Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

15. Sonntag nach Trinitatis, 28.09.2014

Predigt zu Lukas 10:38-42 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Niels Henrik Arendt

In der kleinen Erzählung vom Besuch Jesu bei den Schwestern Martha und Maria ist das wichtigste Wort „notwendig". Jesus sagt zu Maria: Eines tut not. Was ist das eigentlich, was so notwendig ist? Wenn wir diese Frage weitergeben, bekommen wir sehr wohl Antworten. Die Kinder werden das Selbstverständliche nennen: dass man etwas zu essen bekommt, aber vielleicht auch dass man schicke Kleider bekommt, am besten dieselbe Marke, in der auch die anderen gehen. Oder auch: Eine eigene Musikanlage zu haben, das ist notwendig.

Die Erwachsenen lieben das Wort „notwendig". Das macht, dass das, was man sagt, besonderes Gewicht erhält. Das Notwendige, sagt man mit gerunzelter Stirn als jemand, der weiß, worum es geht, einer der der Sache auf den Grund geht - das sind strenge Verhaltensregeln, das ist eine neue Politik - so gebrauchen die Erwachsenen das Wort. Es wird von Leuten verwandt, die sich ansonsten über gar nichts einigen können - jedenfalls gar nicht darüber, was das Notwendige ist. . Aber vieles ist notwendig; etwas muss getan werden, und zwar jetzt, und dies gilt politisch, kulturell, kirchlich usw. Was notwendig zu tun ist, darüber sind wir uns gar nicht einig. Die Verwirrung ist groß.

Und dann kommt hier diese kleine Erzählung vom Besuch Jesu bei Martha und Maria, wo Jesus auch von etwas spricht, das das Notwendige ist. Eines tut not. Nun ja, das wissen wir sehr wohl, das haben uns auch viele andere gesagt; und wir haben sogleich eine Meinung darüber, was das einzig Notwendige ist. Aber was sagt diese Erzählung vom einzig Notwendigen. Kann sie das überbieten, was wir für notwendig halten?

Das Merkwürdige an dieser Erzählung ist ja, dass Jesus gar nicht sagt, was das Notwendige ist, das man tun soll. Er kommt nicht und nennt irgendetwas, an das wir absolut denken müssen neben all dem anderen, was zu tun ist. Jesus sagt, nur eins ist not. Und das bedeutet, dass es dann nicht etwas anderes gibt, was genauso notwendig ist. Und was ist das nun? Lasst uns dann anfangen, das zu tun, was getan werden muss, vor allem anderen! Aber hier kommt nun die Finte der Erzählung. Die Sache ist nämlich die, dass es nichts gibt, was getan werden muss, nichts, was eilt, und deshalb sitzt Maria auch ganz still, denn das, was zu tun ist, ist nicht etwas, was wir tun können. Und das ist es, was wir vergessen haben. Das einzig Notwendige ist - dass wir einsehen, dass a etwas ist, was wir nicht tun sollen. Weil wir es nicht tun können. Jesus sagt nicht zu Martha, dass sie nicht so, sondern so handeln soll - nicht sie soll etwas tun, was sich aufdrängt. Das bildet sie sich ein, und deshalb hat sie so furchtbar viel zu tun. Sie macht das, was zu tun ist, zum Wichtigsten.

Wir, die wir heute leben, haben auch furchtbar viel zu tun. Z.B. wirtschaftliches Wachstum schaffen, Dinge beschaffen und Reichtum anhäufen (wobei es danach aussieht, dass wir zugleich viel Elend verursachen). Wir kennen keine andere Parole als die: Man muss etwas tun! Wir sehen nur einen Sinn im Dasein: etwas mehr zu unternehmen, etwas mehr zu tun. So wie Martha erbost ist über Maria, so begegnen auch wir allem mit Misstrauen, was nicht mit Handeln und Unternehmungslust zu tun hat.

Was ist notwendig? Das fragte man einmal einen alten Römer. Er war Kaufmann und Seemann, und deshalb gab er diese Antwort: Es ist notwendig zur See zu fahren, aber es ist nicht notwendig zu leben. Unsere Antwort würde wohl so ähnlich ausfallen:  Es ist notwendig zu handeln, zu sparen, zu konsumieren, zu produzieren, zu arbeiten - kurz: Es ist notwendig, etwas zu tun. Damit alles weitergehen kann, und das jetzt, und alles hängt von uns ab.

Gott sagt das Gegenteil: Es ist notwendig zu leben, aber nicht zur See zu fahren, zu verbrauchen, zu produzieren, dies oder jenes zu beschaffen oder wie wir es nun ausdrücken. Es ist notwendig zu leben. Damit verhält es sich aber so, dass das Leben nicht etwas ist, das wir in Angriff nehmen können. Es ist etwas, was uns geschenkt werden muss. All das Andere ist etwas, was wir in Angriff nehmen und erkunden können - aber das Leben, das ist etwas, was zu uns kommen muss. Und das wissen wir sehr wohl: Die Augenblicke, in denen das Leben uns unseren Adern braust, das Herz warm wird, das sind Augenblicke, die uns geschenkt werden - von jemanden, den wir lieben, von Kindern, die uns in den Arm gelegt werden, von Freunden, die uns Treue schenken. Das Leben muss uns geschenkt werden. Das bedeutet nicht, dass das Leben nicht auch in der Küche bei Martha oder in der täglichen Arbeit ist, die wir zu tun haben, aber wir können es nicht selbst schaffen.

 Der Sinn ist: Wir müssen aus uns selbst heraustreten, wenn wir dieses „Leben" haben wollen. Es muss von außen kommen, außerhalb unserer selbst. In die Kirche zu gehen, wird wohl im heutigen Europa als die unnötigste Beschäftigung überhaupt angesehen. Aber das gilt ja für vieles andere auch. Aber für die Menschen, die seinerzeit die vielen schönen Kirchen bauten, war das anders. Wenn es etwas gab, was notwendig war, dann dies, eine Kirche in der Nähe zu haben. Sie verstanden nicht sehr viel von dem, was dort geschah, vieles war ja auf Lateinisch, aber sie wussten, von der Kirche strömte das Leben auf ihre Felder. Was in der Kirche geschah, gehörte zusammen mit all dem, was sonst im Leben geschah: Treffen im Thing, die Einhaltung der Regeln und Gesetze der Gemeinschaft, das häusliche Leben, die Kinder, das Leben mit dem Ehepartner, all das war etwas, das - wenn es richtig zuging - mit der Messe in der Kirche zusammengehörte. Aus der Kirche strömte die Lebenskraft, die keiner selbst besitzt. Das Notwendige für die Menschen - das war die Kirche und das, was in ihr geschah. Und was nun, wenn die Kirche nicht da war, wenn sie geschlossen wurde? Darüber gab es eine Sage: Ein Drache kam und legte sich um die Kirche und sperrte die Menschen aus der Kirche aus, ja wollte sie gar ersticken. Die bösen Kräfte des Drachens infizierten alles. Das Korn würde verdorren, wenn nichts geschah, die gepflügte Erde verschimmeln, die Lärchen tot vom Himmel fallen, die Tage blass, die Sonne verdampfen. In der Sage mästeten sie einen Stier, der den Drachen bekämpfte und ihn tötete. Das Leben schenkende Kirchenhaus war wieder offen.

Es ist notwendig zu leben. Aber das Leben - das muss Gott und schenken. Das Wichtigste hängt nicht von uns ab. Um uns daran zu erinnern, sind die Kirche und der Gottesdienst in ihr notwendig. Schenkte uns Gott nicht das Leben, wären wir verloren. Aber Er tut es. Wir alle sind davon abhängig, dass Gott uns das Leben schenkt. Und wenn wir erfahren, dass er das tut, und dafür danken, dann können wir uns frohgemut mit all dem anderen beschäftigen, das, wovon wir uns einbildeten, es sei das einzig Notwendige, das uns aber in Wahrheit nur daran hinderte, das zu sehen, was wirklich nottut. Was einzig nottut, den guten Teil, können wir uns nicht mit noch so großer Unternehmungslust sichern, es wird uns von Gott geschenkt, und es kann uns nicht genommen werden. Das ist es, was wir Gnade nennen, ist die ist jeden Tag neu. Amen.



Pastor, ehem. Bischof Niels Henrik Arendt
Ulfborg, Dänemark
E-Mail: nha@km.dk

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