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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

5. Sonntag nach Ostern: Rogate, 25.05.2014

Gute Manieren
Predigt zu Exodus (2. Buch Mose) 32:7-14, verfasst von Steffen Lahmann

 

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

I.

Liebe Gemeinde,

vor gut zehn Jahren stand ein Buch mit dem schlichten Titel „Manieren" ganz oben auf den deutschen Bestsellerlisten. Auf rund 400 Seiten entfaltet der Autor einen Begriff dessen, was „Manieren" sind. Sein These lautet: Manieren sind der Umgang miteinander an sich; „gute Manieren" hat jemand, der sich auf sein Gegenüber einlässt, den Anderen aufmerksam wahrnimmt, ihn achtet und ihm in jeder denkbaren Situation mit Respekt begegnet. Die vielen Kleinigkeiten, die wir gemeinhin „gute Manieren " nennen - also einen freundlichen Gruß, oder das Aufhalten einer Tür - sind demnach die äußere Seite einer großen inneren Haltung, die den Anderen voll und ganz in seinem bloßen Sein und vielleicht auch in seinem Wesen schätzt und respektiert.

Ganz in diesem Sinne, sind Manieren eine Art Motor, der das Zusammenleben nicht nur angenehmer macht, sondern in vielen Fällen erst ermöglicht.

II.

Manieren - als Übereinstimmung von innerer Haltung und äußerem Ausdruck - gibt es nicht nur im Verhältnis von Mensch zu Mensch; Manieren sind auch eine Dimension, die im Verhältnis von Gott und Mensch zum Tragen kommt. Unser Predigttext erzählt etwas davon, wie sich die innere Haltung auf Handlungen auswirkt und was geschehen kann, wenn Achtung und Respekt für ein Gegenüber verloren gehen.

Das Volk Israel war auf seiner Flucht aus Ägypten am Sinai angekommen. Mose war auf den Berg gestiegen, wo Gott ihm Gebote und Anweisungen übergab. Das dauerte. Vierzig Tage und Nächte blieb er dort (Ex 24,18). Die Israeliten, die unterhalb des Berges warteten, wurden langsam unruhig, zum einen, weil Mose so lange fortblieb, zum anderen weil ihre Wanderung nicht zum Ziel kam, wie sie meinten. Was dann geschah, lesen wir im Zweiten Buch Mose, im 32. Kapitel:

7 Der HERR sprach aber zu Mose: Geh, steig hinab; denn dein Volk, das du aus Ägyptenland geführt hast, hat schändlich gehandelt. 8Sie sind schnell von dem Wege gewichen, den ich ihnen geboten habe. Sie haben sich ein gegossenes Kalb gemacht und haben's angebetet und ihm geopfert und gesagt: Das ist dein Gott, Israel, der dich aus Ägyptenland geführt hat. 9Und der HERR sprach zu Mose: Ich sehe, dass es ein halsstarriges Volk ist. 10Und nun lass mich, dass mein Zorn über sie entbrenne und sie vertilge; dafür will ich dich zum großen Volk machen. 11Mose aber flehte vor dem HERRN, seinem Gott, und sprach: Ach HERR, warum will dein Zorn entbrennen über dein Volk, das du mit großer Kraft und starker Hand aus Ägyptenland geführt hast? 12Warum sollen die Ägypter sagen: Er hat sie zu ihrem Unglück herausgeführt, dass er sie umbrächte im Gebirge und vertilgte sie von dem Erdboden? Kehre dich ab von deinem grimmigen Zorn und lass dich des Unheils gereuen, das du über dein Volk bringen willst. 13Gedenke an deine Knechte Abraham, Isaak und Israel, denen du bei dir selbst geschworen und verheißen hast: Ich will eure Nachkommen mehren wie die Sterne am Himmel, und dies ganze Land, das ich verheißen habe, will ich euren Nachkommen geben, und sie sollen es besitzen für ewig. 14Da gereute den HERRN das Unheil, das er seinem Volk zugedacht hatte.


Liebe Gemeinde,

das Gespräch zwischen Gott und Mose setzt in einem Moment ein, in dem das Verhältnis von Gott und Gottesvolk auf einem Tiefpunkt angelangt ist. Das Volk hat Gott völlig aus dem Blick verloren. Innerlich und äußerlich. Dass man sich mal daneben benimmt, kann man im ein oder anderen Fall verzeihen. Und Gott prangert nicht zuerst an, dass die Israeliten sich ein gegossenes Kalb gemacht und [es] angebetet und ihm geopfert haben, wenngleich dieser Götzendienst ein schweres Vergehen ist. Gott kommt zuerst auf die innere Haltung der Israeliten zu sprechen: Die schändliche Handlung nämlich ist, dass sie von dem Wege gewichen sind, den [Gott] ihnen geboten hat.

Denn die Missachtung und Respektlosigkeit des Volkes gegenüber dem göttlichen Wort, ist die große Gefährdung im Zusammenleben von Gott und Mensch. Der Anlass für Gottes Androhung, seinen Zorn entbrennen zu lassen und das Volk zu vertilgen, ist die Haltung des Volkes gegenüber Gott: Ich sehe, dass es ein halsstarriges Volk ist, heißt es da. Und was Luther mit halsstarrig übersetzt, das meint eine Härte und Gefühlskälte, gegen die man von außen nicht ankommt. Halsstarrig bezeichnet hier das eigensinnige Beharren des Volkes auf der Überzeugung, es besser zu wissen als Gott. Und aus dieser Überzeugung heraus wenden sie sich ab von ihm. Das ist nebenbei bemerkt, eine Haltung, die nicht an die Zeit gebunden ist, in der unser Predigttext entstand, sondern etwas, das auch heutzutage oft zu beobachten ist.

Das Ausbleiben von Achtung und Respekt kann schon im zwischenmenschlichen Bereich zu großer Verärgerung und zu schmerzhaften Retourkutschen führen, aber wenn der Zorn Gottes entbrennt, wird es für den Menschen lebensgefährlich. Und Gott ist zum Zorn gereizt, weil das Volk, das Gott sich als Gegenüber gewählt hat, plötzlich sich selbst genug ist.

Die Übereinstimmung von innerer Haltung und äußerem Verhalten, die so grundlegend für das Verständnis von Manieren ist, wird im denkbar schlechtesten Sinne zur Entfaltung gebracht: Als echtes Negativbeispiel dafür, wie das gemeinsame Zusammenleben unmöglich wird. So erteilt Gott nicht nur dem ihm entgegengebrachten Verhalten, sondern der Haltung seines Volkes eine buchstäblich vernichtende Absage.

Die Übereinstimmung von innerer Haltung und äußerem Verhalten, die aufmerksame innere und äußere Wahrnehmung und Achtung des Anderen, die wir im zwischenmenschlichen Bereich Manieren nennen, entspricht einem zutiefst religiösen Motiv. Denn die innere Aufmerksamkeit und vertrauensvolle Achtung gegenüber Gott nennen wir Glaube; das darin gründende äußere Verhalten nennen wir Gebet. Und beides zusammen gibt unserem Predigttext eine unerwartete Wendung.

Denn das Gebet ist der unmittelbarste Umgang mit Gott. Im Gebet öffnen wir uns dem göttlichen Gegenüber, aber doch nur, wenn wir im Inneren überzeugt sind, dass dieses Gegenüber da ist. Für Mose ist das keine Frage. Er pflegte diesen Umgang mit Gott und flehte vor dem HERRN, seinem Gott und bittet ihn nach einer langen Aufzählung des Guten, das Gott dem Volk hat widerfahren lassen, darum, das Volk nicht zu vertilgen: Kehre dich ab von deinem grimmigen Zorn und lass dich des Unheils gereuen, das du über dein Volk bringen willst.

Die Fürbitte des Mose steht in einem krassen Gegensatz zum Verhalten des Volkes. Und nur Mose kann sie an dieser Stelle vorbringen. Nicht weil Gott die Bitten des Volkes nicht auch hören wollte, sondern weil das Volk zu dieser Zeit gar nicht mehr zu Gott beten würde. Es ist ja mit sich selbst beschäftigt.

Das Gebet ist aber kein Selbstgespräch, man braucht das Gegenüber; das Gebet ist Zwiegespräch mit Gott und Ausdruck der Gemeinschaft, die Gott mit sich selbst schenkt. Ganz selbstverständlich gehört zu einem Zwiegespräch die Bereitschaft, das Gegenüber wahrzunehmen und ihm aufmerksam zu begegnen. Das gilt in beide Richtungen. In diesem Sinne ist das Gebet vom menschlichen Standpunkt aus Ausdruck guter Manieren gegenüber Gott. Die innere Haltung die dazu gehört, nennen wir Glaube. Und das Gebet ist der äußere Ausdruck dieses Glaubens; Glaube und Gebet sind im Umgang mit Gott nicht voneinander zu trennen. Nur weil Mose innerlich von dem Glauben bewegt ist, dass Gott ihm ein verlässliches Gegenüber ist, kann er zu ihm beten. Und Gott kommt tatsächlich von seinem Entschluss ab, das ganze Volk zur Verantwortung zu ziehen.

Ob es die Argumentation des Mose war, die Gott umgestimmt hat; oder Gottes Selbstverpflichtung an Abraham, Isaak und Jakob, sich ihrer Nachkommenschaft, den Israeliten, anzunehmen, an die Mose ihn erinnert hat, oder ob gar Gottes Gnade und Erbarmen stärker waren, als sein Zorn, erfahren wir nicht. Das hat Gott selbst entschieden. Der Text stellt schlicht fest: Da gereute den HERRN das Unheil, das er seinem Volk zugedacht hatte.

Was wir aber aus dieser Erzählung erfahren, ist, dass ein Gebet etwas verändern kann, weil es nicht ohne Wirkung auf das Verhältnis von Gott und Mensch bleibt. Das heißt keineswegs, dass Gott sich allen Bitten und Wünschen des Betenden beugt. Denn Gott bleibt dem Menschen unverfügbar. Aber der Umgang mit Gott im Gebet eröffnet uns die Möglichkeit, ihn besser kennen zu lernen und nicht zuletzt auch uns selbst.

III.

Wie sehr beides zueinander gehört, zu unserem Leben im Glauben, Gott kennen zu lernen und uns selbst, und wie eng dies mit dem Gebet verknüpft ist, daran werden wir nicht zuletzt an einem Tag wie heute erinnert. Für Luiz, der heute getauft wurde, beginnt sein Weg im Glauben. Und diejenigen, die ihn dabei ganz nahe begleiten, die Eltern und Paten, wurden gefragt, ob sie bereit sind, ihm das Beten beizubringen und für Luiz zu beten.

Denn dass Gott uns wahrnimmt, uns aufmerksam begegnet, und uns sogar mit seiner Liebe umschließt, verspricht er uns in der Taufe und darauf sollen wir uns verlassen. Wenn wir die große innere Haltung aufbringen, Gott in unserem Leben wahrzunehmen, ihn zu achten, ihm zu vertrauen und ihn lieben - kurz, wenn wir uns trauen, zu glauben - dann werden wir häufiger, als wir meinen, auch ins Gebet mit ihm gehen, werden schließlich und endlich Manieren erlernen, die das Zusammenleben mit ihm und unseren Mitmenschen nicht nur angenehmer, sondern in vielen Fällen erst möglich machen.

Amen.

 



Vikar Steffen Lahmann
31515 Wunstorf-Kolenfeld
E-Mail: steffen.lahmann@gmx.de

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