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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

7. Sonntag nach Trinitatis, 03.08.2014

Gottes Vorsehung und unser Glaube
Predigt zu Exodus (2. Buch Mose) 16:2-3.11-18, verfasst von Matthias Wolfes

„Und es murrte die ganze Gemeinde der Kinder Israel wider Mose und Aaron in der Wüste und sprachen: Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben durch des HERRN Hand, da wir bei den Fleischtöpfen saßen und hatten die Fülle Brot zu essen; denn ihr habt uns ausgeführt in diese Wüste, daß ihr diese ganze Gemeinde Hungers sterben lasset. [...]

Und der HERR sprach zu Mose: Ich habe der Kinder Israel Murren gehört. Sage ihnen: Gegen Abend sollt ihr Fleisch zu essen haben und am Morgen von Brot satt werden, und innewerden, daß ich der HERR, euer Gott, bin. Und am Abend kamen Wachteln herauf und bedeckten das Heer. Und am Morgen lag der Tau um das Heer her. Und als der Tau weg war, siehe, da lag's in der Wüste rund und klein wie der Reif auf dem Lande. Und da es die Kinder Israel sahen, sprachen sie untereinander: Man hu? (Das heißt: Was ist das?); denn sie wußten nicht, was es war. Mose aber sprach zu ihnen: Es ist das Brot, das euch der HERR zu essen gegeben hat. Das ist's aber, was der HERR geboten hat: Ein jeglicher sammle, soviel er für sich essen mag, und nehme einen Gomer auf ein jeglich Haupt nach der Zahl der Seelen in seiner Hütte. Und die Kinder Israel taten also und sammelten, einer viel, der andere wenig. Aber da man's mit dem Gomer maß, fand der nicht darüber, der viel gesammelt hatte, und der nicht darunter, der wenig gesammelt hatte; sondern ein jeglicher hatte gesammelt, soviel er für sich essen mochte." (Jubiläumsbibel 1912)

 

 

Liebe Gemeinde,

 

wir haben es mit der Geschichte von der wunderbaren Speisung des wandernden Gottesvolkes aus dem zweiten Buch Mose zu tun. Diese Geschichte ist eine Illustration der Mahnung, Gott zu vertrauen. Lebensrettende Hilfe wird hier dem Volk gerade in einem Moment zuteil, als es an seiner Situation zu verzweifeln droht, als ihm alles bisherige Geschehen, der Aufbruch aus Ägypten, die erlangte Freiheit und die schon zurückgelegte Wegstrecke, in ihrer Bedeutung nichtig zu werden beginnt. Statt dessen verbreitet sich die Meinung, es wäre besser gewesen, alles beim Alten zu belassen, also in der knechtischen Unfreiheit zu verharren und sich den Demütigungen, der Gewalt und Unterdrückung weiter auszusetzen.

Die Erzählung handelt von einem wunderbaren Eingreifen Gottes zugunsten seines Volkes, geschehen, damit sie „innewerden, daß ich der HERR, euer Gott, bin". Gott erweist sich seinem Volk als sein Gott. Das ist nun gewiß das große Thema aller alttestamentlichen Gottesdarstellung, aber in dieser krassen Gegenständlichkeit, mittels der außerordentlich gewährten Nahrung, ist sie denn doch ein Sonderfall. Und dadurch dürfte es auch bedingt sein, daß die Erzählung sehr unterschiedliche Reaktionen bei den Lesern wecken kann. Lassen Sie mich zu Beginn diese Spannbreite offen ansprechen, innerhalb derer die Erzählung gelesen werden kann und gelesen worden ist.

 

 

I.

 

Auf der einen Seite handelt es sich um eine bildliche Darstellung der Fürsorge Gottes. Er läßt sein Volk nicht umkommen; er gibt ihm, wessen es bedarf, damit es seinen Auftrag erfüllen und den Weg ins Gelobte Land gehen kann. Gott tut dies ohne großes Beiwerk: Er vernimmt die Klage; er verheißt Abhilfe der Notlage und läßt die Verheißung eintreten. Zugleich versieht er seine Hilfeleistung mit einem magischen Mechanismus, der den rechten Gebrauch der besonderen Gabe garantiert. So viel die einzelnen auch sammelten, am Ende hatten sie genau das Maß, das ihnen zukömmlich war. Das ist die eine Lesart: der gütige Gott, der an der Seite der Seinen steht und der sie außerdem in die Lage versetzt, mit seinem Beistand recht, das heißt: zu ihrem leiblichen und seelischen Wohl umzugehen. Jede fromme Seele wird für sich aus dieser Erzählung Kraft und Trost schöpfen. Sie ist eine urbildliche Darstellung der Gegenwart Gottes, und man kann sie in der Bedrängnis ohne weiteres auf sich und seine jeweilige Lage beziehen.

Auf der anderen Seite muß man aber auch in Rechnung stellen, daß die Erzählung bei Hörern, die sich nicht vorstellen können, was es heißen soll, „Gott an seiner Seite" zu wissen, ganz andere Gedanken auslöst. Für sie wird hier ein Gottesbild gezeichnet und eine Erscheinung des Höchsten inszeniert, die an Unernsthaftigkeit kaum zu überbieten sind. Dies genau ist derjenige Gott, der den Religionskritikern als Beweis für die von ihnen unterstellte Infantilität des Glaubens dient. Wie kann, fragen sie, ein erwachsener Mensch sich so weit vergessen, daß er nicht sieht, welches Spiel hier gespielt wird?

 

 

II.

 

Nun muß uns nicht weiter beschäftigen, was die Gottesfremdheit dem Gottesfremden an Gedanken eingibt. Es ist eine alte Erfahrung, die wir als Gläubige ja nicht selten machen, daß unsere Erfahrungen mit Gott nicht nachvollzogen werden. Und wann wäre das mehr der Fall, als wenn wir uns in der Stunde der Not von Gott getragen wissen? Das ist eben der innere Kern unseres Glaubens; der Glaube aber spielt sich im Herzen, in der Seele, im Gemüt ab. Er ist etwas Innerliches und bewegt uns in dem, was wir erleben und erfahren, nicht in dem, was wir wissend erfassen. Wir wissen zwar, was wir wissen, aber wir können unseren Glauben nicht als etwas an und für sich unbezweifelbar Gegebenes demonstrieren. Unser Gottvertrauen bleibt in seiner Überzeugungskraft für andere immer abhängig von der Kraft des Zeugnisses, das wir zu geben vermögen, ja, es bleibt sogar uns selbst gegenüber abhängig von diesen Erfahrungen, die zu machen unser Glaubensleben ist.

Der Glaube ist eine Erfahrung des inneren Selbst, tief eingewurzelt in unser Fühlen und deshalb auch bestimmten anderen Bereichen unseres Umganges mit uns selbst und der Welt entzogen. Und doch ist es auch für uns von Bedeutung, über unseren Glauben nachzudenken. Wir müssen uns nicht dagegen sperren, daß diese Erzählung tatsächlich einen problematischen Aspekt von Religion zum Ausdruck bringt.

Für uns als Glaubende verhält es sich jedenfalls nicht so, daß wir lediglich auszusprechen hätten, was uns belastet und wovon wir Abhilfe erbitten, damit Gott dann unverzüglich mit seiner Hand eingreift und alles zu unserem Besten wendet. Diese schlechthinnige Unmittelbarkeit kann nicht dazu dienen, unser Verhältnis zu Gott angemessen zu beschreiben. Jeder weiß, daß die Nähe Gottes sich oft ganz anders darstellt, als wir sie uns vorstellen. Es ist so, daß der Glaube auch erlitten werden kann.

Man kann sich deshalb durchaus auch skeptisch gegenüber einem bestimmten Typ der frommen Auswertung dieser Erzählung verhalten. Diese Auswertung geht mehr oder weniger konsequent nach folgendem Schema: Das Manna, das „Brot des Himmels" (Ps 78, 24; 105, 40), ist ein sichtbares Zeichen für die Liebe Gottes. Man kann geradezu dinglich „schmecken und sehen, wie freundlich der HERR ist" (Ps 34, 9). Gott sorgt für Leib und Seele und gibt so die Kraft, den Weg weiter zu gehen - einen Weg, der zum Leben führt.

Das Himmelsbrot ist eine Art spirituelle Stärkung für die gläubige Biographie. Es ist die materialisierte Gestalt des göttlichen Beistandes. Dank seiner darf der Gläubige sich dessen gewiß sein, daß er das Ziel erreicht, so gewaltig die Aufgabe angesichts der geringen eigenen Mittel auch zu sein scheint.

 

 

III.

 

Es handelt sich um eine Vergegenständlichung des Glaubens. Ihr gegenüber ist Skepsis geboten. Der Glaube ist, sofern er wirklich lebt und nicht nur als religiöses Überlieferungsgut besteht, eben nichts „objektiv" Gegebenes. Skepsis ist vor allem deshalb geboten, weil es generell problematisch ist, wenn die Glaubwürdigkeit des Gottvertrauens auf Wunderzeichen gestützt werden soll. Das aber ist es, worum es in dieser Erzählung von der göttlichen Speisung mit Wachteln am Abend und dem Manna am Morgen nun einmal geht. So eindringlich die Erzählung zu uns sprechen mag, gerade auch in der Stunde der Not; - es bleibt auch im Blick auf sie dabei: Das Wunder ist keine gute Stütze für den Glauben.

Allzu groß ist im übrigen die Gefahr, daß der Glaube von ihm abhängig wird. In Wahrheit bedarf er keines Wunders, auch nicht als Zeichen. Ein Glaube, der vom Wunder abhängig ist, verträgt sich nicht mit dem aufrechten Gang und noch weniger mit dem geraden Sinn, zu dem uns das Vertrauen auf Gott doch gerade verhelfen. Das Wunder erniedrigt den Glauben; es erniedrigt ihn, weil es ihn auf ein magisches Prinzip festlegt. Mit Magie aber hat der Glaube an Gott nichts zu tun.

Indem wir uns dies ganz klar machen, haben auch wir unseren Nutzen gezogen aus der Kritik, die von glaubensfremder Seite an der Erzählung geübt wird. Wie stets, können wir auch hier von den Einwänden und Vorbehalten gegen bestimmte Elemente der Glaubensüberlieferung für unsere eigene Auseinandersetzung mit ihr profitieren.

Es geht darum, einen zulänglichen und auch gedanklich sinnvollen Zugang zu dieser Geschichte zu finden. Das möchte ich, soweit ich es vermag, im folgenden versuchen. Am Ende wird sich allerdings zeigen, daß ich dabei im Resultat nicht sehr weit entfernt bin von jenen eher unmittelbaren Verwendungsweisen der Geschichte, in denen Gott sich mit seiner lebensrettenden Hilfestellung so prompt als Erfüller des Begehrens seiner irdischen Anbeter erweist.

 

 

IV.

 

Die Erzählung kreist um zwei grundlegende Motive des Glaubens: um die Souveränität Gottes und um das Vertrauen zu ihm. Um diese beiden zentralen Punkte ist die Erzählung als legendarische Konstruktion herum errichtet. Gott handelt aus einer nicht weiter begründungsbedürftigen Vollkommenheit heraus. Das Volk sieht es, und wir als Hörer und Leser der Erzählung werden damit konfrontiert. Der Text sagt: So war es; so hat Gott sein Volk vor der drohenden Hungersnot gerettet. Er vermag alles, was er will, und gerade darin ist er Gott.

Das zweite ist: Weil Gott Gott ist, weil er aus der Vollkommenheit, aus der souveränen, ganz und gar unbeschränkten Macht heraus handelt, deshalb sollen wir ihm vertrauen. Ihm vertrauen bedeutet: sich ihm in aller Not zu unterstellen. Von ihm gilt es, die Hilfe zu erwarten, die uns rettet.

Mir scheint, daß es dies ist, was auch für uns an der Geschichte von der wunderbaren Wüstenspeisung von Bedeutung ist. Man hat, vielleicht auch, weil jenes leichte Unbehagen, dem ich eingangs Ausdruck gegeben habe, sich auch bei anderen findet, der ganzen Erzählung zum Teil sehr weitreichende symbolische Deutungen gegeben. So soll sie etwa für die Eucharistie stehen, wofür man sich auf ein Wort Jesu aus dem Johannes-Evangelium beruft. Dort läßt der Evangelist Jesus sagen: „Mose hat euch nicht das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das rechte Brot vom Himmel" (Joh 6, 32b). Auf die Bitte der Jünger hin, ihnen „allewege solch Brot" zu geben, erklärt er: „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten" (Joh 6, 35).

Wie dem nun auch sei, auch im neutestamentlichen Zusammenhang geht es um Gottes Souveränität und das Vertrauen, das die Gläubigen ihm entgegenbringen sollen. Aber jeder weiß, daß man Vertrauen nicht auf eine bloße Forderung hin aufbringt. Man vertraut nicht einfach deshalb, weil jemand zu uns sagt: Vertraue mir. Dazu bedarf es mehr, auch im Falle des Gottvertrauens.

Wenn wir Gott vertrauen, dann deshalb, weil wir die Erfahrung gemacht haben, daß wir und unser Leben tatsächlich bei ihm in guten Händen sind. Und diese Erfahrung stellt sich auch ein, wenn wir sie zulassen. Es widerfährt dem Glaubenden einfach, daß die Dinge sich fügen, und die Rede von der Vorsehung bleibt für ihn nicht leer.

Die Erzählung aus dem zweiten Buch Mose möchte vielleicht eine Art Hilfestellung sein, um sich auf diese Haltung einzulassen. In gewisser Weise ist dies der Weg, den wir als Glaubende zurücklegen und den zu beschreiten uns diese alttestamentliche Speisungsgeschichte - so wie auch viele andere - ermutigt. Sie ist eine Illustration, eine Brücke, die man beschreitet und die man dann hinter sich läßt.

Ein gefestigter, ein sich seiner selbst gewisser Glaube bedarf der unterstützenden Wunderbekräftigung nicht. Er wird aus sich selbst heraus, aus den Erfahrungen, die er mit Gott macht und aus denen er gleichsam selbst besteht, dann ohne weiteres jenes Wort sprechen, in dessen Vorhof oder Umfeld ich die Geschichte ansiedeln möchte, die uns hier beschäftigt hat. Dieses Wort lautet: „Der Herr ist mein Hirte; mir wird nichts mangeln" (Ps 23, 1).

 

Amen.



Pfarrer Dr. Dr. Matthias Wolfes
Berlin
E-Mail: wolfes@zedat.fu-berlin.de

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