Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag nach Trinitatis, 06.07.2014

Predigt zu Lukas 15:11-32 (dän. Perikopenordn.), verfasst von Niels Henrik Arendt

 

Ich habe meinen Kinderglauben, hört man die Leute sagen. Wenn sie damit meinen, dass sie mit einem einfältigen Vertrauen auf die Vorsehung Gottes leben, dann muss man das respektieren - und nicht problematisieren. Aber wenn sie meinen: Ich habe so einen kleinen Raum, wo ich Gott begegne, einen Raum, der gut geschützt ist gegen alles, was im Übrigen in meiner Welt geschieht, dann soll man das nicht einfach so stehen lassen.

Denn Glaube hat mit den Realitäten dieses Lebens. Und zu den Realitäten dieses Lebens gehört u.a., dass wir dem Bösen zu viel Raum geben in unserer eigenen Welt und in der großen Welt. Es ist nicht möglich, sich im Verhältnis zu Gott klein und unschuldig zu machen. Wir haben die Unschuld verloren, auch wenn wir das nicht gerne hören. Wir sind keine Teufel, aber wir geben dem Bösen Raum, wir lassen es sein Spiel mit uns und unseren Mitmenschen und unserer Welt treiben, wir distanzieren uns nicht - das ist unbestreitbar.

Wenn wir meinen, wir könnten den lieben Gott in den Kulissen parken, während das Spiel dieser Welt gespielt wird, und ihn dann in unser Leben einbeziehen, wenn das Spiel gerade mal Pause macht, aber ihn dann wieder aus der Welt verbannen, wenn sich die Wirklichkeit bemerkbar macht, dann irren wir uns gründlich. Gott ist der Gott der Wirklichkeit. Davon handelt das Christentum. Man muss geradezu fragen: Warum in aller Welt musste Jesus leiden und sterben, wenn all das mit Gott und uns so unproblematisch wäre wie dieser Kinderglaube? Mit einem Bild aus dem Gleichnis dieses Sonntags: Der Weg des verlorenen Sohnes zum Vater ist unser Weg zu Gott. Wir können keinen kürzeren und direkteren Weg gehen.

Jesus vergleicht unser Verhältnis zu Gott mit dem Verhältnis eines zu seinen Eltern, wie wir hören. Dass der Vater hier in der Erzählung anders ist als jeder irdische Vater, soll uns natürlich dazu bringen, die Ohren zu spitzen. Aber beginnen wir nur mit der Kindheit. In der Kindheit ist das Verhältnis zu unseren Eltern von Unmittelbarkeit und Selbstverständlichkeit geprägt - sofern es sich um eine gesunde Kindheit handelt. Man kann sehr wohl laut gegen eine Entscheidung sein er Eltern protestieren, aber ein Kind kommt nicht auf die Idee, aus dem Verhältnis zu seinen Eltern auszubrechen. Denn ein Kind kann nicht sein eigenes Verhältnis zu den Eltern distanziert betrachten - es lebt in diesem Verhältnis mit all seinen Seiten. Vater und Muttersind etwas, das uns vorgegeben ist - und deshalb ist es auch so verletzend, wenn sich Vater und Mutter trennen.

Aber: Ein Kind kommt zu einem Zeitpunkt dahin, dass es anfangen kann, sich selbst in Bezug auf die Eltern zu beobachten. Es beginnt, die Eltern mit den Augen der Umwelt sehen zu können. Das geschieht oft in der Pubertät - oder wenn ein Kamerad plötzlich mit irgendeiner spitzen Bemerkung über meinen Vater kommt. Dann ist es aus mit der Unmittelbarkeit im Verhältnis zu den Eltern.

Das kann ein sehr schmerzhafter Prozess sowohl für das Kind wie auch die Eltern sein, aber nicht notwendigerweise. Aber man muss da hindurch, um ein selbständiges Individuum zu werden. Man muss von zu Hause weg, wenn nicht im wörtlichen Sinne, so symbolisch man muss seine Eltern im übertragenen Sinne verlieren. Wenn es gut geht, bekommt man sie wieder, aber natürlich anders als in der Kindheit. Kinder wie Eltern sehen einander mit neuen Augen. Die Unmittelbarkeit ist zwar verloren, aber es können neue Qualitäten in die Beziehung kommen, die den Verlust aufwiegen.

In der gleichen Weise kann ein Mensch sehr wohl in einem ganz kindlichen Verhältnis zu Gott leben, besonders Kinder können das, eine Beziehung, geprägt von Vertrauen und Selbstverständlichkeit, wo man im Vertrauen auf die Vorsehung Gottes nicht daran denkt, Fragen zu stellen an ihn oder seine Regierung der Welt.

Mit der Erzählung von dem Sohn sagt Jesus, dass das Verhältnis zu Gott nicht unberührt bleibt von dem, was uns im Leben widerfährt. Im Verhältnis zu Gott kommt ein Tag, an dem die Unschuld weg ist. Er kommt, nicht weil sich Gott weniger zeigt, als wir meinten. Er kommt, weil wir unsere eigenen Wege gehen wollen. Er kommt, wenn sich Zweifel oder Ablehnung melden. Oder wenn man nicht nein sagt zur Gemeinheit, auch wenn man sehen kann, dass Menschen dadurch getroffen werden. Da verliert man Gott. Da lässt man ihn sterben.

Als der Sohn in der Erzählung verlangt, dass der Vater das Erbe teilen soll, verhält er sich so, als sei der Vater schon tot. Schon in dem Moment, als der Junge seinen Vater als einen Toten behandelt, hat er alles verloren. So ist es auch im Verhältnis eines Menschen zu Gott. Nicht dass er notwendigerweise Gott total ablehnt. Aber unter der Oberfläche brennt der Zweifel, und damit ist nichts mehr so wie zuvor. Man hat sein Vaterhaus verlassen. Ich wurde als zwölfjähriger konfirmiert. Mit steht es deutlich vor Augen - als ich zum Altar ging, drängte sich mir plötzlich der Gedanke auf, dass ich nicht sicher war, ob ich an Gott glaubte, so wie ich es früher getan hatte. Aber es war gleichsam zu spät umzukehren: Ich musste ihn um Entschuldigung bitten dafür, dass ich nicht glaubte, so ich meinte, dass man glauben müsse, wenn man konfirmiert werden sollte.

Ist man in seinem Gottesverhältnis nicht mehr so selbstverständlich wie der Fisch im Wasser - der denkt ja darüber nicht nach und denkt auch nicht an ein anderes Element - dann ist es mit einem geschehen. Und der Verlust der Unmittelbarkeit, der Zweifel, die Anfechtung, die Schuld können genauso schmerzhaft sein, wie es für einen Fisch ist, aus dem Wasser gezogen zu werden.

Was für den einzelnen in Bezug auf Gott geschehen kann, kann übrigens auch der Gemeinschaft passieren. Ich zweifele nicht daran, dass das vielen heute passiert ist. Wir haben kollektiv den einfältigen Glauben unserer Väter an die Vorsehung verworfen. Unter „einfältig" ist nicht etwas Herablassendes gemeint über die Tiefe und Haltbarkeit ihres Glaubens. Der Zweifel war ihr Problem - wie auch unseres.

Trotzdem ist etwas in unserer Generation geschehen in Bezug auf das Gottesverhältnis, die Kirche und ihre Sakramente, was frühere Generationen nicht kannten, ein Bruch, ein Aufbruch, ein kollektiver Verlust von Unmittelbarkeit, so dass wir uns nun nicht nur als einzelne sondern als Gemeinschaft heimatlos vorfinden, in der Fremde. Und wir können dann überlegen, ob dieser Aufbruch ein Aufbruch für immer sein soll. Wenn wir nicht mehr meinen, dass es etwas gibt, zu dem wir zurückkehren können, dann stehen wir ja vor der enormen Aufgabe, uns eine neue Identität zu schaffen. Ein neues Zuhause von Grund auf zu schaffen. Für diese Aufgabe sind wir schlecht gerüstet - das kann man heute sehen. Wir können nicht eine Kathedrale des Atheismus oder der Gottgleichgültigkeit bauen, die sich über uns wölben und unserem Leben Sinn geben kann und wo wir uns selbst und unseren Platz finden können. Wir irren verwirrt umher als Menschen ohne Tradition, ohne Identität. Das Erbe ist verwirkt, aber wir haben nichts anderes als Ersatz gefunden, auf das wir bauen und von dem wir leben können.

In der Erzählung Jesu ging der Sohn zum Hause seines Vaters. Und dort bekam er alles wieder - er gewann alles aufs Neue, und eigentlich bekam er noch mehr als das, was er verloren hatte. Denn er bekam die Leibe des Vaters, nicht nur so, wie er sie damals hatte, als er zuhause war, sondern er erhielt sie trotz seines Versagen, stärker und innerlicher, als er sie jemals gekannt hatte.

Selbst war er nicht mehr derselbe. Aber die Erzählung sagt, dass der Vater derselbe war. Hier darf man nicht mehr mit einem allgemeinen Vaterverhältnis vergleichen, denn da ist es so, dass auch die Eltern lernen müssen, ihre Kinder mit neuen Augen zu sehen. Aber der Vater in der Erzählung Jesu sieht seinen Sohn mit denselben Augen. Weil der Vater im Gleichnis Gott ist.

Damit ist gesagt, dass in der Liebe Gottes zum Menschen sich nichts verändert. Er ist mehr als ein Vater. Oder er ist der einzige, der immer Vater für den Menschen bleibt. Er ist immer da, unveränderlich treu in seiner Liebe.

Können wir die kindliche Unmittelbarkeit im Verhältnis zu Gott wiedergewinnen? Ja! Wir können das nicht, indem wir unseren treuseligen Kinderglauben verfechten. Das Wird zu etwas Unechtem, schlimmer als das ehrlich angefochtene Gewissen. Aber Gott kann trotz allen Zweifels und aller Anfechtung das wiedergeben, was verloren war. Es gibt trotzdem eine Möglichkeit, im Verhältnis zu Gott zu leben, als wäre nichts geschehen - freimütig wie der Vogel im Wald - weil Gott es so will. Getrost og froh, ohne stets durch die Narben belastet zu sein, die der Zweifel und die Verleugnung in unserem Glauben hinterlassen hat. Sünder sein, wie es im alten Sprachgebrauch der Kirche heißt, und dennoch Kind sein - darum geht es.

So höre ich diese Geschichte: So gibt es trotz der Reise in die Fremde, weg von Gott, ein innerlichereres Verhältnis zu Gott als für den, der nie wagte, seinen Glauben aufs Spiel zu setzen - wohlgemerkt ein innerlichereres Verhältnis nicht weil man aufrührerisch und eigenmächtig war, sondern weil Gott es will. Wir können nicht so tun, als wären wir kleine naive Kinder im Verhältnis zu Gott. Aber es gibt einen Weg zurück zu Gott. Gott hat und nicht von Zuhause herausgeworfen, damit wir ohne ihn leben. Nein, wir wind von zu Hause weggelaufen. Und deshalb musste Gott seine Königsmacht aufgeben, um hinauszugehen und uns zu finden. Amen.

 



(Sognepræst (kirkebogsfører), fhv. biskop) Niels Henrik Arendt
DK – 6990 Ulfborg
E-Mail: NHA(at)km.dk

(zurück zum Seitenanfang)