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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Pfingstsonntag, 08.06.2014

Barmen - Theologische Erklärung
Predigt zu Römer 8:1-2,10, verfasst von Gerhard Ringshausen

Lieber Gemeinde,

in diesem Jahr können wir dankbar, aber wohl auch mit Zweifeln an unserem Glauben und unserer Kirche auf ein Ereignis vor 80 Jahren zurückblicken. Im Frühjahr 1934 trat in der evangelisch-reformierten Kirche von Barmen-Gemarke die erste Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche zusammen. Es war ein Dienstagabend, als sich 128 Männer aus allen Teilen Deutschlands versammelten; Frauen gab es nur unter den Gästen. Nach der Andacht des Hannoverschen Landesbischofs Marahrens berieten Lutheraner, Reformierte und Unierte jeweils getrennt und dann in einem „interkonfessionellen Ausschuss" gründlich die theologische Ortsbestimmung: die „Theologische Erklärung zur gegenwärtigen Lage der  Deutschen Evangelischen Kirche". Formuliert hatte diesen Text vor allem der damals in Bonn lehrende reformierte Theologe Karl Barth, erläutert hatte ihn der lutherische Pastor Hans Asmussen aus Altona. Dass die Erklärung am nächsten Morgen einstimmig angenommen wurde, erschien als ein Wunder Gottes vor unseren Augen; es war ein Fest des Glaubens.

Heute steht diese Erklärung inmitten der Bekenntnisse in unserem Gesangbuch (Nr. 809 - bitte aufschlagen). Aber vor 80 Jahren war das in den Augen der damaligen Kirchenleitung eine Äußerung von Leuten, die den Geist der Zeit nicht verstanden und auch nicht ordentlich gewählt worden waren. Sie waren von noch recht formlosen Gruppierungen delegiert worden. Dass sie das Recht zu dieser Synode und der Gründung der Bekennenden Kirche als Gegensatz zur Reichskirche hätten, bestimmte die weiteren Beratungen in Barmen. Es waren zwar auch die Landesbischöfe von Bayern, Hannover und Württemberg dabei, aber die Reichskirche war auf der Grundlage der Kirchenwahlen vom Juli 1933 gebildet und eine ordentliche Synode hatte Wehrkreispfarrer Ludwig Müller zum Reichsbischof gewählt. Sein Titel entsprach dem angestrebten Ziel. Der Einheit des Deutschen Reiches unter Hitler sollte sich die Einigung der Kirche einfügen: ein Reich, ein Glaube, ein Führer. Damit war der Glaube eingeklemmt zwischen Reich und Führer, ausgeliefert den politischen Forderungen im Zeichen des Hakenkreuzes. Wer darin eine Gefährdung des Kreuzes, des Leidens- und Siegeszeichens Christi sah, stellte sich außerhalb der neuen Gemeinschaft, die von NSDAP und Kirche gewollt wurde. Deswegen ging die neue Leitung, unterstützt von Staat und Partei, gegen solche vor, die sich in die neue Linie nicht einfügen wollten.

Hitler und seine Partei hatten auch viele der Barmer Synodalen gewählt; die Gegner auf der politischen Linken wurden in kurzer Zeit zum Schweigen und in die Konzentrationslager gebracht. Sie gehörten ja meist nicht zur Kirche, und die Juden waren nur eine Minderheit. Aber die Kirchen hatte Hitler zur Mitarbeit im neuen Staat eingeladen, und sie waren dankbar gefolgt. Wie im Staat sollte in der Kirche vieles neu und besser werden. An die Stelle des Fleckenteppichs der 29 Landeskirchen sollte eine einheitliche Reichskirche treten. Wen interessierten noch die alten Streitereien der Konfessionen, der Lutheraner, der Reformierten und der Unierten? Frischer Wind sollte die vermoderten Hallen erfüllen; ein neues Pfingsten sollte die müde gewordenen Christen erfassen. Vielen schien sich die Verheißung zu erfüllen: „Ihr werdet die Kraft des heiligen Geistes empfangen." Nach vielen Austritten aus der Kirche sollte diese wieder für alle Deutschen anziehend werden. Der Machtantritt der Nationalsozialisten erschien als volksmissionarische Chance, als Stunde der Kirche. Statt überlebter Traditionen sollten die aktuellen Fragen der Menschen die Kirche bewegen; junge Pfarrer sollten mit ihrem Erleben zu Wort kommen und nicht alte Texte und weißhaarige Konsistorialräte. Wer wollte gegen eine anziehende, begeisternde Kirche sein? Wünschen wir uns das nicht auch immer wieder? Sicher stellen wir uns nicht ein „arisches Christentum" vor, auch nationalistische Töne sind unerwünscht, aber sollten Gottesdienste nicht bewegende Events sein, zu denen viele Leute gerne kommen?

Nur eine Minderheit betrachtete diese Wünsche kritisch. Ihre Bedenken galten dabei nicht den politischen und rassistischen Elementen, sondern waren grundsätzlicher: War hier wirklich „die Kraft des heiligen Geistes" am Werk? Alle diese Hoffnungen hatten ihren Nährboden in den Bedürfnissen und Ängsten der Menschen. Sie wollten sich angesprochen fühlen und bewegen lassen; die Kirche und die Gottesdienste sollten ihre Erwartungen erfüllen und ihre Gefühle ansprechen. Und man hatte Angst, dass die Kirchen immer leerer würden und die Welt immer gottloser, getrieben von der Gier nach Genuss und Gewinn. Aber damit bestimmten die Menschen das, was sie hören wollten, obwohl sie doch zum Gottes-Dienst eingeladen waren. Und dieser beginnt „im Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes" ­- unsere Wünsche und Bedenken stehen am Schluss im Fürbittengebet. Dieses Gefälle war bei den Wünschen nach Erneuerung umgekippt worden. Damit hatte die Kirche ihre Orientierung verloren, und deshalb erhob die Bekennende Kirche in Barmen ihre Stimme.

Bereits die Gliederung der sechs Artikel zeigt die Wiederherstellung des richtigen Gefälles, was leider in unserem Gesangbuch nicht ganz deutlich wird. Am Anfang stehen nicht unsere Wünsche und Bedenken, sondern Aussagen der Bibel. Dass diese Worte aus dem Neuen Testament der Maßstab sind, wird im Original durch Fettdruck hervorgehoben. Dann folgt eine Auslegung, die sich an uns wendet. Dieser Abschnitt sagt, was nach dem biblischen Zeugnis heute zu glauben ist, und fordert als Antwort unser Bekenntnis. Ihm folgt die in der damaligen Zeit fällige Konsequenz: Wir verwerfen die falsche Lehre ... Im Original sind diese aktuellen Zuspitzungen klein gedruckt. Die Barmer Synode sprach damit Verwerfungen aus, wie sie die Konzilien der Alten Kirche gegen Ketzer formuliert hatte. Bekennen bedeutet auch Ablehnung und Abgrenzung von anderen Meinungen und Glaubensaussagen. 80 Jahre nach Barmen haben wir im Zeiten von Toleranz und interreligiösen Begegnungen wohl Schwierigkeiten mit solch eindeutigen Urteilen. Wir halten so etwas natürlich gegenüber den Nazis für richtig, aber die Barmer Erklärung verurteilt nicht die damalige NS-Herrschaft, sondern theologische Lehren als Irrtümer. Und diese Irrlehren gab es nicht erst seit 1933; sie hatten eine lange Vorgeschichte und - trotz Barmen - bis heute eine Nachgeschichte.

Der erste Artikel nennt die entscheidende Orientierung für Glaube und Kirche: Jesus Christus ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören haben. Wer dieser Jesus Christus ist, erfahren wir nicht aus unseren politischen Meinungen, psychologischen Stimmungen oder historischen Untersuchungen, sondern aus der Bibel. Altes und Neues Testament bezeugen und begrenzen das Handeln Gottes darauf, dass ER uns anspricht. Darum heißt es bei der Taufe: „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein." Diese menschliche Zuwendung Gottes ist ein Grund zum Feiern. Wenn seine Zusage in allen Kirchen den Täuflingen in ihren Sprachen gilt, breitet sich sein Geist aus und vollzieht sich das Sprachenwunder von Pfingsten. Dass wir aber durch die Taufe Gottes Eigentum sind, verpflichtet uns auch. Die Barmer Erklärung formuliert das im Anschluss an die erste Frage des Heidelberger Katechismus, der Bekenntnisschrift der Reformierten aus dem 16. Jahrhundert: „Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben? Antwort: Dass ich mit Leib und Seele, im Leben und im Sterben ... meines getreuen Heilands Jesu Christi eigen bin." Und das bedeutet, ihm allein zu vertrauen und zu gehorchen. Das klingt sehr hart, fast militärisch und lässt für unser Fühlen und Suchen, damals sagte man: „Offenbarung im Blut" keinen Raum. Nicht weniger deutlich heißt es aber in Luthers Kleinem Katechismus bei jedem der Gebote: Wir sollen Gott lieben und fürchten. Ob wir diesen Doppelklang immer aufnehmen, wenn wir im Gottesdienst Jesus Christus als „unsern Herrn und Bruder" anrufen?

Der zweite Leitsatz der Barmer Erklärung entfaltet diese Spannung als umfassende Bestimmung des Lebens eines Christen. Jesus Christus begegnet uns als Gottes Zuspruch der Vergebung, so dass wir als befreite Menschen leben können. Das ist Grund zur Freude und Dankbarkeit. Aber wir können das Fest der Freiheit nur feiern, weil er unser ganzes Leben zugleich in Anspruch nimmt, uns in Beschlag nimmt für seine Aufgaben in dieser Welt. Als dienstbare Knechte können und sollen wir über unsere Freiheit nicht frei verfügen. Was Luther in der Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen" entfaltet hat, wird hier zusammengefasst, so dass die Spannung, aber auch der Zusammenhang von Freiheit und Verpflichtung deutlich wird - entgegen damaligen Hoffnungen und heutigen Beschwörungen der Freiheit. Die bürgerliche Freiheit ist ein hohes Gut der Demokratie, aber sie kennt nur einen Herrn, den Willen und die Wünsche des einzelnen Bürgers. In religiösem Gewand bestimmte er den Widerspruch der Barmer Bekenntnissynode.

Das hat aber auch für das bürgerliche Leben Folgen. Wir haben uns in den Tagen der Finanzkrise angewöhnt, die Gier der Finanzmakler und Bosse zu verurteilen. Aber diese Gier steckt in uns allen; wir wollen ständig unser Leben so gestalten, dass wir unserem Glück etwas hinzufügen. Die Barmer Erklärung nennt das „gottlose Bindungen dieser Welt". Wie viele Partnerschaften gehen auseinander, weil die Erwartungen größer sind und anscheinend nicht erfüllt werden? Wir wollen mit unbegrenzten Möglichkeiten leben - aber wir stoßen nicht nur ökologisch an Grenzen. Es gibt jedoch Grenzen, die uns noch näher sind. Schon kurz nach der Schöpfungsgeschichte fragt Gott: Kain, wo ist dein Bruder Abel? Das Wohl des nächsten Mitmenschen soll eine Grenze für unseren Gestaltungswillen sein. In seinem Ruf um Hilfe begegnet uns nämlich das Wort Gottes; es fordert uns heraus aus unseren Plänen und stört unsere Empfindungen, ja es will uns von uns selbst befreien, uns wunschlos glücklich machen. Das ist der Friede, der höher ist als alle Vernunft, er begleite unsere Herzen und Sinne.

Amen

 

 



Prof.em.Dr Gerhard Ringshausen
Lüneburg
E-Mail: ringshausen@leuphana.de

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