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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

5. Sonntag nach Ostern: Rogate, 25.05.2014

Predigt zu Exodus (2. Buch Mose) 32:7-14, verfasst von Dieter Splinter

 

7 Der HERR sprach aber zu Mose: Geh, steig hinab; denn dein Volk, das du aus Ägyptenland geführt hast, hat schändlich gehandelt 8 Sie sind schnell von dem Wege gewichen, den ich ihnen geboten habe. Sie haben sich ein gegossenes Kalb gemacht und haben's angebetet und ihm geopfert und gesagt: Das ist dein Gott, Israel, der dich aus Ägyptenland geführt hat. 9 Und der HERR sprach zu Mose: Ich sehe, dass es ein halsstarriges Volk ist. 10 Und nun lass mich, dass mein Zorn über sie entbrenne und sie vertilge; dafür will ich dich zum großen Volk machen. 11 Mose aber flehte vor dem HERRN, seinem Gott, und sprach: Ach HERR, warum will dein Zorn entbrennen über dein Volk, das du mit großer Kraft und starker Hand aus Ägyptenland geführt hast? 12 Warum sollen die Ägypter sagen: Er hat sie zu ihrem Unglück herausgeführt, dass er sie umbrächte im Gebirge und vertilgte sie von dem Erdboden? Kehre dich ab von deinem grimmigen Zorn und lass dich des Unheils gereuen, das du über dein Volk bringen willst. 13 Gedenke an deine Knechte Abraham, Isaak und Israel, denen du bei dir selbst geschworen und verheißen hast: Ich will eure Nachkommen mehren wie die Sterne am Himmel, und dies ganze Land, das ich verheißen habe, will ich euren Nachkommen geben, und sie sollen es besitzen für ewig. 14 Da gereute den HERRN das Unheil, das er seinem Volk zugedacht hatte.

 

I.

Liebe Gemeinde !

Gott lässt mit sich reden. Mose erfährt das. Er hält Zwiesprache mit Gott. Es ist ein Dialog auf Augenhöhe. Da gibt es Rede und Gegenrede, Argumente und Gegenargumente, Position und Gegenposition. Am Ende lässt Gott sich von den Argumenten des Mose überzeugen: „Da gereute den Herrn das Unheil, das er seinem Volk zugedacht hatte."

Merkwürdig modern mutet diese alte Erzählung an. Das gilt vor allem für den Zusammenhang, in dem sie steht. Das Volk Israel ist in der Wüste unterwegs. Mose empfängt auf dem Berg Sinai Weisungen von Gott. Mose bleibt lange weg. Das Volk wird ungeduldig und unsicher. Darum wenden sie sich an Aaron. Er ist der Bruder des Mose. Zu ihm sagen sie: „Auf, mach uns einen Gott, der vor uns hergehe! Denn wir wissen nicht, was diesem Mann Mose widerfahren ist, der uns aus Ägyptenland geführt hat." (2. Mose 32, 1) Aaron lässt sich nicht lange bitten. Aus Goldschmuck macht er ein goldenes Kalb. Zu den Israeliten sagt er: „Das ist dein Gott, Israel, der dich aus Ägyptenland geführt hat!" Zudem veranlasst Aaron, dass dem neuen Gott geopfert wird. Danach wird ein rauschendes Fest gefeiert. Es kommt zu Ausschweifungen. Die Bibel beschreibt es vor unserer Erzählung unverblümt so: „... und sie standen auf, um ihre Lust zu treiben." (2. Mose 32,8)

Bei den Tanzschritten um ein goldenes Kalb kann man schnell mitmachen. Ihr Rhythmus ist ansteckend. Ihr Takt wird häufig von Geld, Gold und Geltungssucht vorgegeben. Aber auch Angst und Unsicherheit sind im Spiel. Dann sagen sich viele: „Geld macht nicht glücklich, aber es beruhigt!" So oder so - Materielles verspricht Sicherheit. Dabei kann man übertreiben. Und in der Tat: Längst ist uns selber klar, dass unser westlicher Lebensstil seine Schattenseiten hat. Er verbraucht zu viele Ressourcen. Er lebt davon, dass es ein Gefälle zwischen Nord und Süd gibt. Und ja, er ermöglicht etlichen, was schon die Bibel beschreibt: „,,, und sie standen auf, um ihre Lust zu treiben."

Das ruft jene auf den Plan, die darin eine religiöse Verfehlung sehen. Man findet sie im Judentum. Man findet sie im Christentum. Und man findet sie seit Jahren vor allem in bestimmten Gruppierungen des Islam. Sie wollen das, was sie für den rechten Glauben halten, mit Gewalt durchsetzen. Sie wähnen dabei Allah auf ihrer Seite.

Das alles ist nicht neu. Religiöser Eifer kann mit Gewalt einhergehen. Das war schon bei Mose so. Als er von seinem Zwiegespräch mit Gott auf dem Berg Sinai zurückkehrt, veranlasst er im Lager der Israeliten ein Massaker. Er tut es aus religiösem Eifer und Zorn. Er wähnt dabei Gott auf seiner Seite. Und so heißt es etliche Verse nach der Erzählung, die wir hier miteinander bedenken: „Da sammelten sich zu ihm (Mose) alle Söhne Levi. Und er sprach zu ihnen: So spricht der Herr, der Gott Israels: Ein jeder gürte sein Schwert ... Die Söhne Levi taten, wie ihnen Mose gesagt hatte; und es fielen an dem Tage vom Volk dreitausend Mann." (2. Mose 32, 26-28)

Das ist äußerst seltsam. Mose bittet Gott um Gnade und Barmherzigkeit. Und der hört auf Mose. Gott lässt ab von seinem Zorn. Mose hingegen tut das nicht. Er ist voller Zorn und reklamiert Gott, um seinen religiösen Eifer zu rechtfertigen. Gott aber hat längst eine andere Position eingenommen. „Da gereute den Herrn das Unheil, das er seinem Volk zugedacht hatte." So sind wir Menschen wohl häufig. Wir wollen, dass Gott gnädig und barmherzig ist. Wir selber aber neigen dazu, unbarmherzig zu sein.

 

II.

Gott aber lässt mit sich reden. Beim Beten gehen wir davon aus, dass dem so ist. Wir beten für uns. Mal laut, mal leise, mal still. Wir halten Zwiesprache mit Gott. Manchmal ist es nur noch ein Seufzer, mit dem wir zu Gott rufen: „Ach Gott!" Und wir beten im Gottesdienst. Wir tun es gemeinsam. Am Anfang beten wir mit den Worten Israels. Wir beten Lobpsalmen: „Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen." (Psalm 103, 1) Wir fordern uns dazu auf, Gott zu danken: „Lasst uns mit Danken vor sein Angesicht kommen und mit Psalmen ihm jauchzen!" (Psalm 95, 2) Wir fassen unser Vertrauen zu Gott in Worte: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln." (Psalm 23, 1) Wir klagen Gott unser Leid, ja klagen ihn an: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Wir freuen uns über Gottes Schöpfung: „Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen, der du zeigst deine Hoheit am Himmel!" (Psalm 8, 2)

Im Bußgebet breiten wir vor Gott aus, was uns von ihm trennt und bitten ihn um sein Erbarmen: „Kyrie eleison! Herr, erbarme dich." Im Tagesgebet wenden wir uns mit Dank und Bitte an Gott und bereiten uns auf die Schriftlesung vor. Im Fürbittengebet nehmen wir die Welt ins Gebet. Und im Vater Unser verbinden wir uns mit der ganzen Christenheit auf Erden.

Besonders im Fürbittengebet tun wird das, was einst Mose tat. Wir bitten Gott um sein Erbarmen für andere. Dabei vergeht keine Sekunde, in der nicht irgendwo auf der Welt ein Christ für einen anderen Menschen bittet. Im Gottesdienst tun wir es gemeinsam. Wir nehmen die Welt ins Gebet. Wir bitten für die von der Flut auf dem Balkan Betroffenen um Hilfe. Für die Menschen in der Ukraine, in Syrien und im Sudan um Frieden. Für die Hungernden um Brot. Für Flüchtlinge um eine Heimstatt.

Für Leidende um Linderung. Für Kranke um Genesung. Für Sterbende um Beistand. Für Trauernde um Trost. Für die geschundene Schöpfung um Rettung. Und schließlich bitten wir Gott darum, er möge sich uns selber und unserer Lieben annehmen. Oft tun wir das in der Stille. Auch dann liegen wir Gott in den Ohren.

So hoffen wir auf sein Eingreifen und seine Hilfe. Wir wissen nicht, ob unsere Gebete erhört werden. Ja, wir kennen genug Beispiele, in denen offenbar Gebete bei Gott kein Gehör fanden: In den Konzentrationslagern des 20. Jahrhunderts, in den Folterkammern der Diktatoren. Doch solange gebetet wird, ist Hoffnung da. Und: Wer im Gebet für andere bittet, lässt sich eine Ermahnung gefallen: „Wenn du Gott um Erbarmen bittest, darfst du selber nicht erbarmungslos und gewalttätig sein! Deine Fürbitten wären dann bloß Feigenblätter!"

Wer diese Ermahnung befolgt, kann Wunder erleben. Wir haben es in unserer eigenen Geschichte gesehen. Montag für Montag fanden sich in den 80er Jahren in der Nikolaikirche in Leipzig Christen ein, um zu beten. Für den Frieden, für Gerechtigkeit, für die Bewahrung der Schöpfung. Was klein anfing, wurde zu einer großen Bewegung. 1989 wuchs die Gruppe der Beter immer weiter an. Erst traf man sich zu Gottesdienst und Gebet in der Kirche. Dann ging es auf die Straße. Die Parole lautete: „Keine Gewalt!" Kerzen wurden vor die Stasi-Zentrale gestellt. Weitere Parolen kamen hinzu: „Wir sind das Volk!" Und schließlich: „Wir sind ein Volk!" Fünfundzwanzig Jahre ist das nun her. Gott hat mit sich reden lassen. Gott hat sich erbarmt.


III.

Gott lässt mit sich reden. Natürlich weiß jeder Erwachsene, dass Gebete nicht funktionieren wie ein Getränkeautomat. Oben im Himmel wird ein Gebet eingeworfen und unten auf Erden kommt das gewünschte Ergebnis heraus. Gebete sind keine Gutscheine für Problemlösungen. Und doch sind sie unbedingt nötig. „Das Gebet ist die Sprachschule des Glaubens." (Gerhard Ebeling) Im Gebet kommen wir Gott ganz nah. Gewiss bleibt Gott dabei der ganz Andere. Wir können ihn nicht für uns vereinnahmen. Mit Gebeten lässt Gott sich nicht zu Handlungen zwingen. Das mag uns nicht gefallen. Doch immerhin - die Fürsprache des Mose lässt hoffen, dass unsere Worte bei Gott Gehör finden.

Erst recht tut dies das Gebetsverhalten Jesu. Er betet voller Vertrauen: „Abba, lieber Vater!" Immer wieder zieht er sich an einsame Orte zurück, um Gott nahe zu sein. Wenn er über das Beten spricht, rät er dabei nicht viele Worte zu machen. Vor allem fordert er dazu auf, im Beten nicht nachzulassen. Simon Petrus, dem Fels auf den er seine Kirche baut, versichert er: „Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre." Und als er von seinen Jüngern Abschied nimmt, betet er darum, dass sie alle eins seien (vgl. Johannes 17, 21).

Diese Bitte Jesu ist nicht so in Erfüllung gegangen, dass wir Christen in einer Konfession beieinander geblieben wären. Aber sie ist so in Erfüllung gegangen, dass keine Sekunde vergeht, in der nicht ein Christ für andere bittet. Und: Keine Sekunde vergeht, in der nicht irgendwo auf der Erde ein Christ oder eine Christin das Vater Unser betet. Gebete umspannen den Globus. Darin sind sich bei aller Verschiedenheit alle Christen einig: Wir mögen auf unsere Gebete nicht immer eine Antwort erfahren. Wir mögen nicht immer die Antwort bekommen, die wir uns erhofft haben. Doch wir halten am Gebet fest. Nicht nur deshalb, weil es die Christenheit eint. Wir halten am Gebet fest, weil wir Jesus Christus folgen. Der hat uns gelehrt selbst in tiefster Not und Traurigkeit noch zu beten: Vater Unser im Himmel. Warum auch nicht? Ein guter Vater lässt immer mit sich reden.

Und so bewahre der Friede Gottes, welcher höher ist denn alle Vernunft, unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.

 



Pfarrer Dr. Dieter Splinter
79249 Merzhausen
E-Mail: dieter.splinter@ekiba.de

Bemerkung:
Pfarrer Dr. Dieter Splinter ist Beauftragter für den Prädikantendienst der Evangelischen Landeskirche in Baden an der Evangelischen Hochschule Freiburg


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