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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Pfingstsonntag, 08.06.2014

Predigtreihe zum Öffentlichkeitsauftrag von Theologie und Kirche
Predigt zu Römer 8:1-2.10-11, verfasst von Nikolaus Schneider

   

„Zeitansage
Wir leben in einer gespaltenen Welt, mit unseren geteilten Köpfen und Herzen.
Wir nehmen unsere absurde Zeit schon gar nicht mehr wahr.
Wir sehen alles und sehen nichts.
Wir wissen alles und wissen nichts.
Wir lesen drauf los um unsere Seele zu retten.
Wir retten nichts, wir hören nichts.
Wir hören alles und erkennen nichts.“
(Hanns Dieter Hüsch, Das Schwere leicht gesagt, Herder 2007, S.26)

 

Liebe Gemeinde!

Mit dieser „Zeitansage“ machte der theologische Poet vom Niederrhein Hanns Dieter Hüsch deutlich:

Auch nach und trotz der Aufklärung,
auch nach und trotz aller wissenschaftlichen und technischen Fortschritte,
auch nach und trotz jahrtausenderalter Philosophie- und Kirchengeschichte
braucht unser menschlicher Geist neue Inspiration.

Neue Inspiration, die unser Sehen zu einem Wahrnehmen macht.
Unser Hören zu einem Verstehen
.
Unser Lesen und Wissen zum Anstoß für verantwortliches Tun.

Angesichts der Zerrissenheit und der Krisen
in unseren Köpfen und in unserer Welt
brauchen wir einen neuen Geist, der „unsere Seele rettet“
.
 
Auch als aufgeklärte Menschen in der „spätmodernen Gesellschaft“.
Auch als gebildete Theologen und Theologinnen.
Auch als Menschen, die in öffentlicher Verantwortung stehen.
Auch in der Kirche.

Deshalb feiern wir heute Pfingsten.
Das Pfingstfest ist das Fest dieses neuen Geistes.

Pfingsten bedeutet:
Gottes Geist inspiriert den Menschengeist.
Gottes Geist begründet ein „Kommunikationswunder“ zwischen Gottes lebendigem Wort und unserem menschlichen Geist.
Und er wirkt „Kommunikationswunder“ zwischen Menschen in ihren Beziehungen und Gemeinschaften.
Gottes Geist lässt Menschen neu hören und neu verstehen – über Prägungen der Person, Sprachgrenzen und kulturelle Unterschiede hinweg.

Am ersten Pfingstfest, damals in Jerusalem vor fast 2000 Jahren, schlug die Geburtsstunde für die weltweite und bunte, vielfältige und vielstimmige Kirche Jesu Christi.

 

Der auferstandene Christus machte sich den Seinen erfahrbar als eine gegenwärtig wirkende und inspirierende Geisteskraft.
In dieser Kraft wird Vielfalt zusammengeführt und zusammengehalten.

Das hat Folgen:

Damals in Jerusalem erneuerte der Geist Christi den Geist seiner Nachfolgerinnen und Nachfolger:
Aus Zögernden wurden Begeisterte.
Ihre lähmende Angst wurde zu einem tätigen Mut.
Aus ihrem privaten Rückzug wurde ein öffentlicher Aufbruch.

Pfingsten wurde so zu dem „Grunddatum“ für das öffentliche Wirken von Christenmenschen und der Kirche.

Dieses Pfingstgeschehen war kein einmaliges Ereignis exklusiv für Jesu Jünger damals in Jerusalem.

Schon Paulus versicherte deshalb die junge Christengemeinde in Rom, dass „die Liebe Gottes ausgegossen ist in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.“ (Römer 5, 5b)

Diese Grundgewissheit trägt Christinnen und Christen bis heute:

Der Heilige Geist ist ausgegossen – nicht nur in Jerusalem und Rom, auch hier in Leipzig. Und dieser Geist bewirkt bis heute Kommunikationswunder in unserer Gottesbeziehung und in unseren Menschenbeziehungen.

 

 

 

Der Predigttext für diesen Pfingstsonntag beschreibt die befreiende und verändernde Kraft, mit der Gottes Geist jeden einzelnen Menschen inspirieren will.

Ich lese die Verse 1 bis 2 und 10 bis 11 aus dem 8. Kapitel des Briefes von Paulus an die Gemeinde in Rom:

„So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind.
Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus,
 
hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.

Wenn aber Christus in euch ist, so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen,
der Geist aber ist lebendig um der Gerechtigkeit willen.
Wenn nun der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat,
in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat,
auch eure sterblichen Leiber lebendig machen
durch den Geist, der in euch wohnt.“


Paulus sagt den Christinnen und Christen in Rom und auch uns, heute hier in Leipzig zu:
Wenn Menschen sich an Christus halten und dem Geist Gottes in sich Raum geben, dann geschieht etwas mit ihnen. Ihre Existenz wird befreit erneuert. Sie gehören schon jetzt – mitten in dieser gespaltenen Welt und absurden Zeit
– zum unzerstörbaren Leben in Gottes Reich!
Das ist der Kern dieses pfingstlichen Predigttextes.

 

 

 

Zwei Gedanken des Textes will ich weiter entfalten:

Zum Ersten:
Menschen, die ihr Leben an Jesus Christus binden, werden frei von Höllenfurcht und lähmender Todesangst.

Paulus ist sich ganz gewiss:
Das Evangelium von Jesus Christus ist eine frohe Botschaft, weil es eine Liebes- und eine Freiheits
botschaft ist.
Das Gottvertrauen, das Jesus vorgelebt und gelehrt hat, befreit Menschen aus ihrer Selbstbezogenheit und aus einem sozialen Autismus. Es befreit von dem Zwang zur Selbstrechtfertigung und von der Verzweiflung, den eigenen 
Ansprüchen und den Ansprüchen Gottes nicht zu genügen.
In Jesus und durch Jesus erkennen Menschen, dass sie sich Gottes Liebe und Anerkennung nicht verdienen müssen – weder durch ihre Frömmigkeit noch durch eine geistreiche Theologie noch durch ihr gerechtes Tun.

In Jesus sucht und begegnet uns der liebende und gnädige Gott.
Wir müssen uns nur finden lassen und Herz und Verstand für Gottes Geist öffnen.
Dann werden wir frei von allen Versuchen, unser Leben ganz auf uns selbst zu gründen – auf unsere eigenen Fähigkeiten, auf unsere eigene Stärke, auf unser eigenes Vermögen. Das korrespondiert mit dem verzweifelten und am Ende vergeblichen Streben,  uns vor Gott durch die Erfüllung aller göttlichen Gebote zu rechtfertigen.

 

 

 

Wenn Gottes Geist in uns wohnt, dann müssen wir keine Verdammnis im Leben und keine endgültige Verlorenheit im Gericht Gottes mehr fürchten.

Diese Freiheit, die uns in unserer Lebensbindung an Christus zuteilwird,  ist aber keine „Gesetz-lose“ Freiheit. Sie ist keine Freiheit von Gottes Gesetz. Sie ist vielmehr eine Freiheit zum rechten Gebrauch des göttlichen Gesetzes:   

Gottes Gebote und Weisungen verdeutlichen das Recht und die Gerechtigkeit, die Gott in unserem irdischen Leben von uns erwartet. Als Dank und Folge - und nicht als Bedingung für das Geschenk seiner Liebe und Gnade. 

Jesus Christus hat die inneren und die äußeren Augen der Menschen dafür geöffnet, wie menschenfreundlich und lebensdienlich Gottes Gesetz ist:

„Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.“(Matt. 5, 17) – mit diesen Worten widerspricht Jesus allen Versuchen, Gottes Gnade gegen Gottes Gesetz auszuspielen.     

Wenn wir „in Christus Jesus sind“ und „Christus Jesus in uns ist“,
dann werden Gottes Weisungen für uns zu dem „Gesetz des Geistes“
. Im Geist befreit uns das Gesetz, Gottes Liebe und Gnade in ein liebevolles, barmherziges und gerechtes Handeln in unserem menschlichen Miteinander umzusetzen.
Wenn wir „in Christus Jesus sind“ und „Christus Jesus in uns ist“
,
dann werden Gottes Weisungen gerade nicht zu einem „Gesetz der Sünde und des Todes“, das uns nur immer neu an unser Versagen, unsere Schuld und unsere Gottesferne erinnert.

 

 

Menschen, die ihr Leben an Jesus Christus binden und dem „Gesetz des Geistes“  in sich Raum geben, werden frei von Selbstbezogenheit und Todesfurcht.

Und zum Zweiten:
Menschen, in denen Gottes Geist wohnt, sind befreit zur Nächstenliebe und zur Weltverantwortung.   

Der Geist von Pfingsten ist der Geist des Lebens. Wohnt er in uns, dann wohnt in uns eine Kraft, die den Tod überwindet, die vom Tod zum Leben führt. Die unsere Kreuzeserfahrungen und unsere Auferstehungshoffnung  verbindet.
Deshalb ist unser Gottvertrauen ein Vertrauen über unseren Tod hinaus
.
Deshalb befreit es uns von lähmender Todesfurcht und von antriebsloser Resignation.
So können Christenmenschen „fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet“
(Römer 12,12) auf dieser Erde für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung von Gottes Schöpfung eintreten.
Trotz aller Todeserfahrungen, die ihnen in diesem Leben nicht erspart bleiben.

Nur das Vertrauen, dass Gottes Macht stärker ist als der Tod und alle Todesmächte dieser Welt, lässt aus unseren Zweifeln keine Verzweiflung werden, aus unserer Schwachheit keine Resignation, aus unserem Versagen keinen Zynismus.

 

 

 

 

Dieser Geist des Lebens macht unser Gottvertrauen zu einer nicht versiegenden Kraftquelle, mit der Christenmenschen in einer gespaltenen Welt und in einer absurden Zeit ihr Beten immer wieder neu mit dem „Tun des Gerechten“ verbinden.

Das öffentliche Wirken unserer Kirche gründet in diesem Gottvertrauen, gespeist durch den Geist von Pfingsten.

Gottvertrauen aus dem Lebensgeist von Pfingsten ist also eine vom Tagesgeschehen unabhängige Zuversicht, die auch am Leiden und Scheitern, an Enttäuschungen und an offenen Fragen nicht zerbricht. 
Unsere Gesellschaft und unsere Politik brauchen politisch verantwortliche Christenmenschen, die von einer solchen Lebenszuversicht getragen sind.
Und die sich vom Geist Gottes auch zu Umkehr und zu neuen Anfängen inspirieren lassen

etwa wenn die Regelsätze von Hartz IV oder Armutslöhne auf den Prüfstand gestellt werden,

etwa wenn große Gewinne (und auch Steuereinnahmen) durch Rüstungsexporte locken,

etwa wenn die große Zahl von Flüchtlingen an Europas Außengrenzen Angst auslöst und Flüchtlinge durch Zäune und unmenschliche Abwehrmaßnahmen den Tod erleiden.

 Gottes Geist leitet Menschen an, sich damit nicht abzufinden und öffentlich für die Wahrung der Menschenwürde einzutreten. 

 

 

 

Unsere Gesellschaft und unsere Politik brauchen eine Kirche, die durch ihr öffentliches Wirken staatliche und gesellschaftliche Entscheidungsträger „an Gottes Reich, Gottes Gebot und Gerechtigkeit erinnert“, so wie es vor 80 Jahren in der Theologischen Erklärung von Barmen wegweisend formuliert wurde. (Theologische Erklärung von Barmen, These 5). 

Der Auftrag der Kirche hat mit dieser Aufgabenbeschreibung eine öffentliche soziale und gesellschaftspolitische Dimension. Und mit der Erinnerung an Gottes Reich, Gottes Gebot und Gottes Gerechtigkeit wird nach dem Zeugnis der Bibel eine eindeutige Tendenz angemahnt:
Benachteiligte, Arme, Notleidende und Fremde, also Menschen, die auf Heilung, Integration und Befreiung angewiesen sind, stehen im Zentrum von Gottes Augenmerk und deshalb auch im Zentrum des öffentlichen Wirkens der Kirche.
Wenn Kirche dem Geist Gottes Raum gibt und dem „Gesetz des Geistes“ folgt, dann steht sie auf der Seite und an der Seite der Benachteiligten und Notleidenden:

durch diakonische Dienste in unserem Land und weltweit,

durch Stellungnahmen und Lobbyarbeit bei Parlamenten und Regierungen

durch Denkschriften und Orientierungshilfen des Rates der EKD.

Damit das Engagement von Christenmenschen und das öffentliche Wirken von Diakonie und Kirche nicht zu kurzatmigem Aktionismus werden, braucht unser menschlicher Geist immer wieder die Inspiration des göttlichen Geistes.

 

Inspiration, die unser Sehen zu einem Wahrnehmen macht.
Unser Hören zu einem Verstehen
.
Unser Lesen und Wissen zum Anstoß für verantwortliches Tun.

Angesichts der Zerrissenheit und der Krisen
in unseren Köpfen und in unserer Welt
brauchen wir Gottes Geist, der „unsere Seele rettet“.

Gottes pfingstlicher Geist lässt uns mit dem Neutestamentler Klaus Haacker beten:
hier einer katze übers fell streichen
bis sie zu schnurren anfängt
während anderswo
menschen einander
metallsplitter ins fleisch jagen –

wie passt das zusammen?
wieso und wie lange
ist für beides raum
neben einander
auf dieser einen erde?

Dein reich komme
dein wille geschehe
wie im himmel so auf erden

amen ja
komm herr jesus“

(Klaus Haacker, Grüße an Orpheus, Gedichte, Radius Verlag, Stuttgart 1986, S. 26)

Amen

 



Vorsitzender des Rates der EKD Nikolaus Schneider
Leipzig, Universitätsgottesdienst
E-Mail: Bianca.Schamp@ekd.de

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