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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

7. Sonntag nach Trinitatis, 03.08.2014

Predigt zu Matthäus 10:24-31(dänische Perikopenordnung), verfasst von Eva Tøjner Götke

Alles hat seine Zeit. Die Ferien haben ihre Zeit, der Sommer hat seine Zeit, auch wenn wir das am liebsten vergessen wollen. Wir wissen es, aber wir können es nicht glauben.

Denn für alles, was unter dem Himmel geschieht, gibt es einen Zeitpunkt: Zeit, geboren zu werden, Zeit zu streben, Zeit zu klagen, Zeit zu tanzen. Wir wissen es, aber wir können es nicht glauben.

Wenn wir klagen, können wir uns fast nicht vorstellen, dass es anders werden kann. Und wenn es für uns läuft und wir durchs Dasein tanzen, können wir nicht glauben, dass es anders werden kann. Aber wir wissen es.

Und wir wissen, dass es für alles, was unter dem Himmel geschieht, einen Zeitpunkt gibt. Wir wissen, dass das Dasein voll ist von wunderbaren Erlebnissen und Erkenntnissen und voll von schrecklichen Erlebnissen und Erkenntnissen. Aber wir wollen es am liebsten nicht glauben. Denn das ist ja Ausdruck für eine Unordnung, meinen wir. Ein Mangel an Durchsichtigkeit, nach der wir gerne streben. Eine Eindeutigkeit.

Diese Komplexität, diese Zweideutigkeit im Dasein beschreibt der Prediger im Alten Testament. Und diese Komplexität und Zweideutigkeit fordert unsere Reflexion heraus. Wo ist Gott in all dem hier, ruft es von den Dächern. Besonders dann, wenn das, was unter dem Himmel geschieht, bedeutet, dass das Dasein seine schrecklichen Seiten zeigt.

Viele tun dies, um darin bestätigt zu werden, dass das mit dem guten Gott Schönfärberei ist und eine unrealistische Auffassung vom Dasein - ja dass es sinnlos ist, eine Vorstellung von Gott zu haben, wo nun einmal so viel im Leben hier sich nicht erklären und kategorisieren lässt.

Dieser Aufschrei geschieht also - muss man vermuten- in einem glauben daran, dass Gott eindeutig ist und ein Garant dafür, dass es nichts hier im Leben gibt, das sich nicht kategorisieren und erklären lässt.

Aber wenn nun diese Vorstellung vom Gott nichts mit Gott zu tun hat, sondern mit unserem Widerstand dagegen, das zu glauben, was wir wissen?

Lasst uns mit dem Prediger denken und feststellen, dass das Leben komplex ist und zweischneidig, und dass die Zeit ein Geheimnis ist, das wir nie lösen. Vielleicht kann uns das auch zu einem Gottesbild anregen, das nicht durch unsere eigene Angst vor dem beschränkt ist, das unseren Verstand überschreitet.

Vielleicht entspringt ein religiöser Zugang zum Leben einer demütigen Erkenntnis des Geheimnisses des Daseins, des Menschen. Ein Bewusstsein davon, dass wir Menschen ja auch selbst an der Doppelheit teilhaben, die der Prediger dem zuschreibt, was unter dem Himmel geschieht.  Ich denke daran, dass wir Menschen ja einerseits unglaublich innovativ und schöpferisch sind und gleichzeitig - wie die Geschichte immer wieder zeigt - destruktiv und furchtbar.

Diese Gedanken verdanke ich der amerikanischen Autorin Marilynne Robinson. Sie hat eine Reihe von Essays veröffentlicht, die ich in meinen Ferien gelesen habe. Es sind Vorlesungen, die Marilynne Robinson an der Autorenschule gehalten hat, an der sie im Mittelwesten unterrichtet. Sie ruft von den Dächern - gegen die Atheisten, die die amerikanische theologische Debatte dominieren. Das tut sie u.a. dadurch, dass sie stets am Geheimnis des Lebens festhält - im  Unterschied zu der reduzierenden Art und Weise, vom Menschen   zu reden, die sie vom Sprachgebrauch der Atheisten kennt.

Das Positive an Marilynne Robinson ist, dass sie keine Graben gräbt. Sie verhält sich auch kritisch zur kirchlichen und christlichen Verwaltung des evangelischen Erbes. Die Kirche bedienst sich ja selbst der reduzierten Auffassung der Wirklichkeit, wenn sie allzu dogmatisch von Gott redet, dem man doch mit Ehrfurcht begegnen muss - dank des Geheimnisses des Lebens.

Marilynne Robinson wundert sich über den Menschen, die Natur des Menschen. Sie ist nicht zufällig Schriftstellerin. Dieses Wundern ist ja gerade Quelle der Inspiration für Romandichter. In all ihren Essays bezieht sie sich auf die Doppelheit im Dasein, die wir heute beim Prediger sehen.  Und sie behauptet, dass das Bewusstsein, dass diese Doppelheit auch dem Menschen innewohnt, den Menschen auszeichnet im Unterschied zu den Tieren.

Das ist in atheistischer Sicht provozierende Rede, den Menschen höher zu bewerten als andere Tiere.

Aber das ist nichtsdestoweniger ein biblischer Gedanke, und wir finden ihn auch im Text dieses Sonntags. Er hat in der Tat auch vielen Theologen graue Haare bereitet.

Im heutigen Evangelium schickt Jesus seine Jünger in die Welt, die bedrohlich ist und wunderbar, und er bereitet sie darauf vor, dass sie auch Menschen treffen werden, die ihnen nicht wohlgesonnen sind - aber sie sollen keine Angst haben.

Fürchtet euch nicht, sagt er. Kauft man nicht zwei Sperlinge für  einen Pfenning? Dennoch fällt keine auf die Erde ohne euren Vater. Nun aber sind auch eure Haare auf dem Haupte alle gezählt. Darum fürchtet euch nicht; ihr seid besser als viele Sperlinge.

Eben dieser letzte Satz hat  vielen Menschen graue Haare bereitet. Wie das? Sind wir mehr wert als die süßen kleinen Vögel? Ja, wir sind! Im biblischen Sinne. Wir sind im Bilde Gottes geschaffen. Wir sind geschaffen mit der Einsicht in die Doppelheit des Daseins. Das Bewusstsein von uns selbst zeichnet uns aus.  Wir wissen, dass wir sowohl wunderbare innovative Geschöpfe sind als auch destruktive und selbstdestruktive  Geschöpfe. Wir wissen es, wollen es aber am liebsten nicht glauben.

Aber die Erkenntnis kann  dazu beitragen, Platz zu schaffen für Gott - und uns dazu bringen, Gott anzurufen. Und auf Gott zu hoffen, zu hoffen auf den guten Gott, der uns davon befreit, uns in unserer eigenen Verlorenheit zu verlieren. Es gibt einen Grund, Gott anzurufen, wenn wir uns fürchten.

Es gibt einen G rund, Gott anzurufen, wenn wir das nicht glauben können, was wir wissen, dass das Leben wunderbar ist und schrecklich.

Und Gott antwortet. Indem er Mensch wird und uns entgegenkommt dort, wo wir sind- was auch immer unter dem Himmel geschieht.

Gott wurde Mensch. Gott ging in diese Welt im Guten und im Bösen, erhob sich nicht über sie, schonte sich nicht selbst von der Wirklichkeit, die wir kennen.

Und das sagt Jesus seinen Jüngern, dass auch sie sich nicht ¨über das Leben erheben werden, weil sie seine Jünger sind.

Ein Jünger steht nicht über seinem Meister, ein Diener nicht über seinem Herren. Es muss dem Jünger genügen, wenn es ihm ergeht wie seinem Meister, und für einen Diener, wenn es ihm geht wie seinem Herren.

Wenn das wirklich die Wahrheit ist über das Mysterium der Zeit, das, was wir beim Prediger hören. Und wenn es wirklich die Zeit ist, in der Gott sich offenbarte. Und wenn es einem Jünger geht wie seinem Meister und einem Diener wie seinem Herren - dann ist es also nicht unmöglich, dass es für uns geschieht, das, was ihm geschah, als alles verloren schien und verspielt.

Ich will es gerne glauben - aber ich weiß es nicht. Ich will gerne leben und sterben in dem Glauben, das es nichts zu fürchten gibt. Ich will gerne leben im Glauben und in der Hoffnung auf einen Sommer der Ewigkeit. Amen.



Sognepræst (kirkebogsfører) Eva Tøjner Götke
DK-5230 Odense M

E-Mail: ETG(at)km.dk

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