Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Trinitatis, 15.06.2014

Predigt zu Matthäus 28:16-20 (dän. Perikopenordn.), verfasst von Thomas Reinholdt Rasmussen

 

Was ist eigentlich ein Mensch? Wie verstehen wir einen Menschen? Wie verstehen wir uns selbst und andere, nicht zuletzt im Verhältnis zu anderen?

In unserer Zeit ist es wohl so, dass wir das Ganze von den teilen her verstehen. So verstanden sind es die einzelnen Teile der Gesellschaft, die der Gesellschaft Farbe und Wert verleihen. Es sind damit auch die einzelnen Individuen, die zunächst entscheidend sind kraft ihrer Entscheidungen für oder gegen etwas im Leben. Oft stellen wir die freie Wahl als das Entscheidende hin; in den unzähligen Programmen über Wohnungen im Fernsehen heißt es: „Für die Wand hart sie sich für eine gelbe Farbe entschieden", und in größerer Perspektive heißt es: „Sie haben sich für die Familie entschieden und nicht das Berufsleben". So bestimmen wir unsere Identität.

Die Identität wird dann oft in unseren Augen dadurch geschaffen, dass wir die Dinge wählen, die für uns entscheidend sind und unsere Leben so gestalten können, wie wir es für wichtig halten. Die Wahl hat Bedeutung - nicht allein für die Richtung, die das Leben nun einschlägt, sondern wahrlich auch für unsere Identität. Dafür, wer wir nun einmal sind. Wir haben ein Vorurteil, dass wir durch unsere Entscheidungen im Leben geprägt werden, und durch diese Entscheidungen wird dann die Gesellschaft geschaffen, in der wir leben.

Identität ist also nicht etwas, was wir unmittelbar haben. Es ist etwas, das wir wählen - etwas, was wir schaffen. Wir haben also eine Vorstellung, dass wir als reine leere Gefäße in die Welt, und in diese wird dann Farbe und Sinn gefüllt als Identität, je nachdem, welche kulturelle Entscheidungen man trifft, mit denen man sich dann füllen lässt.

Aber ist das wahr? Wird unsere Identität wirklich durch unsere Entscheidungen bestimmt? Oder ist es vielleicht doch so, dass alle wichtigen Entscheidungen für unser Leben nicht von uns getroffen werden? Allein die Geburt - wer hat sie bestimmt? Wer hat unsere Freunde und Nachbarn gewählt? Trifft man nicht zunächst auf Menschen unabhängig von der eigenen Wahl? Drängt sich das Leben nicht auf, ganz gleich, was man wählt? Ist es nicht so, dass wir nur in kleinen Dingen selbst entscheiden, dass aber in den großen Perspektiven für uns entschieden wird? Wie Paulus in der heutigen Epistel schreibt: „In ihm sind wir auch zum Erbteil gekommen, die wir zuvor verordnet sind nach dem Vorsatz des, der alle Dinge wirkt nach dem Rat seines Willens" (Eph. 1,11). Das Leben ist grundlegend nicht unsere Wahl. Es ist für uns gewählt. Im Kleinen können wir bestimmen, ob wir nach rechts oder nach links im Leben gehen; aber wir können nicht neue Wege schaffen, wo keine sind.

Es ist eine große Illusion, dass wir durch unsere Wahl Identität schaffen. Es ist eine Illusion, die viele Schwierigkeiten und Depressionen schafft; weil du bist, was du tust, und wenn es nicht gelingt, ist es deine eigene Schuld.

Aber es ist ja so, dass uns die Identität geschenkt wird, und wir empfangen sie und geben ihr Form und Farbe. Aber die Entscheidung für das Leben überhaupt und seine Zusammenhänge, steht nicht in unserer Macht und unserer Entscheidung.

Denn wenn diese moderne Illusion wahr wäre, dass wir selbst durch unsere Entscheidung unsere Identität schaffen, dann würden wir erstens unsere ganze Geschichte verleugnen und alles, was ihr vorausgeht, unser Leben würde an Gewicht verlieren - und dann würden wir den Stachel - den Stachel der Schuld - ausschließlich gegen uns selbst wenden: Du hat es selbst gewählt, sagen wir - die Schuld ist deine und von ihr kannst du nicht befreit werden! Wenn wir daran festhalten, dass Identität etwas ist, das wir selbst wählen und schaffen, dann verschießt sich das Leben um uns, und es bliebe nur die Finsternis der Verdammnis für uns alle. Wir müssen um des Lebens und des Lichts willen festhalten, dass wir Teil eines Ganzen sind, und dass dieses Ganze uns Identität schenkt. Das ist eine Ganzheit, die uns Identität schenkt und nicht umgekehrt.

Diese Ganzheit wird sichtbar, wenn wir im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes taufen. Dass wir unser Leben in die Hände dessen legen, der alle Macht im Himmel und auf Erden hat. Damit wird deutlich gesagt, dass wir uns nicht selbst eine Identität schaffen können; dass wir uns nicht schaffen können, sondern glauben sollen, dass wir geschaffen sind, dass uns die Fülle des Lebens geschenkt ist und dass wir dadurch stets davon befreit sind, uns immer für etwas entscheiden zu müssen - sondern wissen, dass für uns etnschieden ist und dass wir dadurch in Glauben und Verantwortung leben sollen. Das Leben auf sich nehmen, wie es nun einmal ist.

Hierdurch wird das Leben zu einem geschaffenen Leben und nicht zu einem Leben, das sich schafft. Wir werden dazu befreit, miteinander in Liebe zu leben, und auch wenn wir das oft nicht besonders gut können, sind wir im Leben nicht allein, denn Christus hat versprochen, mit uns zu sein bis ahn das Ende der Welt. Und das bedeutet, dass wir die Schuld, die wir unweigerlich im Leben auf uns nehmen, nicht alleine tragen. Jesus Christus trägt sie mit mir und dir, al der, der der Herr der Schöpfung ist. Der Weg zur Erlösung von Schuld und Sünde ist nicht der Glaube an die eigene Wahl - das führt nur zu immer mehr Schuld - sondern der Glaube an Jesus Christus, der Glaube, dass durch ihn das Tor zum Leben geöffnet ist - sowohl für das schwierige Leben miteinander als auch das ewige Leben mit Gott.

So schenken die Worte, dass Jesus bei uns ist bis an das Ende der Welt, sowohl Freiheit als auch Trost. Freiheit, weil du hier davon befreit bist, immer alles Mögliche entscheiden zu müssen - und damit die Freiheit zur Gemeinschaft mit dem Nächsten in Liebe und Verantwortung, ohne erst wählen zu müssen, wer der Nächste ist. Und die Worte schenken Trost, weil wir nie allein gelassen werden, weder im Leben noch im Tode, denn Jesus Christus hat uns versprochen, dass er mit uns ist bis an das Ende der Welt und Schuld, Sünde und Schande von uns und der Welt trägt. Amen.

 



Pfarrer Thomas Reinholdt Rasmussen
DK-9800 Hjørring
E-Mail: TRR(at)km.dk

Bemerkung:
Übersetzung: Prof. Eberhard Harbsmeier


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