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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

8. Sonntag nach Trinitatis, 10.08.2014

Nein und Ja, Zwang und Freiheit
Predigt zu Römer 6:19-23, verfasst von Wolfgang Petrak

Predigttext (Luther):19Ich muss menschlich davon reden um der Schwachheit eures Fleisches willen: Wie ihr eure Glieder hingegeben hattet an den Dienst der Unreinheit und Ungerechtigkeit zu immer neuer Ungerechtigkeit, so gebt nun eure Glieder hin an den Dienst der Gerechtigkeit, dass sie heilig werden. 20Denn als ihr Knechte der Sünde wart, da wart ihr frei von der Gerechtigkeit. 21Was hattet ihr nun damals für Frucht? Solche, deren ihr euch jetzt schämt; denn das Ende derselben ist der Tod. 22Nun aber, da ihr von der Sünde frei und Gottes Knechte geworden seid, habt ihr darin eure Frucht, dass ihr heilig werdet; das Ende aber ist das ewige Leben. 23Denn der Sünde Sold ist der Tod; die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserm Herrn.

 

 

 

Ja, liebe Gemeinde,

 

es geht ums Ganze. Gegensätze türmen sich auf. Unrecht und Gerechtigkeit, Gefangenschaft und Freiheit, einst und jetzt. Menschlich redet Paulus, weil das Leben in Christus sich nicht unmittelbar in Worte und Bilder kleidenl lässt. Denn der Herr lässt sich nicht fassen noch fangen. Aber was er tut, geht uns unmittelbar an. Deshalb redet Paulus so. Damit wir hören können und so zum Glauben kommen.

 

Ja, seine Geschichte kommt dabei nicht in den Blick. Ja, die Bedeutung der Taufe hat er zuvor deutlich werden lassen. Jetzt aber nicht.

 

Nein, an meine Taufe kann ich mich nicht erinnern.

Weiß nur, was meine Mutter mir erzählte, wenn sie das verschlissene Fotoalbum mit den vergilbten Bildern hervorgeholt hatte. sie wies dann auf ein braunschwarzes Foto hin, auf dem eine Diakonie-Schwester zu sehen war, mit weißer Haube, schwarzem, bis oben hin zugeknöpften Kleid. Ihr Gesicht: schmale Lippen, harte Falten an den Mundwinkeln, und ein stechender Blick, der etwas nach unten gerichtet war und wohl ihr Kronenkreuz, das über dem breiten, ebenfalls weißen Kragen zu sehen war, zu erfassen suchte. „Das ist Schwester Marie", hatte meine Mutter mir jedes mal erklärt, „und die hatte dir bei der Taufe einen in Zuckerwasser getauchtes Taschentuch gegeben, einen Schnuller gab es ja nicht, und du hattest so geschrieen, dass man im Gemeindesaal nichts mehr verstand". Ich wusste, was dann kommen würde, nämlich dass es damals kaum was gab, anfangs nur auf Marken, und dass die Kirche immer noch zerstört sei, das hätten die Amerikaner gemacht. Ich wollte aber von diesen Zeiten nichts wissen, wusste ich doch, wie die Trümmerblumen gerochen haben, wusste auch, dass die Amerikaner  eigentlich Freunden waren, uns Kindern zuwinkten, wenn sie auf der B6 in ihren Straßenkreuzern vorbei fuhren, manchmal warfen sie auch Schokolade aus dem Fenster. Meine Frage, ob sie unsere Feinde seien, blieb unbeantwortet. Ich dachte, es müssen so sein wie mit meinem Freund und mir: wir haben uns oft gestritten, manchmal auch erbittert geprügelt, und waren dann doch am nächsten Tag wieder die dicksten Freunde. Ja, daran erinnere ich mich genau.

 

Nein, an den Großvater kann ich mich nicht erinnern. Nur an die beiden Bilder; sie kamen gleich hinter Schwester Marie, waren nur noch bräunlicher. Auf dem einen war er einer von den jungen Männern mit Schnurrbärten und kragenlosen Hemden, er hatte eine Schiebermütze auf dem Kopf und eine große Zange in der Hand. Auf dem anderen war er zusammen mit anderen Männern in Uniformjacken, auch zugeknöpft bis oben hin, alle einen Koppelgürtel um den Bauch. Dahinter Bäume wie bei uns. Ich wusste, dass das eine er und seine Freunde waren, Genossen, erklärte man mir, nach der Arbeit, und das andere aber seine Kameraden und er in Russland. Nein, ich habe den Großvater nicht kennen gelernt und habe ihn nie fragen können, wie es gewesen war im Sommer 1914 und warum die Idee der Zweiten Internationale gescheitert war: Alle waren sie in den Krieg gezogen. Der Großvater war unverwundet aus Russland zurückgekommen, soll aber darüber sehr still gewesen sein. Nein, in die Kirche ist er nicht gegangen, in den Ortsverein schon, jedenfalls solange es möglich war. Ob das mit der Kirche damit zusammenhing, was auf dem Koppelschloss der Soldaten gestanden hatte? 100 Jahre ist das her. Wird diese Zeit des Weltkrieges vergessen? Denn auch heute brennt die Welt.

 

Nein, ich kann die Bilder nicht vergessen. Am vorletzten Montag in der Süddeutschen. Ein Foto, das immer noch da ist: Eine Straße in Gaza, in blasser Farbe der Himmel. im Hintergrund die zerbombten Häuser. Staub und Geröll auf der Straße. Und ein Rollstuhl. die Räder zerbeult, die Reifen ohne Luft. Kein Mensch auf der Straße. Und wer weiß, wer im Rollstuhl gesessen hat. Ein Großvater? Ob es Enkel gibt, den gesagt werden muss, dass....Und denen gesagt werden muss, dass es eine Schuld gibt, die wir nicht verhindern konnten?

 

Nein, hier nicht und da nicht. Aber wir haben sehen: Im Hintergrund auf dem Getreidefeld Wrackteile, davor schwerbewaffnete Männer in Kampfanzügen, mit Gesichtern, die aussehen, als ob sie immer gern gefeiert hätten, jetzt aber eine Entschlossenheit zu allem ausdrücken, verschwiegen und ohne Gefühlsregung: was würden sie einmal sagen, wenn sie gefragt werden könnten, ob sie den Teddybären neben dem Flugzeugsitz gesehen hätten und was sie gedacht hätten und ob sie so einfach weitermachen können?

 

Nein, eigentlich mag ich nicht mehr die Tagesthemen einschalten. Denn wir müssen müssen hören und mit ansehen,wie vereinbarte Feuerpausen werden sofort wieder gebrochen, Menschen benutzt werden, um Waffenarsenale mit ihrem Körper abzuschirmen, wie Krankenhäuser mit Raketen angegriffen. Und wie Rüstungsgüter bestellt, produziert und bezahlt werden. Der Tod ist der Sünde Sold. Und wir sind mit dabei, ohne etwas direkt tun zu können; empfinden Trauer und Wut und Scham und können diese Gefühle nicht schützend einordnen oder trennen. Denn es geht durcheinander in unserer Zeit, drunter und drüber. Es gehört zum guten Ton gehalten und wird als einvernehmliches Signal verstanden, ironisch von ,Verstehern‘ zu sprechen, von Putin-Verstehern also. Sachlich wird berichtet, wie Sanktionen formuliert  und legitimiert werden; nebenbei nehmen wir zur Kenntnis, dass sichernde Gewalt denkbar ist und robuste Mandate durchaus vereinbart werden können, als ginge es, beiläufig, um ein Rubgy-Match. Damit es weiter gehen kann. Mit diesem zerstörerischen Nein?

 

Ja, genau das sagt Paulus: dass es genau dieses Weitermachen gibt, zwangsläufig. Und dass der Mensch so ist. Und dass es mit dieser Zeit  und mit dieser Welt zu Ende geht. Und mit ihr der Mensch? Nein, das sagt Paulus nicht. Er entwirft kein apokalyptisches Szenario, sondern fordert Gerechtigkeit ein.Natürlich spricht er von den Mächten, denen der Mensch unterworfen ist. Da ist diese Macht der Sünde, die in sich die tödliche Zerstörung zur Konsequenz hat und sich in ihrem Anwachsen nicht aufhalten lässt, weil es natürlich nur so kommen kann, wie in einem Zwangssystem (Paulus denkt dabei an das römische Militär) am Ende bezahlt wird, was verdient ist. So ist es schon immer gewesen. Denn da ist jene Macht der Zeit, die das Vergehen in sich trägt.

 

Ja: Dieser Macht der Vergangenheit steht die andere gegenüber. Sie allein, er allein ist die Macht der Zukunft. Er lässt sich, sie lässt nicht berechnen noch bezahlen, sondern verschenkt sich. Sie trägt nicht das Ende in sich, sondern den Anfang des neuen Lebens. Nein, Paulus sagt nicht, dass man die Freiheit hätte, zwischen jener einen und dieser anderen sich zu entscheiden. Autonomie meint lediglich das Gesetz des eigenen Handelns. Es hat aber ein anderer gehandelt. Deshalb sagt Paulus auch nicht, was man tun kann. Ja, er erwähnt in diesen wenigen dichten Zeilen nicht einmal die Taufe als Möglichkeit des Handelns. Sondern sagt, dass dem Nein ein Ja gegenüber gestellt ist. Und dem sind wir unterstellt.

 

Ja, ich weiß noch, wie eine junge Studentin versucht hatte, mir den jüdischen Philosophen Emanuel Levinas zu erklären. Und wie mich das nicht mehr loslässt. Dabei weiß ich eigentlich nur noch, wie sie von dem Blick des Anderen gesprochen hatte. Von dem Blick, der mich unvermittelt trifft und der sagt: „Töte mich nicht". Es ist dieser Blick des Menschen, der uns auf die Spur bringt. Er ist die Macht, die unmittelbar anspricht.Denn dieser Blick ist offen und darin wehrlos; er ist frei und unverstellt, all das, was Anlass zur Scham ist, hinter sich lassend und deshalb befreiend..

 

Ja, Paulus redet menschlich, weil es um das Leben geht in einer Zeit, die anders ist. Weil es am Ende darum geht, in Christus zu sein, in dem, der die Welt mit den Augen des Anderen ansieht. In dem, der sagt: „Ich aber sage Euch: Liebet eure Feinde, ; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen, bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen" (Matth. 5,44).

 

Ja, das ist ganz anders. Zu dieser Freiheit hat uns Christus befreit. Amen.



P.i.R. Wolfgang Petrak
37077 Göttingen
E-Mail: w.petrak@gmx.de

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