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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

11. Sonntag nach Trinitatis, 31.08.2014

Mut und Barmherzigkeit
Predigt zu Lukas 7:36-50, verfasst von Anders Kjærsig

Es soll in einer kleineren dänischen Provinzstadt kurz nach Ende des Krieges geschehen sein; eines der sogenannten „Deutschenhuren" oder „Feldmatratzen", wie man solche Mädchen nannten, wurde kurz nach der Befreiung gefangen. Die Haare wurden ihr abgeschnitten, sie wurde entkleidet und nackt durch die Straßen der Stadt getrieben, von einer großen Menschenmenge bespuckt und verhöhnt.

Das war eine Art, wie man seine dänische Gesinnung zeigen konnte, eine Gesinnung, die viele ansonsten fünf Jahre lang gut versteckt gehalten hatten. Aber natürlich ist es leichter, sich als Däne zu zeigen, wenn man einige Sündenböcke hat. Das ist ein bekannter Mechanismus und zeigt, im Kontrast zum Krieg, als Dänemark besetzt war, wie Feigheit gedeiht und wächst.

Aber mitten in dieser Aktion geschah es, dass ein Mann, der dieses bestialische Schauspiel von seinem Fenster aus beobachtete, seinen Mantel ergriff und hinaus auf die Straße stürzte, seinen Mantel um das Mädchen legte und sie in Sicherheit brachte, in sein Haus in seine Wohnung.

Es ist nicht leicht zu wissen, wo ein Mensch den Mut für so etwas hernimmt, aber dieser Mann war in der Widerstandsbewegung, und vielleicht hatte er seinen Mut daher.

Diese Episode aus einer dänischen Provinzstadt spiegelt etwas wieder von dem Sinn für Barmherzigkeit, den das Christentum repräsentiert: den Mut zu helfen, wenn kein anderer will, kann oder zumindest es wagt.

In den Evangelien wimmelt es an Armen, Lahmen und Blinden, an den Rand gedrängte Personen, die stets bereit sind, anderen zu helfen, selbst aber verstoßen und ausgegrenzt sind. Das Christentum will diese ausgegrenzten Personen ins Zentrum stellen. Durch ihre Augen erfahren wir den K3ern der Verkündigung.

Vor ein paar Jahren war da ein Pastor aus Nordjütland, der helfen wollte, nicht der armen Witwe oder der Frau mit der Alabastersalbe, sondern der reichen Witwe. Nicht indem er ihr ein besseres Leben verschaffte, sondern indem er ihr Erbe verwaltete. Der Pastor deponierte ihr ganzes Geld in seinen Geldschrank und behielt es auch nach dem Tod der Witwe, obwohl es der Familie gehörte. Das kann man Barmherzigkeit aus Berechnung nennen - wenn es die gibt. Der Pastor wurde wohl gezwungen, seinen Abschied zu nehmen.

Hier ist ein pastor der im Namen des Christentums Übergriffe begeht. In der Episode aus der kleinen Provinzstadt wurde der Übergriff nicht von denen begangen, die in der Widerstandsbewegung waren, sondern denen, die von einer verdrehten Vorstellung von dänischer Gesinnung getrieben waren, vermischt mit dem Verlangen nach Strafe und Rache. Und so könnte man leicht das eine Beispiel nach dem anderen nennen.

Es gibt ein Beispiel aus dem Johannesevangelium, das diese Verbindung zwischen Mut einerseits und Barmherzigkeit andererseits zeigt. Es handelt von der Frau, die der Hurerei überführt wurde. Sie ist eine Hure und war zusammen mit vielen Männern. Nach den damaligen Maßstäben konnte man sie nun, wenn man wollte, zu Tode steinigen. Man konnte es auch sein lassen, aber es gibt ja immer Leute, die gern andere leiden sehen wollen.

Deshalb sammelt eine Gruppe von erwachsenen starken Männern St eine, dr¨ngen sie in eine Ecke, so dass sie nicht entweichen kann, erheben ihre Hände, während sie aggressiv mit schäumendem Munde rufen: „Steinigt sie, steinigt sie".

Im selben Augenblick kommt Jesus vorbei und fragt, was sie da tun. Und im besten selbstgerechten Stil sagen sie, dass sie das Gesetz übertreten und gegen Gott gesündigt habe, weil sie eine Hure gewesen ist. Jesus sagt nichts, steht nur da und sieht sie an, eine fast schreiende Stille.

Nach wenigen Sekunden setzt er sich hin und schreibt in den Sand - eine Schrift, die nicht auf dem Papier steht und deshalb so rasch verschwindet wie der Wind den Sand aufbläst. Eine kurze und flüchtige Schrift. Eine der Männer fragt, was er das schreibt. Jesus steht nun auf, sieht noch einmal auf die Menge und sagt dann die berühmten Worte: Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.

Alle gehen sie weg gebeugten Hauptes, beschämt und entlarvt. Feigheit und Rachsucht war entthront durch das unerschütterliche Wort des Evangeliums vom Mut und von Barmherzigkeit. Und lasst es immer so sein, wenn Menschen aus irgendeinem Grunde die Neigung haben, ihre eigene Feigheit dadurch zum Ausdruck zu bringen, dass sie anderen Schmerzen irgendwelcher Art zufügen.

Deshalb ein Gedicht des dänischen Lyrikers und Liederdichters Simon Grotian:

Wenn Glocke die Sonne einleuchtet

da streichele ich die Wange Gottes

er streichelt auch gerne meine

und der das Streicheln ist ein Beerenschrein

 

Wenn die Glocke die Sonne wegläutet

und gewisse Gebet zu kurz kommen

da danke ich dennoch

weil ich lebe, welch ein Glück

 

Wenn die Glocke bei dem letzten Schlag

geworden ist der neue Tag

da danke ich, er hat mich eingespannt

hinein in die Fakte im Wollgewand

 

Wenn alle Glocken läuten wild

und gewisse Wünsche bloß verspielt

da danke ich wieder für alles

für Licht der Welt und Salz der Erde.

 

Amen



Pastor Anders Kjærsig
Årslev
E-Mail: ANKJ(at)km.dk

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