Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Sonntag nach Trinitatis, 13.07.2014

„Es geht. Versuch es ruhig. Tu es einfach“
Predigt zu Römer 12:17-21, verfasst von Michael Bünker

 

Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5.Mose 32,35): »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.« Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln« (Sprüche 25,21-22). Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Liebe Gemeinde,

vor knapp zehn Tagen - am 30. Juni - ist der evangelische Pfarrer Christian Führer gestorben. Christian Führer war Pfarrer an der Nikolaikirche in Leipzig, wo im Herbst 1989 aus den Montagsgebeten jene großen Massendemonstrationen hervorgingen, die letztlich entscheidend mit dazu beigetragen haben, dass es in der ehemaligen DDR zu einer „friedlichen Revolution", zur Wende und zum Fall der Berliner Mauer gekommen ist. Die Verantwortlichen haben den Menschen ein Liederheft in die Hand gedrückt, die Demonstrationen waren ja nichts anderes als nach außen verlagerte und verlängerte Gebete; und dann bekam noch jeder und jede eine Kerze, mit der anderen Hand zu tragen. So haben wir verhindert, sagte Christian Führer gerne, dass die Leute eine Hand frei hatten, um Steine aufheben zu können. Aber was neben dieser feinen und wohldurchdachten Planung besonders wichtig ist, ist die Parole, die den Menschen mitgegeben wurde. Sie kam aus ihren Herzen und so dann auch über ihre Lippen: Keine Gewalt! Das war natürlich an die überall anwesenden Sicherheitskräfte gerichtet, denn mit deren gewaltsamem Eingreifen wurde fest gerechnet. Es war aber auch ein Aufruf an sich selbst, der Versuchung zu widerstehen, mit gewaltsamen Mitteln anzustreben, was das Anliegen aller war. Keine Gewalt! - diese Parole gilt bald als die kürzeste und bündigste Übersetzung der Bergpredigt Jesu in den öffentlichen Raum. Das ist heuer 25 Jahre her, Christian Führer erlebt die Gedenkfeiern nicht mehr.

Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem!

Was wie eine unrealistische moralische Dauerüberforderung bei Paulus klingt, ist in Leipzig dennoch verwirklicht worden. Es geht. Nicht immer und nicht überall, aber: es geht. Versuch es ruhig selber. Tu es einfach.

Ich hätte ja nie gedacht, dass die evangelischen Bauern in Kärnten in die gleiche Klasse der Weisheit zu stellen sind wie der große deutsche Philosoph Schelling. Aber der Reihe nach: Am Südhang des Mirnocks im mittleren Drautal in Kärnten, findet sich auf einem alten Bauernhaus der folgende Spruch:

„Gutes mit Gutem vergelten ist menschlich.
Böses mit Böses vergelten ist viechisch.
Gutes mit Bösem vergelten ist teuflisch.
Böses mit Gutem vergelten ist göttlich."

Wie bei vielen Volksweisheiten drückt sich in diesem Spruch eine reiche Lebenserfahrung aus. Die Weltsicht ist in vier Stufen gedacht. Zuunterst kommt das Teuflische zu stehen, darüber steht das Viehische, als drittes folgt das Menschliche, und ganz oben - im Spruch eben ganz am Schluss - das Göttliche. Der Volksweisheit der evangelischen Bauern aus Kärnten am nächsten kommt dabei Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775 - 1854), der diese Fragen in seiner Schrift „Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit" (1809) behandelt. Für Schelling gibt es kein Gutes, das nicht ein überwundenes Böses in sich trägt. Selbst in Gott ist das so: „Das Dunkel geht vor ihm her, die Klarheit bricht erst aus der Nacht seines Wesens hervor." Gott hat seinen Grund in sich selbst, oder genauer: in dem, was in ihm selbst nicht er selbst ist. Nur so lässt sich die Spannung von Chaos und Ordnung denken, die schöpferische Ordnung nicht als die Leugnung der Chaosmächte, sondern als ihre Überwindung, das Gute nicht als die Leugnung des Bösen, sondern als seine Überwindung. Der Mensch - das ist der Preis für seine Freiheit - ist in den offenen Widerstreit zwischen diesen beiden Prinzipien gesetzt. Dabei kommt der Mensch nach Schelling zwischen Gott und Tier zu stehen. Das Tier kennt diesen Widerstreit zwischen Chaosmacht und Ordnung, zwischen Gut und Böse noch nicht, Gott hingegen kennt ihn nicht mehr. „Diejenige Einheit, die in Gott unzertrennlich ist, muß also im Menschen zertrennlich sein - und dies ist die Möglichkeit des Guten und des Bösen." Der Mensch - auf halbem Weg zwischen Tier und Gott und ständig hin und her gerissen zwischen Gut und Böse. Ja, das entspricht wohl den Erfahrungen der Menschen, zumindest ich kenne das ganz gut. Vielleicht noch verbunden mit Wilhelm Buschs Einsicht: Böses tut sich von allein, Gutes will gelernet sein.

Die Geschichte des Abendlandes ist durchzogen von der großen Frage: Woher kommt das Böse? Vor allem im Glauben an einen gütigen, liebenden, allmächtigen Gott hat sich diese Frage zugespitzt zur Theodizee. Kann denn Gott gerecht sein, wenn er soviel Böses, unschuldiges Leiden und himmelschreiende Ungerechtigkeit zulässt auf Erden? Diese Frage, die letztlich ohne Antwort bleibt, hat Paulus nicht beschäftigt. Er gibt dem Bösen kein Ursprungsrecht, so als hätte es von Anfang dazu gehört, als müsste es von Anfang an dazugehören. Da gibt es keine Notwendigkeit für das Böse, keinerlei Daseinsberechtigung. Nicht als die zweite Seite der Medaille, nicht als der dunkle Schatten, der zum Licht gehört, nicht als die Prüfung, nicht als der Mangel an Gutem. Das Böse ist nichtig. Es hat kein Recht in Gottes guter Schöpfung. Paulus beschäftigt nicht die Frage: Woher kommt das Böse? Ihn beschäftigt vielmehr: Wohin mit dem Bösen? Und da empfiehlt er: Überlasst das Gott. Sucht nicht selbst, Gerechtigkeit herzustellen. Wer wissen will, wohin das führt, lese den zweiten Teil von Kleists Michael Kohlhaas. Daher: wenn die Rede von der Rache Gottes einen Sinn hat dann den, uns zu entlasten von dem Fluch, selbst Böses zu tun, um dem Bösen zu widerstehen. Wer dem Bösen mit Bösem vergilt, vermehrt das Böse. Es wird zu seinem eigenen Verderben ausschlagen, er macht sich - wie Calvin zur Stelle sagt - zu einem „Soldaten des Teufels".

Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Paulus propagiert keine Ideologie des Gutmenschentums. Er weiß um die zerstörerische und unaufhaltsame Kraft menschlicher Aggression, des Hasses und der Feindschaft. Er verschließt keineswegs die Augen vor der Realität des Bösen in der Welt. Es geht ihm nicht darum, aus sich einen besseren, anständigeren Menschen zu machen, besser und anständiger als es andere sein können. Auch Christinnen und Christen sind dem Bösen ausgesetzt, sei es als Realität in ihrem Alltag, oder als Realität in den dunklen Seiten ihrer eigenen Seele. Aber sie haben eine andere Ausgangslage, damit umzugehen. Das zwölfte Kapitel des Römerbriefs beginnt mit einer Art Einleitung zu allen Ermahnungen und Ermunterungen, die dann folgen. Durch die Barmherzigkeit Gottes können sich die Glaubenden mit Haut und Haar Gott anvertrauen, sich selbst als ein Opfer hingeben, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist. Durch die Barmherzigkeit Gottes ist das möglich, wohlgemerkt, nicht etwa durch sein unbarmherziges Fordern. Ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr erkennen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute, das Wohlgefällige und das Vollkommene. Es geht. Nicht immer und nicht überall, aber: es geht. Versuch es ruhig selber. Tu es einfach.

Durch Erneuerung des Sinnes, durch Umdenken und Umorientieren können wir prüfen, was der Wille Gottes ist. Er ist uns nicht verborgen. In Jesus ist er leibhaftig Mensch unter Menschen geworden. Seine Zuwendung zu den Armen, den Verachteten und Ausgestoßenen, die Stillung von Hunger und Sturm, die Heilung der Kranken und Vertreibung des bösen Geister, alles das zeigt uns den Willen Gottes, das Gute. Durch Jesus erfahren seine Jüngerinnen und Jünger bis heute eine „Ermächtigung zum Guten".

Es geht. Nicht immer und nicht überall, aber: es geht. Versuch es ruhig selber. Tu es einfach.

 



Bischof Michael Bünker
1180 Wien
E-Mail: bischof@evang.at

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