsere Gewissheiten, darüber, was uns tröstet. Und worauf wir hoffen. 

Die Psalmen sind das Liederbuch des Volkes Gottes. Auf dem Weg nach Jerusalem sangen die Menschen ihre Wallfahrtslieder. Und die Lieder weisen weit hinaus über den Moment des Erlebens. Sie haben schon im Blick, dass eines Tages alle Völker der Erde sich nach Zion aufmachen werden und Gott anbeten. „Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze!“ Der ganze Erdkreis kommt in den Blick und der Schöpfer wird gepriesen. Immer wieder: „Lobe den Herrn, meine Seele.“ Selbst im klagenden Lied bleibt der Sänger nicht in seiner Verzweiflung gefangen. „Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand. Du nimmst mich am Ende mit Ehren an“.

Die Lieder des Gottesvolkes zeugen von einer großen Kraft und Stärke, die die Sängerinnen und Sänger in sich tragen – und die sie gewinnen, wenn sie singen. Der Lobgesang des Mose besingt die Erfahrung der Rettung beim Exodus und dem Zug durch das Schilfmeer. Und es war die Prophetin Miriam, die die Pauke ergriff, den Tanz anführte und als Vorsängerin den Takt angab für den Weg ins gelobte Land.

Im Lobgesang der Maria, dem Magnificat  - vielfach vertont -  klingen geradezu revolutionäre Töne an. Der Gott, der die Niedrigkeit der schwangeren jungen Frau angesehen hat, der „stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.“ Und in dem urchristlichen Hymnus, der im Philipperbrief überliefert ist, bekennt die junge Gemeinde, „dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen die Knie all derer, die im Himmel und auf Erden sind - zur Ehre Gottes“.

Kraft und Stärke, die die Sängerinnen und Sänger sich tragen – und die sie gewinnen, wenn sie singen.

Wir müssen wohl erst ein ganzes Stück Lebensweg gegangen sein, bis wir entdecken, welche Tiefe und welche Intensität, aber auch welchen Reichtum die Lieder unserer Väter und Mütter in sich tragen. Auch in sang- und klanglosen Zeiten, auch, wenn die Lebensweisen in dunklem Moll erklingen. Wie vielen Menschen sind die Lieder Paul Gerhards zum Trost und Halt geworden. „Der Wolken Luft und Winden gibt Wege Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann“. In auswegloser Situation sich in die Worte der Hedwig von Redern bergen: „Weiß ich den Weg auch nicht, du weißt ihn wohl. Das macht die Seele still und friedevoll“.  Und angesichts persönlichen Scheiterns und biographischer Brüche in das Lied von Arno Pötzsch einstimmen können: „Du kannst nicht tiefer fallen als nur in Gottes Hand, die er zum Heil uns allen barherzig ausgespannt“.

Kraft und Stärke, die die Sängerinnen und Sänger sich tragen – und die sie gewinnen, wenn sie singen. Alleine, aber auch in der Gemeinde, in der Gemeinschaft mit anderen.

So erlebten es auch die Christinnen und Christen der ersten Generationen. Die kleinasiatischen Gemeinden, an  die die Sendschreiben der Offenbarung adressiert sind, sie waren Märtyrergemeinden. Die Unterdrückung der Christen durch den Kaiser Domitian war bedrohlich und bedrückend – und lebensgefährlich. Das römische Kaisertum vergottete sich selbst. Bevor die Christen ihren Gott anbeten durften, mussten sie dem Kaiser und seinem Bildnis huldigen. Wer sich selber und dem Glauben an den Gott Israels und dem Vater Jesu Christi treu bleiben wollte, der begab sich in Lebensgefahr. Offen reden durfte man nicht. Und so gab es viele geheime Codes und bildhafte Ausdrücke, um sich zu verständigen. Den Kaiser und seine Herrschaftsansprüche beschrieb man als Tier, das wie ein wildes Raubtier erlebt wurde. Und für seinen Namen – sei es nun Nero oder Domitian – gebrauchte man die Zahl 666, bis heute eine teuflische Zahl. In dieser Zeit und in dieser Situation gab es Christinnen und Christen, die Widerstand geleistet hatten. Die sich nicht dem Anspruch des Gott-Kaisers gebeugt hatten. Die treu geblieben waren in aller Gefährdung. Ihnen schreibt der apokalyptische Seher der Offenbarung:

„Und die den Sieg behalten hatten über das Tier und sein Bild und über die Zahl seines Namens, die standen an dem gläsernen Meer und hatten Gottes Harfen und sangen das Lied des Mose, des Knechtes Gottes, und das Lied des Lammes: Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott! Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Völker. Wer sollte dich, Herr, nicht fürchten und deinen Namen nicht preisen? Denn du allein bist heilig! Ja, alle Völker werden kommen und anbeten vor dir, denn deine gerechten Gerichte sind offenbar geworden.“

Die Erinnerung an Gottes große Taten bringt uns zum Singen. Seine großen Taten in der Geschichte seines Volkes und seine großen Taten in unserer je eigenen Lebensgeschichte. „Der großen Gottes großes Tun erweckt mir alle Sinnen“, so hat Paul Gerhard gedichtet. Als Sängerinnen und Sänger tragen wir Kraft und Stärke in uns. Und wir gewinnen Kraft und Stärke, wenn wir singen.

Amen.



Geistlicher Vizepräsident im Landeskirchenamt Hannover, Arend de Vries
Hannover
E-Mail: Arend.deVries@evlka.de

Bemerkung:
Liedempfehlungen mit Bezug auf die Predigt:
Zum Eingang: EG 324,1-4.7.12-14 – Als Gloria: EG 331,1.2.5.10
Nach der altl. Lesung (Jesaja 12,1-6): EG 13,1.2
Nach der Predigt: EG 503,8.10.11



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