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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

20. Sonntag nach Trinitatis, 21.10.2007

Predigt zu Matthäus 22:1-14, verfasst von Ulla Morre Bidstrup

Manche Gleichnisse Jesu sind eine Art Wandergeschichte. Wir wissen, dass es sie schon vor der Zeit Jesu in unterschiedlichen Versionen gab, und dass Jesus ihnen dann sein besonderes Gepräge gegeben hat. Aber auch Jesu Ausgabe der Gleichnisse, wie wir sie dann nennen, gibt es - in ein paar Fällen - in mehreren Versionen. Das ist z.B. der Fall mit dem Gleichnis vom großen Abendmahl oder von der königlichen Hochzeit, wie es bei Matthäus heisst, dessen Version wir heute gehört haben. Und es ist nicht länger her als am 2. Sonntag nach Trinitatis, dass wir das Gleichnis in der einfacheren Version bei Lukas gehört haben. Diese Version bei Lukas ist nach der einhelligen Auffassung der Gelehrten die älteste und kommt dem, was Jesus faktisch gesagt hat, am nächsten.

             Heute muss es demnach relevant sein, die Frage zu stellen, was Matthäus aus dem Gleichnis gemacht hat.

             Ja, zunächst einmal hat das Gleichnis eine Extradrehung bekommen in der Richtung einer bis ins Einzelne gehenden Allegorie über die Heilsgeschichte. Eine Allegorie will heißen, dass die einzelnen Elemente auf etwas zu übertragen sind, dass sie auf etwas hinweisen. Und in diesem Gleichnis geht das etwa so: Der König ist Gott, der Sohn ist Jesus, die ersten Diener oder Knechte sind die Propheten, diejenigen, die nicht kommen wollten, sind die Juden, die folgende Einladung wird von den Aposteln und den ersten Christen an die ganze Welt - auch die heidnische - überbracht, die Misshandlung der Knechte steht für die Verfolgungen der Christen, die Einäscherung der Städte ist ein Bild für die Zerstörung Jerusalems im Jahre 70, und der schließlich gefüllte Hochzeitssaal ist dann wohl die Christenheit als solche. Hier und / oder im Jenseits.

             Zweitens aber führt Matthäus ja eine ganz neue Person und ein ganz neues Element in das Gleichnis ein, das wir bei Lukas nicht finden.

             Denn bei Matthäus gibt es, wie wir hören, einen, der kein hochzeitliches Gewand anhat. Und wir wissen, manchmal waren Festgewänder etwas, was man bei seiner Ankunft zum Fest ausgeliefert bekam. Sonst wäre die Kleidung dieses Mannes ja zu entschuldigen, wenn er einer der unglücklichen Armen war. Aber wir haben uns wohl vorzustellen, dass ihm in Wirklichkeit wie allen anderen eine Festgewand angeboten worden ist, dass er sich aber weigert, es anzulegen, und stattdessen darauf beharrt, das Kleid anzubehalten, das sein eigenes ist. Vielleicht war er der Auffassung, das Fest müsste ein "Komm-wie-DU-bist-Fest" sein ohne anderen Dresscode als denjenigen, der dem Geschmack und der gut bestückten Garderobe des Gastes oder aber auch dem Mangel daran entsprechen mochte.

             Nur ist es kein solches Fest. Denn dies ist ja gerade die Geschichte von einem besonderen Fest, weil es eben nicht Herr Jedermann ist, der die Einladung ausspricht, sondern Gott, der ein Fest für seinen Sohn Jesus veranstaltet. Mit anderen Worten: Es ist ein Fest, das bei seinen Gästen etwas bewirken soll. Ein Fest der Verwandlung vielleicht! Ein Fest, bei dem man eben auch zu etwas anderem und zu jemand anders wird, als man war, da man zu dem Fest erschien, und bei dem man sich deshalb eben nicht damit begnügen kann, das anzubehalten, was einem selbst gehört.

             Wir veranstalten eine Reihe von solcherlei Festen in der Kirche. Und zwar eben mit ihrem eigenen Dresscode. Er besteht beispielsweise in einem Taufkleid, einem Konfirmationsanzug, einem Hochzeitskleid und einem Totenhemd. Jedesmal verwandeln wir uns und begeben uns in einen neuen Zusammenhang und übernehmen eine neue Rolle. Manchmal gründlicher als bei anderen Gelegenheiten! Die einheitliche Kleidung unterstreicht eben, dass wir an einem Fest der Verwandlung teilnehmen, das gemeinsam ist und dass es vor allem unsere gemeinsamen Grundbedingungen und Übergänge widerspiegelt und nicht die unterschiedlichen Bedingungen und Umstände, die daneben jeweils für den Einzelen als Individuum in jeweils eigener Kleidung gelten. Wie auch jeder Gottesdienst ein solche Fest der Verwandlung ist, bei dem wir zwar jeweils in eigener Kleidung kommen, bei dem wir aber unseren Blick darüber hinaus auf das Gemeinsame richten, das für uns als Menschen gilt.

             In seinem Buch "Kritik der negativen Erbaulichkeit" schreibt der Dichter Sören Ulrich Thomsen, was ihn plötzlich zu einem festen Teilnehmer am Fest des Gottesdienstes gemacht hat: Wenn ich auf der Kirchenbank sitze, fühle ich eine Art persönlicher Auflösung, weil ich hier nicht in meiner Eigenschaft als psychologisches Individuum sitze, sondern schlechthin als ein Mensch, der unter genau denselben Bedingungen lebt wie jeder andere, obgleich unsere Lebensverläufe und Schicksale unterschiedlich sind. Man könnte das auch "das Gesicht verlieren vor Gott" nennen, erstens weil ich immer meine Unvollkommenheit erkennen muss, und zweitens, weil ich entindividualisiert werde, wenn ich auf diese Weise meinen Mitmenschen gleichgestellt werde. In der Kirche entkomme ich nicht nur meiner psychologischen Ichbezogenheit, sondern auch dem stickigen sozialen Raum, in dem wir allzu sehr miteiander beschäftigt sind... hier sind wir nicht zueinander hingewandt, sondern wir sind in Gemeinsamkeit zu Gott hingewandt.

             Vielleicht disqualifiziert sich der Mann ohne Hochzeitsgewand auf eben diese Weise selbst und wird so um das Fest gebracht. Indem er nicht mit den andern zusammensein will, um sich Gott zuzuwenden. Indem er - wenn man so sagen darf - im Eigenen bleibt.

             Aber Matthäus geht ja noch weiter. Er lässt den König - der Gott ist - das Urteil über den Gast fällen und ihn verurteilen und ihn gefesselt in die Finsternis hinauswerfen, wo Heulen und Zähneknirschen ist.

             Und damit, so darf man wohl sagen, schließt das Gleichnis nicht nur. Es schließt auch kurz. Es trifft sich selbst wie ein Bumerang. Denn es begann mit einem Fest, zu dem alle eingeladen waren. Auch die, so kann man annehmen, die sich nicht so ohne weiteres auf die Sache mit dem Hochzeitsgewand und der Entindividualisierung verstanden, aber immerhin gekommen sind. Und "Wer zu mir kommt, den will ich nicht von mir weisen", sagt Jesus an anderer Stelle in den Evangelien.

             Warum schließt Matthäus das Gleichnis kurz? Meint er vielleicht, Lukas' Version sei nicht drastisch genug? Nein, er tut es, weil er meint, sie sei vielmehr zu drastisch.

             Denn ist es nicht drastisch, abschreckend und schwer für uns, wenn wir uns grundlegend mit Jesu Botschaft abfinden müssen, dass ALLE - sowohl die Guten als auch die Bösen - zu Gott eingeladen sind? Aus reiner und unverdienter Gnade. Wir haben es tatsächlich sehr viel leichter, da es Forderungen gibt und Grenzen, am liebsten solche, die wir verstehen, durchschauen und honorieren können.

             Deshalb ist das wirklich Drastische an dieser Geschichte, dass alle willkommen sind, weil es hier die Gnade ist, die festhält.

             Und wenn es jemanden gibt, der aus Gewohnheit taub dafür geworden ist, wie grenzüberschreitend die Botschaft im Grunde ist, dann empfehle ich die Lektüre der Rede des Alkoholikers Marmeladoff in Dostojewskis Roman "Rodion Raskolnikoff". Marmeladoff ist ein gescheiterter Offizier, weinerlich, dreckig und sabbernd erzählt er, wie seine Trinkerei aus Hunger und Not seine milde Tochter zur Hure, seine treue Frau todkrank und seine kleinen Stiefkinder chronisch hungrig gemacht hat, und dann beginnt er von dem einzigen Trost zu faseln, denn er trotz allem immer noch hat: nämlich von der Einladung zu dem großen Fest, die ja auch ihm gilt. Er lallt: "- dann wird sich Jesus uns zuwenden und sagen: Kommt her, auch Ihr! Alle Ihr - Ihr Trinker, Ihr Schwachen und Lasterhaften... kommt her zu mir!" Ehrlich gesagt: Das ist denn wohl doch drastisch genug!

             Und das war es wohl auch für Matthäus.

             Wenn es nun keine Übungen gibt, deren wir uns bedienen können, und keine Opfer, die wir bringen können, dann können wir zeigen und wissen, dass wir uns besonders verdient gemacht haben, mit am Tisch zu sitzen, dann sind wir versucht, es wenigstens dadurch zu versuchen, dass wir unterscheiden und feststellen, dass es doch welche gibt, die es NICHT verdient haben. Marmeladoff z.B. und der Mann ohne Hochzeitsgewand und die ihnen gleichen, wir können sie leicht in unserer Umgebung ausmachen.

             So, glaube ich, erhielt diese Ausgabe der Wandergeschichte den Wortlaut, den sie bei Matthäus hat!

             Und wir können uns dann jeder für sich die Frage vorlegen, wie sie im Grunde für unser inneres Ohr klingt, wenn wir heute die Kirche verlassen. Amen



Lektorin Ulla Morre Bidstrup
Rønde, Dänemark
E-Mail: umb(at)km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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