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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

6. Sonntag nach Ostern: Exaudi, 01.06.2014

Das Flehen und Seufzen des Heiligen Geistes an unserer Stelle
Predigt zu Römer 8:26-30, verfasst von Klaus Wollenweber

 

Liebe Gemeinde,

es gibt Menschen, die immer nur stöhnen! Da liegt ein freies Wochenende vor ihnen, - sie stöhnen! Da kommt ein abwechslungsreicher Arbeitstag, - sie stöhnen! Da findet ein Fest statt, sie stöhnen! Da wird eine nette Einladung ausgesprochen, - sie stöhnen! Da hat ein Mut machender, fröhlicher Gottesdienst stattgefunden, - sie stöhnen! Ganz selten sieht man in ihren Gesichtern ein frohes Aufleuchten; die Augen liegen tief im kummervollen Antlitz. Alle Aufmunterungsversuche scheitern. Stöhnen, Seufzen, Beschwerlichkeit prägen in gleicher Weise jeden Tag des Lebens. Meistens sieht man diesen Menschen die Schwere ihres Lebens sofort an.

Weniger bekannt ist jedoch, daß auch der Geist Gottes seufzt und stöhnt. Wann haben wir davon schon mal etwas gehört? Der Apostel Paulus widmet diesem Gedanken einen eigenen Abschnitt im 8.Kapitel seines Römerbriefes. Ich lese die Verse 26-30:

26 Und auch der Geist ´Gottes` tritt mit Flehen und Seufzen für uns ein; er bringt das zum Ausdruck, was wir mit unseren Worten nicht sagen können. Auf diese Weise kommt er uns in unserer Schwachheit zu Hilfe, weil wir ja gar nicht wissen, wie wir beten sollen, um richtig zu beten.

27 Und Gott, der alles durchforscht, was im Herzen des Menschen vorgeht, weiß, was der Geist ´mit seinem Flehen und Seufzen sagen` will; denn der Geist tritt für die, die zu Gott gehören, so ein, wie es vor Gott richtig ist.

28 Eines aber wissen wir: Alles trägt zum Besten derer bei, die Gott lieben; sie sind ja in Übereinstimmung mit seinem Plan berufen.

29 Schon vor aller Zeit hat Gott die Entscheidung getroffen, dass sie ihm gehören sollen. Darum hat er auch von Anfang an vorgesehen, dass ihr ganzes Wesen so umgestaltet wird, dass sie seinem Sohn gleich sind. Er ist das Bild, dem sie ähnlich werden sollen, denn er soll der Erstgeborene unter vielen Brüdern sein.

30 Und weil Gott sie für dieses Ziel bestimmt hat, hat er sie auch berufen. Und weil er sie berufen hat, hat er sie auch für gerecht erklärt. Und weil er sie für gerecht erklärt hat, hat er ihnen auch Anteil an seiner Herrlichkeit gegeben. ( NGÜ )

 

Liebe Gemeinde,

diese biblischen Aussagen des Apostels Paulus lassen aufhorchen: Wenn wir beten wollen und wissen nicht wie, dann hilft der Geist Gottes und begeistert uns so, daß wir Worte finden für das, was wir ausdrücken wollen. Gottes begeisterndes Wirken befreit unser Herz von dem Druck vieler Beschwernisse und löst unsere Zunge, so daß seine Kraft eine Hilfe in unserer Schwachheit ist. Gott kennt unser Seufzen und Flehen; ja, sein Geist übernimmt unser Unvermögen und unsere Halbherzigkeit stellvertretend vor Gott, damit bei ihm alles richtig ankommt.

„Wir wissen gar nicht, wie wir beten sollen; der Geist Gottes vertritt uns mit unaussprech-lichem Seufzen", sagt Paulus, und damit sind auch wir gemeint, wir, die glaubenden Menschen von heute. Was sagen wir denn z.B. Angehörigen nach einem Flugzeugabsturz, einem Schiffs- oder Grubenunglück, einem Erdbeben oder Überschwemmungen? Da fehlen uns oftmals die Worte!

Oder noch ein persönliches Beispiel: Da stand ich vor wenigen Wochen am Krankenbett eines im Koma liegenden Freundes; er hatte nach einer Operation aufgrund Sauerstoff-mangels schwerste Hirnschädigungen davongetragen.

Ich fand keine Worte des Gebets, nur unaussprechliches Seufzen. Denn sollte ich um den Tod als Erlösung dieses nicht mehr lebenswerten Zustandes beten? Oder sollte ich beten um das Aufwachen aus dem Koma mit dem Wissen um ein nicht mehr selbständig denkendes Leben meines Freundes? Oder? Mir fehlten die aussprechbaren Worte. Meine Hoffnung und meine Zuversicht waren, daß in dieser Situation der Geist Gottes an meiner Stelle in uns betet.

Ähnlich geht es mir, wenn ich am Grab eines Jugendlichen stehe, der durch einen Unfall zu Tode gekommen ist oder die Selbsttötung gewählt hatte, - im schlimmsten Falle noch das einzige Kind. Wir haben keine Worte - und wenn, dann stammelnde Worte der Hilflosigkeit, die eher dem unaussprechlichen Seufzen und Klagen gleichen. Unsere Glaubensschwäche ist in solchen Situationen spürbar. Es bleibt uns nur ein hilfesuchender Appell an den Geist des Gottes, der Leben verheißt. „Beten heißt nicht, sich selbst reden hören; beten heißt, still werden und still sein und warten, bis der Betende Gott hört." - so hat es einmal der Theologe und Philosoph Sören Kierkegaard formuliert.

Menschen, die durch solche Tiefen des Lebens gegangen sind, fragen sich rückschauend oft erstaunt: Was gab mir den Lebensmut, ein neues, sinnvolles Leben zu führen? Da frage ich mich: Woher wachsen uns in diesem Unglücklichsein neue Kräfte, um das Leben zu bewäl-tigen und zu gestalten? Paulus hat dazu geantwortet: der Heilige Geist - das ist die Kraft Gottes, die heute in uns wirkt! Gott greift in schweren Tagen auch in unser Leben ein und weckt immer neue Lebensgeister. Der Geist Gottes schützt und bewirkt Hilfe bei unserem alltäglichen Sorgen und Mühen; er will uns vom Leben mit Gott begeistern, und zwar uns für Gott so begeistern, wie Gott sich für uns begeistert. Denn Gott ist nicht unerreichbar irgend-wo in der Ferne, sondern er wirkt ganz nah täglich hier und jetzt unter uns Glaubenden, die eben auch seufzen und stöhnen.

Gott hat schon lange vorher die Entscheidung getroffen, daß alle Menschen zu ihm gehören. Er hat uns Menschen in Jesus Christus ein Menschenbild vor Augen geführt, dem wir uns angleichen sollen. Auch der Mensch Jesus hat im Garten Gethsemane sein Seufzen zum Ausdruck gebracht; ein Seufzen über die Schwachheit der Jünger, die eher schlafen als beten, und das Seufzen über den eigenen Todesweg, der ihm bevorstand. Das Ziel Gottes ist und bleibt, daß wir alle als Brüder und Schwestern Jesu Christi Anteil bekommen an der Kraft und Herrlichkeit des lebendigen Gottes.

In der Nachfolge Christi, zu der wir alle berufen sind, geht schon jetzt dieser Plan Gottes auf und wird verwirklicht. Denn wenn wir der Lebenseinstellung Jesu nachfolgen, andere Menschen nicht in Feinde und Freunde einteilen und unsere geschenkte Lebensfreiheit verantwortlich gestalten, dann gehören wir hier schon in die Nähe Gottes. Wir ähneln dem Bild Jesu Christi, wie der Apostel es versteht und sagt. Wir zeigen mit Flehen und Seufzen, wie schwer diese christliche Gestaltung des Lebens ist. Und deswegen tritt der Geist Gottes uns zur Seite und übernimmt unser Stöhnen über unsere eigenen menschlichen Unzuläng-lichkeiten und Fehler.

Bei diesen Gedanken fällt mir ein: In unserer nach Macht strebenden Zeit - im großen wie im kleinen Lebensumfeld - kommt es mir so vor, daß zu unseren Schwächen - nicht Stärken! - auch der Ehrgeiz gehört, alles richtig machen zu wollen. Natürlich will kein Mensch bewußt Fehler machen, aber der eigene und von außen gesteuerte Druck wird immer größer, fehler- frei arbeiten zu müssen. Darunter seufzen viele Menschen, denn unter dieser Belastung verschwindet der Blick auf die bunte Vielfalt des Lebens überhaupt; verloren geht der Aus-blick auf frohe Ereignisse, auf unbeschwertes miteinander Spielen und Feiern und auf eine abwechslungsreiche Freizeitgestaltung. Ganz in den Hintergrund tritt die Erinnerung an schöne Erlebnisse im Familien- und Freundeskreis. Unser Versagen kann unseren Lebens-alltag sehr schwer belasten; dabei verändert unser Versagen überhaupt nichts an der Nähe Gottes zu uns. Gott ist und bleibt uns nah und will uns gerade von unserem schlechten Gewissen befreien.

Gott hat längst - wie Paulus es sagt - vorher unser Herz durchforscht und will uns von diesem möglichen Perfektionismusstreben befreien. Das ist eine frohe Botschaft -

nicht so verstanden, daß wir nun willkürlich Fehler über Fehler in unserer Gestaltung des Lebens machen können, sondern in dem Sinn ist dieses eine gute Nachricht, daß wir den Geist Gottes in all unserer Fehlerhaftigkeit als Hilfe an unserer Seite haben. Das gilt für unseren Weg in der Nachfolge Christi, auch dann, wenn wir diesen Weg in unserem Ehrgeiz oder in unserer Eigenliebe verlassen. Gottes Geist ist auf unseren krummen Wegen an unserer Seite und wird uns nicht aus den Augen verlieren. Wir können in unserer Entschei-dungsfreiheit und in unserem Verantwortungsbewußtsein immer eine Kehrtwendung machen. Diese Möglichkeit ist uns lebenslang gegeben!

Gottes Geist bringt alles, was wir tun und hoffen, sagen und verschweigen, in seinem unaussprechlichen Seufzen vor Gottes Angesicht; er findet die richtigen Worte. Denn vor Gott gehört alles zusammen; ja, dort gehören wir alle zusammen. Es ist uns die Chance gegeben, uns für Gott in unserem Alltagsleben zu begeistern, auch wenn nicht alles in diesem Alltag zum Begeistern ist. Gottes Geist läßt uns in der Nachfolge Christi aufleben und frei atmen.

Amen

Der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn. Amen

 



Bischof Klaus Wollenweber
53129 Bonn
E-Mail: Klaus.Wollenweber@kkvsol.net

Bemerkung:
Lied EG 327 und 171


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