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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

8. Sonntag nach Trinitatis, 10.08.2014

Gott macht in der Taufe aus Sklaven Freie
Predigt zu Römer 6:19-23, verfasst von Sibylle Rolf


Liebe Gemeinde,

es ist heiß in Kleinasien, der heutigen Türkei. Paulus geht über den Markt, die Sonne brennt vom Himmel. Er spürt, wie sie ihm den Nacken verbrennt. Als er links um die Kurve geht, kommt er auf den Markt. Gemüse wird hier verkauft und frisches Brot, es duftet nach Tomaten und würzigen Kräutern. Die Melonen sind groß und verlockend. Hinten in der Ecke des Marktes ist der Sklavenstand. Er geht näher. Junge und etwas ältere Menschen stehen im kargen Schatten, Männer und Frauen. Hinsetzen dürfen sie sich nicht. Immer wieder treten Menschen aus der Masse, die ihnen prüfend ins Gesicht sehen und ihre Muskeln betasten. „Taugt der zum Arbeiten?", hört er, wie einer fragt. Der Sklavenhändler nickt beflissen. „Ein fleißiger junger Mann", sagt er. „Sein Vorbesitzer musste in ein kleineres Haus umziehen, dorthin konnte er nicht mitkommen." Der Käufer nickt und zieht seinen Geldbeutel aus der Tasche. Einige Goldstücke gehen von Hand zu Hand, der Sklave wird losgebunden und mitgeführt. Er hat einen neuen Herrn.

Paulus hat die Szene von weitem angesehen. Er hat einen Freund, der auch Sklaven hat. Manchmal haben Sklavinnen und Sklaven Glück, und ihr Herr ist gut zu ihnen. Sie bekommen gut zu essen, haben ein eigenes Bett und müssen sich nicht tot schuften. Häufig aber ist es ein hartes Leben. Ein Mensch gehört nicht mehr sich selbst, kann nicht gehen, wohin er will. Er kann keine eigenen Entscheidungen treffen. Er ist nicht frei. Nicht sein eigener Herr.

Nachdenklich blickt Paulus vor sich hin. Er kennt es nicht anders. Er ist in einer Kultur groß geworden, in der die Sklaverei zum Leben gehört. Für einige freie Römer schuften viele Sklaven und machen ihren Herren das Leben angenehm. Ohne Sklaven hätten die Herren nicht so viel Zeit und Muße. Wie mag sich das anfühlen, nicht sich selbst zu gehören?, denkt Paulus. Er stockt. Ihm fällt eine Szene ein, die er vor ein paar Tagen in seiner Gemeinde miterlebt hat. Es sind nicht nur die Sklaven, die sich nicht selbst gehören. Menschen stellen sich vor sein inneres Auge. David und Susanna sind seit langem verheiratet. Aber sie haben es schon lange schwer miteinander. In den letzten Wochen hat sich das immer deutlicher gezeigt. Viele Menschen aus der Gemeinde haben mit den beiden gesprochen. Warum müsst ihr euch so viel streiten?, haben sie gefragt. Sie wissen es selbst nicht genau. Beide mühen sich, mit dem anderen auszukommen. Und doch, so erzählt Susanna, gibt es diese Situationen, in denen die Angst um sich selbst stärker ist als die Liebe. Da schneidet David die Tomaten für den Imbiss ein kleines bisschen zu dick. Und Susanna bekommt Angst, dass es nicht reicht. Dass nicht alle satt werden könnten. Eine ganz tief sitzende Angst ist das, über die sie gar keine Kontrolle hat. Und sie ertappt sich dabei, wie sie ihn anschreit. Solche Situationen sind es, die das Leben miteinander so unerträglich machen. Und die Angst hat die beiden so fest im Griff, dass sie die Kontrolle ausschaltet. So, als würden David und Susanna sich nicht mehr selbst gehören.

Manchmal, denkt Paulus, hat meine Angst auch mich im Griff. Meine Angst, die Kontrolle zu verlieren, die Angst um mich selbst. Manchmal habe ich das Gefühl, dass mir etwas den Boden unter den Füßen wegzieht. Gerade neulich wieder, in der Synagoge, als mich jemand angegangen ist, weil ich so wenig Begabung im Reden habe. Da war die Urangst wieder. Wie mein Vater mir immer gesagt hat, dass ich nicht genüge. Dass ich es nie zu etwas bringen werde. Und ich habe den Mann angeschrien, viel lauter, als es angemessen war. Ich kannte mich gar nicht mehr. Ich habe den anderen richtig zur Schnecke gemacht. So als wäre ich nicht mehr Herr meiner selbst.

Paulus seufzt. Unsere Angst hat uns manchmal so fest im Griff wie ein Herr seine Sklaven. Manchmal scheint es, als seien wir nicht Herren unserer selbst. Als wären wir überhaupt nicht frei, als würden wir uns nicht selbst gehören. Theologen nennen das auch Sünde. Diese Angst, die uns unfrei macht.

Paulus lässt seine Gedanken wandern. Er denkt an die vielen Gemeinden, die er im Römischen Reich gegründet hat. Viele hat er besucht, mit vielen steht er in Briefkontakt. Nur in Rom war er noch nie. Er hat die Gemeinde nicht selbst gegründet, aber er will unbedingt mal hin. Zur Vorbereitung auf seinen Besuch schreibt er den Christen in Rom einen Brief. Damit sie wissen, was er denkt und was er glaubt. Im Moment schreibt er gerade am Kapitel über die Taufe. Er denkt darüber nach, was mit Menschen geschieht, wenn sie getauft werden. Sklaven und Freie, denkt er. Das ist ein gutes Bild. So ähnlich ist es in der Taufe. Mit der Sünde. Und er geht nach Hause und setzt sich an seinen Schreibtisch. Er schreibt:


(Röm 6,(16)19-23)

16 Wisst ihr nicht: wem ihr euch zu Knechten macht, um ihm zu gehorchen, dessen Knechte seid ihr und müsst ihm gehorsam sein, es sei der Sünde zum Tode oder dem Gehorsam zur Gerechtigkeit? 17 Gott sei aber gedankt, dass ihr Knechte der Sünde gewesen seid, aber nun von Herzen gehorsam geworden der Gestalt der Lehre, der ihr ergeben seid. 18 Denn indem ihr nun frei geworden seid von der Sünde, seid ihr Knechte geworden der Gerechtigkeit. 19 Ich muss menschlich davon reden um der Schwachheit eures Fleisches willen: Wie ihr eure Glieder hingegeben hattet an den Dienst der Unreinheit und Ungerechtigkeit zu immer neuer Ungerechtigkeit, so gebt nun eure Glieder hin an den Dienst der Gerechtigkeit, dass sie heilig werden. 20 Denn als ihr Knechte der Sünde wart, da wart ihr frei von der Gerechtigkeit. 21 Was hattet ihr nun damals für Frucht? Solche, deren ihr euch jetzt schämt; denn das Ende derselben ist der Tod. 22 Nun aber, da ihr von der Sünde frei und Gottes Knechte geworden seid, habt ihr darin eure Frucht, dass ihr heilig werdet; das Ende aber ist das ewige Leben. 23 Denn der Sünde Sold ist der Tod; die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserm Herrn.


Paulus legt die Feder zur Seite. Hoffentlich verstehen mich die Menschen in Rom, denkt er. Aber so ist es doch: wem ihr euch zu Knechten oder Mägden macht, dem müsst ihr auch gehorchen, sei es die Angst oder sei es die Freiheit, die Sünde oder die Gerechtigkeit. Unsere Angst entwickelt manchmal so eine Macht, dass wir uns ihr nicht entziehen können. Dass wir uns nicht beherrschen können, nicht mehr Herren unserer selbst sind. Wie bei David und Susanna oder auch bei mir. Aber die Angst ist nicht das einzige und schon gar nicht das letzte, was unser Leben ausmacht. Stimmt, sie hat uns manchmal fest im Griff. Aber das ist auch wahr: Seit unserer Taufe leben wir unter einer anderen Herrschaft: wir gehören Gott, und Gott will das Leben für uns. Mit seinem letzten Satz ist Paulus besonders zufrieden: die Gabe Gottes ist das ewige Leben in Christus, unserem Herrn. Das gilt, denkt er. Weil wir getauft sind, gehören wir zu Christus, und so wie er lebt, werden auch wir leben - nach dem Tod, aber auch jetzt schon, in diesem Leben. Wir müssen uns den Grund nicht schaffen, auf dem wir stehen. Und wir müssen nicht fürchten, dass irgendjemand uns den Grund unter unseren Füßen wegzieht. Dass Gott das Leben für uns will, ist stärker als die Angst.

Vielleicht, denkt Paulus, sollte ich den Brief nicht nur nach Rom schicken, sondern auch David und Susanna davon erzählen, dass es nicht entscheidend ist, wie dick die Tomatenscheiben sind, die einer abschneidet. Es werden doch irgendwie alle satt werden. Vielleicht, denkt Paulus weiter, ist es auch gar nicht schlimm, wenn mich jemand auslacht, weil ich nicht so gut reden kann wie die Gelehrten auf den Marktplätzen. Ich muss es meinem Vater im Nachhinein nicht mehr recht machen. Ich muss es niemandem mehr recht machen, weil Gott mich schon recht gemacht hat. Das hat er mir in der Taufe doch zugesagt. Die Sonne brennt heiß in Kleinasien, der heutigen Türkei. Paulus blickt aus dem Fenster, und es ist ihm, als hätte ihm jemand ein Licht gesendet und seinen Tag hell gemacht.


Die Sonne scheint warm in der Kurpfalz. Auf dem Platz hinter der Kurpfalzhalle gibt es keinen Sklavenmarkt. Menschen werden in Oftersheim nicht gehandelt, Gott sei Dank. Und die Szene, die ich über den Heidenmissionar Paulus erzählt habe, war erfunden. Aber ungefähr so könnte es sich abgespielt haben. Aber auch wenn es keinen Sklavenmarkt in Oftersheim gibt: Menschen können sich unfrei fühlen, wenn die Angst sie in ihren Fängen hält. Dann sind sie nicht mehr Herren ihrer selbst, so, als würden sie sich selbst nicht gehören. Dann tut Veronika Dinge, von denen sie weiß, dass sie Heinz damit weh tut. Oder Inge geht mit ihren Kindern so ungnädig um wie mit sich selbst. Und Martin vergräbt sich hinter seinen Floskeln, um ja niemanden an sich heran zu lassen, damit niemand seine Angst spürt, die er vor Menschen hat und davor, die Kontrolle abzugeben. Die Theologen nennen das Sünde.

Aber das gilt: die Angst hat die Macht über uns verloren. Sie hat nicht das letzte Wort über uns. Das hat Gott uns in unserer Taufe zugesagt. Was wir anderen antun und was wir uns selbst und anderen schuldig bleiben, bestimmt nicht das, was wir in Gottes Augen sind. Seit unserer Taufe gilt eine andere Wirklichkeit für uns: das Leben, das Gott schenkt. Ein Leben ohne Angst um mich selbst. Ein Leben, in dem ich mir den Grund nicht schaffen muss, auf dem ich stehe. Ein Leben, in dem ich mir gesagt sein lassen kann: es ist gut, dass es dich gibt. Du bist geliebt und wertgeachtet in meinen Augen. Ich gehöre Gott, nicht meiner Angst. Und Gott gibt mir mein Leben zurück. Und auch in Oftersheim ist es, als würde sich ein Fenster öffnen und als erhaschte ich einen Blick ins Licht. Amen.

 



Dr. Sibylle Rolf
Oftersheim
E-Mail: sibylle.rolf@wts.uni-heidelberg.de

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