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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

8. Sonntag nach Trinitatis, 10.08.2014

Was dem Magneten und dem Glauben gemeinsam ist
Predigt zu Römer 6:19-23, verfasst von Jürgen Jüngling

19Ich muss menschlich davon reden um der Schwachheit eures Fleisches willen: Wie ihr eure Glieder hingegeben hattet an den Dienst der Unreinheit und Ungerechtigkeit zu immer neuer Ungerechtigkeit, so gebt nun eure Glieder hin an den Dienst der Gerechtigkeit, dass sie heilig werden. 20Denn als ihr Knechte der Sünde wart, da wart ihr frei von der Gerechtigkeit. 21Was hattet ihr nun damals für Frucht? Solche, deren ihr euch jetzt schämt; denn das Ende derselben ist der Tod. 22Nun aber, da ihr von der Sünde frei und Gottes Knechte geworden seid, habt ihr darin eure Frucht, dass ihr heilig werdet; das Ende aber ist das ewige Leben. 23Denn der Sünde Sold ist der Tod; die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserm Herrn.

  

1. Als ich diese Worte dieser Tage wieder gelesen habe, musste ich auf einmal an den Physik-Raum in meiner alten Schule denken. Und an unseren langjährigen Physik-Lehrer, der - Gott habe ihn selig! - von uns allen eher liebevoll der „Dicke Rudi" genannt wurde. Ich gebe zu, dass Physik nie meine besondere Stärke war; und doch erinnere ich mich bis auf den heutigen Tag gerne an das eine oder andere gelungene - oder auch mal misslungene - Experiment. So habe ich noch vor Augen, wie er uns damals das Prinzip des Magnetfeldes dargestellt hat: Eine Glasplatte mit einem Häufchen Eisenspäne drauf und dann einen Magneten direkt darunter! Sofort setzten sich die Späne in Bewegung, richteten sich nach den Polen aus und verwandelten sich ruck zuck aus dem zufällig gestreuten Häuflein zu einem exakt geometrischen Muster. Und bei jeder Magneten-Bewegung trat das erneut ein - toll, faszinierend und so konsequent.

 

2. Ganz entsprechend verstehe ich das, was Paulus im Römerbrief seinen Mitchristen in der Reichshauptstadt klar machen möchte: So wie die Pole des Magneten die Späne beeinflussen und ausrichten, so prägen die jeweiligen Lebensumstände denjenigen, der in ihnen lebt. Wer z.B. hier geboren wird, der wird in aller Regel deutsch sprechen. Wer in seiner Familie Liebe und Zuwendung erfahren hat, der wir auch seinerseits entsprechend  dieser Prägung leben. Und wer sich für eine der politischen Parteien entscheidet, der wird ganz allgemein auch deren Sicht der Dinge teilen. Wer erklärtermaßen Christ ist, der wird sich in vielem anders verhalten oder verstehen als ein erklärter Atheist oder Mitglieder anderer Religionen. Das liegt auf der Hand.  Das Sein und damit auch das Geworden-Sein bestimmen nun einmal weitgehend das Bewusstsein. Der Magnet unter der Platte sortiert noch den letzen Span - eine Binsenweisheit.

Was nun aber die Paulus-Worte für mich so spannend machen, ist Folgendes: Die Zugehörigkeit zur Gemeinde, die sich nach Christus nennt, die kann nicht beliebig sein, nicht eine unter vielen möglichen anderen. Sondern sie bedingt schon eine gewisse Exklusivität. Sicher, ich kann natürlich Mitglied der Kirche  und Mitglied im Sportverein, ebenso Mitglied in einer Bürgerinitiative sein. Selbstverständlich!  Doch in den Grundfragen des Lebens „Wohin gehöre ich letztlich?" oder „Wonach will ich mich tief drinnen richten?",  da kann es kein belangloses Nebeneinander geben.  Denn darin geht es um alles oder nichts im wahrsten Sinne des Wortes. Das ist dem eindringlichen Appell des Apostels förmlich abzuspüren:  zur Frage steht, das Leben zu ergreifen oder es zu verfehlen. Insofern steht für mich alles auf dem Spiel - das Leben oder das Verfehlen von Leben. So entscheidend kann die Art und Weise sein, wie ich meine Existenz verstehe und gestalte, welche Einstellungen ich  habe oder auch, welche Handlungsoptionen ich wähle. Der Magnet bestimmt dabei die Richtung der Späne und der Glaube die Lebensrichtung der Glaubenden.

Doch ein - wichtiger - Unterschied: Bei alledem fühlen sich die Eisenspäne vom Metall nicht nur angezogen; es bleibt ihnen ja gar keine andere Wahl. Das ist natürlich angesichts unserer Wahlfreiheit in Sachen Glauben - Gott sei Dank! - schon grundlegend anders. Doch schön wäre es gleichwohl und ganz gewiss auch hilfreich, wenn wir uns von diesem ‚magnetisch' angezogen fühlen. Diese Anziehungskraft hat er jedenfalls seit eh und je und weltweit ausgeübt. Und das allermeist  ganz ohne Druck und Zwang, sondern als überzeugendes Angebot  und als großes Geschenk.

 

3. So kreist der heutige Bibeltext immer wieder um die eine Frage: Wem und zu wem wollen wir denn nun gehören? Paulus spitzt die Fragestellung noch zu mit seiner Feststellung, einem anderen könne man nur ganz oder gar nicht gehören. Und dabei hat er durchaus Jesus selber auf seiner Seite, der in der berühmten Debatte über das Besitzen bekanntlich gesagt hatte: „Niemand kann zwei Herren dienen." (Matthäus 6,24) Sicher, ich kann - wie bei der Fußball-WM neulich zu sehen -  in der Liga für Genua oder London oder Madrid spielen und gleichzeitig Mitglied der deutschen Nationalelf sein. Ich kann bei den schlimmen und tragischen Ereignissen unserer Tage mal mehr auf der Seite der einen und mal mehr auf der  der anderen sein. Aber wo es um die Grundlinie meines eigenen Lebens geht, da ist Klarheit und Konsequenz angesagt - ähnlich der Reaktion der Eisenspäne.

Das beginnt doch - als Beispiel - bereits da, wo sich zwei Menschen einander das Ja-Wort geben. Denn wo der eine Partner „Ja" zu dem anderen sagt, da übereignet er sich dem schlicht und einfach - voll und ganz, ohne Wenn und Aber und nicht etwa nur teilweise. Und das hat - bitteschön - nichts mit Besitzanspruch oder ähnlichem zu tun. Sondern das ist zwingend und logisch und ganz von allein so. Wo ich dem anderen mein Ja schenke und er oder sie das seine mir, da wird man sich einander - wenn man so will -  zum Fundament fürs Leben. Es wäre aber sträflich, das dauerhaft zu unterspülen oder mit dem Presslufthammer zu beharken. Denn dann stürzt das Ganze zusammen und mit ihm auch ich selber. Vorgänge dazu kennen wir zur Genüge. Entsprechend verhält es sich mit meinem Leben als Christ.

 

4.Paulus gebraucht in seinem Brief deutliche Worte, fast schon anstößig deutliche Worte: Einst wart ihr Sündenknechte und seid nun Gottesknechte. Klar: „Knecht" oder „Sklave", das sind Worte, die passen so schlecht in unsere Zeit. Niemand möchte sich doch knechten oder versklaven lassen. Und das soll auch so bleiben. Trotzdem richte ich noch einmal den Fokus auf den Begriff der Zugehörigkeit: Wer einerseits jemandem Bestimmten zugehört und sich  zugehörig weiß,  der ist andererseits dann auch frei von so manch anderen Einflüssen, Einflüsterungen oder auch Erwartungen. Kurz: Weil man sich dem einen zugehörig weiß, ist man für anderes nicht zu haben. Das meine ich durchaus doppeldeutig!

Vielleicht sagt der eine oder andere jetzt: Ja, schön und gut. Aber wie passt denn speziell im Blick auf Gott die Zugehörigkeit zu ihm, die Anbindung an ihn mit unserem so teuren Begriff von Freiheit zusammen oder auch der Wahlfreiheit, von der ich vorhin sprach? Ich bin davon überzeugt: Der moderne Gedanke der totalen Freiheit ist  -  jedenfalls vom Glauben her gesehen -  eher kritisch zu hinterfragen. Gott mutet uns Menschen die Freiheit ja nicht deshalb zu, um uns allein uns selbst zu überlassen. Das erleben wir in unserer Gegenwart leider nur all zu sehr und all zu schmerzlich; das ist jedoch - auf die Spitze getrieben - nichts anderes als das, was Paulus „der Sünde Sold" (v23) nennt. Das wäre und das ist nämlich gnadenlos, sogar die Hölle pur, wie sie der französische Philosoph Albert Camus - ebenfalls in schlimmer Zeit - beschrieben hat. Gott dagegen befreit uns aus den Zwängen, aus den zähen Tentakeln, die immer wieder nach uns greifen. Und er befreit uns sogar von uns selbst. Er wird nicht müde, uns seine Fürsorge und Leitung anzubieten. So traut er uns auch zu, dass wir uns endlich doch von ihm ausrichten und stärken lassen fürs Leben und fürs Sterben: „Die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserem Herrn." (v23) Amen.



Oberlandeskirchenrat i.R. Jürgen Jüngling
Kassel
E-Mail: juengling@ webgum.de

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