Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

13. Sonntag nach Trinitatis, 14.09.2014

Predigt zu Matthäus 20:20-28 (dän. Perikopenordn.), verfasst von Poul Joachim Stender

 

Als ich vor vielen Jahren als junger Pfarrer in das Pfarrhaus von Kirke Saaby einzog, hing ein fein eingerahmtes Schild an meinem Büro mit dieser Inschrift, geschrieben mit goldenen Buchstaben: „Es muss wachsen, ich aber muss abnehmen". Es ist eine Schriftstelle aus Johannes 3,30. In der neuen Bibelübersetzung in Dänemark heißt es: Er soll größer werden, ich kleiner". Wenn man den ersten Teil des Satzes weglässt, erhält man einen guten Slogan für eine Schlankheitskur: „Ich muss abnehmen". So ein Slogan würde populär sein. Wir sind nämlich sehr darauf fixiert, Wülste, Bäche und Doppekinn loszuwerden. Zurzeit läuft die eine teure Kampagne nach der anderen mit Kostvorschlägen, um unsere Leibesfülle zu reduzieren. Aber nicht die Fettleibigkeit ist das eigentliche Problem. Unser Problem ist, dass unser Ego übergewichtig ist. Wir müssen uns daran machen, uns selbst abzuwickeln. Wir sind zu füllig.

In den letzten vielen Jahren waren wir in Dänemark wie in anderen Ländern sehr mit Entwicklung beschäftigt. Seit unserer Kindheit werden wir dazu erzogen, uns zu entwickeln und zu erneuern auf allen denkbaren Gebieten. Die Botschaft ist: Du sollst dein Selbst entfalten, deine Karriere, deins Partnerbeziehung. In den Schulen werden wir in die verschiedenen Entwicklungstheorien der Wissenschaft eingeführt. Wir wissen, dass jede ordentliche Firma ständig an der Entwicklung ihrer Produkte arbeitet. Entwicklung, Entwicklung! Hingegen liegt uns das Abwickeln gar nicht. Sucht man im Internetz, findet man 236.000 Hits für das Verb entwickeln und nur 16.400 Hits für das Verb abwickeln. Unsere fehlende Fähigkeit zum Abwickeln kommt u.a. darin zum Ausdruck, dass wir nicht über den Tod reden, ehe es zu spät ist. Der Tod ist heute ein technischer Unfall, bis die Forschung neue Behandlungen entwickelt hat. Dasselbe gilt für unser Alter. Wir vermögen es nicht, unsere Jugend abzuwickeln und zu akzeptieren, dass es Zeit ist zum jung sein und Zeit zum alt sein. Und dann ist da die persönliche Entwicklung. Es gibt bald niemanden, der nicht einen Coach hätte, der einen rät, dass man selbst entwickeln soll. Das Selbst wird aufgeblasen und wird so übergewichtig und groß, dass wir weder Gott noch einander sehen können. Deshalb ist es an der Zeit, abzuwickeln anstatt seine Persönlichkeit zu entwickeln.

Man sehe das Evangelium dieses Sonntags. Die Mutter der Söhne des Zebedäus handelt wie alle Mütter. Sie will, dass aus ihren Söhnen etwas wird. Sie sollen eine Position haben, eine Bedeutung, Sonderbehandlung. Auch wenn das auf Kosten anderer geschieht. Alle Volksschullehrer kennen die Mutter der Zebedäus-Söhne. Das ist die, die in die Schule kommt und sagt: „Mein Sohn, meine Tochter hat Anspruch darauf, mein Sohn meine Tochter hat Recht darauf". Es ist die, die nie fragt: „Was können wir zusammen tun, um der Klasse die besten Rahmenbedingungen zu schaffen". Ihr Ego ist groß. Aber es ist nicht größer als das Ego, mit dem wir anderen herumlaufen. Während Regierungen und Ernährungsexperten Energie für die Bekämpfung von Fettleibigkeit verwenden, erlauben wir uns hier in der Kirche, auf das eigentliche Problem hinzuweisen. Fettleibigkeit, übergewichtige Ego's, die weder für Gott noch den Mitmenschen Raum haben. Der Ego-Schlankheits-Slogan der Kirche steht Joh. 3.30: Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen". Das wird in dem heutigen Evangelium wiederholt: „Wer groß sein will unter euch, sei Euer Diener, und wer der Erste sein will unter euch, sei eurer Knecht".

Das Problem bei der Arbeit des Pfarrers ist, dass ein Pfarrer zu viel füllen kann. Wir können dem Evangelium im Wege stehen. Unsere ideenreichen Erfindungen können die Aussicht auf Gott versperren. Es kann dazu kommen, dass wir etwas arrangieren, das auf uns selbst verweist statt auf Christus. Aber hier kommt das Schild zum Tragen, das an meinem Büro hing und das ich lieber wieder aufhängen muss als eine Erinnerung daran, worum es für einen Pfarrer gehen soll. Christus ist mein Mitmensch, meine Gemeinde sind meine Mitmenschen, die wachsen sollen. Nicht ich selbst. Das gilt bestimmt auch für andere Fachgruppen. Durch unsere Arbeit dienen wir Gott und dem Nächsten. Deshalb geht es darum, Christus und unsere Kollegen wachsen zu lassen. Wir selbst sollen abnehmen. Dasselbe gilt in unserer Ehe. Der beste eheliche Rat, den es gibt, ist in einer Weise Johannes 3,30. Gott soll wachsen. Der Ehepartner soll wachsen. Wir sollen abnehmen.

In Dänemark hatten wir vor 200 Jahren einen sehr klugen Mann. Er hieß Søren Kierkegaard und war Philosoph. Und er sagte, dass man sich nicht in sein Glück hinein maximieren kann. Das heißt mit anderen Worten, dass wir nicht dadurch glücklich werden können, dass wir unsere materiellen Güter verdoppeln. Der Popstar Robbie William liebte Espressos. Er wurde durch einen Esspresse glücklich. Dann wollte er sein Glück maximieren und kam auf 36 Espressos am Tage. Davon wurde er krank und musste entwöhnt werden. Mehr Kaffee, mehr Alkohol, immer mehr zu essen, immer mehr Kleidung und Geld und Ferienreisen und Wintergärten. Wir glauben, wir werden glücklich, indem wir alles maximieren. Aber das stimmt nicht. Es geht darum, alles zu optimieren. Machen wir das Beste aus unserem Ehepartner oder unseren Lieben. Machen wir das Beste aus unserem leben. Machen wir das Beste aus allen Dingen. Machen wir das Beste aus einer jeden Situation. Machen wir das Beste aus diesem Gottesdienst. Kurz machen wir das Beste aus dem Leben, indem wir ein guter Mensch sind, der Gutes für andere tut. Und wie soll das geschehen? Indem wir uns selbst abwickeln und all das Materielle, das zu viel um uns ausfüllt, damit Platz geschaffen wird für Gott und unseren Mitmenschen. Der frühere Bischof von Roskilde Jan Lindhardt hat seine Erinnerungen geschrieben und unter die Überschrift gestellt: „Eine Nebenperson in meinem Leben für ..." - eben um zu betonen, dass wir nicht die Hauptrolle in unserem Leben spielen sollen. Das tuen Gott und unser Nächste. Amen.

 



Pastor Poul Joachim Stender
DK-4060 Kirke Såby
E-Mail: PJS(at)km.

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