Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach Trinitatis, 22.06.2014

Predigt zu Lukas 16:19-31, verfasst von Peter Fischer-Møller

 

Liebe Gemeinde!

Wir feiern hier auf der Insel Rügen, wir feiern das siebenhundertjährige Jubiläum dieser schönen Kirche in Altenkirchen. Wir genießen Ihre Gastfreundschaft und haben uns gefreut, mit Ihnen zu feiern, wo wir zwar nicht in Purpur gekleidet waren, aber doch in vielen verschiedenen Kleidern. Und dann wachen wir auf hier am Tage danach - einige vielleicht mit etwas schweren Köpfen - zur Geschichte vom Reichen Mann und Lazarus. Starke Kost für zarte Seelen.

Eine Geschichte vom Sehen und Übersehen, von Ungerechtigkeit und Konsequenz - und von einem Evangelium, das glücklicherweise weiter und tiefer reicht als wir es fassen können.

Wir haben im letzten halben Jahr Weihnachten, Ostern und Pfingsten gefeiert. Wir waren Zuschauer und Zuhörer. Wir haben Jesus begleitet im Heiligen Land. Wir haben seine ganze Geschichte von der Krippe bis zum Kreuz verfolgt. Wir haben gesehen, wie sich die Jünger darüber geschämt haben, dass sie ihn verlassen hatten, und wie traurig darüber waren, ihn verloren zu haben, und wie sie sich wunderten am Ostermorgen mit dem leeren Grab und der Auferstehung. Wir haben seine Fußabdrücke gesehen auf dem Ölberg, als er gen Himmel fuhr. Und wir haben gehört, wie er danach in einer neuen Weise in die Welt kam, wie der Heilige Geist über die Jünger kam, so dass sie Mut und Kräfte erhielten aus dem, was Jesus in der Welt gesagt und getan hatte. Und das geschah. Die Geschichte ging von Mund zu Mund, von Großmüttern zu Enkelkindern und über die ganze Welt. Vor mehr als 800 Jahren brachte Roskildes Bischof Absalon und seine Leute diese Geschichte hier nach Rügen, und mehr als 700 Jahre ist diese Botschaft hier in der schönen Kirche von Altenkirchen verkündigt worden.

Nun stehen wir im Mittelpunkt. Nun richtet Jesus die sommerliche Sonne wie einen Projektor auf uns. Von heute an, bis wir wieder im Advent die Tage bis Weihnachten zählen, stehen wir und unser Leben miteinander im Zentrum.

Ist das Christentum nur ein Teil unserer Tradition? Sind die Kirchen meist sehr schöner Kulturdenkmäler? Ist die Bibel nur ein Buch, das auf dem Bücherregal liegt und Staub sammelt? Oder ist das Projekt noch immer lebendig? Hat die Geschichte Jesu Eindruck auf uns gemacht? Provozieren uns seine Geschichten noch immer? Bläst sein gGeist noch immer Leben in uns ein? Diese Fragen werden uns in den nächsten sechs Monaten verfolgen, durch die Trinitatiszeit. Die Farbe der Trinitatiszeit ist grün. Grün ist die Farbe der Hoffnung, denn Gott lebet in der Hoffnung dass das Evangelium uns auf den leib rückt, dass es die Liebe in unseren Herzen anzünden kann und uns Mut und Kräfte geben kann, uns zu engagieren.

Grün ist auch die Farbe des Wachstums. Der Sinn ist, dass die Geschichten hier uns als Menschen wachsen lassen, reifer zu werden und Frucht zu tragen zum Wohl und zur Freude anderer.

Deshalb nimmt die Geschichte von heute kein Blatt vor den Mund. Die alttestamentliche Lesung ist ganz deutlich. Die Welt gehört Gott, und unsere Aufgabe als Menschen ist es, Gott von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von allen Kräften zu lieben. Das ist die Überschrift über unser Leben, so wie es auch die Überschrift über alle Gebote in Luthers Kleinem Katechismus ist

Und Johannes schreibt in seinem ersten Brief Leicht zu verstehen, aber schwer zu leben.

Und dann kommt da die Geschichte vom reichen Mann und Lazarus. Der reiche Mann hat mehr als genug, er spiegelt sich in den bewundernden Blicken der anderen. Der Arme hat gar nichts. Keiner sieht ihn außer den Hunden, die kommen um seine Wunden zu lecken.

So ungerecht waren die Güter dieser Welt zur Zeit Jesu verteilt. Wie sieht das heute aus? Es gibt leider noch immer Millionen von Menschen, vie vor die Hunde gehen, während wir andere viel mehr haben, als wir eigentlich brauchen. Und obendrein stehen wir nun vor einer globalen Erwärmung, die zunächst vor allem die Ärmsten der Welt trifft.

Die Ungerechtigkeit erhält in der Erzählung Jesu noch eine Wendung. Denn zu der abgrundtiefen sozialen Ungleichheit kommt, dass der reiche Mann den Armen überhaupt nicht bemerkt. Wie kann man denn so blind sein, fragen wir! Gleichzeitig blättern wir in der Zeitung am Morgen schnell weiter bei einer Notiz über noch eine Autobombe in Bagdad mit siebzehn Toten und neunundachtzig Verwundeten, um zu den Seiten mit Jubiläen und runden Geburtstagen zu kommen.

Da gibt es vieles, das wir allzu gut bei uns wiedererkennen!

Aber mitten in all dem geschieht etwas Überraschendes. In unserer Welt sind es die Einflussreichen, die Trendsetter und Provokateure, die einen Namen haben. Die, von denen man in der Zeitung lesen kann, über die Nekrologe geschrieben werden, wenn sie sterben. Aber Jesus erzählt Geschichten von ganz anderen Leuten, die er hervorhebt, von anderen, deren Namen und Schicksale in Erinnerung bleiben. In der Geschichte hier ist der Reiche zwar anonym, aber der Arme hat einen Namen: Lazarus. Es mag sein, dass er von Menschen übersehen wurde, aber er ist von Gott gesehen, und jetzt auch von uns.

Das war der erste Teil der Geschichte.

Im zweiten Teil zeigt uns Jesus die umgekehrte Welt. Nun nach dem Tode sind die Rollen vertauscht. Der arme Lazarus, der im Straßenstaub starb, erhält den Ehrenplatz beim Stammvater Abraham. Während der Reiche nun am eigenen Leibe spüren kann, was er nicht sehen wollte, während er lebt: Was es heißt, zu dursten und zu hungern.

Ganz gerecht, kann man sagen, auch wenn es recht schockierend auf uns wirkt, die wir uns selbst wohl am besten in dem Reichen Mann wiedererkennen.

Das wäre es dann, könnte man denken. Aber es ist scheinbar nicht so einfach. Auch nach dem Tode denkt der anonyme reiche Mann noch immer nur an sich selbst und seiner eigene Familie. Das Höchste wozu er sich durchringen kann ist, dass er an Lazarus als eine art Lakai denkt, den er in die Stadt nach Wasser schicken kann. Er ist nicht viel klüger geworden. Aber wir sollten gerne klüger werden.

Ja mehr als das. Jesus gibt uns mit der Erzählung hier einen ordentlichen Anstoß. Er sagt: Öffnet die Augen! So sieht die Welt aus. Es gibt viele, denen es schlecht geht, es gibt große Ungerechtigkeiten, gegen die wir etwas tun müssen. Jesus schildert einen dieser Unterprivilegierten und Übersehenen dieser Welt und sagt: Hier habt ihr Lazarus. Der Name Lazarus bedeutet "Gott hilft", und die Geschichte hier zeigt, wie Gott einen Blick für ihn hat und sich seiner annimmt. Aber draußen im Alltag, sagt Jesus, will Gott dem Mann also mit euren Händen helfen. Macht euch an die Arbeit!

Es kann schwer fallen, den Optimismus und den Glauben an eine bessere Welt zu bewahren. Es ist viel leichter zu sagen: Was kann denn ich kleiner Mensch tun angesichts all der Krankheiten und Unglücke und Kriege und Ungerechtigkeiten, die täglich auf den Bildschirmen auf uns einstürmen?

Aber wenn wir heute hier zu einem Gottesdienst versammelt sind, dann eben nicht um in so eine Mutlosigkeit und so einen Zynismus zu versinken, alles schleifen zu lassen und uns nur damit zu begnügen, für uns selbst und unsere Nächsten zu sorgen.

Wir sind vielmehr hier versammelt, um daran erinnert zu werden, dass das Leben nicht unser Eigentum ist, sondern Gott gehört, dass Gott nicht nur uns geschaffen hat, sondern jeden einzelnen Menschen auf der Erde, dass jeder Mensch ihm gehört, unersetzlich und hoch geliebt. Der reiche Mann dachte zunächst nur an sich selbst und danach ein wenig an seine leiblichen Brüder. Wenn wir Gottesdienst feiern, dann wird uns gesagt, dass wir alle zur selben Familie gehören, dass wir Brüder und Schwestern sind, und dass wir eine Verantwortung haben für Wohl und Wehe unserer Brüder und Schwestern.

Und dann ist da noch eine letzte wichtige Pointe, die wir nicht übersehen dürfen. Die Erzählung Jesu ist ja ein wenig schockierend für die unter uns, denen es etwas schwer fällt, ernsthaft mit denen zu teilen, die zu wenig haben. Was ist, wenn wir dem reichen Mann mehr ähneln als gut tut? Enden wir dann als durstige arme Schlucker im Reich des Todes?

So versetzte man ja früher den Leuten in Angst und Schrecken, mit Drohungen, wie schlimm es ihnen in der Ewigkeit ergehen würde. Wir können das i Dänemark in den Fresken in unseren alten Kirchen sehen. Aber ich bin davon überzeugt, dass Jesus nicht solche selbstgerechten Sorgen in uns wecken wollte, er wolle auch nicht die Unterdrückten dieser Welt damit beruhigen, indem er ihnen alles Mögliche in der Ewigkeit versprach. Nein, er hat diese Geschichte nicht erzählt, um uns zu erschrecken oder um uns selbstgerecht über uns selbst freuen zu lassen, sondern um uns die Augen zu öffnen für die Anderen.

Er hat ja schließlich selbst sein leben gegeben, um die mit sich selbst beschäftigten Jünger und alle uns andere begreifen zu lehren, dass Gott wirklich der unbegreiflich liebende Vater ist, von dem er in seinen Gleichnissen erzählt hatte, dass wir von Gott gesehen und geliebt sind - trotz allem - jeder einzelne von uns, und dass wir uns mit der frohen Botschaft im Rücken überhaupt keine Sorgen machen müssen, wie wir etwas werden sollen in den Augen anderer Menschen oder Gottes, sondern alle unsere Aufmerksamkeit auf etwas Interessanteres und Wichtigeres richten können, nämlich die Schöpfung, die Gott uns anvertraut hat, damit wir für sie Verantwortung übernehmen, und die Menschen, mit denen wir zusammenleben sollen.

Jesus will mit der Geschichte vom reichen Mann und Lazarus unser Engagement wecken. Er will uns aus dem Sofa hervorlocken. Er erwartet etwas von uns.

Gott lässt seine sommerliche Sonne über uns scheinen, sie scheint auf uns und Lazarus. Er ist dort draußen, und er braucht Dich und Dein Engagement! Man muss sich nur aufmachen. Amen.




Biskop Peter Fischer-Møller
4000 Roskilde
E-Mail: pfm(a)km.dk

Bemerkung:
Gottesdienst am 22. Juni 2014 in Altenkirchen auf Rügen zum 700-jährigen Jubiläum


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