Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Sonntag nach Trinitatis, 13.07.2014

Predigt zu Matthäus 5:43-48 (dän. Perikopenordn.), verfasst von Michael Brautsch

 

"Liebt Eure Feinde und betet für die, die Euch verfolgen"! Das sind große und merkwürdige Worte; Worte, die sowohl anziehend wirken als auch anstößig, ja vielleicht direkt provozierend, seine Feinde zu lieben.

Ein Kinderpsychologe fragte einmal scherzhaft, warum Eltern ihre Kinder lieben, und er gab selbst die Antwort: „Sonst könnten sie sie nicht ertragen!" Man kann seine Eltern und seinen Ehepartner, seine Familie und seine Freunde und seine Nachbarn, seine Vaterland und seine Arbeit lieben - und möglicherweise so weit kommen, dass man Gottlieben kann und seinen Nächsten wie sich selbst.

Aber seine Feinde lieben, und für die beten, die mich verfolgen?

Der Text des Evangeliums stammt aus der Bergpredigt Jesus ein neues und anderes Licht auf das Gesetz des Mose, und vor allem auf die „zehn Gebote". Das Verhältnis des Menschen zu Gott, und das Verhältnis Gottes z den Menschen ist ein Liebensverhältnis, und in einem Liebesverhältnis kann sich nicht ausrechnen, wann man liebt oder selbst geliebt wird. Berechnungen undier wuir Formeln gehören in die Physik und die Mathematik, aber nicht in das Verhältnis zwischen Mensch und Gott. Deshalb haben auch viele gemeint, dass die Bergpredigt gerade ein Beispiel dafür ist, dass hier Gott redet und nicht Menschen. Die zehn Gebote liefern menschliche und natürliche Regeln für die Koexistenz: Es ist immer unpraktisch in der lokalen Gemeinschaft, einander zu töten, einander zu bestehlen und den Ehepartner zu rauben, aber es ist nicht natürlich, zu verlangen, seine Feinde zu lieben und für seine Verfolger zu beten. Das ist göttlich.

Der deutsche Philosoph Nietzsche sagte deshalb auch, das Christentum sei unnatürlich, eine Religion der Verlierer. Eine große Versammlung von Verlierern, die sich zusammengerottet haben und nun behaupten, es sei gut, klein und schwach zu sein, die andere Backe zu zeigen und seine Feinde zu lieben. Das ist, wie wenn die Feldmaus in Prozession marschierte mit einem Riesenplakat, auf dem steht: Geldmäuse sind groß! Wenn es nur genügt, das zu sagen, dann glaubt man daran. Die stärksten sollen überleben, und die Seligpreisungen der Bergpredigt sind unnatürlich:

„Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich. Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen. Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden. Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen. Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen. Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich."

Das ist nicht natürlich, sagt Nietzsche, und wir können ihm wohl nur Recht geben. Aber das ist gerade das Besondere am Menschen: Wir sind nicht nur Sklaven unserer Natur, wir sind mehr und etwas Größeres als das. Der Mensch steht ganz klar mit dem einen Bein solide in der Natur. Hier können wir viele Kennzeichen der Tiere wiedererkennen: Auch wir sind geboren und müssen sterben, wir brauchen Nahrung und Ruhe und sind abhängig von der Fortpflanzung. Und der Mensch kann das ausrechnen. Dier Natur lässt sich messen und wiegen, wir können Naturgesetze aufstellen und sie kontrollieren. Aber wir können mehr als das. Adam wurde nicht nur aus Erde geschaffen; er hat Lebensgeist in sich, er war nicht nur ein lebendes Wesen wie die Tiere, sondern ein lebendiges Wesen im Bilde Gottes geschaffen, im Besitz eines Geistes und deshalb imstande, sich zu sich selbst und zu anderen zu verhalten, imstande zu lieben. Der Mensch erhielt einen freien Willen und ist nicht nur Sklave seiner Instinkte oder seiner Vernunft.

Luther schrieb einmal über den freien Willen, dass der freie Wille nicht Liebe zum Feind schaffen kann. Ja, nicht einmal die Liebe zum Nächsten ist eine Frage eines eigentlich freien Willens. Strömt Liebe von mir zum anderen Menschen, so deshalb, weil die Liebe Gottes erst zu mir und durch mich geflossen ist.. Gott ist es, der den Nächsten und den Feind liebt, aber er will mich dazu gebrauchen. Dier Liebe soll durch mich und aus mir strömen. Gott ist keine strafender Gott. Stand denn nicht im heutigen Text: „Er lässt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte"? Er liebt seine Feinde, Er segnet die, die Ihn verbannen, und er gab seinen Sohn den Verlorenen, damit niemand verloren geht. Er verlässt uns nicht, solange wir leben, Er verlässt uns nicht im Tode. Er liebt uns nicht wegen unserer Güte, sondern weil Er Liebe ist.

Können wir das mit unserem Verstand erfassen, und können wir erdenken, dass wir unsere Feinde lieben sollen? Kaum! Aber als wir getauft wurden, wurde das Zeichen des Kreuzes eben auf unserem Angesicht und unserem Herzen geschlagen. Mit dem Verstand können wir uns als gute Humanisten einrichten, wir können für einander einstehen, weil das allen dient. Aber mit dem Verstand können wir nicht lieben. Weder Freunde noch Feinde.

Wenn wir das Bild gebrauchen, dass der Mensch einerseits an die zeitliche Welt gebunden ist, dann haben wir auf der anderen Seite auch ein Pfand der ewigen Welt. Alles, was mit Notwendigkeit geschieht, gegenüber all dem, was als eine Möglichkeit geschehen kann. Das Gesetz gegenüber dem Evangelium.. Der Mensch mit dem einen Fuß in der Natur und dem anderen Fuß in der Kultur. Der erste Teil des Wortes „Kultur" ist eben „Kult". Der religiöse Kult, der Geist, der über uns kommt, das Wort, das erweckt und sagt, dass es für den Menschen nicht genügt, die zu lieben, die man nicht anders kann als lieben: meine Familie, meine Freunde, mein Land. Alles, was mich trägt. Ich soll auch das und die Lieben, die mich unterdrücken und mir keine Chancen hier im Leben geben.

„Liebe deine Feinde, und bete für die, die dich verfolgen!"

Aber warum? Ich nur weil die Liebe erst hier ihr wirkliches wahres Ich zeigt, sondern wir in der Feindesliebe erst wirklich unsere Gottesebenbildlichkeit zeigen. Gott lässt es regnen über Gerechte und Ungerechte, er lässt seine Sonn aufgehen über Gute und Böse. Alle guten gaben kommen von oben, und sie kommen zu allen. Wie Gott die liebt, die ihn nicht lieben, so sollen auch wir die lieben, die uns hassen. Das ist schwer, ja oft unmöglich, das ist provozierende - aber es ist vor allem göttlich groß.

Und eine große Erleichterung. Welch ein Joch wird in diesem Text nicht von unseren Schultern genommen: Feindschaft und Hass sollen wir nicht pflegen, das sollen wir Gott überlassen. Ist es nicht das, was wir in unserem Glaubensbekenntnis bekennen: dass Jesu Christus ist und dass Er zur Rechten Gottes sitzt, von dort wird er kommen zu richten die Lebenden und die Toten. Wir sollen nicht richten, das wird Gott tun.

Indem ich meinen Schuldigern vergebe, kann ich um Vergebung bei dem Gott bitten, dem ich alles schulde. So steht es im Vaterunser, dem zentralen gebet der Bergpredigt: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern". Kann man dieses Gebet sprechen ohne zu erschrecken, wie wenig man selbst vergeben kann? Das Gebet, das uns unser Herr selbst gegeben hat! Wenn wir nicht die Kraft haben zu lieben, weder Freunde noch Feinde, dann müssen wir uns an Gott wenden und unsere Lasten auf Seine Schultern legen. Dann müssen wir die Kraft im Gebet finden.

Damit gelangen wir zu der Hoffnung, die den heutigen Text abschließt: Wir sollen vollkommen sein wie unser himmlischer Vater vollkommen ist. Vollko0mmen sein kann man mir ganz sein übersetzen. Wir sollen ganze Menschen sein und nicht nur unserer Natur und unseren Instinkten folgen, sondern uns ganz öffnen für den Gott, der uns geschaffen hat und der uns unser ganzes Leben lang begleitet. Der uns Sonne wie Regen gibt, der und die Möglichkeit gibt, Seine Liebe durch uns und hinaus in die Welt strömen zu lassen, zu unseren Freunden und unseren Feinden. Nur so nehmen wir die Jüngerschaft auf uns, und nur so nehmen wir die Liebe ernst. Amen.





Sognepræst Michael Brautsch
2000 Frederiksberg
E-Mail: MWB(at)km.dk

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