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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Pfingstsonntag, 08.06.2014

„Vegan ist Trumpf“ - ?
Predigt zu Römer 8:1-11, verfasst von Elisabeth Nitschke

 

1 So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind.
2 Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus,
hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.
3 Denn was dem Gesetz unmöglich war, weil es durch das Fleisch geschwächt war,
das tat Gott:
Er sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches und um der Sünde willen
und verdammte die Sünde im Fleisch,
4 damit die Gerechtigkeit, vom Gesetz gefordert, in uns erfüllt würde,
die wir nun nicht nach dem Fleisch leben, sondern nach dem Geist.
5 Denn die da fleischlich sind, die sind fleischlich gesinnt;
die aber geistlich sind, die sind geistlich gesinnt.
6 Aber fleischlich gesinnt sein ist der Tod, und geistlich gesinnt sein ist Leben und Friede.
7 Denn fleischlich gesinnt sein ist Feindschaft gegen Gott,
weil das Fleisch dem Gesetz Gottes nicht untertan ist; denn es vermag' s auch nicht.
8 Die aber fleischlich sind, können Gott nicht gefallen.
9 Ihr aber seid nicht fleischlich, sondern geistlich, wenn denn Gottes Geist in euch wohnt.
Wer aber Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein.
10 Wenn aber Christus in euch ist, so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen,
der Geist aber ist Leben um der Gerechtigkeit willen.
11 Wenn nun der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt,
so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat,
auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt.

Liebe Gemeinde!

A Neulich kam ich in unserer Stadt an einem Graffiti an einer Hauswand vorbei, das lautete: „Vegan ist Trumpf!" Vegan zu essen gilt als eine zeitgemäße Alternative zum Fleischkonsum - eine aufwändige allerdings, denn auf der veganen Speisekarte wird ja nicht nur Fleisch, sondern werden auch Milch- und andere tierische Produkte bis zum Honig durch Pflanzliches ersetzt.

Zwischen Vertretern verschiedener Ernährungsweisen spielen sich manchmal regelrechte Glaubenskämpfe ab. Fleischlos, aber geist-reich mögen sich Veganer fühlen, jedenfalls der, der die Worte auf den Putz sprühte.

Unser Bibeltext spricht von zwei Existenzweisen, die so klingen, aber nicht mit Ernährung zu tun haben. Als fleischlich wird die eine, als geistlich die andere von Paulus bezeichnet. Das Fleisch kommt hier nicht gut weg - doch Vorsicht, es lauern einige Verständnisfallen, die wir zunächst finden und dann auf unserem Weg durch die Predigt umgehen müssen.

I Das von Paulus hier so in die Ecke gestellte „Fleisch" steht zunächst einfach für den leiblichen Menschen. Es meint auch seine Geschöpflichkeit, seine Schönheit, seine Liebesfähigkeit, seine Kommunikation und seine Gedanken - ja, auch der menschliche Geist gehört zu seinem Fleisch. Es ist seine Vergänglichkeit - wie Gras! - und sein Schmerz. Es ist seine Bedürftigkeit, seine Selbstsorge und sein Hunger. Und bei der Bedürftigkeit sitzt der Punkt, der empfindlich und anfällig ist für die Sünde. Seine Bedürftigkeit kann der Auslöser dafür sein, ständig um sich selbst zu kreisen. Fleisch bedeutet hier in diesem negativen Sinne, verbunden mit der Macht der Sünde: ein Mensch, der in sich selbst gefangen bleibt, der an die herrschende Weltordnung angepasst ist und sein Ego in ihr entfaltet. „Fleischliches Leben" kann man hier - ganz extrem - mit „Selbstsucht" wiedergeben.

Sünde besteht nicht aus Pralinen, sie beschränkt sich nicht auf den Bereich der Ernährung oder sonstigen Banalitäten. Sünde ist eine universelle Macht, die das Denken und Handeln von Menschen unterwandert und ihr Verhältnis zu Gott grundlegend stört. Sie setzt Menschen unter Zwang und verdirbt, was Gutes an ihnen ist. Sie ist die Macht, die dafür sorgt, dass die böse Tat immer nur wieder Böses gebären kann.

Diese Gesetzmäßigkeit beschreibt Paulus im Kapitel 7, vor unserem Predigttext an sich selbst: „Ich tue nicht das, was ich eigentlich will. Sondern ich tue das, was ich verabscheue".1

Die Sünde hat sogar das Potential, Gottes Freiraum schaffende Gebote ins Gegenteil zu verdrehen: Das Gesetz kannte Paulus einmal als „heilig, gerecht und gut" (7,12). Er kannte es vor allem in der jüdischen Konkretion, wie es am Sinai überliefert und durch rabbinische Auslegungen entfaltet worden war. Aber wo es auf den um sich kreisenden Menschen trifft, wird es zum ständigen Indikator der Unfähigkeit zum Guten. Als verletztes Gesetz markiert es Übertretung und fordert Strafgericht. Paulus geht deshalb soweit, es als tobringend zu bezeichnen und von der Gesetzmäßigkeit der Sünde und des Todes zu reden.

Doch halt! Hier bleibt er nicht stehen! Weder fordert er die Rückkehr zu anarchistischer Gesetzeslosigkeit, um dieser Spirale zu entkommen, noch verlangt er größere Anstrengungen - wie sie, um beim Bild der Ernährung zu bleiben, ein strenger Diätplan fordern würde. Er macht gar nicht erst Vorschriften, wie man den Gesetzmäßigkeiten vom immer neuen Heißhunger des Sündigens entrinnen kann. Wer schon einmal versucht hat, seine Ernährungsweise grundlegend zu ändern, weiß, wie eng sich mit den mentalen Essgewohnheiten auch ein körperliches Bedürfnis verbindet. Allgemein verinnerlichen Menschen Denk- und Lebensgewohnheiten - und verkörpern sie. Paulus weiß: „Man kann allem widerstehen - außer der Versuchung"2, denn sie ist eine existenzielle Größe, die einen zutiefst in eine Spirale mit einer eigenen Dynamik zieht.

Der Apostel zeigt auf einen Fixpunkt außerhalb von uns. Wer sich in einer Spirale dreht, der kommt nur noch mit fremder Hilfe hinaus. „Was dem Gesetz unmöglich war, tat Gott: Er sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches und um der Sünde willen und verdammte die Sünde im Fleisch." Jesus Christus, Mensch und Gott, war den Bedingungen des Menschseins ausgesetzt, erlag ihnen aber nicht. Er zog die todbringenden Kräfte dieser Spirale auf sich, trug sie ans Kreuz, starb - und erstand am dritten Tage.

Wer auf ihn vertraut, hat einen Halt außerhalb seiner selbst, an dem er sich festmachen kann, während alles ihn in den Sog immer schnellerer Kreiselbewegungen ziehen will, in den Kreisel der Selbstsorge und des Egoismus. Im Aufsehen auf Jesus Christus bekommen wir Kraft, mitten in einer verdorbenen und anfälligen Welt dem Sog der Sünde zu widerstehen.

Es ist entschieden! Der Jubel steht am Anfang. Es gibt kein Strafgericht für die, die zu Jesus Christus gehören.3 Es besteht keine Wahlpflicht mehr zwischen fleischlich und geistlich. Es gibt keine Wahlpflicht mehr - es gibt nämlich auch keine Wahlfreiheit. „Das Fleisch vermag´ s auch nicht". Jetzt wirkt - der Geist.

II Und wieder: Vorsicht, Fallen! Fleisch-los, aber geist-voll - die Schilderung der beiden Existenzweisen verleitet dazu, zwischen Körper und Geist zu trennen. Doch wir haben gesehen: Zum „Fleisch" gehört auch ein Empfinden und ein Denken. Und umgekehrt nimmt Geist auch Gestalt in unserem Leben an. Geist-voll sein ist kein Denksport! Christlicher Glaube ist keine intellektuelle Übung, auch wenn der Kopf sich Mühe machen muss, dem Gedankengang des Paulus zu folgen. - Wer mit dem Herzen glaubt, dessen Hände und Füße werden sich regen. Den sterblichen Leibern blüht Auferstehung - zu einem Leben auch schon vor dem Tod!

Der Geist, sagt Paulus, setzt eine Positivspirale frei. Die Gesetzmäßigkeit des Geistes hat dich befreit, sie strudelt dich hinein ins Leben. Dort will ich hin, ja. Muss ich es mir vorstellen wie eine Positivspirale, wie sie vielleicht beim Fasten entsteht? Wenn sich nach einigen Tagen des Verzichts Euphorie ausbreitet und der ganze Körper davon erfüllt wird, so dass der Verzicht gar nicht mehr schwer fällt?

Diese Ernährungsbilder taugen eine Weile, um an der Verbindung von Fleisch und Geist festzuhalten. Beides wird sich durchdringen in unserem Leben. Eines wird immer vom anderen mitbestimmt. Aber die Ernährungsbilder haben einen erheblichen Schwachpunkt: Sie suggerieren, dass es auch in Glaubensdingen auf meine Entscheidung ankommt, auf meine Disziplin und vielleicht die Unterstützer, die mich beim Richtigmachen oder Verändern anfeuern.
In Glaubensdingen wäre das zu einfach gedacht. Und deshalb ...

III ... stellen wir uns eine andere Szenerie vor. Erinnern wir uns, dass Gottes Geist im Ersten Testament auch mit seinem Atem verbunden ist. Jesus verglich ihn mit dem Wind, der weht, wo er will.

Pfingsten, das ist auch ein Fest inmitten von Frühsommerferien, eine Zeit, um Ausflüge zu machen und durchzuatmen. Ich bin mit dem Boot unterwegs. In herrlich blauen Gewässern, unter Sonnenschein und bei einem lauen Lüftchen. Ein Boot mit Segel. Der Wind fährt hinein. Er lässt das Boot auf den Wellen schaukeln, er lässt es tanzen. Er füllt mein Segel. Doch halt, nicht, wenn es so hängt, wie es gerade hängt. Es muss neu ausgerichtet werden.
So - nun kann es sich füllen. Eine Zeit lang überlasse ich mich ganz der Kraft des Windes. Die Kraft treibt mein Boot an. Es bringt mich vorwärts. Wir gleiten dahin. Strecken werden überwunden. Distanzen schmelzen dahin. Die Landzunge ist vom Ufer getrennt. „Sund" nennt man, was dazwischen liegt. Aber mit der Windkraft lässt sie sich überwinden. Wenn ich das Segel richtig setze und den Wind nutze.

Dann ist Pfingsten auch wieder vorbei, die freie Zeit, das Segeln. Sund und Sünde gibt es noch, Trennungen von Mensch und Gott - aber ich habe den Geist kennen gelernt. Er gibt mir Rückenwind, er bringt mich vorwärts. Das wünsche ich mir für den Alltag, wenn ich wieder durch die Straßen meiner Stadt laufe oder auch hetze: die Kraft, nicht ständig in alte Gewohnheiten zurückzufallen, seien es Essgewohnheiten oder die Spirale der Selbstsorge. Wenn ich wieder an dem Graffiti vorbeikomme, das mich fragen lässt, ob ich nicht vielleicht wirklich vegetarisch, vegan oder noch deutlich selbstoptimierter leben müsste, erinnere ich mich: Selbst „vegan" kann total „fleischlich" sein, wenn es mich in die Spirale der Selbstsorge zieht.

Also die Prioritäten und mit ihnen das Segel setzen, mich immer einmal neu ausrichten bei dem, was ich im Alltag so treibe. Den Blick auf etwas, auf jemanden außerhalb der Spirale richten. Vertrauen wagen, dass Seine Energie mein inneres Segel noch heute füllt. Ich kann und muss es nicht selbst tun, es geschieht mir.

Komm, Heiliger Geist, mit deinem Wehen, und ziehe mich in den Sog des Lebens.

 



Pfarrerin Elisabeth Nitschke
71229 Leonberg
E-Mail: elisabeth.nitschke@elkw.de

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