Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Pfingstsonntag, 08.06.2014

Predigt zu Römer 8:1-2, verfasst von Eberhard Busch

 

Der Komponist Johann Sebastian Bach hat einst in Leipzig diesen Text aus dem achten Kapitel des Römerbriefs in Noten gesetzt. Aber ist denn dieser Bibeltext nicht zu trocken, zu lehrhaft, um ihn in schönen Tönen zu singen? Ich denke, wenn wir genau hinhören auf das, was Paulus hier sagt, darf auch von uns getrost ein Gesang angestimmt werden. Man stelle sich vor, der Komponist hat zwischen den einzelnen Versen aus dem Brief des Apostels Paulus jeweils Liedverse eines Bürgermeisters in der Nieder-Lausitz namens Johann Franck gesetzt - „Jesu, meine Freude ..." Da sagt der Apostel zunächst „Es ist nun nichts Verdammliches an denen, die in Christus Jesus sind." In der Musik wird in diesem Satz drei Mal hintereinander das Wort „nichts" gesungen: nein, nichts, nichts, nichts darf uns jetzt mehr so anklagen, dass es uns von Christus trennt. Darauf erklingt der Choralvers: „Unter deinen Schirmen bin ich vor den Stürmen aller Feinde frei. Lass den Satan wittern, lass den Feind erbittern, mir steht Jesus bei!" Paulus fährt dann so fort: „Denn das Gesetz des Geistes, der da lebendig macht in Christus Jesus, hat mich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde des Todes"; und daran anschließend ertönt der kräftige Liedvers: „Trotz dem alten Drachen, trotz des Todes Rachen, trotz der Furcht dazu! Tobe Welt und springe; ich steh hier und singe in gar sichrer Ruh! Gottes Macht hält mich in acht ..."

In der Gegend um Bern findet man noch alte Bauernhäuser, an denen auffällt, dass das Dach breit über die Mauern des Hauses hinausragt. Wenn es regnet, so laden die Bewohner die Wanderer ein, man solle doch unter ihr Dach kommen, „i d'Schärme", wie dies im Berner Dialekt heißt, „unter den Schirm" des Daches. Das erinnert uns eben an das Lied: „Unter deinen Schirmen bin ich vor den Stürmen aller Feinde frei. ..." Frei bin da nicht nur ich, frei sind da viele. In der rechten Freiheit sind wir miteinander frei. Aber die rechte Freiheit bedarf eines Schutzes. Frei sind wir, wie es in dem Lied weiter heißt, indem Jesus Christus uns unter seinen Schutz stellt. Das macht uns getrost und „durch seinen Heiligen Geist ... bereit, ihm forthin zu dienen" (Heidelberger Katechismus, Frage 1). In solchem Dienen betätigen wir unsere Freiheit.

Verstehen wir von da aus die Botschaft des heutigen Tages! Wir feiern heute ja Pfingsten. An diesem Sonntag wird uns eingeschärft, wie wir darauf angewiesen sind, dass Gottes guter Geist auch zu uns kommt und uns erfüllt, so wie es den Menschen am ersten Pfingsttag in Jerusalem widerfuhr. Gottes Geist, das ist seine belebende Kraft, durch die zu einem jeden kommt, was Gott uns in Christus geschenkt hat und jeden Morgen neu schenken will. Sein Geist, das ist sein Einfluss, den er auf uns gewinnt, so dass wir unter seinen Schutz gestellt werden. Durch seinen Einfluss werden wir zugleich aus unserer Vereinzelung herausgeführt und miteinander verbunden werden zu einer tragkräftigen Gemeinschaft! So geschah es am ersten Pfingsttag, 50 Tage nach Ostern. So geschah es, als Paulus dies in die Worte fasste - sagen wir es so: „Es gibt also nun nichts mehr, was uns kaputt machen darf." So geschah es viele Male seither, zum Beispiel auch, als das einst in Leipzig gesungen wurde: „Jesu, meine Freude ...". Denn „unter deinen Schirmen bin ich vor den Stürmen aller Feinde frei". Und eben das sei heute unser Gebet, dass auch uns das geschenkt werde, so dass das uns widerfahre: „Das Gesetz des Geistes des Lebens hat mich frei gemacht ..." Der Heilige Geist von Pfingsten vermag es, uns das zu geben, mehr noch: er gibt es uns das. So dass uns das gewiss und froh macht, wahrhaftig, „Gottes Macht hält mich in acht". Sie ist wie ein Schirm, unter dem wir uns unbeschwert bewegen können, wir zusammen mit vielleicht sehr Anderen.

Es gibt nun allerdings zweierlei Arten von Menschen. Auf der einen Seite gibt es die Leichtfertigen. Die zucken die Achseln, wenn sie den Apostel so reden hören, und sagen: „Was wird uns denn hier unterstellt! Es gibt doch nichts, woraus man uns einen Strick drehen kann. Dergleichen lassen wir uns nicht gern nachsagen. Sicher, keiner ist vollkommen. Aber was bei mir ungerade war, das mache ich mit mir selber aus." Solches Denken war nach 1945 in Deutschland bei vielen gang und gäbe. Nach unzähligem Mord an so vielen Menschen sank man nicht erschüttert auf die Knie: „Wir sind schuldig geworden. Herr, erbarme dich". Da tröstete man sich vielmehr darüber hinweg mit dem Spruch: „'Wir sind davon gekommen'. Gut, dass es mich nicht getroffen hat."

Aber ist das nicht ein typisches Verfahren? - dass man sagt, wenn mal etwas falsch gelaufen ist: „Zum Glück hat es mir nicht geschadet." Vor Jahren ließ das Schauspiel des englischen Schriftstellers Samuel Beckett aufhorchen. Darin sieht man eine Frau, die während der Aufführung mehr und mehr im Schlamm versinkt. Aber das Stück trägt den Titel „Happy Days", zu deutsch „Glückliche Tage". Eben mit diesem immer wiederholten Spruch täuscht sie sich über ihre lebensgefährliche Situation hinweg. Sie macht damit nicht das jetzt Nötige gegen das, was sie zu verschlingen droht. Sie überspielt es nur. Versinken nicht auch wir immer hilfloser im Schlamm und verdrängen es mit „happy days"? Wie werden wir je bereit, die Augen für unsere brenzlige Lage zu öffnen?

Doch nun spricht Paulus von einem Gesetz des Geistes, der uns lebendig und frei macht. Was meint er mit diesem Gesetz des Geistes? Nun, es ist daran zu erkennen, dass es uns dazu befreit, das sonst so schwere und schier Unmögliche zu tun. Es macht uns frei, an die eigene Brust zu schlagen. Es macht uns frei, den sonst hierzu verschlossenen Mund zu öffnen und zu sagen: „Herr, ich habe gesündigt vor Menschen und vor dir" (Lk 15,21). Diese Freiheit gibt uns den Mut, endlich zu sehen, wie wir dran sind. Wohlgemerkt: diese Freiheit ist von Gott geschenkt. Denn das Gesetz der Geistes, das heißt so viel: Gott selbst, Gott in unserer Gegenwart macht uns frei. Dazu frei, Schuld einzugestehen! Gott aber verleiht die Freiheit so, wie es vom Propheten Elia in einer sonderbaren Gottesbegegnung erzählt wird. Er erlebt einen heftigen Sturm - aber Gott war nicht darin. Er erlebt ein schlimmes Erdbeben und dann ein Feuerbrand - aber in allem war Gott nicht ihm nahe. Aber dann vernimmt er ein stilles, sanftes Säuseln - da verhüllt er sein Angesicht, weil er versteht, dass Gott ihm in seinem Geist nahe tritt. So begegnet Gott. Eben, nicht durch Rütteln und Schütteln, sondern durch Güte verleiht er uns die Freiheit, unser Fehlverhalten zu erkennen. Ein Mensch muss Liebe erfahren, dann kommt es ihm von den Lippen: „Danke, aber ich bin es ja gar nicht wert!"

Es gibt noch eine andere Art als die jener „leichtgesinnten Flattergeister". Das ist die Art der Nachdenklichen. Die wissen nur zu gut, dass ihre Mitmenschen ihnen allerlei vorzuwerfen haben. Auch wenn sie sich äußerlich dagegen verwahren, auch dann müssen sie insgeheim den Vorwürfen recht geben. Doch, es ist ja wahr, an mir ist sogar viel weniger Gutes, als ich nach außen zeige; ich bin einer, der sich selber ohrfeigen möchte. Und das Schlimme ist, dass einem dabei aufgeht: Was verkehrt war, das bleibt verkehrt. Es ist nicht wieder gut zu machen. Man kann sich reiben an dem, was man mitverschuldet hat. Man kann nachts dran aufwachen. Was versäumt ist, ist versäumt. Je älter man wird, desto mehr geht es einem auf, wie viel man verkehrt gemacht hat. Da fallen einem uralte Geschichten ein, die vielleicht sonst niemandem aufgefallen sind. Ich meinte, es sei vergessen, aber kein Gras ist darüber gewachsen. Das ist die bittere Wahrheit an unserem Lebensende: Du hattest so viele gute Gelegenheiten, aber du hast sie nicht genutzt, und nun ist deine Uhr abgelaufen. Hin ist hin.

Doch hören wir gut zu! Das Gesetz des Geistes, von dem Paulus spricht, macht uns auch dazu frei, jetzt hoffnungsvoll aufzublicken. Das „Gesetz des Geistes des Lebens" hat mich in Christus frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes. Die Last, die wegen meiner Verkehrtheit auf mir liegt, ist beseitigt. Wie bin ich davon frei gemacht? Wir stehen hier vor dem innersten Geheimnis des Evangeliums. Es ist der Nagel an der Wand, an dem alles weitere hängt. Ein altes Lied singt davon: „Durch dein Gefängnis Gottes Sohn, ist uns die Freiheit kommen. Denn gingst du nicht die Knechtschaft ein, müsst unsere Knechtschaft ewig sein." Es gibt wohl etwas, was uns erschütternd schuldig sprechen kann. Aber Christus hat es auf sich genommen und hat sich unter jenes „Gesetz der Sünde und des Todes" gestellt, an unserer Stelle, als unser Stellvertreter. Dadurch hat er uns frei gesprochen. Dadurch, dass er sich für uns belastet hat, hat er uns entlastet.

Wie können wir uns das vorstellen ? In der Nachfolge Jesu hat ein Priester Maximilian Kolbe das vor Augen geführt. Er war im Konzentrationslager Auschwitz eingeliefert. Am 29. Juli 1941 wurden dort Männer als Vergeltungsmaßnahme für die vermutete Flucht eines anderen Häftlings zur Ermordung aussortiert. Als einer dieser vom Tod Bedrohten in ein lautes Wehklagen um sich und seine Familie ausbrach, nahm Pater Kolbe dessen Platz zur Hinrichtung ein und rettete ihm so das Leben. Ich sage, er tat das in der Nachfolge Jesu. Denn was der vollbrachte, darauf kann uns das Beispiel von Pater Kolbe hinweisen. Jesus Christus hat das auf sich genommen, was gegen uns alle spricht, und so spricht er uns frei, dass nichts mehr gegen uns sprechen kann. Das darf ein jeder auf sich beziehen: Ich mag noch so verkehrt gehandelt haben, ich mag noch so von Menschen verurteilt sein, ich mag mich selbst noch so abscheulich finden. Aber das schenkt mir Christus durch seinen guten Geist: Er tritt für mich ein als unser Verteidiger. Und das so gründlich, dass ich ein neuer Mensch sein darf, frei von aller Verkehrtheit. Daraufhin kann ein jeder wohl noch sündigen, aber er muss es nicht mehr. Er darf nun so stolz denken, wie es Nikolaus von Zinzendorf gedichtet hat: „Ich sprech zur Lust, zum Stolz, zum Geiz, dafür hing unser Herr am Kreuz."

Ich bin ja jetzt hineingenommen in ein neues Leben, das sein Zentrum hat in Ihm Der Heidelberger Katechismus sagt es so: „Das ist mein einziger Trost im Leben und im Sterben, dass ich nicht mir gehöre, sondern Christi Eigentum bin." Nicht das gibt mir Halt in gefährlichen Situationen, dass meine Nächsten nett von mir denken, zumindest noch nach dem Tod, wie es in Traueranzeigen zu lesen ist. Denn das hält ja nicht Stand gegenüber alle dem, was gegen mich spricht. Aber das hilft - sagen wir es mit dem Vers von Paul Gerhardt: „Nichts, nichts kann mich verdammen, ... kein Urteil mich erschrecket, kein Unheil mich betrübt, weil mich mit Flügeln decket, mein Heiland, der mich liebt." Und wenn das sogar mir gilt, wem gilt das dann nicht? Der Heilige Geist treibt uns heraus aus dem Kreisen um uns selbst. Und er treibt uns an, im Geist der Liebe Christi für einander zu leben und zu hoffen. Statt ohne einander. Statt gegeneinander. Vielmehr miteinander. Es ist der heilsame Geist Gottes, durch den wir dafür geöffnet werden.

 



Prof. Dr. Eberhard Busch
Göttingen
E-Mail: ebusch@gwdg.de

(zurück zum Seitenanfang)