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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

6. Sonntag nach Ostern: Exaudi, 01.06.2014

„Gerader Rahmen, schiefes Bild – ach!“
Predigt zu Römer 8:26-30, verfasst von Michael Ebener

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus

und die Liebe Gottes

und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.


1.

Das Leben hängt im geraden Rahmen!

Mir geht's gut, „alle Dinge zum Besten": Gesundheit, Familie, Job - alles leidlich gerichtet, auskömmlich. Das muss es auch. Denn ich tue mein Teil: Ich liebe Gott! Wie sollte es da anders sein: nicht leidlich gerichtet, von oben her, von Ewigkeit?

Wäre es nicht so, das Bild wär‘ ganz schief. Was sollen die Leute denken: Ein Gottesmensch, dem's anders ginge? Hundeelend, ärmlich, unansehnlich - das wäre nicht sehr einladend, um selbst dem Glauben anzuhangen!

Sie meinen, solcher Glaube sei Karikatur.

Stimmt nicht! Er gehört auch heute noch zur religiösen Grundausstattung des Menschen, auch jenseits aller Kirchenmauern: Jeder Gläubige möchte auch am eigenen irdischen Wohlergehen ablesen, ob es sein Gott wohl gut mit ihm meint!

Dazu stehen wir momentan in der kirchlichen „Freiluftsaison" und es wird kein „wetterabhängiger" Gottesdienst, kein Sommerfest oder Ausflug vergehen, ohne dass nicht irgendwer auf den guten, bzw. nicht so „guten Draht" des Pastors „nach oben" anspielt, wenn das Wetter entweder ganz oder gar nicht den Erwartungen entspricht. Das ist dasselbe in ganz klein: alles von oben her leidlich gerichtet für die „Heiligen" - da steckt auch ein bisschen Hybris drin. Wehe, das Bild ist schief! Ich gestehe allerdings, dass ich tags zuvor selten vor dem HErrn auf den Knien gelegen und um Gut-Wetter gebeten hätte ...


2.

Manche unserer reformierten Geschwister in der Vergangenheit waren da einen Tacken gründlicher. So gründlich, dass man uns das heute noch nachträgt. Dass allein ihr Leben im gerade Rahmen hängt, war nicht genug: sie wollten auch entschlüsseln, wo dieses Bild in Ewigkeit wohl aufgehängt ist. Dass sie sich da übernommen haben, gebe ich gern sofort zu!

Einige unserer Vorfahren meinten an ihrem irdischen Ergehen, an Wohlstand, Gesundheit und ansehnlicher Kinderschar ablesen zu können, zumindest ein Hinweis darauf zu erhalten, wie Gott es denn in Ewigkeit mit ihnen meine: war's leidlich gerichtet, auskömmlich sollte dies schon ein Hinweis sein aufs Leben hinterher. Das ist bei einer bestimmten Vorstellung, die man von Gott hat, auch fast denknotwendig! Wenn Gott allmächtig ist und alles weiß, dann muss er auch alles vorherwissen - nur so hängt das Bild gerade. Dann muss im Großen und im Kleinen alles nach Gottes Willen gehen und einem ewigen Plan folgen, den der Mensch nur an den Rändern durchschauen kann und sich deshalb am besten einfach in den göttlichen Ratschluss fügt: „Der HErr hat's gegeben, der HErr hat's genommen; der Name des HErrn sei gelobt!" (Hiob 1, 21) So lässt sich natürlich umso leichter sagen, wenn es der HErr reichlich gegeben hat. Aber man muss zugestehen, dass die alten aufrechten Glaubenshelden dies mit Hiob oft genug auch gesagt haben, wenn's nicht gut ging.

Göttliche Vorherbestimmung, die von solch grenzenloser Souveränität Gottes herkommt, kann sich nicht nur aufs Irdische beschränken, auch das ewige Ergehen muss vorherbestimmt sein, wenn denn Gott wirklich allmächtig und allwissend ist.

Dass der Mensch Gott nun liebt, sozusagen als Vorschuss oder als Gegenzug für soviel göttliche Großzügigkeit, ist aber nicht einfach des Menschen Schuldigkeit in einem ewigen Deal um Wohlergehen und Seligkeit. Es ist eine ganz unverdiente Gnade, wenn ein Mensch Gott lieben kann - keiner von uns hat‘s in der Hand, weil auch dies schon von Ewigkeit her vorherbestimmt ist: Dem einen ist's gegeben und damit alles; dem andere nicht und damit gar nichts. Gerecht ist das nicht. Aber das war auch nicht der Maßstab. Hauptsache, Gottes Freiheit, seine Größe und Majestät blieben unangefochten!

In der Moderne musste diese Überzeugung scheitern, nicht weil sie unlogisch wäre, sondern weil sie kalt ist und auch in der Heiligen Schrift selbst kaum Anhalt findet. Und auch unter uns Reformierten war die „doppelte Prädestination" nie unbestritten.

Karl Barth, der große reformierte Theologe des zwanzigsten Jahrhunderts, hat die Prädestinationslehre dann so übersetzt, dass wir ihren Grundgedanken der freien Gnade Gottes auch in der Gegenwart betonen können, ohne rot zu werden. Barth entkoppelt die Prädestinationslehre dafür gründlich vom Gedanken des materiellen Wohlergehens und der ewigen Vorherbestimmung zu Seligkeit oder Verdammnis. Er bezieht die gesamte Lehre von Erwählung, Verwerfung und Vorherbestimmung strikt auf Christus. Der Willen von Vater und Sohn sind eins, und in Christus bestimmt Gott sich selbst zum Verworfenen, damit dies uns Menschen in Ewigkeit erspart bleibt. Zugleich ist Christus Gottes Erwählter, der das Todesschicksal der Menschheit durchbricht. So ist Christus das Ebenbild Gottes und er ist auch das Bild des Menschen, nach wir streben sollen. Er ist im wahrsten Sinne unser Vor-Bild. In Christus ist nach göttlicher Vorherbestimmung schon alles geschehen, alles vor-gebildet, womit wir nur noch überzeichnet werden. Und am Ende, am Anfang steht die Auferstehung.

Gottes Ausersehen, Berufen, Vorherbestimmen dient uns Menschen zum Heil, immer „zum Guten", aber materielles, körperliches Wohlergehen ist dafür weder Hinweis noch Bestätigung - schon gar nicht Hinweis und Bestätigung für unser Ergehen nach diesem Leben. Es ist, was es ist: dinglich, irdisch, zeitlich. Unser Leben hängt von Ewigkeit her im gerade Rahmen, weil Gott selbst das so will, auch wenn das Bild, das wir hier und heute abgeben, ganz und gar schief ist!


3.

Nach diesem langen Vorspruch möchte ich uns einen Abschnitt aus den Paulusbriefen lesen - Römer acht, die Verse sechsundzwanzig bis dreißig. Vielleicht hören wir Dinge, die wir vorher nicht gehört hätten:

„Desgleichen hilft auch der Geist unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen. Der aber die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist; denn er vertritt die Heiligen, wie es Gott gefällt.

Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind. Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dass sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht." (Römer 8, 26-30)


4.

Dass uns „alle Dinge zum Besten dienen", ist keine mathematische Gleichung - dass das so ist, nicht am äußeren Bild im geraden Rahmen abzulesen.

Jemand, der sein Leben in Armut und Bedeutungslosigkeit fristet, seinen Job nicht gebacken kriegt, kein Haus, kein Auto, keine Yacht sein Eigen nennt, ist vor Gott nicht weniger wert als sein irdisches Gegenbild, dem all dies im Überfluss zufällt und der damit eine glänzende Erscheinung abgibt. Jemand, der seine Tage in Krankheit zubringt, an körperlichem und seelischem Gebrechen leidet, der todeinsam ist und dem das Alter bös‘ zusetzt, ist von Gott längst nicht abgeschrieben, auch wenn solch ein Mensch im gesellschaftlichen Wertekanon kaum seinen Platz behaupten kann.

Dass in all dem, was uns im Leben widerfährt, trotzdem eine gute Macht waltet - ein Gott, der die Fäden in der Hand hält, der es gut mit uns meint, ist unter den Schlägen des Lebens oft unendlich schwer zu glauben.

Manchmal braucht es dazu die Demut eines Heiligen oder den Humor eines Menschen, der sein ganzes Leben der Erforschung der Schriften und der Erkenntnis Gottes gewidmet hat und dabei kritisch geblieben ist gegenüber dem, was die Leute so denken von Gott und Welt. Unsere jüdischen Geschwister erzählen sich zur Anschauung religiöser Wahrheiten gern von solch mustergültigen Weisen. Einer der bekanntesten heißt Rabbi Akiba und wird um die Zeit geboren, in der der Apostel Paulus seine Briefe schreibt. „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen", befindet der Apostel, und Rabbi Akiba pflegte fast synonym zu sagen: „Alles, was der Allbarmherzige tut, tut er zum Guten."

Dazu erzählt man sich folgende Geschichte: Einst befand sich Rabbi Akiba auf einer Reise, und als er in eine Stadt kam und um Beherbergung bat, gewährte man sie ihm nicht. Da sprach er: „Alles, was der Barmherzige tut, tut er zum Guten."

Hierauf ging er und übernachtete auf dem Felde. Er hatte bei sich eine Kerze, einen Hahn und einen Esel. Warum grad diese drei, weiß kein Mensch! Tut auch nichts zur Sache, denn da kam ein Wind und löschte die Kerze aus. Dann kam eine Katze und fraß den Hahn, und endlich kam ein Löwe und fraß den Esel. Da sprach Rabbi Akiba wiederum: „Alles, was der Allbarmherzige tut, tut er zum Guten."

In derselben Nacht kam eine Truppe Räuber, plünderte und nahm die Leute der Stadt gefangen. Den Rabbi Akiba konnten sie aber nicht sehen, weil er sich im Finstern befand, der Hahn nicht krähte und der Esel nicht schrie. Da sprach Rabbi Akiba: „Habe ich nicht gesagt, dass alles, was der Heilige, gepriesen sei er, tut, zum Guten sei?" (eine rabbinische Lehrerzählung aus dem babylonischen Talmud, Traktat Berachot 60b)


5.

Solchen Glauben möcht‘ ich haben!

Unser Beten, unser Hoffen und Bangen, unser Wünschen und Streben steht allzu schnell an der Grenze des nur Eigenen, was dem hochverehrten Rabbi Akiba im Verbund aller Heiliger aller Religionen wohl fremd ist. Er fügt sich ins demütig Schicksal, in gutem, stillem Glauben. Wir aber können nicht anders. Mein leidenschaftlichstes Gebet entsteht meist da, wo es um mich und die Meinen geht, wo mein eigenes Schicksal betroffen ist, mein körperliche Versehrtheit, mein Wohl und Wehe. Und deshalb hat Paulus wohl Recht: „Wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebührt ..."

Aber der Endpunkt auch all unseres Betens wird wohl ein lautes, halblautes, fast verstummtes „Ach" sein, in dem all das zusammenkommt, was uns je Not tut. Selbst Rabbi Akiba wird wohl ein „Ach" geseufzt haben, als die Kerze aus ist und Hahn und Esel gefressen. Und in diesem vor Gott nur noch gehauchten, geseufzten „Ach" liegt eine große Verheißung. Da, wo all unser Beten gegenstandslos wird, wo unserem Beten endlich die vielen Worte fehlen, wo unser Herz vor Gott ganz leer und offen ist, ganz bloß, ganz verletzlich und sich jedes Wort erübrigt, weil Gott sowieso längst weiß, „worauf der Sinn gerichtet ist", wovor wir Angst haben, um was wir bitten wollen - da nimmt sich der Geist Gottes solchen Bittens an, trägt es in den Himmel und sorgt auch dafür, dass solches Bitten nicht leer zurückkommt!

„Der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen" - das sollen wir ganz fest wissen, ganz tief glauben, wenn uns die Worte nicht nur fehlen, sondern sogar brechen.

Dass alle Dinge sich doch zum Guten wenden, sie hier auf Erden gut ausgehen, selbst wenn die letzte Kerze verloschen, Hahn und Esel gefressen sind und die Räuber kommen, ist eine Hoffnung, auf die man setzen kann und die sich oft bewährt. Meist allerdings bemerken wir das erst hinterher. Dass uns „alle Dinge zum Besten dienen", hängt aber gar nicht daran, dass sie nach menschlichem Ermessen gut ausgehen - es hängt daran, dass wir auch am Ende aller Dinge nicht ohne „Hoffnung" sind, nicht von Gottes Geist verlassen.

„Der Geist hilft unser Schwachheit auf" - unser „Ach" steht unter einer viel größeren Verheißung als einem guten Leben: „Alles, was der Allbarmherzige tut, tut er zum Guten." Wir haben einen Fürsprecher, einen unablässigen Beter und Bitter in Gott selbst, von Ewigkeit zu Ewigkeit, der uns den Rahmen gerade macht, selbst wenn das Bild ganz schief ist - so erfüllt sich Gottes Plan: „vorherbestimmt", „berufen", „gerecht gemacht", „verherrlicht" und dadurch „gleich dem Bild seines Sohnes" von Ewigkeit her, in Ewigkeit hin.


Das ist so groß, dass wir kaum folgen können, aber kleiner hat es Paulus nicht im Römerbrief. Das ist so groß, dass wir's kaum glauben können. Müssen wir auch nicht, aber „der Geist hilft unsrer Schwachheit auf".

Amen.

 



Pastor Michael Ebener
37073 Göttingen
E-Mail: michael.ebener@refo-goettingen.de

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