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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres, 09.11.2014

25 Jahre nach dem Fall der Mauer
Predigt zu Matthäus 5:13-16, verfasst von Jörg Coburger

Liebe Schwestern und Brüder,

nun sind wir mittendrin, in der kontroversen Diskussion darum, was es eigentlich damals im Herbst ´89 war; das darf so sein. Der Mauerfall, die Montagsdemonstrationen...

Zuvor hatte der Kolumnist des DDR-Fernsehen Karl-Eduard
von Schnitzler gern im Hinblick auf den Westen gelästert: „Wer betet,
demonstriert nicht." Da hat er sich wohl getäuscht, denn im Gegenteil erwuchs daraus gerade die Kraft zu Widerspruch und Auseinandersetzung, als viele schon nach 1976 im Westen waren oder in der inneren Emigration.

Und die bittere und peinliche 40Jahr-Feier der DDR, also der ganze Herbst `89, der doch vielmehr schon im Sommer in Ungarn an der österreichischen Grenze begann, oder als am 30.5. 1968 die Paulinerkirche bzw. Universitätskirche am Augustusplatz in meiner Leipziger Heimat  „ermordet" wurde, wie es Erich Loest ausdrückte,  oder besser doch am 13.August 1961, oder eher schon am 17. Juni 1953...?

Liebe Gemeinde, fürchtet euch doch nicht, mittendrin ist gut sein. So ist das wohl
mit dem Salz, denn da gehören wir als Kirche hin. Mittendrin im Epizentrum der
Auseinandersetzungen, was die Wende wohl wahr und ob man überhaupt „Wende" dazu
sagen könne? War es ein Zufall? Lediglich ein Versprecher von ZK-Mitglied
Günther Schabowski, der in der Pressekonferenz mit seinem eilig gekritzelten
Zettel konfus antwortete? Ach, Erinnerung, die schöne Lügnerin.

Nun sind wir mittendrin. In einem Gottesdienst.

Dort beginnt vieles. Aus Stille und Gebet kamen große
Stunden der Kirchengeschichte. Denn wer singt, handelt. Wer betet, der macht etwas.
Und plötzlich hast du keine Angst mehr und du entdeckst die Entdeckung des
Singens im Gehen, mitten auf der Straße, mit flackernder Kerze, mit flackernder
Hoffnung. Der Herbst 1989 hatte eine geistliche Dimension. Es ist nicht wichtig,
wie viele das anerkennen oder nicht.

 

Wie sollten wir diesen Tag feiern? In einem Gottesdienst zu diesem Anlass sind wir gut
aufgehoben. Da haben das Kyrie mit seiner Klage und das Gloria mit seinem Jubel einen Platz.

Der Jubel und die Tränen, auch heute noch.

Wir jammern zuviel, wir klagen zu wenig.

Ja, ich hatte damals Angst in der Eibenberger Kirche, als der Kemtauer Dorfstalinist Neukirchner das Rederecht an sich reißen wollte und von einer „neofaschistischen Veranstaltung" brüllte; hatten wir doch zur Gründung des Neuen Forums aufgerufen. Als einer aus der Runde ihn packte und hinauswarf, fürchtete ich eine Eskalation, provoziert oder nicht. Denn wir wussten aus der Geschichte, nicht erst nach 1945, dass Kommunismus auch Repressalien und Rache bedeutet. Hermann Hesse hat
bereits in 1920er Jahren davor gewarnt. 

In einem Gottesdienst kommen wir zur Besinnung.Gott hat uns zusammengerufen, weil er uns Gutes zu sagenhat. Seine Verheißung, Feiern, Gedenken, Nachsinnen, Gedanken sortieren... vor Gott.Das befreit, das bewahrt vor der schwarzen und der
rosaroten Brille. Ich möchte an diesem Tag nicht von mir selbst fasziniert
sein. Die Versuchung dazu ist da.

 Als ich im Herbst 1989 montags wieder einmal wegging, fragte meine schwangere Frau: „Und was wird aus uns, wenn du nicht wiederkommst?" Die Namenslisten für das als Gefangenenlager für Oppositionelle und „negative Elemente" vorgesehene Pionierlager „Palmiro Togliatti" in Einsiedel und für alle anderen Gefangenenlager waren schon
geschrieben.

Waren wir Helden?

Ist dieses Wort angemessen?

Um der Klarheit willen möchte ich an dieser Stelle
betonen, dass die Friedensgebete bereits im Herbst 1978 nach Anregung von
Probst Heino Falcke in Erfurt begonnen hatten und nicht in Leipzig.

Allemal: Wir sind im Herbst 1989 über dünnes Eis gegangen. Und Gottes Geist hat uns gehalten. Sonst wären wir eingebrochen. Gott war mit uns auf der Straße. Helden waren wir nicht.

Gottes Dienst an uns. Jetzt und hier. Wir werden die Deutungshoheit nicht einfach anderen überlassen und dazu schwiegen oder sentimental in allen Zeiten schwelgen.

„Ihr seid das Salz der Erde... Ihr seid das Licht der Welt.!

 Es hatte und hat eine doppelte Bedeutung, wenn Jesus von
der weithin sichtbaren Stadt auf dem Berg redet und vom Licht, das man nicht
mit einem Gefäß zudeckt, weil es doch allen hilfreich leuchten soll. Wir haben
eine dienende Aufgabe. Aber diese dienende Aufgabe wird uns von unserem Herrn
gestellt und nicht zuerst von Fürsten und Königen, Politikern oder
Wirtschaftsbossen. Das Salz steht eher für einen Katalysator, etwas, das sich
eher still und stetig einmischt. Das Licht, das blendet oder schreckt es
zuweilen.

Das eine ist die Zusage an seine Kirche, sich nicht aus
der Öffentlichkeit verdrängen zu lassen. Licht - das besagt Sichtbarkeit der
Kirche. Ich will jetzt nur sehr knapp wiederholen, dass eben diese Verdrängung,
auch Diskriminierung der Christen in der DDR Teil des Systems war, nicht nur
des Bildungssystems, also die von außen aufgezwungene Zurückhaltung.

Dazu kommt zweitens eine selbst gewählte Isolation von
Christen, die sich nicht einmischen wollen, wo sie sich doch im Namen des Herrn
hineinbegeben und einmischen soll. Bischof Johannes Hempel hat immer klar „das
politische Mandat der Kirche" herausgearbeitet. (1) Klar ist, Salz für sich
allein hat keinen Sinn und von Salz allein kann man nicht leben. Salz muss sich
einmischen, untermischen. Wir können jedoch als Christenheit unsere Aufgabe und
Berufung verfehlen. Die Warnung ist unüberhörbar. „Wenn nun das Salz nicht mehr
salzt..."  Kirche kann lau und unwichtig
werden, durch eigene innere Schuld.

Das meint nunmehr positiv: Christen lassen sich beim Wort
nehmen! Es gibt ja auch ein Christsein, das sich eben nicht outen will. Niemand
soll bemerken, dass ich zur Kirche gehöre, wir „wollen uns nicht über andere
erheben" und übersieht dabei, nur nicht auffallen, ohne das dies uns jemand gesellschaftlich
aufgedrängt hätte. Wir sind aber nicht um unserer selbst willen da, wir sind
aber nicht dazu da, uns ständig mit unserer innerkirchlichen Logistik und
Selbstorganisation zu beschäftigen, sondern mit unserem ganzen Leben das
Evangelium von der herrlichen Freiheit und Gnade Gottes zu verbreiten. Der
Kirche geht es dabei nicht viel anders, als derzeit dem Bundespräsidenten. Er möge kritisch,
unangepasst und auch unbequem sein, aber bitte in unserem Sinne.

Wovor fürchten wir uns denn? Lebt die Kirche nicht nach
dem Willen Jesu, wird diese Differenz, diese Schuld kritisch - oft mit Genuss!
- der Kirche mit Recht vorgeworfen. Lebt aber die Kirche nach dem Willen Jesu,
steht sie in der Nachfolge und fragt beharrlich und vor allem öffentlich nach
seinem Willen, wird sie ebenfalls kritisiert. Diese Erkenntnis dient uns zur
Besonnenheit und Gelassenheit.

Christen outet euch. Macht euch kenntlich. Das Land braucht unser Zeugnis. Das Zeugnis von Versöhnung und Frieden, nicht Hass und Gewalt. Nicht Religion, die sich in ihrer Gewalt auf ihren Gott beruft.
„Keine Gewalt" war der Ruf auf den Straßen.  

Licht - das besagt Sichtbarkeit der Kirche, ebenso wie das Bild von der Stadt oben auf dem Berg. Jedenfalls: in Erscheinung treten und des Namens Christi sich nicht zu schämen. Rm. 1,16-17 Es muss Schluss sein mit der Anpassungssucht meiner Kirche. Christen brauchen den Mut, sich zu unterscheiden. Nicht zur Überheblichkeit, aber zum Ja und Amen gehört auch das
Nein und Amen! Was wir brauchen, ist der Mut, anders zu sein und anders zu
leben.

Wir sind eine satte Kirche geworden. Wer satt ist, wacht
nicht gern. Genau das Wachsein und Einmischen vermissen ja so viele Menschen
mit Recht „an der Kirche", wie sie es gern formulieren. Das sich mancher ein
Wort der Kirche in seinem Sinne wünscht, macht das Ansinnen an sich nicht
unberechtigt, im Gegenteil. Eine Salz-Kirche bezieht Stellung. „Schwerter zu
Pflugscharen" ( Mi.4,Jes.2 ) - da werde ich ganz bitter, denn heute ist die
Bundesrepublik der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Wofür haben wir
gekämpft? Und wenn es oft um fragwürdige Exporte geht, wird meist der
Persilschein gedruckt.

Ob die Christenheit selbst immer jener Verheißung gerecht
geworden ist, steht mit Recht in Frage. Dass der Auferstandene seine Verheißung
wegen unserer Verfehlungen nicht zurücknimmt, steht nicht mehr in Frage.

Dazu eine kurze Zwischenbemerkung. Derzeit kommt es zu reflexartigen
Äußerungen über „die Religion" im Zusammenhang mit Krieg und Gewalt; durch die
Gewalt im Nahen Osten, durch ISIS und Salafisten verursacht. Es kommt zu öffentlichen
Äußerungen, Gewalt gäbe es nur, weil und wo es Religion gibt.

Dabei greifen die Kritiker der Kreuzzüge oft selbst zu
gewalttätigen Worten: „Schafft die Religion ab, dann gibt es keine Kriege mehr."
Das ist mir neu! Zumal: Solche Worte richten sich selbst! Das wird eilfertig in
eins gesetzt. Mit Verlaub halte ich das für Volksverhetzung. Das blutigste
Jahrhundert der Kirchengeschichte war nicht im Mittelalter, sondern das 20. Jh.
und der Atheismus, nicht nur im Stalinismus, hat eine millionenfache Blutspur
hinterlassen. Nein, es gilt kein Relativieren, gar Entschuldigen religiöser
Gewalt. Aber auch kein atheistisches Ablenkungsmanöver von denen, die mit der
gestohlenen Gans unterm Arm rufen: „Haltet den Dieb, da vorne läuft er!"

Es sind also zwei Bilder. Das vom Licht, das auch einen
Kontrast meint,  (Phil.2,15 ) und
ausdrücklich allen zumutet: „ Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern
ändert euch durch die Erneuerung eures Denkens... „ ( Rm. 12,2 ) Das Herausleuchten und das Sich- Hinein- Begeben, das sich Beteiligen und zu einem Segen werden.

Und das Salz, das in kleinen Mengen wirkt, ohne sichtbar
zu sein, still und auffällig, wenn es aber fehlt, ist mehr als nur der
Geschmack gefährdet. Es braucht auch die treuen stillen Vorbilder. Licht indes
strahlt auffällig, wie ein Leuchtturm soll die Kirche sein. Beide Worte aber
vereint das Dasein für andere und nicht nur für sich selbst. Die Kirche lebt in
einer Polarität von Sammlung und Sendung, Hören und Handeln, Beten und
Demonstrieren. Denn nur eine hörende Kirche, wie es damals in Leipzig geschah,
kann eine gehorsame und aufbrechende Kirche sein. „Gottes Kraft ist in den
Schwachen mächtig." (2.Kor.12,9 )

Die Gabe ist eine Aufgabe. Gottes Zuspruch von Salz und
Licht enthält einen unüberhörbaren Anspruch in beiden Bildworten:

Das versteckte Licht, ein Salz, das nicht mehr würzt. Das
hat aber einen prophetischen und schmerzlichen Gedanken, denn als die Wenigen
oder gar der Einzelne und Einzige - viele haben es in der DDR erleben müssen - kann
es unsere Bestimmung werden, ganz allein zu stehen, von allen, auch von
Glaubensbrüder verlassen, die Wahrheit sagen zu müssen und sie im Alltag -
gegen alle - zu leben, denn „man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen." (
Apg.5,29 )

Weh uns, wenn wir von uns aus diesen Streit suchten oder gar
eine Notwehr provozierten, wie die Juristen formulieren. Doch ist es nicht vielmehr
so, dass wir als Salz- und Licht-Menschen wie das kleine Kind in „Des Kaiser
neue Kleider" sein müssen. Der Kaiser läuft nackt, alle spielen mit, alle
jubeln und finden es toll, bis ein kleines Kind den ganzen Teufelskreislauf
durchbricht und sagt: „Aber er hat ja gar nichts an..."

Wir Salz-Christen müssen auch ent- täuschen, im wahrsten Sinne des Wortes. Täuschungen aufzeigen.
Nicht umsonst ist zu betonen, dass diese prophetische Rufen nicht nur „denen da
draußen gilt", sondern ganz zuerst der Kirche selbst. Biblisch gesprochen: Das
Gericht Gottes von fängt am Hause Gottes selbst an.

Wir haben von unserem Herrn Aufgaben, in denen wir uns
durch niemand vertreten lassen können. Es ist müßig zu beschreiben, was nach öffentlicher
Meinung „die Kirche" alles solle. Die Erwartungen gehen von berechtigt bis
absurd. Der Staat kann niemals unser Platzanweiser sein, nur Christus. Dahin
gehört die Trennung von Kirche und Staat. Luther hat es in seiner „Zwei-
Reiche- Lehre" gefordert. Aber diese Trennung ist keine Einbahnstraße und die
Kirche kein sozialpolitischer Lückenbüßer, der ansonsten zu schweigen habe. Und
der Platzanweiser Christus verweist uns an die, die unter die Räuber gefallen
sind. ( Lk. 10,35ff )

Im Landkreis Marienberg fehlen derzeit noch ca. 350
Quartiere für Flüchtlinge. Die biblische Ethik im AT und NT lässt keinen
Zweifel daran, dass es eine berechtigte Erwartung an die Kirche ist, solche
Menschen nach allen Kräften aufzunehmen, auch dann, wenn es z.B. keine syrisch-
orthodoxen Christen sind. Wir könnten den Heilig-Abend mit unseren
Krippenspielen nicht in Freude und Verantwortung vor Gott gestalten, wo stets
die Szenen mit Maria, Joseph und dem Kind auf der Flucht vorkommen und dabei
gleichzeitig hart gegen solche Flüchtenden heute zu sein.

Die beiden Verheißungen Jesu trösten: Seid nicht besorgt
um euch selbst. Wir können nicht anders Jünger des Herrn sein als unter
missdeutbaren Kreuzesbedingungen. Wir haben doch als Christen aus der DDR-Zeit
eine Erfahrung deutschlandweit in die gesamte EKD einzubringen und dürfen nicht
darauf achten, ob man das auch hören wolle - ich bin da eher skeptisch - nämlich
dass man für seinen Glauben auch öffentlich einstehen muss. Fürchtet euch
nicht, wir Christen werden nicht arbeitslos; es gibt so viel zu tun und die
Ernte ist groß und der Herr der Kirche sucht nach Arbeitern an seiner Sache. Fürchtet
euch nicht. Seid nicht besorgt. Lasst uns von Herzen neue Fehler machen. Aber
versteckt euch nie mehr, denn wir werden gebraucht.

 

( 1) Bericht der Kirchenleitung auf der 22. Landessynode der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens im Herbst 1987. Dort abgedruckt das Zitat Hempels von der Herbsttagung 1986; Kühn, Ullrich; „Begrenztes politische Mandat" in ZdZ Nr.44/1990, S.97 ff.  )

 



Pfarrer Jörg Coburger
Amtsberg/ Dittersdorf
E-Mail: joerg.coburger@gmx.de

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